Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 21.09.1995, Az.: 1 U 54/95
„Neurefraktionierung“

Wettbewerbswidriges Ausspannen von Kunden eines Augenarztes durch einen Optiker; Unaufgefordertes Anbieten einer erneuten Refraktionierung trotz ärztlicher Sehschärfenbestimmung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
21.09.1995
Aktenzeichen
1 U 54/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 29078
Entscheidungsname
Neurefraktionierung
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1995:0921.1U54.95.0A

Fundstellen

  • GRUR 1995, 819-820 (Volltext mit red. LS) "Neurefraktionierung"
  • NJW-RR 1996, 364-365 (Volltext mit amtl. LS)
  • WRP 1995, 1060-1062 (Volltext mit amtl. LS) "Sehschärfenbestimmung"

Amtlicher Leitsatz

Ein Optiker darf einem Kunden, der unter Vorlage einer augenärztlichen Verordnung eine Brille erwerben will, nicht unaufgefordert eine erneute Refraktionierung anbieten.

Entscheidungsgründe

1

Diese Auffassung steht mit der anerkannten Berechtigung des Augenoptikers, bei seinen Kunden die Sehschärfe der Augen selbst zu ermitteln und danach Brillen anzufertigen und zu verkaufen, nicht in Widerspruch. Ein Augenoptiker, der in zulässiger Weise diese rein handwerksmäßige Tätigkeit vornimmt, übt keine Heilkunde i.S.d. § 1 Abs. 2 des Heilpraktikergesetzes aus (BGH NJW 1972, 1132; BVerwG NJW 1976, 1187) und verstößt auch nicht gegen die guten Sitten des Wettbewerbs, wie bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt hat. Darüber hinaus ist es einem Gewerbetreibenden grundsätzlich auch gestattet, sich um die Kunden eines Mitbewerbers zu bemühen. Das so genannte Ausspannen von Kunden gehört zum Wesen des Wettbewerbs (Baumbach-Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 17. Aufl. 1993, § 1 UWG, Rn. 597). Wettbewerbswidrig wird das Ausspannen von Kunden erst durch das Hinzutreten besonderer, den Wettbewerb verfälschender Umstände (Baumbach-Hefermehl, a.a.O.).

2

Das an einen Kunden gerichtete Angebot eines Augenoptikers zur Durchführung einer Neurefraktionierung ist aber nach Auffassung des Senats regelmäßig dann als wettbewerbswidrig zu bewerten, wenn der Kunde dem Optiker eine augenärztliche Verordnung für Brillengläser vorlegt und nicht von sich aus den Wunsch nach Durchführung einer Neurefraktionierung äußert. Der Kunde bringt als künftiger Vertragspartner des Optikers durch die Vorlage der Verordnung zum Ausdruck, dass er die Anfertigung einer Brille nach Maßgabe der vom Augenarzt ermittelten Werte verlangt. Das auf einen entsprechenden Vertragsschluss gerichtete Angebot wird der Kunde dem Optiker entweder ausdrücklich oder zumindest konkludent unterbreiten. In dieser Situation besteht für den Augenoptiker grundsätzlich keine Veranlassung, dem Kunden, bei dem bereits ein Augenarzt eine Sehschärfenbestimmung durchgeführt hat, unaufgefordert eine erneute Refraktionierung anzubieten. Ein solches Angebot ist regelmäßig geeignet, die Qualität der augenärztlichen Refraktion in Zweifel zu ziehen und Misstrauen gegenüber der augenärztlichen Leistung zu begründen, ohne dass dafür ein Anlass besteht. Durch die geschilderte Verfahrensweise setzt der Augenoptiker den Befund des Augenarztes, mit dem er im Bereich der Augenglasbestimmung konkurriert, herab, um in unlauterer Weise einen neuen Kunden zu gewinnen.