Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.11.2001, Az.: L 8 AL 438/99
Anspruch auf berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation; Höheres Übergangsgeld für die Teilnahme an einer geförderten Rehabilitationsmaßnahme statt des gewährten Unterhaltsgeldes; Übergangsgeld für eine behindertenspezifische Bildungsmaßnahme; Vorrangigkeit der allgemeinen Förderungsleistungen vor den besonderen Leistungen zur beruflichen Eingliederung; Voraussetzungen für das Vorliegen einer behindertenspezifischen Maßnahme; Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit in der beruflichen Rehabilitation
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen
- Datum
- 08.11.2001
- Aktenzeichen
- L 8 AL 438/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 25208
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2001:1108.L8AL438.99.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Osnabrück
Rechtsgrundlagen
- § 56 Abs. 1 AFG
- § 56 Abs. 2 Nr. 1 AFG
- § 56 Abs. 3 AFG
Verfahrensgegenstand
Übergangsgeld für die Teilnahme an einer geförderten Rehabilitationsmaßnahme
Prozessführer
B.
C.
Prozessgegner
Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg
vertreten durch den Präsidenten des Landesarbeitsamtes Niedersachsen-Bremen, Altenbekener Damm 82, 30173 Hannover
Tenor:
- I.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 26. Oktober 1999 aufgehoben. Der Bescheid der Beklagten vom 29. Juli 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. September 1997 wird geändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis zum 26. Juni 1999 Übergangsgeld unter Anrechnung des bereits gezahlten Unterhaltsgeldes zu zahlen.
- II.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
- III.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt statt des ihm gewährten Unterhaltsgeldes (Uhg) höheres Übergangsgeld (Übg) für seine Teilnahme an einer von der Beklagten geförderten Rehabilitationsmaßnahme ”Umschulung zur Fachkraft für Lagerwirtschaft”, die vom 1. Juli 1997 bis zum 26. Juni 1999 andauerte und die der Kläger mit Erfolg beendete.
Der im Oktober 1962 geborene Kläger hat den Beruf des Restaurantfachmanns erlernt und diesen Beruf jahrelang - auch selbständig - ausgeübt. Anschließend war der Kläger in einer Schlachterei im Akkord beschäftigt gewesen. Aufgrund eines im September 1993 erfolgten Treppensturzes blieben beim Kläger Beeinträchtigungen der Wirbelsäule zurück, die neben bereits vorhandenen Wirbelsäulenbeschwerden dazu führten, dass er in dem zuletzt ausgeübten Beruf nicht mehr tätig sein konnte.
Ab 8. Februar 1994 bezog der Kläger im Wesentlichen Leistungen von der Beklagten (Arbeitslosengeld - Alg -, Arbeitslosenhilfe - Alhi -, Übg und Uhg).
Neben den Wirbelsäulenbeeinträchtigungen leidet der Kläger an einer hochgradigen Sehschwäche des linken Auges. Die Beklagte sah den Kläger als rehabilitationswürdig iS des § 56 Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) an. Vom 3. Juni 1996 bis zum 12. März 1997 nahm der Kläger an einer Rehabilitationsmaßnahme im Berufsförderungswerk J. teil, wofür er Übg erhielt (Bescheid vom 8. Juli 1996 des Arbeitsamtes J., kalendertäglich 60,64 DM). Der Kläger musste die Teilnahme ohne sein Verschulden am 12. März 1997 abbrechen. Für die Folgezeit erhielt er Alg nach einem Bemessungsentgelt von 680,00 DM, wöchentlicher Leistungssatz 261,60 DM (Bewilligungsbescheid vom 26. März 1997, Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 1997 - wegen dieser Bewilligung ist ein Rechtsstreit beim Sozialgericht (SG) Osnabrück rechtshängig, weil der Kläger statt des Alg höheres Zwischen-Übg begehrt).
Der Kläger nahm ab dem 6. Mai 1997 an einer Berufsfindungsmaßnahme der Ländlichen Erwachsenenbildung in K. teil. Im Anschluss daran besuchte der Kläger im Rahmen seines Rehabilitationsverfahrens vom 1. Juli 1997 bis 29. August 1997 die Maßnahme ”Rehabilitationsvorbereitung”, die am 1. September 1997 einmündete in die Umschulung ”Fachkraft für Lagerwirtschaft”, die ebenfalls in K. durchgeführt wurde. Maßnahmeträger war das Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft (BNW). Nach dem Maßnahmebogen handelte es sich um eine innerbetriebliche Rehabilitation durch Umschulung; Maßnahmeinhalt: fachtheoretischer Stützunterricht neben der betrieblichen Umschulung, sozialpädagogische und psychologische Betreuung. Als Zugangsvoraussetzungen wurde verlangt: Rehabilitanden, die besonderer Hilfen für die erfolgreiche betriebliche Umschulung bedürfen (§ 21 Abs 1 Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter - A Reha -). Weiterhin wurden jede Woche 4 Stunden Stützunterricht angeboten. Hinsichtlich der betrieblichen Umschulung schloss der Kläger einen Umschulungsvertrag mit der Firma L. Industriebedarf GmbH & Co. KG ab. Nach § 6 dieses Umschulungsvertrages betrug die wöchentliche Umschulungszeit in der Regel 38 ¾ Zeitstunden. Außerdem besuchte der Kläger in der Umschulungszeit einmal bzw zweimal wöchentlich die Berufsschule M. (Berufsbildende Schulen der Stadt M., N.).
Mit Bescheid vom 29. Juli 1997 gewährte die Beklagte Uhg für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis zum voraussichtlichen Ende am 30. Juli 1999 (Bemessungsentgelt 680,00 DM, wöchentliche Leistung 261,60 DM - wie zuvor das Alg -). Der Kläger legte Widerspruch mit der Begründung ein, ihm stünde für die Umschulungszeit Übg zu, wie er es vorher beim Berufsförderungswerk J. erhalten habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 12. September 1997 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass Übg nicht zu gewähren sei, weil es sich bei der jetzigen Umschulung nicht um eine behindertenspezifische Maßnahme handele, § 56 Abs 3 AFG. Der Kläger werde daher so behandelt wie die anderen Umschüler auch. Die Höhe des Uhg sei richtig errechnet worden. Da der Kläger im maßgeblichen Bemessungszeitraum keine 100 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt vorweisen könne, sei auf das für ihn passende Tarifentgelt zurückzugreifen. Er könne als Montierer in der Metall- und Elektroindustrie ein monatliches Arbeitsentgelt von 2.946,00 DM bei einer 35-Stunden-Woche erzielen. Daraus errechne sich ein (wöchentliches) Bemessungsentgelt von 680,00 DM. Entsprechendes ergebe sich bei der Anwendung des § 44 Abs 3 AFG. Danach bemesse sich bei Teilnehmern, die unmittelbar vor Eintritt in die Bildungsmaßnahme Alg oder Alhi bezogen haben, das Uhg mindestens nach dem Arbeitsentgelt, nach dem das Alg oder die Alhi zuletzt bemessen worden sei. Dies sei hier ein Bemessungsentgelt von 680,00 DM gewesen. Entsprechend sei dem Kläger Uhg bewilligt worden.
Der Kläger hat am 15. Oktober 1997 Klage beim SG Osnabrück erhoben. Er hat vorgetragen, dass es sich bei der streitigen Maßnahme gleichsam um eine Fortsetzung der beim Berufsförderungswerk J. abgebrochenen Maßnahme handele, so dass bereits aus diesem Grunde Übg weiter zu gewähren sei. Die Umschulungsmaßnahme in K. sei behindertenspezifisch ausgerichtet gewesen. Er habe dort die Möglichkeit gehabt, an einem Nachhilfeunterricht teilzunehmen. Er sei vom Maßnahmeträger psychologisch unterstützt worden, welchem ein Diplom-Psychologe zur Verfügung gestanden habe. Der Kläger hat sich insoweit auf die Stellungnahme zum Verlauf seiner Umschulung des BNW vom 10. August 1998 berufen.
In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat der Kläger Folgendes ausgeführt:
”Wir hatten einen Tag in der Woche theoretischen Unterricht. Das war in der Regel dienstags nach der praktischen Arbeit. Außerdem hatten wir Berufsschule, und zwar im ersten Jahr an zwei Tagen, später an einem Tag. Der Arbeitsplatz beim theoretischen Unterricht musste für mich geändert werden. Es wurde ein höherer Tisch angeschafft. Mit der betrieblichen Ausbildung bin ich gut zurecht gekommen. Im Zusammenwirken mit dem Inhaber der Firma L. wurde für mich ein behindertengerechter Arbeitsplatz eingerichtet. Dort arbeite ich heute noch. Während der Umschulung wurde eine Rückenschule und ähnlicher Unterricht angeboten. Das war jeweils dann, wenn Probleme auftraten. Dann konnte man diese Kurse besuchen. Es wurden auch anderweitig Kurse für Leute mit gesundheitlichen Schwierigkeiten angeboten, die man besuchen konnte.”
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 26. Oktober 1999 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es sich bei der Maßnahme des BNW nicht um eine behindertenspezifische Maßnahme gehandelt habe, weil sie nicht in einem Berufsförderungswerk durchgeführt worden sei.
Das Urteil wurde dem Kläger am 8. November 1999 zugestellt
Der Kläger hat am 7. Dezember 1999 Berufung eingelegt. Er trägt vertiefend vor, dass er an einer behindertenspezifischen Maßnahme teilgenommen habe. Dafür sei nicht Voraussetzung, dass die Maßnahme in einem Berufsförderungswerk durchgeführt werde. Davon gehe selbst die Beklagte nicht aus.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
1. das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 26. Oktober 1999 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. Juli 1997 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 12. September 1997 zu ändern,
2. die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 26. Juni 1999 Übergangsgeld unter Anrechnung des bereits geleisteten Unterhaltsgeldes zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, dass es sich bei dem Maßnahmetyp, an welchem der Kläger teilgenommen habe (Innerbetriebliche Rehabilitation durch Umschulung), um ein Bildungsangebot handele, welches sich an Behinderte richte, die aufgrund von Art und Schwere ihrer gesundheitlichen Einschränkungen nicht auf die besonderen Hilfen einer Einrichtung der beruflichen Rehabilitation angewiesen seien, gleichwohl aber umschulungsbegleitender Hilfen bedürften. Dem liege der Grundgedanke zugrunde, für den soeben beschriebenen Personenkreis mittels einer betrieblichen Schulung eine kostengünstigere, wohnortnahe Qualifizierung zu realisieren und - insbesondere über die unmittelbare Einbindung in den betrieblichen Arbeitsprozess - eine arbeitsmarktnahe Weiterbildung und damit gute Voraussetzungen für eine dauerhafte berufliche Eingliederung zu schaffen. Das Arbeitsamt O. habe die vom Kläger besuchte Maßnahme als Maßnahme gemäß § 56 Abs 3 AFG eingerichtet und durchgeführt, so dass lediglich Uhg habe bewilligt werden können.
Der Senat hat Auskünfte des BNW vom 10. Oktober und 11. Oktober 2000 eingeholt, die folgenden Inhalt haben:
”In dem Lehrgang ”Innerbetriebliche Rehabilitation durch Umschulung (IRU)” werden alle Betreuungsangebote, die in den klassischen Reha-Einrichtungen angeboten werden, auch angeboten. Dies sind zum Einen eine sozialpädagogische, eine psychologische und eine arbeitsmedizinische Betreuung. Die sozialpädagogische und psychologische Betreuung umfasst im Durchschnitt 6,5 Stunden pro Monat. Eine arbeitsmedizinische Betreuung erfolgt nur im Einzelfall. Vergleiche zu dem Betreuungsangebot in den Reha-Einrichtungen können wir nicht anstellen, da uns hier keine Werte vorliegen. Da die Bundesanstalt für Arbeit die Entscheidung trifft, welche Teilnehmer in ein Berufsförderungswerk gehen oder in eine ”innerbetriebliche Rehabilitation durch Umschulung” können wir Ihnen auch keine Angaben darüber machen, ob sich die Teilnehmer in den unterschiedlichen Reha-Einrichtungen von den Teilnehmern der IRU-Maßnahme unterscheiden.
Abschließend beantworten wir Ihre Frage dahingehend, dass wir der Meinung sind, dass die innerbetriebliche Rehabilitation durch Umschulung eine behindertenspezifische Maßnahme darstellt.”
”Der wesentliche Unterschied in einer rehaspezifischen Maßnahme eines Berufsförderungswerkes zu der Maßnahme ”Innerbetriebliche Rehabilitation durch Umschulung” liegt in der wohnortnahen betrieblichen Umschulung. Das Arbeitsamt O. hat uns diese Maßnahme auch als rehaspezifische Maßnahme anerkannt. Ich verweise u.a. auch auf die Zugangsvoraussetzungen in denen steht, dass Rehabilitanden, die besonderer Hilfe für die erfolgreiche betriebliche Umschulung bedürfen, an IRU teilnehmen können. Daher gehen wir davon aus, dass die Teilnehmer statt Unterhaltsgeld auch Übergangsgeld innerhalb dieser Maßnahme bekommen.”
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtakte und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung waren.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig.
Der Kläger begehrt das Übg als laufende Leistung für mehr als 1 Jahr, so dass sich die Zulässigkeit der Berufung aus § 144 Abs 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ergibt. Die Berufung ist weiterhin in der Frist und Form des § 151 Abs 1 SGG eingelegt worden.
Die Berufung ist begründet.
Der Kläger hat statt des gewährten Uhg Anspruch auf das höhere Übg, weil er in der Zeit vom 1. Juli 1997 bis 26. Juni 1999 an einer behindertenspezifischen Bildungsmaßnahme teilgenommen hat. Der Gewährung des begehrten höheren Übg steht daher § 56 Abs 3 AFG nicht entgegen.
Der Kläger hat als Behinderter iS des § 56 Abs 1 AFG dem Grunde nach Anspruch auf berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation, daher dem Grunde nach auch auf das Übg gemäß § 56 Abs 2 Nr 1 AFG, wie dies zwischen den Beteiligten unbestritten und unzweifelhaft feststeht. Der Zuständigkeit der Beklagten steht § 57 AFG nicht entgegen, weil weder eine Zuständigkeit der Fleischerei-Berufsgenossenschaft noch der LVA P. ersichtlich ist (dazu Schreiben vom 17. Mai 1994, 19. Dezember 1996 und 16. Dezember 1994). Letztlich wäre die Beklagte zur Leistung gemäß § 6 Abs 2 Nr 2 Rehabilitationsangleichungsgesetz an den Kläger berufen.
Allerdings ist hier § 56 Abs 3 AFG zu beachten, der durch das 1. Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG vom 21. Dezember 1993, BGBl I Seite 2353) geschaffen wurde. Diese Vorschrift wurde ergänzt und in eine Kann-Vorschrift umgewandelt durch Gesetz vom 25. September 1996 mit Wirkung zum 1. Januar 1997 (Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25. September 1996, BGBl I Seite 1461). Nach § 56 Abs 3 AFG können die berufsfördernden und ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation bei Teilnahme an einer nicht behindertenspezifischen berufsfördernden Bildungsmaßnahme sowie bei der Gewährung sonstiger berufsfördernder Hilfen nur in Art und Umfang der Leistungen nach dem 4. und 5. Unterabschnitt erbracht werden, soweit hierdurch das Ziel der Eingliederung im Einzelfall erreicht wird.
Die damit verfolgte Absicht liegt auf der Hand; Art und Umfang der Leistungen sollen sich nach den allgemeinen Vorschriften richten, wenn diese ausreichen oder, anders gewendet, wenn wegen Art und Schwere der Behinderung keine anderen Hilfen erforderlich sind; es geht also im Wesentlichen darum, die Rehabilitationsausgaben der Bundesanstalt zu senken, indem zB statt des Übg das niedrigere Uhg gewährt wird (vgl Sattler, Berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation aus der Sicht des Arbeitsförderungsgesetzes, SGb 1995, Seite 284, 286; Niesel, Kommentar zum AFG, 2. Auflage 1997, § 56 Rdnr 75).
Der Regelung des § 56 Abs 3 AFG entspricht jetzt § 98 Abs 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III), wonach die besonderen Leistungen zur beruflichen Eingliederung nur erbracht werden, soweit nicht bereits durch die allgemeinen Leistungen (hierzu zählt die Gewährung von Uhg, § 100 Nr 6 SGB III) eine berufliche Eingliederung erreicht werden kann. Das bedeutet ebenso wie bei § 56 Abs 3 AFG, dass vorrangig die allgemeinen Förderungsleistungen erbracht werden sollen, wenn nach der Einschätzung der Arbeitsämter der Behinderte durch Leistungen nach Art und Umfang wie für Nichtbehinderte beruflich eingegliedert werden kann; da die allgemeinen Leistungen in aller Regel einen geringeren Aufwand erfordern als die besonderen Leistungen, dient die Rangfolge zugleich dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit in der beruflichen Rehabilitation, zumal eine erfolgreiche Förderung mit im Wesentlichen gleichen Mitteln wie bei Nichtbehinderten bereits einen beruflichen Integrationsschritt darstellt (vgl Hauck/Noftz/Großmann, Kommentar zum SGB III, Loseblattsammlung Stand: Mai 2000, § 98 Rdnr 49; Niesel, Kommentar zum SGB III, 1998, § 98 Rdnr 6f).
Die hier anwendbare Vorschrift des § 56 Abs 3 AFG verlangt, dass zur Beurteilung der Frage, ob eine behindertenspezifische Maßnahme vorliegt, auf den Maßnahmecharakter an sich abgestellt wird und nicht darauf, ob der jeweilige Teilnehmer in besonderer Weise behindertenspezifisch unterstützt worden ist. Diese Überzeugung gewinnt der Senat aus dem Gesetzeswortlaut sowie aus Sinn und Zweck der Regelung, Behinderte wie Nichtbehinderte zu behandeln, wenn deren Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt außerhalb von speziellen Reha-Maßnahmen erfolgen kann.
Die Vorschrift des § 56 Abs 3 AFG ist als Ausnahmeregelung konzipiert. Danach werden Leistungen an Behinderte ”bei Teilnahme an einer nicht behindertenspezifischen berufsfördernden Bildungsmaßnahme” der Art und dem Umfang nach auf die Leistungen zur Förderung der beruflichen Bildung und der Arbeitsaufnahme (§§ 40-55b AFG) beschränkt. Bereits der Gesetzeswortlaut macht deutlich, dass die Abgrenzung zwischen den Leistungsarten anhand der betreffenden Bildungsmaßnahme vorzunehmen ist. Die Gewährung von Uhg ist nur die Rechtsfolge der Bewertung, dass die Schwere der Behinderung eines Antragstellers die erfolgsversprechende Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme für Nichtbehinderte zulässt. Ob die berufsfördernde Maßnahme behindertenspezifisch ist oder nicht, entscheidet sich abstrakt nach Inhalt, Zielsetzung und potentiellem Teilnehmerkreis der jeweiligen Maßnahme. Auf die konkrete Inanspruchnahme von bestimmten behindertenspezifischen Angeboten durch den Behinderten kommt es nach dem Gesetzeswortlaut nicht an.
Eine andere Auslegung widerspricht der gesetzgeberischen Intention und wäre darüber hinaus wenig praktikabel. Denn welche Förderleistungen die Beklagte zu erbringen hat, muss bei Beginn der Maßnahme feststehen. In den Gesetzesmaterialien zu § 98 SGB III wird ausdrücklich hervorgehoben, dass die Prognose des Arbeitsamtes maßgeblich sein soll, ob der Behinderte durch Leistungen für Nichtbehinderte beruflich eingegliedert werden kann (BT-Drucksache 13/4931, abgedruckt in Hauck/Noftz, SGB III, M 010 S 69). Bei einer prognostischen Beurteilung kann aber nicht berücksichtigt werden, welche Angebote in welchem Umfang tatsächlich wahrgenommen werden.
Das spätere individuelle Verhalten des einzelnen Teilnehmers ist im Übrigen auch bei einer Umschulung/Fortbildung in einem Berufsförderungswerk kein entscheidendes Kriterium.
Im Rahmen der Umsetzung von § 56 Abs 3 AFG muss die Beklagte überprüfen, ob durch die Teilnahme an einer nicht behindertenspezifischen Maßnahme ”das Ziel der Eingliederung im Einzelfall erreicht” werden kann. Wenn dies zu bejahen ist, kommen nur Leistungen nach dem 4. und 5. Unterabschnitt in Betracht. Das könnte zB hier zutreffen, wenn die Beklagte den Kläger zu der betrieblichen Umschulung bei der Firma L. einschließlich Besuch der Berufschule vermittelt hätte. Die leidensgerechte ergonomische Anpassung des Arbeitsplatzes würde allein nicht ausreichen, um das höhere Übg beanspruchen zu können.
Die Beklagte hat sich aber zur Förderung der Teilnahme an der Bildungsmaßnahme ”Innerbetriebliche Rehabilitation durch Umschulung” bei dem BNW entschlossen. Daraus kann abgeleitet werden, dass die Behinderungen des Klägers nach Einschätzung der Beklagten keine Reha-Maßnahme in einem Berufsförderungswerk erfordern, weil das Ziel der Eingliederung auch durch ”kostengünstigere” Alternativen erreicht werden kann. Es bleibt also zu überprüfen, ob die Maßnahme ”Innerbetriebliche Rehabilitation durch Umschulung” einen behindertenspezifischen Charakter hat. Das ist vorliegend der Fall, so dass eine Anwendung des § 56 Abs 3 AFG ausscheidet.
Nach dem Erfassungsbogen der Beklagten wird der Maßnahmeinhalt wie folgt beschrieben: Fachtheoretischer Stützunterricht neben der betrieblichen Umschulung, sozialpädagogische und psychologische Betreuung. Der reha-spezifische Inhalt der Maßnahme ergibt sich aus den zusätzlichen begleitenden Hilfen für Rehabilitanden durch das BNW zu der betrieblichen Umschulung bei der Firma L.. Dieses Zusatzangebot für 16 Rehabilitanden umfasst bei der zweijährigen Maßnahme 1.472 Gesamtstunden und kann nicht als unwesentlich angesehen werden. Für jeden Teilnehmer findet wöchentlich nachmittags nach Dienstschluss Stützunterricht von 4 Stunden statt. Dabei werden Defizite im fachtheoretischen Bereich aufgearbeitet, durch Lernentwöhnung bedingte Lernhemmungen abgebaut und prüfungsrelevantes Fachwissen vermittelt.
Hinzu kommt die flankierende pädagogische und psychosoziale - bei Bedarf auch arbeitsmarktmedizinische - Betreuung. Nach dem Konzept des Maßnahmeträgers ist dieses Angebot erforderlich, weil erfahrungsgemäß die berufspädagogischen Mitarbeiter in den Betrieben (Meister, Vorarbeiter, Ausbilder) nicht mit den behindertenspezifischen Problemen der Umschüler vertraut sind. Die durch das neue betriebliche und berufliche Umfeld bedingten Unsicherheiten im persönlichen und sozialen Bereich können durch die individuelle Problematik der Behinderten verschärft werden. Die unklar definierte Rolle der Umschüler (”erwachsene Lehrlinge”) erzeugt unter Berücksichtigung von behindertenspezifischen Problemstellungen (Motivationsschwäche, Angst vor Überforderung, betrieblicher Umgangston usw) einen zusätzlichen Beratungsbedarf. Nicht selten wird die Behinderung von den Behinderten für die Arbeitslosigkeit auch dann noch verantwortlich gemacht, wenn eigentlich mangelnde Anpassungsfähigkeit oder andere Hemmnisse im Vordergrund stehen. Diese Unzufriedenheit kann sich auf die schulischen oder betriebliche Ausbildungssituation auswirken. Dem wird durch die reha-spezifischen Hilfsleistungen des BNW Rechnung getragen. Aus diesem Grunde hat die Beklagte die persönlichen Zugangsvoraussetzungen auf Teilnehmer beschränkt, die gemäß § 21 Abs 1 A Reha besonderer Hilfen für eine erfolgreiche betriebliche Umschulung bedürfen.
Da der Kläger an einer behindertenspezifischen Maßnahme teilgenommen hat, steht ihm statt des geringeren Uhg das höhere Übg zu. Zur Höhe des Übg braucht sich der Senat nicht zu äußern, da er über das Anliegen des Klägers durch Grundurteil gemäß § 130 SGG entschieden hat. Allerdings liegt es nahe, dass die Beklagte wegen der Höhe auf das Übg zurückgreift, welches der Kläger beim Berufsförderungswerk J. erhalten hat und dessen Weiterzahlung sein eigentliches Anliegen gewesen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Da die Beklagte unterliegt, trägt sie die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.