Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 21.11.2001, Az.: L 4 KR 68/00

Beitragspflicht eines Beschäftigten zur Bundesanstalt für Arbeit bei gleichzeitiger Selbständigkeit

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen
Datum
21.11.2001
Aktenzeichen
L 4 KR 68/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 24858
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2001:1121.L4KR68.00.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Oldenburg - 08.03.2000 - AZ: S 6 KR 95/98

Fundstellen

  • DStRE 2002, 1046-1047 (Volltext mit amtl. LS)
  • NWB 2002, 2278
  • NZS 2002, 276
  • V&S 2002, 5

Amtlicher Leitsatz

Ein Beschäftigter mit einer Arbeitszeit von 20 Stunden wöchentlich ist auch dann beitragspflichtig zur Bundesanstalt für Arbeit, wenn er daneben eine selbständige Tätigkeit von 20 Stunden pro Woche ausübt.

Der 4. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle hat auf die mündliche Verhandlung vom 21. November 2001
durch
die Richterin Schimmelpfeng-Schütte - Vorsitzende -,
die Richter Wolff und Schreck
sowie die ehrenamtlichen Richter Dumke und Dr Schein
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Rechtsstreit betrifft die Entrichtung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung aus einer Halbtagsbeschäftigung, neben der eine selbständige Tätigkeit ausgeübt wird.

2

Der Kläger ist seit dem 25. September 1995 als angestellter Steuerberater mit 20 Stunden pro Woche in dem Steuerberatungsbüro D. abhängig beschäftigt. Daneben ist er in Sozietät mit seinem Bruder selbständig als freiberuflicher Steuerberater tätig. Nach seinen Angaben wandte er für diese freiberufliche Tätigkeit zunächst 20 Stunden pro Woche auf; heute hat die selbständige Tätigkeit einen größeren Zeitumfang. Seit dem 25. September 1995 ist der Kläger Mitglied der Beklagten, die Beiträge zur Gesamtsozialversicherung auf das Angestelltengehalt erhebt.

3

Mit Schreiben vom 13. Januar 1998 beantragte der Kläger die Erstattung der zur Arbeitslosenversicherung entrichteten Beiträge in Höhe des Arbeitnehmeranteils. Die Erhebung der Beiträge verstoße gegen den Gleichheitssatz. Den geleisteten Beiträgen stehe keine Leistung gegenüber. Mit Bescheid vom 9. Februar 1998 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der Widerspruch des Klägers war ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 1998).

4

Der Kläger hat am 7. Juli 1998 Klage vor dem Sozialgericht Oldenburg (SG) erhoben. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11. Januar 1995 - 1 BvR 892/88 - gelte in der Arbeitslosenversicherung der Grundsatz des Äquivalenzprinzips. Dieser Grundsatz stehe in seinem Falle der Erhebung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung entgegen. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 8. März 2000 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger sei nach § 168 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) sowie § 25 Drittes Sozialgesetzbuch (SGB III) versicherungs- und beitragspflichtig zur beigeladenen Bundesanstalt für Arbeit. Auch wenn der Kläger im Falle des Verlustes seines Arbeitsplatzes als angestellter Steuerberater nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AFG keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld habe, liege ein Verfassungsverstoß nicht vor. Denn er sei trotz seiner selbständigen Tätigkeit schutzbedürftig im Sinne der Arbeitslosenversicherung. Denn ihm könnten als Pflichtversichertem in der Arbeitslosenversicherung Leistungen der Beigeladenen zu Gute kommen, die keine Arbeitslosigkeit voraussetzten. Im Übrigen werde die Arbeitslosenversicherung nicht vom Äquivalenzprinzip geprägt.

5

Gegen das ihm am 24. März 2000 zugestellte Urteil hat der Kläger am 25. April 2000 (Dienstag nach Ostern) Berufung eingelegt und insbesondere ausgeführt: Es könne nicht unberücksichtigt bleiben, dass er im Falle des Verlustes seiner Halbtagsbeschäftigung unter keinen denkbaren Umständen eine unmittelbare Leistungsberechtigung auf Arbeitslosengeld oder -hilfe gegenüber der Beigeladenen habe, solange er eine selbständige Tätigkeit ausübe. Er sei erst dann leistungsberechtigt, wenn er seine selbständige Tätigkeit aufgebe. Das beabsichtige er jedoch nicht. Bei Anwendung der Rechtsprechung des BVerfGs - insbesondere der Entscheidung vom 11. Januar 1995 - 1 BvR 892/88 - (SozR 3-2200 § 385 Nr. 6) - und Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes, des Sozialstaatsprinzips und des Äquivalenzprinzips müsse seine Beitragspflicht verneint werden. Er könne allein aus seiner selbständigen Tätigkeit den Unterhalt seiner Familie nicht garantieren. Obwohl er daher im Falle des Verlustes seiner beitragspflichtigen Beschäftigung bedürftig sei, habe er keine Leistungsansprüche gegen die Beigeladene. Das könne nicht richtig sein.

6

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 8. März 2000 und den Bescheid der Beklagten vom 9. Februar 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juni 1998 aufzuheben und

  2. 2.

    festzustellen, dass er in seiner Beschäftigung als angestellter Steuerberater ab dem 25. September 1995 nicht arbeitslosenversicherungspflichtig ist.

7

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

8

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

9

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie hält ebenfalls das angefochtene Urteil für zutreffend.

10

Die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und waren mit den Prozessakten der ersten und zweiten Instanz Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auf sie wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vortrages der Beteiligten verwiesen.

Entscheidungsgründe

11

Die Berufung ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.

12

Das Urteil des SG und der Bescheid der Beklagten sind rechtmäßig. Der Kläger ist in seiner Beschäftigung als angestellter Steuerberater ab dem 25. September 1995 beitragspflichtig zur Arbeitslosenversicherung.

13

Nach § 168 Abs. 1 Satz 1 AFG sind Personen, die als Angestellte gegen Entgelt beschäftigt sind, beitragspflichtig zur Bundesanstalt für Arbeit. Die ab 1. Januar 1998 geltende Vorschrift des § 25 Abs. 1 SGB III bestimmt, dass Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, in der Arbeitslosenversicherung versicherungspflichtig sind. Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen dieser Bestimmungen. Seiner Auffassung, dass er der Versicherungs- und Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung deshalb nicht unterliege, weil er bei Beibehaltung seiner selbständigen Tätigkeit unter keinen Umständen einen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder -hilfe habe, vermag der Senat nicht zu folgen.

14

Der Kläger beruft sich unter Bezug auf die Entscheidung des BVerfG vom 11. Januar 1995 - 1 BvR 892/88 - (SozR 3-2200 § 385 Nr. 6) insbesondere auf eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes und des Äquivalenzprinzips. Das BVerfG hat in seiner Entscheidung vom 11. Januar 1995 ausgeführt, es sei gleichheitswidrig, wenn einmalig gezahltes Arbeitsentgelt einerseits zwar zu Sozialversicherungsbeiträgen herangezogen, andererseits bei der Berechnung von kurzfristigen Lohnersatzleistungen aber nicht berücksichtigt werde. Es müsse - so das BVerfG - nach Art. 3 Abs. 1 GG bei der Bemessung kurzfristiger Lohnersatzleistungen zwar keine versicherungsmathematische Äquivalenz zwischen den entrichteten Beiträgen und der Höhe der Leistungen bestehen. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liege jedoch dann vor, wenn für Äquivalenzabweichungen bei Versichertengruppen mit gleicher Beitragsleistung ein hinreichender sachlicher Grund nicht ersichtlich sei.

15

Entgegen seiner Ansicht stützt diese Rechtsprechung die Auffassung des Klägers nicht. Denn die Entscheidung des BVerfGs vom 11. Januar 1995 betrifft die Frage der Äquivalenz zwischen der Höhe der Beiträge und der Höhe der gewährten Leistungen. Im vorliegenden Fall aber geht es nicht um das angemessene Verhältnis von Beitragshöhe und Leistungshöhe. Es geht allein um die Frage, welche Voraussetzungen der Einzelne im konkreten Fall erfüllen muss, um einen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe zu haben. Welche Beschäftigungen und Tätigkeiten die Annahme von Arbeitslosigkeit ausschließen, hat der Gesetzgeber in § 118 Abs. 2 und 3 SGB III geregelt. Dabei ergibt sich aus § 118 Abs. 3 SGB III, dass auch selbständig Tätige grundsätzlich arbeitslos sein können. Der Gesetzgeber hat somit die Möglichkeit der Arbeitslosigkeit eines Selbständigen nicht generell ausgeschlossen, sondern - wie üblich - von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abhängig gemacht. Die Auffassung des Klägers, er könne unter keinen Umständen einen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder -hilfe haben, überzeugt nicht. Wäre er nämlich nach den Wechselfällen des Lebens gezwungen, seine Arbeitseinteilung zu ändern, seine Beschäftigung und seine selbständige Tätigkeit zu reduzieren oder ganz aufzugeben, so stünde ihm unter den Voraussetzungen der § 117, § 190 SGB III sehr wohl ein entsprechender Leistungsanspruch zu. Für den Senat ist deshalb weder ein Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip noch gegen den Gleichheitssatz ersichtlich.

16

Der Senat vermag sich der Auffassung des Klägers auch deshalb nicht anzuschließen, weil sich die Beitragspflicht zur Arbeitsförderung nicht lediglich auf die Gewährung von Arbeitslosengeld und -hilfe bezieht. In seiner Entscheidung vom 11. Januar 1995 hat das BVerfG ausdrücklich seine Entscheidung vom 11. März 1980 - 1 BvL 20/76 - (BVerfGE 53, 313 ff) zitiert. In dieser Entscheidung vom 11. März 1980 hat das BVerfG betont, es sei im Hinblick auf die gesetzlichen Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn Bezieher von Knappschaftsausgleichsleistungen und vorgezogenem Knappschaftsruhegeld, die regelmäßig im Fall ihrer Arbeitslosigkeit kein Arbeitslosengeld beziehen, gegenüber der Bundesanstalt beitragspflichtig seien. Denn eine Beitragspflicht zur Bundesanstalt sei wegen der Besonderheiten des Systems der Arbeitsförderung nicht allein dann gerechtfertigt, wenn sie mit äquivalenten beitragsabhängigen Gegenleistungen der Bundesanstalt verbunden sei. Es bestehe nämlich eine durch die Besonderheiten des Risikos der Arbeitslosigkeit geprägte gemeinsame Interessenlage aller abhängig Beschäftigten, die in ihrer Beitragspflicht zum Ausdruck komme. Mit den Beiträgen seien eben nicht nur beitragsabhängige, sondern auch beitragsunabhängige Leistungen zu finanzieren, insbesondere die generalpräventiven Aufgaben der Bundesanstalt. Diese Rechtsauffassung hat sich das Bundessozialgericht (BSG) in seiner Entscheidung vom 18. August 1992 - 12 RK 37/89 - (SozR 3-4100 § 168 Nr. 10) zu eigen gemacht. Nach Auffassung des BSG war das AFG (heute: das SGB III) gekennzeichnet durch eine Wendung von Maßnahmen zu bloßer Absicherung bei Arbeitslosigkeit hin zu vorbeugenden Maßnahmen gegen Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt, zu Ausgleichs- und Vermittlungsbemühungen im Einzelfall und zu einer umfassenden vorausschauenden Politik der Berufs- und Arbeitspatzwahl. An die Stelle des reinen Versicherungsdenkens sei die Absicht getreten, die Rücklagen der Bundesanstalt auch zu einem produktiven Einsatz der Mittel zur Schaffung und Umstrukturierung von Arbeitsplätzen zu nutzen. Dementsprechend sei davon auszugehen, dass zur Beitragszahlung alle Personen verpflichtet sein müssten, die an der Gesunderhaltung des Arbeitsmarktes ein unmittelbares Interesse hätten. Das schließt im vorliegenden Fall auch die Personengruppe ein, die sowohl abhängig als auch selbständig tätig ist.

17

Aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) lässt sich das Begehren des Klägers ebenfalls nicht ableiten.

18

Die Berufung kann daher keinen Erfolg haben.

19

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

20

Zur Zulassung der Revision besteht kein gesetzlicher Grund (§ 160 Abs. 2 Nrn 1 und 2 SGG).