Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 26.02.2003, Az.: 5 B 125/03
Arzneimittel; Infusionssystem; Medizinprodukt; Metabolismus; Untersagung; Wirkstoff; Zweckbestimmung; Zwei-Kammer-Beutel-Infusionssystem
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 26.02.2003
- Aktenzeichen
- 5 B 125/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 48542
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs 1 Nr 5 AMG
- § 2 Abs 3 Nr 7 AMG
- § 21 Abs 1 AMG
- § 4 Abs 1 AMG
- § 69 Abs 1 S 2 Nr 1 AMG
- § 2 Abs 3 MPG
- § 3 Nr 1 MPG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1) Ein Zwei-Kammer-Beutel-Infusionssystem, bestehend aus jeweils einem Beutel gefüllt mit Natriumchloridlösung und Natriumhydrogencarbonat, stellt nach objektiver Verkehrsauffassung ein zulassungspflichtiges Arzneimittel dar.
2) Bei einem Infusionssystem, das durch Zusatz von Natriumhydrogencarbonat eine wesentliche Veränderung des Blut-pH-Wertes bei der hochdosierten Procain-Basen-Infusion bewirkt, ist entscheidend für die Einordnung als Arzneimittel, dass die bestimmungsgemäße Hauptwirkung dieses Produkts im menschlichen Körper durch Metabolismus erzielt wird.
3) Das AMG enthält keine über § 3 MPG hinausgehenden eigenständigen Kriterien zur Abgrenzung zwischen Arzneimittel und Medizinprodukt; die gesetzliche Systematik bewirkt, dass es kein Produkt mit einer doppelten Einordnung gibt.
4) An der Eigenschaft des Produkts als Arzneimittel ändert sich nichts, wenn die Verpackung (hier: Zwei-Kammer-Beutelsystem) für sich genommen möglicherweise ein Medizinprodukt ist. Eine solche Kombination unterliegt dem einheitlichen Arzneimittelzulassungsverfahren.
5) Die Abgrenzung eines Arzneimittels von einem Wirkstoff, der erst durch Zugabe
eines Arzneimittels zu einem solchen wird, hat nach der objektiver Verkehrsauffassung
zu erfolgen. Wenn die Aufmachung des in Verkehr gebrachten Mittels den Eindruck erweckt,
das Produkt habe eine therapeutische Wirkung, ist eine dem entgegenstehende subjektive
Zweckbestimmung des Herstellers unbeachtlich.
6) Das Inverkehrbringen eines nicht zugelassenen Arzneimittels kann im Regelfall
sofort vollziehbar untersagt werden.
Tenor:
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 14. Februar 2003 gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 10.02.2003 wiederherzustellen, wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 80.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
Der gemäß § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag ist unbegründet. Die Antragsgegnerin hat zu Recht die sofortige Vollziehung ihrer Verwaltungsverfügung vom 10.02.2003 angeordnet. Denn entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist diese Verfügung nicht nur im Hinblick auf die im Bescheid zu Ziff. 1 getroffene Untersagung hinsichtlich des Inverkehrbringens (Vorrätighaltens zum Verkauf, Feilhalten, Feilbieten und die Abgabe) des von der Antragstellerin vertriebenen "Bibag-Infusionssystem", bestehend aus zwei Beuteln mit 400 ml NaCL 0,9 % (Natriumchloridlösung) und 120 ml NaHACO3 8,4 % (Natriumhydrogencarbonat) im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes (AMG) sowie auf die in Ziff. 2 des Bescheides getroffene Verfügung, dass sämtliche im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes im Verkehr befindlichen Chargen des Bibag-Infusionssystems zurückzurufen sind, sondern auch im Hinblick auf die Anordnung der sofortigen Vollziehung dieser Untersagung und Rückrufanordnung rechtmäßig.
Das Gericht kann auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung einer Verfügung im öffentlichen Interesse von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, besonders angeordnet worden ist, ganz oder teilweise wiederherstellen (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Dies kommt grundsätzlich in Betracht, wenn im Sinne des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO kein besonderes, über das normale, an dem Vollzug eines Verwaltungsakts vorhandene öffentliche Interesse hinausgehendes Interesse am sofortigen Vollzug des Verwaltungsaktes gegeben ist, insbesondere, weil der Verwaltungsakt rechtswidrig ist. Denn an der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes besteht kein besonderes öffentliches Interesse. Zum anderen kommt eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO in Betracht, wenn die Ermessensentscheidung der Behörde zur Anordnung des sofortigen Vollzuges deshalb rechtswidrig ist, weil ein besonderes öffentliches Interesse an dem Vollzug eines - auch rechtmäßigen - Verwaltungsaktes nicht vorliegt. Beide Fallkonstellationen sind in dem vorliegenden Fall nicht gegeben. Die in der Verfügung des Antragsgegners vom 10. Februar 2003 enthaltene Untersagung des Inverkehrbringens des "Bibag-Infusionssystems" und die Anordnung, sämtliche im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes im Verkehr befindlichen Chargen zurückzurufen, sind ebenso rechtmäßig wie die Anordnung des sofortigen Vollzuges dieser Verfügung.
Die Untersagungsverfügung und die Rückrufanordnung sind rechtmäßig, da die Voraussetzungen dafür nach § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG (i.d.F. der Bekanntmachung vom 11. Dezember 1998, BGBl I S. 3586) vorliegen. Nach § 69 Abs. 1 Satz 2 AMG können die zuständigen Behörden zur Beseitigung festgestellter Verstöße und zur Verhütung künftiger Verstöße u.a. das Inverkehrbringen von Arzneimitteln untersagen, wenn die erforderliche Zulassung oder Registrierung für das Arzneimittel nicht vorliegt. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin handelt es sich bei dem "Bibag-Infusionssystem" nach summarischer Prüfung um ein gemäß § 21 Abs. 1 AMG zulassungsbedürftiges Fertig-Arzneimittel (§ 2 Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 AMG); da das Produkt nicht als Arzneimittel zugelassen ist, durfte die Antragsgegnerin sein Inverkehrbringen untersagen und den Rückruf sämtlicher im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes im Verkehr befindlichen Chargen anordnen.
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG sind Arzneimittel u.a. Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen Körper die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustandes zu beeinflussen. Keine Arzneimittel sind jedoch gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG Medizinprodukte und Zubehör für Medizinprodukte im Sinne des § 3 Nr. 1 des Gesetzes über Medizinprodukte (Medizinproduktgesetz - MPG - vom 2. August 1994, geändert durch Art. I G vom 6. August 1998, BGBl. I S. 2005). Das Arzneimittelgesetz enthält keine weitergehenden, eigenständigen Kriterien zur Abgrenzung gegenüber Medizinprodukten. Ausgangspunkt für die im vorliegenden Fall vorzunehmende Abgrenzung, ob es sich bei dem in Frage stehenden Produkt um ein Arzneimittel oder ein Medizinprodukt i.S.d. des § 3 Nr. 1 MPG handelt, ist somit der dort umschriebene Begriff des Medizinproduktes. Handelt es sich um ein Medizinprodukt in diesem Sinne, unterfällt es den Regelungen des Medizinproduktgesetzes und nicht denen des Arzneimittelgesetzes. Nach dieser gesetzlichen Systematik kommt eine Qualifizierung als Arzneimittel dann nicht mehr in Betracht, wenn festgestellt ist, dass es sich bei dem fraglichen Erzeugnis um ein Medizinprodukt handelt, denn die Regelungen beider Gesetze sind so aufeinander abgestimmt, dass die Einordnung immer zu gleichen Ergebnissen kommen muss, gleichgültig, ob die Beurteilung mit der arzneimittelrechtlichen, der lebensmittelrechtlichen oder der medizinproduktrechtlichen Regelung beginnt. Es ist sichergestellt, dass es kein Produkt mit einer doppelten Einordnung gibt (vgl. Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, Komment. 77. Ergänzungslieferung, § 2 Rn 92; KG Berlin, Beschluss vom 15. Juni 2000 - 25 W 2146/00, zitiert nach juris Web).
Die Frage, ob das Produkt "Bibag-Infusionssysteme" ein Medizinprodukt im Sinne des § 3 Nr. 1 MPG ist, ist zu verneinen. Nach § 3 Nr. 1 MPG sind Medizinprodukte alle einzelnen oder miteinander verbunden verwendeten Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen oder andere Gegenstände einschließlich der für ein einwandfreies Funktionieren des Medizinproduktes eingesetzten Software, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen mittels ihrer Funktion zum Zwecke a) der Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten, b) der Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen, c) der Untersuchung, der Ersetzung oder der Veränderung des anatomischen Aufbaus oder eines physiologischen Vorgangs oder d) der Empfängnisregelung zu dienen bestimmt sind und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologisch oder immunologisch wirkende Mittel noch durch Metabolismus erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann.
Danach ist entscheidend für die Einordnung als Medizinprodukt oder Arzneimittel, dass bei einem Medizinprodukt die "bestimmungsgemäße Hauptwirkung" im oder am menschlichen Körper weder durch "pharmakologisch oder immunologisch wirkende Mittel noch durch Metabolismus" erreicht werden darf. Metabolisch i.S.d. MPG meint eine Wirkung, die eine Veränderung der normalen chemischen Prozesse beinhaltet, die an der normalen Körperfunktion beteiligt sind und diese unterstützen (Schorn, Komment. zum MPG, Stand: Juni 2002, § 3 Rn 18). Das streitgegenständliche Produkt wird u.a. zur Infusion von Procain in der Schmerztherapie eingesetzt und entfaltet dabei eine metabolische Wirkung. Dies ergibt sich aus der von der Antragstellerin im Verwaltungsverfahren vorgelegten Broschüre. Aus Bl. 3 der Broschüre unter der Überschrift "Praxisinnovation 2: Die hochdosierte Procain-Basen-Infusion - Bereich: Schmerz * akute Zustände* chronische Schmerzen" ergibt sich Folgendes:
"Der Einsatz von Procain als Lokalanästhetikum ist seit Anfang des 20. Jahrhunderts bekannt. Der systemisch-regulatorischen Anwendung zur Behandlung von Schmerzzuständen unterschiedlicher Genese waren jedoch bisher physiologische Grenzen gesetzt, da die Lösung als saures Salz und der daraus resultierende niedrige PH-Wert eine ausreichende Resorption ausschlossen. Diese physiologische Barriere ist überwunden, da durch Veränderung von pH-Wert und Osmolarität in einem definierten Procain-Basen-Gemisch jetzt Infusionen in periphere und zentrale Venen möglich sind. Das Ziel der Therapie ist, eine systemische Wirkung von Procain zu erreichen, um damit die hohe therapeutische Breite von Procain zu nutzen und den Säure-Basen-Haushalt unter systemischen Gesichtspunkten positiv zu beeinflussen. Bei der Procaininfusion (Schmerz) wird ein Zyklus von ca. 10-15 Einzelinfusionen mit 100 - 500 mg def.Procain-HCL + 60 - 120 ml Basengemisch pro Infusion durchgeführt."
Unter der Überschrift "Übersicht" heißt es dann weiter:
"...Zur Verminderung einer frühzeitigen Dissoziation mit nachfolgendem Abbau im Serum wird der Infusionslösung deshalb eine physiologische Base (Natriumhydrogencarbonat) zugesetzt. Durch den Zusatz von Natriumbicarbonat (=Natriumhydrogencarbonat) wird der pH-Wert der Infusionslösung und damit der Anteil der nicht dissoziierten und somit membrangängigen Procainmoleküle erhöht. Damit können erheblich höhere periphere Anflutungsraten von Procain erreicht werden...."
Damit wird durch den Zusatz von Natriumhydrogencarbonat (NaHCO3) in der Infusionslösung eine Wirkung erzielt, die eine Änderung der normalen chemischen Prozesse bewirkt, die an der normalen Körperfunktion beteiligt sind und diese unterstützen. Insbesondere findet eine deutliche Beeinflussung des Blut-pH-Wertes nach Infusionen mit 8,4% iger Natriumhydrogencarbonatlösung statt. Der Hinweis der Antragstellerin, dass sie das Produkt nicht mehr mit der Zweckbestimmung "Korrektur des Säure-Basen-Haushalts" in den Verkehr bringt, sondern ausschließlich als Ausgangsstoff zur Herstellung von Infusionen, ist daher rechtlich unerheblich. Denn durch die wesentliche Veränderung des Blut-pH-Wertes infolge des Zusatzes von Natriumhydrogencarbonat bei der hochdosierten Procain-Basen-Infusion (wodurch eine Verbesserung der Wirkungsweise des Procain hervorgerufen werden soll), findet eine Veränderung der normalen chemischen Prozesse statt, die an der normalen Körperfunktion beteiligt sind und diese unterstützen. In der Schmerztherapie soll diese Wirkung durch den Zusatz von Natriumhydrogencarbonat hervorgerufen werden (vgl. Bl. 3 der von der Antragsgegnerin eingereichten Broschüre). Diese Wirkung ist auch Hauptwirkung i.S.v. § 3 Nr. 1 MPG. Nach der oben zitierten Produktbeschreibung dient der von der Antragstellerin vertriebene Stoff dazu, durch die genannte Änderung des Blut-PH-Wertes die Wirkung des Schmerzmittels Procain zu verbessern. Dagegen ist diese Wirkung keine unterstützende Wirkung i.S.d. letzten Halbsatzes von § 3 Nr. 1 MPG. Dieser Teil der Vorschrift kann nur so ausgelegt werden, dass metabolisch wirkende Stoffe dann den Medizinprodukten zugeordnet werden, wenn sie die Wirkung eines Medizinproduktes unterstützen. Vorliegend unterstützt der von der Antragstellerin vertriebene Stoff in seiner metabolischen Wirkung aber nicht die Wirkung eines Medizinproduktes, sondern die des Arzneimittels Procain. Dieses Ergebnis wird auch dadurch bestätigt, dass § 3 Ziff. 1 MPG "Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen" in einem direkten Zusammenhang mit "und andere Gegenstände" benennt. Daraus ist abzuleiten, dass die Einbeziehung von Stoffen und Zubereitungen aus Stoffen in den Geltungsbereich des Medizinproduktgesetzes grundsätzlich nur insoweit beabsichtigt ist, als diese letztlich den Funktionen dienen, zu denen die Gegenstände eingesetzt werden (vgl. Kloesel/Cyran, aaO., § 2 AMG Rn 93). Darauf scheint auch das Kammergericht (KG Berlin, Beschl. vom 15.06.2000 - Az.: 25 W 2146/00 -, ZLR 2000 S. 785) bei der Abgrenzung von Arzneimitteln und Medizinprodukten abstellen zu wollen, wenn es mechanische Wirkungen typischerweise Medizinprodukten zuordnet.
An der Eigenschaft des Produkts als Arzneimittel ändert auch nichts, dass die Beutel für sich genommen möglicherweise Medizinprodukte sind, denn der Charakter der Verpackung ändert an dem Rechtscharakter des Inhalts nichts, vgl. § 2 Abs. 3 MPG. Eine solche Kombination unterliegt dem einheitlichen Arzneimittelzulassungsverfahren (Kloesel/Cyran, a.a.O., § 2 AMG Rn.48).
Auch der Hinweis der Antragstellerin, die Zweckbestimmung der in den beiden Beuteln enthaltenen Lösungen sei die eines Wirkstoffes, der erst durch Zugabe eines Arzneimittels selbst Bestandteil eines Arzneimittels werde, es gegenwärtig aber noch nicht sei (vgl. S. 6 ihres Ss. vom 25.02.03 sowie zu den unterschiedlichen Produktionsstufen eines Arzneimittels Kloesel/Cyran, a.a.O., § 2 AMG Rn. 11+12), verhilft ihrem Antrag nicht zum Erfolg. Zu Recht geht die Antragsgegnerin davon aus, dass der Arzneimittelbegriff des § 2 Abs. 1 AMG "objektiv" zu bestimmen ist, mithin objektiven Maßstäben unterliegt(vgl. Kloesel/Cyran, a.a.O., § 2 AMG Rn.9). Ob ein Präparat zu therapeutischen Zwecken bestimmt ist, richtet sich danach, wie es einem durchschnittlich informierten Abnehmer gegenüber auf Grund seiner stofflichen Zusammensetzung, seiner Aufmachung und der Art seines Vertriebes in Erscheinung tritt (BVerwG, Urt. vom 24.11.1994 - BVerwG 3 C 2.93 -, BVerwGE 97, 132 ff.). Dementsprechend wird heute davon ausgegangen, dass die Zweckbestimmung nach objektiven Maßstäben vorzunehmen ist, d.h. danach, welchen Zwecken ein bestimmtes Mittel nach der allgemeinen Verkehrsauffassung, insbesondere der Ansicht eines beachtlichen Teils der Abnehmer, bzw. bei neuartigen Mitteln nach Auffassung der Wissenschaft zu dienen bestimmt ist (Kloesel/Cyran, aaO., § 2 AMG Rn 9). Ohne dass es darauf ankommt, ob der Stoff tatsächlich zu dem in § 2 Abs. 1 AMG aufgeführten arzneilichen Zweck geeignet ist, ist mit der Objektivierung der Zweckbestimmung gewährleistet, dass entsprechend der in § 1 AMG normierten Zielsetzung des Gesetzes, für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln "gesorgt wird" (vgl. OLG Koblenz, Beschl. vom 26.08.1981 - 1 WS 371/81 -). Im Rahmen der danach zu berücksichtigenden Verbrauchererwartung kommt deshalb dem Zweck und der Art der Anwendung eine entscheidende Bedeutung zu. Dies bedeutet, dass die regelmäßigen Anwendungen zu bestimmten Zwecken für die objektive Zweckbestimmung ausschlaggebender sind als die vom Hersteller der Mittel gegebene Zweckbestimmung (Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand: Oktober 1994, § 2 AMG, Rn 28). Dafür sind insbesondere maßgeblich die Vorstellungen, die die Abnehmer von den Wirkungen eines Erzeugnisses haben. Ein Mittel, das nach der objektiven Zweckbestimmung ein Arzneimittel ist, verliert diese Eigenschaft nicht wegen einer Kennzeichnung des Produktes durch den Hersteller, aus der die Arzneimitteleigenschaft nicht erkennbar ist. Eine auf Grund herrschender Verkehrsauffassung bestehende objektive Zweckbestimmung kann durch Werbung oder Gebrauchsanweisung für das Mittel nicht geändert werden. Entscheidend ist, auch soweit bei neu auf den Markt gebrachten Mitteln Werbung oder Gebrauchsanweisung von Bedeutung sein mögen, der objektive Aussagewert von Anpreisungen (vgl. Hess. VGH, Beschl. vom 14.02.1996, 11 TG 1144/95, zit. nach juris Web). Allerdings gibt es Ausnahmen, in denen es nach wie vor darauf ankommt, welche Zweckbestimmung der Hersteller eines Mittels oder derjenige, der es in den Verkehr bringt, dem Mittel nach außen erkennbar gibt (Kloesel/Cyran, aaO., § 2 AMG, Anm. 9). Das gilt vor allem für solche Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die sowohl als Arzneimittel als auch zu technischen Zwecken verwendet werden können. Der Verbraucher kann in diesen Fällen ein Arzneimittel als solches nur an der Aufmachung erkennen, in der es in den Verkehr gebracht wird und aus der sich die Zweckbestimmung ergibt. Diese aber hängt ausschließlich von dem Willen des Herstellers oder dessen ab, der den Stoff oder die Zubereitung in den Verkehr bringt. Entsprechendes gilt für zahlreiche andere Stoffe und Zubereitungen von Stoffen und besonders für neu entwickelte Erzeugnisse. In derartigen Fällen ist eine Beurteilung der Arzneimitteleigenschaft allein auf Grund der Zweckbestimmung möglich, die der Hersteller des Mittels oder derjenige, der es sonst in den Verkehr bringt, ihm gegeben hat (Kloesel/Cyran, aaO., § 2 AMG, Anm. 9).
Auch auf der Grundlage dieser dargestellten Kriterien ist das von der Antragstellerin in den Verkehr gebrachte "Bibag -Infusionssystem" als "Arzneimittel" zu qualifizieren. Zwar hat die Antragstellerin nunmehr im gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ihr Produkt als Kombination von "Medizinprodukt" und Wirkstoff bezeichnet. Aber aus den anderen heranzuziehenden, oben dargestellten Kriterien ist zu entnehmen, dass das Produkt nach der Verbrauchererwartung als Arzneimittel angesehen wird. Daher kommt es auf diese subjektive Zweckbestimmung der Antragstellerin für ihr Erzeugnis nicht entscheidend an. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin selbst maßgeblich die Erwartung der Verbraucher, dass es sich um ein Mittel mit arzneilicher Wirkung handele, beeinflusst hat. Im vorliegenden Fall ist das Gericht zu der Feststellung gelangt, dass - soweit im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nachprüfbar - die objektive Verkehrsauffassung über die Zweckbestimmung des "Bibag -Infusionssystems" überwiegend und maßgeblich durch die mehrseitige Broschüre, die die Antragstellerin im Verwaltungsverfahren überreicht hat, geprägt worden ist. Das Gericht hat insoweit die Aussagen der in den Verwaltungsvorgängen befindlichen Broschüre "Bibag -Infusionssystem", mit denen für das Produkt geworben wird, bewertet. Der Broschüre ist folgendes zu entnehmen:
"F. Bibag - Infusionssystem"
"Ein neues patentiertes Basis-System zur Infusion von z.B. Anästhetika in der Schmerztherapie oder Zusatz von Vitaminen/Vitalstoffen zur Revitalisierung sowie zur Säure-Basen-Therapie. Das System besteht aus zwei separaten Beuteln mit 400 ml NaCL 0,9 % + 120 ml NaHCO3 8,4 %, die durch ein Schlauchsystem miteinander verbunden sind. Die Beutelfolie ist mit Natriumhydrogencarbonat kompatibel und die Gefahr der Materialauflösung - wie z.B. bei herkömmlichen Folien/ Plastikbehältnissen möglich - besteht nicht ...
Praxisinnovation 2: Die hochdosierte Procain-Basen-Infusion Bereich: Schmerz* akute Zustände* chronische Schmerzen
Zusammenfassung:
......... Bei der Procain-Infusion (Schmerz) wird ein Zyklus von ca. 10 - 15 Einzelinfusionen mit 100 - 500 mg def. Procain - HCL + 60 - 120 ml Basengemisch pro Infusion durchgeführt. Neben den für Infusionen mit Lokalanästhetika typischen schmerztherapeutischen Indikationen hat sich die Procain-Kurzinfusion als besonders erfolgreich im Einsatz gegen entzündliche Erkrankungen bewährt...."
Mit diesen Passagen teilt die Antragstellerin dem durchschnittlich informierten Abnehmer mit, dass mit dem "Bibag-Infusionssystem" erfolgreich eine Schmerztherapie durchgeführt werden kann. Damit wird ganz eindeutig in dieser Broschüre der Antragstellerin die arzneiliche Wirkung des "Bibag -Infusionssystems" i.V.m. Procain herausgestellt. Der "erfolgreiche Einsatz gegen entzündliche Erkrankungen" steht im Zusammenhang mit den anderen dargestellten umfassenden Wirkungen des "Bibag -Infusionssystems" und hebt damit auf die Wirkung des Mittels als Arzneimittel i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 5 AMG ab, nach dem Arzneimittel Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen sind, die dazu bestimmt sind, durch Anwendungen am oder im menschlichen Körper Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen bzw. die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktion des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen.
Es unterliegt keinem vernünftigen Zweifel, dass durch diese, auf Informationen der Antragstellerin beruhende Broschüre die Erwartung hervorgerufen wird, dass das Produkt der Antragstellerin im dargestellten Sinne gegen krankhafte Beschwerden wie ein Arzneimittel wirke. Die Antragstellerin kann sich auch in diesem Zusammenhang nicht darauf berufen, sie verwende die vom Gericht bewerteten Werbeaussagen nun nicht mehr. Denn insoweit hat die Antragstellerin ausdrücklich nur darauf hingewiesen, dass sie das Produkt nicht mehr mit der Zweckbestimmung "Korrektur des Säure-Basen-Haushalts" in den Verkehr bringe. Dabei handelt es sich aber nur um die auf Blatt 2 der eingereichten Broschüre dargestellten Wirkungsweise des "Bibag - Infusionssystem" (Regularisierungsinfusionen). Die auf Blatt 1 und 3 der Broschüre enthaltenen Werbeaussagen werden von der Antragstellerin nach wie vor verwendet.
Zutreffend hat die Antragsgegnerin das Produkt darüber hinaus nicht nur als Arzneimittel eingestuft, sondern auch als zulassungspflichtiges Arzneimittel gemäß § 21 AMG, da es sich um eine Fertigarzneimittel i.S.d. § 4 Abs. 1 AMG handelt. Das Produkt erfüllt die hierfür erforderlichen Kriterien. Es wird im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Verpackung in den Verkehr gebracht. Hierbei ist es unerheblich, dass die einzelnen Komponenten des 2-Beutel-System ggf. bei der Verabreichung miteinander gemischt bzw. weitere Arzneimittel, wie z.B. Schmerzmittel oder Vitamine, beigegeben werden. Die Möglichkeit der späteren Vermischung verschiedener Komponenten trifft auch auf andere Arzneimittel zu, deren Einstufung allein durch diese Handhabung nicht in Frage gestellt wird. Aus der Einstufung als Arzneimittel folgt, dass das Infusionssystem nach § 21 AMG zulassungspflichtig ist. Eine solche Zulassung liegt hier nicht vor.
Nach alledem ist die angefochtene Untersagungs- und Rückrufverfügung offensichtlich rechtmäßig.
Die Antragsgegnerin hat auch rechtmäßig die sofortige Vollziehung ihrer rechtmäßigen Verfügung angeordnet. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung i.S.d. § 80 Abs. 3 VwGO ausreichend begründet. Der gesetzlichen Anforderung, dass in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes schriftlich zu begründen ist, wird genügt, wenn mit einer auf den konkreten Fall abgestellten Begründung dem Adressaten die Möglichkeit gegeben wird, zu erkennen, aus welchen Gründen die Behörde die Anordnung der sofortigen Vollziehung vorgenommen hat. Die Antragsgegnerin hat in dem Bescheid dargelegt, dass sie die sofortige Vollziehung ihrer Untersagungs- und Rückrufverfügung allein deshalb angeordnet hat, weil die Antragstellerin ein zulassungspflichtiges Arzneimittel in den Verkehr gebracht hat, ohne im Besitz der erforderlichen Zulassung zu sein. Sie hat dies im Hinblick auf den mit der Zulassungspflicht bezweckten Verbraucherschutz und mit generalpräventiven Erwägungen begründet. Damit genügt diese Begründung im vollen Umfang den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, der die Behörde vor allem dazu veranlassen soll, mit besonderer Sorgfalt die Anordnung der sofortigen Vollziehung zu prüfen, und auf den Ausnahmecharakter der Anordnung hinweisen soll. Die von der Antragstellerin gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung unter dem Gesichtspunkt des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO vorgebrachten Argumente sind dagegen nicht durchgreifend. Die Antragstellerin verkennt insoweit, dass die Frage, ob materiell und im Ergebnis ein besonders Vollziehungsinteresse im Einzelfall begründet ist, keine Frage der formellen Begründungspflicht des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, sondern der materiellen Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung ist. Auch mit dem Einwand, die Begründung gehe nicht über allgemeine Überlegungen zur Zulassungspflicht von Arzneimitteln hinaus, kann die Antragstellerin keinen Erfolg haben. Denn die Struktur der Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Antragsgegnerin, die - im Ergebnis, wie unten dargelegt, rechtmäßig - zugrunde legt, dass allein das Inverkehrbringen eines Arzneimittels ohne die erforderliche Zulassung die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Untersagungs- und Rückrufverfügung nach § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG rechtfertigt, erfordert gerade keine auf das spezielle Arzneimittel abgestellte individuelle Begründung für diese Anordnung.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung in der Untersagungsverfügung ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch materiell rechtmäßig. Es ist zwar zutreffend, dass das "Interesse" an der sofortigen Vollziehung i.S.d. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ein besonderes Interesse sein muss, das über das Interesse am Vollzug des Verwaltungsaktes hinaus geht (Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 80 Rn. 92). Dabei ist ausgehend vom Zweck der gesetzlichen Eingriffsnorm und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit das Interesse des Adressaten des belasteten Verwaltungsakts mit den öffentlichen Interessen abzuwägen. Ein besonderes öffentliches Interesse kann danach insbesondere vorliegen, wenn der sofortige Vollzug des belastenden Verwaltungsaktes deshalb dringlich ist, weil die realistische Möglichkeit besteht, dass sich die Gefahr, deren Abwehr der Verwaltungsakt dienen soll, während des Rechtsschutzverfahrens realisieren kann (Kopp/Schenke, aaO. § 80 Rn. 96). Zudem kann ein solches besonderes öffentliches Interesse am Sofortvollzug auch vorliegen, wenn eine Maßnahme aus generalpräventiven Gründen erforderlich scheint. (Bay. VGH, Beschl. vom 02.10.1978 - 397 X 77 - Bay. VBl. 1980, 87). Außerdem ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung grundsätzlich dann zulässig, wenn ohne Rücksicht auf bzw. unter Verstoß gegen das Erfordernis der Einholung einer vorherigen Erlaubnis, Genehmigung oder Zulassung für ein bestimmtes Handeln versucht wird, rechtswidrig Vorteile aus einer illegal angemaßten Rechtsposition zu ziehen. Dies gilt insbesondere für die sofortige Vollziehung bauordnungsrechtlicher Verfügungen, die auf das Unterbinden illegaler Baumaßnahmen oder illegaler Nutzungen gerichtet sind(vgl. Hess. VGH, Beschl. vom 14.02. 1996, aaO.). Insofern kommt es grundsätzlich darauf an, welche gesetzgeberische Konzeption als Zweck der Norm zugrunde liegt, auf der der belastende Verwaltungsakt beruht. Insoweit gibt es hier keinen Rechtssatz dahingehend, dass dann, wenn nicht von Gesetzes wegen die sofortige Vollziehung einer gesetzlich vorgesehenen Maßnahme angeordnet ist, nicht aus der Vorschrift selbst und dem Zweck der auf ihr beruhenden Maßnahme entnommen werden könnte, dass ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung dieser Maßnahme indiziert ist.
Eine solche Indizwirkung ergibt sich aus Sinn und Zweck des § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG. Der Hess. VGH weist in seinem Beschluss vom 14.02.1996, aaO., in diesem Zusammenhang auf Folgendes hin: "Nach der gesetzlichen Begründung zu den §§ 59 bis 64 des ursprünglichen Entwurfs eines Arzneimittelgesetzes im Rahmen des Entwurfes eines Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts - die dort als § 64 bezeichnete Norm wurde später § 69 - dienen die Vorschriften des 11. Abschnitts unter der Überschrift "Überwachung" dem Ziel, die Überwachung des Verkehrs mit Arzneimitteln zu verbessern und Verstößen "schnell und wirksam" zu begegnen. Zu § 64 (jetzt § 69) AMG heißt es ausdrücklich, dass es damit den Behörden ermöglicht wird "ein inkriminiertes Arzneimittel ohne aufwändige materielle Begründung dann aus dem Verkehr zu ziehen, wenn für das Arzneimittel eine Zulassung durch die zuständige Bundesoberbehörde nicht erteilt worden ist oder eine erteilte Zulassung zurückgenommen wurde, widerrufen, erloschen ist, oder wenn sie ruht" (BT-Drs. 7/3060, S. 59)." Dieser Auffassung schließt sich die Kammer an.
Damit wird deutlich, dass es dem Gesetzgeber darauf ankommt, die Zulassungspflicht als solche unmittelbar durchzusetzen, ohne dass es auf weitere inhaltliche und materielle Prüfungen im Hinblick auf das ohne Zulassung vertriebene Arzneimittel ankommt. Zweck der Zulassungspflicht nach § 21 AMG ist es gerade, unabhängig von weiteren Kriterien, wie etwa der von einem konkreten Arzneimittel ausgehenden Risiken oder Gefahren im Einzelfall, generell das Inverkehrbringen eines Arzneimittels nur dann zu erlauben, wenn es vorher durch die zuständige Bundesoberbehörde geprüft und zugelassen worden ist. Der mit der Maßnahme nach § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG von dem Gesetzgeber intendierte Zweck, ohne Rücksicht auf spezifische Risiken oder Gefahren eines bestimmten Arzneimittels unterschiedslos für jedes Arzneimittel die Zulassungspflicht durchzusetzen, würde unterlaufen, wenn illegal, d.h. ohne Zulassung, in den Verkehr gebrachte Arzneimittel bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Rechtsschutzverfahrens - in der Praxis oft mehrere Jahre - vertrieben werden könnten. Dadurch könnten sich gerade die Risiken realisieren, deren Vermeidung die Untersagung des Inverkehrbringens dieses nicht zugelassenen Arzneimittels dient. Praktisch würde damit das Risiko gesundheitlicher Gefahren durch ein nicht zugelassenen Arzneimittel dem Verbraucher und damit der Öffentlichkeit aufgebürdet, was den Zweck der Zulassungspflicht nach § 21 AMG gerade zuwider liefe. Nach der gesetzgeberischen Konzeption der Zulassungspflicht gemäß § 21 AMG und ihrer Durchsetzung durch die Maßnahmen nach § 69 AMG, insbesondere § 69 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG, stellt das Inverkehrbringen eines Arzneimittels als solches grundsätzlich ein Risiko für die Verbraucher dar, weshalb es generell, unabhängig vom jeweiligen Gefährdungspotential im Einzelfall, der vorherigen Überprüfung und Zulassung bedarf. Deshalb hat die Behörde entsprechend der gesetzlichen Begründung auch per Erlass einer Untersagungs- und Rückrufverfügung keine weitere materielle Prüfung - außer der im Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzung "Arzneimittel" im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 2 AMG - vorzunehmen.
Dies gilt auch im Hinblick auf die Anordnung der sofortigen Vollziehung. Denn andernfalls wäre die Behörde gehalten, zur Begründung des besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung gerade besondere Risiken und Gesundheitsgefahren, die von einem bestimmten Arzneimittel, das ohne Zulassung vertrieben wird, ausgehen, darzulegen, was nur auf Grund vorheriger pharmakologischer und medizinischer Prüfung möglich wäre. Damit würde aber der Gegenstand des Zulassungsverfahrens in das Untersagungsverfahren nach § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG verlagert, was erkennbar nicht der gesetzgeberischen Konzeption entspricht. Es reicht deshalb zur Anordnung der sofortigen Vollziehung eine Maßnahme nach § 69 Abs. 1 Satz 2 AMG generell aus, dass das mit dem Inverkehrbringen jedes Arzneimittels verbundene mögliche gesundheitliche Risiko vorliegt, vor dem die Verbraucher durch das Zulassungsverfahren geschützt werden sollen. Könnten nicht zugelassene Arzneimittel bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Rechtsschutzverfahrens weiter vertrieben werden, entstünde dadurch auf die Dauer in der Praxis ein zweigeteilter Arzneimittelmarkt mit zugelassenen und nicht zugelassenen Arzneimitteln, was ebenso erkennbar dem gesetzgeberischen Willen widerspricht( vgl. Hess. VGH, Beschl. vom 14.02.1996,aaO.).
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist es deshalb nicht erforderlich, dass im Einzelfall für ein nicht zugelassenes Produkt der begründete Verdacht besteht, es könne schädliche Auswirkungen für den Verbraucher haben. Vielmehr ist zu Grunde zu legen, dass eine inhaltliche Prüfung von Gesundheitsgefährdungen, die von einem nicht zugelassenen Arzneimittel ausgehen können, nicht im Rahmen des Untersagungs- und Rückrufverfahrens nach § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG vorzunehmen ist, sondern diese Untersagung gerade zur unbedingten Durchsetzung der Zulassungspflicht nach § 21 AMG sofort vollzogen werden kann, weil sich das mit dem Inverkehrbringen eines nicht zugelassenen Arzneimittels verbundene Gesundheitsrisiko generell sofort realisieren kann. Die Antragstellerin hat demgegenüber nicht glaubhaft gemacht, dass von dem von ihr vertriebenen Arzneimittel im - besonderen - Einzelfall, etwa wegen der Art der Anwendung keine Gefährdung ausgehen kann. Die Antragsgegnerin hat deshalb rechtmäßig begründet, dass ein besonderes öffentliches Interesse daran besteht, dass die Untersagung des Inverkehrbringens des nicht zugelassenen Arzneimittels "Bibag -Infusionssystem" und der Rückruf dieses Arzneimittels der Antragstellerin sofort vollzogen wird.
Die Antragstellerin hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen, weil sie unterlegen ist (§ 154 Abs. 1 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 13 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 3 GKG. Das Gericht legt im vorliegenden Fall den Streitwert für die Hauptsache zu Grunde, da die Untersagung des Inverkehrbringens des Arzneimittels im Sofortvollzug für die Zeit bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verwaltungsverfahrens und eines gerichtlichen Hauptsacheverfahrens den Vertrieb dieses Arzneimittels unmöglich macht und auch danach dadurch entgangene Umsätze nicht mehr auszugleichen sind. Das Gericht zieht für die Festsetzung des Streitwertes den Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit heran(NVwZ 1996, 563 ff.). Zwar ist dort für Vertriebsverbote im Arzneimittelrecht kein spezifischer Streitwert vorgesehen. Es erscheint aber sachgerecht, einen entsprechenden Ansatz für Verkaufsverbote im Lebensmittelrecht anzuwenden(Ziff. 25.1). Danach ist der Verkaufswert der betroffenen Waren zu Grunde zu legen. Die Kammer geht bei vorsichtiger Schätzung davon aus, dass für die Zeit von der Zustellung der Untersagungsverfügung der Antragsgegnerin vom 10. Februar 2003 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verwaltungs- bzw. eines gerichtlichen Verfahrens die Antragstellerin mit dem Produkt "Bibag-Infusionssystem" Umsätze in Höhe eines Verkaufswertes dieses Produkts von 80.000,00 Euro erzielt. Die Kammer stellt dabei auf die Angaben der Antragstellerin ab, wonach sie im Jahr 2002 für 36.636 Beutel einen Erlös von 389.747,00 Euro erzielt hat. Die bei ihr zur Zeit vorhandenen 7.860 Beutel hätten danach einen Verkaufswert von ca. 80.000,00 Euro erzielt.