Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 05.08.2022, Az.: 12 A 4893/20

Ersatzbekanntmachung; Identität; Karte; Klagebefugnis; Maßstab; Naturschutzgebiet; verkleinert; Verkündung; Veröffentlichung; Vorkaufsrecht

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
05.08.2022
Aktenzeichen
12 A 4893/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 59684
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Veröffentlichung einer gegenüber dem Original um 20 % verkleinerten Übersichtskarte, aus der sich der Verlauf der Grenze des unter Schutz gestellten Gebiets nicht ebenso gut ergibt wie aus der Originalkarte, löst nach dem niedersächsischen Recht das Erfordernis einer Ersatzbekanntmachung aus.

Tenor:

Der Bescheid des Beklagten vom 10. Februar 2020 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 2. September 2020 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Die Kläger wenden sich gegen die Ausübung eines naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts durch den Beklagten.

Der Kläger zu 1) ist Eigentümer des Grundstücks mit der Flurstücksnummer F. der Flur G. der Gemarkung H.. Das Grundstück mit einer Fläche von 46.849 m2 liegt im Geltungsbereich der von der Bezirksregierung I. auf der Grundlage der §§ 24, 29 und 30 des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes vom 20. März 1981 (Nds. GVBl. S. 31) in der Fassung vom 11. April 1986 (Nds. GVBl. S. 103) erlassenen Verordnung über das Naturschutzgebiet J. vom 28. Juli 1989 (im Folgenden: Verordnung - VO -). Das Naturschutzgebiet zeichnet sich durch charakteristische, gut ausgebildete Kalkhalbtrockenrasen sowie durch artenreiche Trockengebüsche, naturnahe Laubwaldbereiche und extensiv genutztes Grünland aus (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 VO). Der Geltungsbereich der Verordnung wird in § 1 wie folgt bestimmt:

(1) Das in den Absätzen 2 und 3 näher bezeichnete Gebiet wird zum Naturschutzgebiet K. erklärt.

(2) Das Naturschutzgebiet liegt östlich der Ortschaft H. in den Gemarkungen H. und L., Flecken M., Landkreis N..

(3) Die Abgrenzung des Naturschutzgebietes ergibt sich aus der mitveröffentlichten Karte. Die Grenze ist dort durch eine Punktreihe dargestellt. Sie verläuft auf der Linie, die die Punktreihe von außen berührt.

(4) Das Naturschutzgebiet ist rd. 60 ha groß.

Die Verordnung wurde am 9. August 1989 im Amtsblatt des Regierungsbezirks I. veröffentlicht. Die in § 1 Abs. 3 Satz 1 VO in Bezug genommene Karte wurde dabei gegenüber dem Original verkleinert.

Mit notariellem Kaufvertrag vom 12. Dezember 2019 verkaufte der Kläger zu 1) das oben bezeichnete Grundstück zu einem Kaufpreis von 70.000,- € an den Kläger zu 2). Der Beklagte hatte zuvor vergeblich versucht, das Grundstück zu erwerben und dem Kläger zu 2) im Rahmen eines Ortstermins am 21. Oktober 2019 angeboten, das Grundstück anschließend an ihn zu verpachten. Dieser hatte jedoch erklärt, an einer Pachtung kein Interesse zu haben.

Mit an den Kläger zu 1) gerichtetem Bescheid vom 10. Februar 2020 übte der Beklagte - nach vorheriger Anhörung beider Kläger - für das Land Niedersachsen das Vorkaufsrecht an dem Grundstück des Klägers zu 1) zu dem im Kaufvertrag vereinbarten Kaufpreis aus. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, das Naturschutzgebiet J. sei geprägt von extensiv genutzten Grünlandbereichen sowie von artenreichen Trockengebüschen. Darüber hinaus habe das Gebiet eine besondere Bedeutung für den Schutz der in der Richtlinie 92/43/EWG (sog. Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, im Folgenden: FFH-Richtlinie) definierten Lebensraumtypen „Magere Flachland-Mähwiesen“ und „Kalk-Trockenrasen und deren Verbuschungsstadien“ und stelle daher einen wertvollen Trittstein im Schutzgebietsnetz Natura 2000 der Europäischen Union dar. Gemäß einer europaweiten Verpflichtung sei das Land Niedersachsen gehalten, dem Verlust von Grünland-Lebensraumtypen entgegenzuwirken, diese zu erhalten, zu sichern und Verschlechterungen zu vermeiden. Aufgrund des standörtlichen Potentials und der auf dem Grundstück des Klägers zu 1) sowie im gesamten Naturschutzgebiet vorhandenen Vegetation könne der Flächenerwerb hierzu einen effektiven Beitrag leisten. Dabei sei zu berücksichtigen, dass das Land Niedersachsen in dem Gebiet bereits über erhebliche Flächenanteile verfüge, die es bewirtschaften und pflegen lasse. Der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) verfolge das Ziel, diesen Flächenanteil weiter zu erhöhen. Dabei sei es die Absicht, Konzepte für die Umsetzung von Naturschutzprojekten im Rahmen des Niedersächsischen Aktionsprogramms Insektenschutz sowie zur Umsetzung des Biotopverbundes weiterzuführen bzw. weiterzuentwickeln. Durch gezieltes Mahd- und Weidemanagement auf vergrößerter Fläche lasse sich die naturschutzfachlich gewünschte Entwicklung des Gebiets deutlich besser steuern. Die Ergänzung des Flächenbestandes diene damit auch der Absicherung des bisherigen Mitteleinsatzes. Im konkreten Fall sei eine Extensivierung der Grünlandnutzung geplant. Bei Nicht-Ausübung des Vorkaufsrechts bestehe dagegen die konkrete Gefahr einer zunehmenden Intensivierung der Flächennutzung und damit einer weiteren Verschlechterung des Flächenzustandes sowie des Erhaltungszustandes des Grünlandes. Die Grünlandnutzung, insbesondere die Düngung und die Neueinsaat, werde durch die Verordnung nicht ausreichend eingeschränkt, sodass die Naturschutzziele nur durch die Ausübung des Vorkaufsrechts erreicht und nachhaltig gesichert werden könnten. Das Angebot, die Fläche nach dem Kauf von ihm, dem Beklagten, zu pachten, habe der Kläger zu 2) abgelehnt. Darüber hinaus habe der Kläger zu 2) erklärt, dass seine potentiellen Erben kein Interesse an der Landwirtschaft hätten. Naturschutzprojekte seien aber auf einen langfristigen Erfolg angelegt. Die Ausübung des Vorkaufsrechts sei somit aus Gründen des Naturschutzes und der Landschaftspflege erforderlich und auch angemessen.

Mit Schreiben vom selben Tag setzte der Beklagte den Kläger zu 2) von dem Bescheid in Kenntnis. Eine Rechtsbehelfsbelehrung war dem Schreiben nicht beigefügt.

Mit Schreiben vom 9. März bzw. vom 22. April 2020 erhoben der Kläger zu 1) und der Kläger zu 2) Widerspruch gegen den Bescheid. Zur Begründung verwies der Kläger zu 2) darauf, dass er in den vergangenen Jahren bereits sämtliche umliegenden Flächen erworben habe. In diesen Flächenbestand würde sich das Grundstück des Klägers zu 1) einfügen. Derzeit denke er darüber nach, „wie im Rahmen einer Familienstiftung mit Zuschreibung umfangreich angrenzende Forschungsflächen zukunftsorientiert entsprechend erhalten werden könnten“. Eine naturschutzfachliche Bewirtschaftung würde er sicherstellen. Der Kläger zu 1) begründete seinen Widerspruch nicht.

Mit Bescheiden vom 2. September 2020 wies der Beklagte die Widersprüche der Kläger als unbegründet zurück. Zur Begründung wiederholte er im Wesentlichen den Inhalt des Ausgangsbescheides. Ergänzend führte er aus, mit einer Größe von ca. 3,7 ha habe das Grundstück des Klägers zu 1) einen erheblichen Anteil an der Gesamtfläche des Naturschutzgebiets. Aufgrund seiner hohen Grünlandqualität werte es das Gebiet zudem deutlich auf. Anders als der Erwerb durch Private biete die Übernahme des Grundstücks durch die öffentliche Hand die Gewähr, dass die mit der Ausübung des Vorkaufsrechts verfolgten Ziele auch tatsächlich erreicht würden. Das Risiko, dass das Vorkaufsrecht ausgeübt werden, seien die Kläger bewusst eingegangen. Für den Kläger zu 2) habe es sich um eine bloße Erwerbschance gehandelt. Für den Kläger zu 1) ergäben sich durch die Ausübung des Vorkaufsrechts keine wirtschaftlichen Einbußen. In seinem an den Kläger zu 2) gerichteten Bescheid führte der Beklagte ergänzend aus, eine Bewirtschaftung durch eine Stiftung, deren Ziele nicht definiert bzw. nicht bekannt seien, stelle eine adäquate Pflege und Entwicklung der Fläche nicht ausreichend sicher. Die Bereitschaft des Erstkäufers, sich zur Durchführung der von der Behörde bezweckten Naturschutzmaßnahmen zu verpflichten, lasse die Erforderlichkeit der Ausübung des Vorkaufsrechts nicht entfallen. Zudem sei die künftige Bewirtschaftung der Flächen unklar.

Am 24. September 2020 haben die Kläger Klage erhoben. Zur Begründung tragen sie vor, die Voraussetzungen für die Ausübung des Vorkaufsrechts lägen nicht vor. Die Verordnung sei unwirksam. Da die Karte mit den Grenzen des Naturschutzgebiets, auf die § 1 Abs. 3 Satz 1 VO Bezug nehme, lediglich verkleinert veröffentlicht worden sei, sei die Verordnung nach § 14 NAGBNatSchG nicht wirksam bekannt gemacht worden. Zudem sei unklar, ob die im Original der Verordnung festzustellenden handschriftlichen Änderungen vor oder nach der Unterschriftsleistung vorgenommen worden seien. Die Ausübung des Vorkaufsrechts sei auch nicht erforderlich. In den angefochtenen Bescheiden werde lediglich formelhaft dargelegt, was seinerzeit zur Ausweisung der Flächen als Naturschutzgebiet geführt haben möge. Den Ausführungen des Beklagten sowie dem Inhalt seines Verwaltungsvorgangs lasse sich entnehmen, dass das Vorkaufsrecht nur ausgeübt werden solle, um das Grundstück anschließend zur Bewirtschaftung an einen Landwirt zu verpachten, dessen Galloway-Rinder die Fläche beweiden sollten. Woraus sich gerade die Vorteilhaftigkeit einer Bewirtschaftung durch einen Dritten ergeben solle, sei aber nicht ersichtlich, zumal es eine Landschaftsplanung oder ein Landschaftspflegekonzept zur Erhaltung oder Verbesserung offenkundig nicht gebe. Im Übrigen könne eine Verpachtung an den Landwirt auch durch den Kläger zu 2) erfolgen. Die Verordnung sei offenbar so unzureichend ausgestaltet worden, dass dieser Mangel nunmehr durch die Ausübung des Vorkaufsrechts behoben werden solle. Dies sei jedoch unverhältnismäßig. Sofern die Auflistung der Verbote in der Verordnung tatsächlich nicht abschließend sein sollte, wäre die Verordnung zu unbestimmt. Die Heranziehung von nicht geregelten Verboten verstoße zudem gegen den Vorbehalt des Gesetzes. Wenn die „Regelungsunmöglichkeit“ die Erforderlichkeit der Ausübung des Vorkaufsrechts begründen solle, wäre der Erwerb von Flächen in naturschutzrechtliche relevanten Gebieten prinzipiell unmöglich, da die Ausübung des Vorkaufsrechts dann stets erforderlich wäre. Darüber hinaus habe der Beklagte sein Ermessen nicht ausgeübt. Soweit er im Klageverfahren erstmals Ermessenserwägungen vortrage, müssten diese unberücksichtigt bleiben. Die Erwägungen seien zudem fehlerhaft. So habe der Beklagte außer Acht gelassen, dass sich der Kläger zu 2) zur Durchführung bzw. Duldung von Pflege-, Entwicklungs- und Wiederherstellungsmaßnahmen bereit erklärt habe. Zwar enthalte § 66 BNatSchG anders als das bauplanungsrechtliche Vorkaufsrecht keine ausdrücklich geregelte Abwendungsbefugnis. Im Rahmen des Auswahlermessens sei jedoch der Rechtsgedanke des § 27 BauGB zu berücksichtigen. Schließlich treffe es nicht zu, dass ihnen, den Klägern, das Vorkaufsrecht bereits bei Vertragsschluss bekannt gewesen sei.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid über die Ausübung des Vorkaufsrechts durch den Beklagten vom 10. Februar 2020 in Gestalt der Widerspruchsbescheide des Beklagten vom 2. September 2020 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, die Wirksamkeit der Verordnung sei nicht nach § 14 NAGBNatSchG, sondern nach dem zum Zeitpunkt ihres Erlasses geltenden Recht zu beurteilen. Die Ausübung des Vorkaufsrechts sei auch erforderlich. Um das Grünland zu einem vielfältigen und reich strukturierten Lebensraum zu entwickeln, seien auch unter Berücksichtigung der erst später erlassenen FFH-Richtlinie weitergehende und detaillierte Regelungen zur Häufigkeit der Mahd bzw. Beweidung, zu den Mahdzeitpunkten, zur Intensität einer Beweidung, zur Nutzungsruhe, zu Neuansaaten bzw. Nachsaaten sowie zur Düngung erforderlich. Da seine untere Nachturschutzbehörde nicht über eigene Pflegetrupps verfüge, sei die Bewirtschaftung bzw. Pflege durch Dritte notwendig. Diese Bewirtschaftung und Pflege erfolge schon seit vielen Jahren durch einen Tierhalter vor Ort, der die Flächen mit einer Gallowayherde abweiden lassen und/oder zur Heumahd nutze. Die Einbeziehung des Grundstücks des Klägers zu 1) in dieses Pflegekonzept würde gewährleisten, dass das Grünland auf längere Sicht erhalten und entwickelt werden würde. Für die Ausübung des Vorkaufsrechts sei es ausreichend, dass nach allgemeiner Erfahrung die Verwirklichung naturschutzfachlicher Ziele durch die öffentliche Hand besser gefördert werde als durch Privatpersonen. Die Bereitschaft des Klägers zu 2), die naturschutzbezogenen Maßnahmen selbst durchzuführen, stelle die Erforderlichkeit der Ausübung des Vorkaufsrechts schon deshalb nicht in Frage, weil das Naturschutzrecht eine Abwendungsbefugnis nicht kenne. Das Vorhandensein eines Landschaftskonzeptes sei für die Ausübung des Vorkaufsrechts nicht erforderlich. Die Ausübung des Vorkaufsrechts sei auch ermessensfehlerfrei, insbesondere verhältnismäßig. Die von den Klägern vorgeschlagene „Nachbesserung“ der Verordnung stelle kein milderes Mittel dar. Naturschutzgebietsverordnungen hätten lediglich die Aufgabe, einen rechtlichen Rahmen herzustellen. Auch im Fall des Grundstücks des Klägers zu 1) müssten die zur Zielerreichung notwendigen Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen in Abhängigkeit von der Witterung oder der Vegetationsentwicklung flexibel angepasst werden. Die Maßnahme sei auch angemessen. Für den Kläger zu 1) ergäben sich keine rechtlichen oder wirtschaftlichen Einbußen. Die Nichtrealisierung des Erwerbs durch Dritte an vorbelasteten Grundstücken sei zudem eine typische und vom Gesetzgeber bewusst in Kauf genommene Folge der Normierung des Vorkaufsrechts für Gebiete im Sinne von § 66 Abs. 1 BNatSchG. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass den Klägern das Vorkaufsrecht bereits bei Vertragsschluss bekannt gewesen sei. Im Rahmen des Ortstermins sei ihnen mitgeteilt worden, dass ein Vorkaufsrecht des Landes an dem Grundstück bestehe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten sowie der Sitzungsniederschrift vom 5. August 2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat Erfolg.

I. Sie ist als Anfechtungsklage zulässig. Insbesondere ist auch der Kläger zu 2) als Erstkäufer klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO).

Zwar ist er - anders als der Kläger zu 1) - nicht Adressat des Vorkaufsrechtsbescheides, sondern hat diesen von dem Beklagten lediglich zur Kenntnisnahme erhalten. Nach § 66 Abs. 3 Satz 4 BNatSchG i.V.m. § 464 Abs. 1 Satz 1 BGB wird das Vorkaufsrecht gegenüber dem Vorkaufsverpflichteten - dem Verkäufer des Grundstücks - ausgeübt. Die Ausübung des Vorkaufsrechts belastet aber auch den Grundstückskäufer, weil ihm durch die Ausübung des Vorkaufsrechts ein vertragliches Recht auf Eigentumsverschaffung entzogen wird und dieses obligatorische Recht zu seinen vermögenswerten privaten Rechten und damit zum Eigentum im Sinne von Art. 14 GG zählt. Zur Anfechtung der Ausübung des Vorkaufsrechts ist daher nach allgemeiner Auffassung neben dem Eigentümer auch der Erstkäufer des Grundstücks befugt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.05.1982 - 4 B 98.82 -, juris Rn. 3, und Beschl. v. 17.10.2001 - 4 B 68.01 -, juris Rn. 6; Nds. OVG, Urt. v. 13.12.2001 - 8 LB 3551/01 -, juris Rn. 23; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 28.02.1991 - 5 S 1222/90 -, juris Rn. 19; Bayer. VGH, Urt. v. 22.05.1995 - 9 B 92.1183/84 -, NuR 1995, 554 [VGH Baden-Württemberg 24.05.1995 - 10 S 240/95]; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 12.12.2013 - OVG 11 B 18.12 -, juris Rn. 25; Teßmer, in: BeckOK Umweltrecht, 60. Edition, Stand: 01.10.2021, § 66 BNatSchG Rn. 12).

II. Die Klage ist auch begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 10. Februar 2020 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 2. September 2020 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger daher in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für die Ausübung des Vorkaufsrechts durch den Beklagten ist § 66 BNatSchG i.V.m. den §§ 31, 32 und 40 NAGBNatSchG. Nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG steht den Ländern ein Vorkaufsrecht unter anderem an Grundstücken zu, die in Naturschutzgebieten liegen. Der Landkreis als untere Naturschutzbehörde (§ 31 Abs. 1 Satz 1, § 32 Abs. 1 Satz 1 NAGBNatSchG) übt das Vorkaufsrecht durch Verwaltungsakt aus (§ 40 Abs. 3 Satz 1 NAGBNatSchG).

Zwar liegt das Grundstück des Klägers zu 1) vollständig im Geltungsbereich der Verordnung der Bezirksregierung I. und wäre daher nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG grundsätzlich mit einem Vorkaufsrecht belastet. Nach § 22 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG i.V.m. § 45 Abs. 1 Satz 2 NAGBNatSchG gelten zudem Erklärungen zu geschützten Teilen von Natur und Landschaft, die - wie die vorliegende Verordnung - aufgrund des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes vom 20. März 1981 erlassen worden sind, fort. Die Verordnung ist jedoch nicht wirksam nach den insoweit maßgeblichen Vorschriften des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes in der Fassung vom 11. April 1986 erlassen worden. Die Verordnung leidet an einem Bekanntmachungsfehler.

Nach § 30 Abs. 5 Satz 1 NNatG konnten die Verordnungen die geschützten Teile von Natur und Landschaft und die Geltungsbereiche von Vorschriften zeichnerisch in Karten bestimmen. Wurden die Karten nicht im Verkündungsblatt abgedruckt, so war nach den Sätzen 3 bis 5 zu verfahren (§ 30 Abs. 5 Satz 2 NNatG). Danach hatten die Naturschutzbehörde, die die Verordnung erlassen hatte, und die Gemeinden, deren Gebiet betroffen war, Ausfertigungen der Karten aufzubewahren und jedermann kostenlos Einsicht zu gewähren (Satz 3). Hierauf war in der Verordnung hinzuweisen (Satz 4). Außerdem waren die in Satz 1 genannten Örtlichkeiten im Text der Verordnung grob zu beschreiben (Satz 5). Diese Vorgaben hat die Bezirksregierung I. nicht befolgt.

1. Die in § 1 Abs. 3 Satz 1 VO zur Bestimmung des räumlichen Geltungsbereichs der Verordnung in Bezug genommene Karte ist nicht im Originalmaßstab, sondern verkleinert im Amtsblatt des Regierungsbezirks I. veröffentlicht worden, weshalb nach § 30 Abs. 5 Sätze 3 bis 5 NNatG zu verfahren gewesen wäre. Zwar ist der auch in § 14 Abs. 4 Satz 2 NAGBNatSchG enthaltene Zusatz „oder nicht vollständig [im Verkündungsblatt abgedruckt]“, der nach heutigem Verständnis die Fallkonstellation einer drucktechnisch verkleinerten oder sonst vom Originalformat abweichenden Maßstab veröffentlichten Karte erfasst (vgl. Agena, in: Blum/Agena/Brüggeshemke, Niedersächsisches Naturschutzrecht, Stand: Januar 2022, § 14 NAGBNatSchG Rn. 37a m.w.N.), erst durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung naturschutzrechtlicher Vorschriften vom 27. Januar 2003 (Nds. GVBl. S. 39) in das Niedersächsische Naturschutzgesetz eingefügt worden. Der Einzelrichter interpretiert diese Gesetzesänderung jedoch als bloße Klarstellung. Zwar ist die Gesetzesbegründung insoweit unergiebig (vgl. LT-Drs. 14/3657, S. 19). Der Gesetzeszweck spricht jedoch für eine weite Auslegung des § 30 Abs. 5 Satz 2 NNatG in seiner ursprünglichen Fassung vom 20. März 1981 (im Folgenden: a.F.). Die Ersatzbekanntmachung von Naturschutzgebietsverordnungen dient dem Zweck, den Leser der Verordnung über den ungefähren Geltungsbereich der Verordnung zu informieren und potentiell Betroffene dazu anzuregen, sich anhand der hinterlegten Karte zu vergewissern, ob ihre Grundstücke innerhalb oder außerhalb des Schutzgebiets liegen (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 29.09.2020 - 4 KN 308/19 -, juris Rn. 18, und Urt. v. 25.06.2021 - 4 KN 407/17 -, juris Rn. 36; Agena, in: Blum/Agena/Brüggeshemke, Niedersächsisches Naturschutzrecht, Stand: Januar 2022, § 14 NAGBNatSchG Rn. 44). Hierfür besteht grundsätzlich auch dann ein Bedürfnis, wenn die mitbeschlossene Karte zwar mitveröffentlicht, aber gegenüber dem Original verkleinert worden ist und eine Vergewisserung anhand der veröffentlichten Karte aus diesem Grund nicht möglich ist. Auch der für jede Verkündung geltende Grundsatz, dass zwischen der vom Normgeber beschlossenen und der veröffentlichten Fassung Identität bestehen muss, wird durch Abweichungen zwischen einer beschlossenen und einer bekanntgemachten Karte in gleicher Weise wie durch das vollständige Fehlen der Karte berührt (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 25.06.2021 - 4 KN 407/17 -, juris Rn. 32 f.). Entsprechend ist die Kommentarliteratur bereits vor der 2003 beschlossenen Gesetzesänderung davon ausgegangen, dass die Karten für die „normale“ Bekanntmachung nicht verkleinert werden durften, sondern der veröffentlichten Verordnung im Originalmaßstab beizufügen waren (vgl. Louis, Niedersächsisches Naturschutzgesetz, Teil 1, Braunschweig 1990, § 30 Rn. 6 unter Verweis auf Bayer. VGH, NuR 1984, 278). Wortlaut und Systematik des § 30 Abs. 5 NNatG a.F. standen einem solchen Verständnis, bei dem die Wendung „die Karten“ die vollständige Übereinstimmung mit dem Original (§ 30 Abs. 5 Satz 1 NNatG) implizierte, nicht entgegen.

Allerdings führt nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts zu § 14 Abs. 4 NAGBNatSchG nicht jede geringfügige Abweichung zwischen der beschlossenen und der veröffentlichten Karte zu einem beachtlichen Verkündungsfehler. Ist die Maßstabsveränderung nur unwesentlich und für den objektiven Durchschnittsbetrachter nicht auf den ersten Blick erkennbar, kann danach ausnahmsweise eine unbeachtliche Abweichung zwischen beschlossener und verkündeter Karte vorliegen, wenn sich der Verlauf der Grenze des unter Schutz gestellten Gebiets ebenso genau ergibt wie aus der Originalkarte (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 25.06.2021 - 4 KN 407/17 -, juris Rn. 35; so auch Agena, in: Blum/Agena/Brüggeshemke, Niedersächsisches Naturschutzrecht, Stand: Januar 2022, § 14 NAGBNatSchG Rn. 37a; offen gelassen OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v 03.03.2022 - 2 A 21.19 -, juris Rn. 32). Diese Voraussetzungen, die sich auf § 30 Abs. 5 NNatG übertragen lassen, sind hier aber nicht erfüllt. Zum einen ist die Abweichung zwischen der veröffentlichten Karte und dem Original von etwa 20 % für den Betrachter auch ohne genaueres Hinsehen erkennbar. Dies ergibt sich abgesehen von den breiteren Seitenrändern daraus, dass sich am unteren rechten Seitenrand der Veröffentlichung der Hinweis „Karte unmaßstäblich verkleinert“ findet. Zum anderen - und darauf kommt es für den Einzelrichter entscheidend an (vgl. auch Nds. OVG, Urt. v. 24.09.2020 - 4 KN 308/19 -, juris Rn. 15) - ergibt sich der Verlauf der Grenze des unter Schutz gestellten Gebiets nicht ebenso genau wie aus der Originalkarte. Zwar sind die Flurbezeichnungen überwiegend - allerdings auch nicht durchgehend - zu entziffern. Die Verkleinerung hat jedoch dazu geführt, dass einzelne im Original - wenn auch hier bereits schwach - vorhandene Linien, die dem Betrachter des Grenzverlaufs der Naturschutzgebiets Orientierung bieten, nicht mehr wahrnehmbar sind. Dies hat etwa zur Folge, dass der Grenzverlauf östlich der Fläche mit der Flurbezeichnung O. schlechter nachzuvollziehen ist. Mit einem „durchschnittlich auffälligen Druckfehler“ (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 25.06.2021 - 4 KN 407/17 -, juris Rn. 39) ist die Maßstabsabweichung nach alledem nicht mehr zu vergleichen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Maßstabsleiste mitverkleinert worden ist, sodass sich die jeweiligen Entfernungen - wenngleich unter erhöhtem Aufwand - nach wie vor ermitteln lassen.

2. Die nach alledem erforderliche Ersatzbekanntmachung gemäß § 30 Abs. 2 Sätze 3 bis 5 NNatG ist nicht erfolgt. Weder findet sich in der Verordnung ein Hinweis auf die Möglichkeit der Einsichtnahme der Karte (§ 30 Abs. 5 Satz 3 und 4 NNatG) noch eine den Anforderungen des § 30 Abs. 5 Satz 5 NNatG genügende textliche Beschreibung der Örtlichkeiten. Diese Beschreibung brauchte zwar nicht detailliert zu sein. Erforderlich war jedoch, dass sich die Grenzen des Gebiets aus ihr heraus bestimmen ließen (vgl. Louis, Niedersächsisches Naturschutzgesetz, Teil 1, Braunschweig 1990, § 30 Rn. 7 m.w.N.; so auch Nds. OVG, Urt. v. 29.09.2020 - 4 KN 308/19 -, juris Rn. 18 zu § 14 Abs. 4 Satz 5 NAGBNatSchG). Der Hinweis in § 1 Abs. 2 VO, wonach das Naturschutzgebiet östlich der Ortschaft H. in den Gemarkungen H. und L., Flecken M., Landkreis P. liegt, reicht insoweit offenkundig nicht aus.

3. Der Fehler, der zur Gesamtunwirksamkeit der Verordnung führt (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 29.09.2020 - 4 KN 308/19-, juris Rn. 20), ist schließlich nicht nach § 30 Abs. 8 NNatG unbeachtlich. Auf Rechtsverletzungen bei der Verkündung nach § 30 Abs. 5 NNatG fand die Vorschrift nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut („Absätze 1 bis 3“) keine Anwendung (vgl. auch Nds. OVG, Urt. v. 29.09.2020 - 4 KN 308/19 -, juris Rn. 20, und Agena, in: Blum/Agena/Brüggeshemke, Niedersächsisches Naturschutzrecht, Stand: Januar 2022, § 14 NAGBNatSchG Rn. 56 m.w.N., jeweils zu der Parallelvorschrift des § 14 Abs. 7 NAGBNatSchG).

Auf die von den Klägern geltend gemachten weiteren Wirksamkeitsmängel sowie die sonstigen aufgeworfenen Fragen kommt es nach alledem nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.