Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 11.03.2008, Az.: 12 B 1039/08

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
11.03.2008
Aktenzeichen
12 B 1039/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 45462
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2008:0311.12B1039.08.0A

In der Verwaltungsrechtssache

...

Streitgegenstand: Baugenehmigung

Widerspruch der Nachbargemeinde

- Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO -

hat das Verwaltungsgericht Hannover - 12. Kammer -

am 11. März 2008

beschlossen:

Tenor:

  1. Der Antrag wird abgelehnt.

  2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15 000,- Euro festgesetzt.

Gründe

1

I.

Die Antragstellerin begehrt unter Hinweis auf das interkommunale Abstimmungsgebot sowie zum Schutz ihrer zentralen Versorgungseinrichtungen einstweiligen Rechtsschutz gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Elektrofachmarktes mit einer Verkaufsfläche von rund 2 700 m2.

2

Mit Bescheid vom 28.11.2007 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Elektrofachmarktes - F. - zur Größe von 2 699,7 m2 auf dem Grundstück Gemarkung C., Flur 11, Flurstücke 21/18 und Teilflächen des Flurstücks 15/3 und 21/9. Dieses Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 12a "G." i.d.F. der 11. Änderung, der am 19.10.2007 bekannt gemacht wurde.

3

Die Antragstellerin, die samt Umlandgemeinden rund 33 900 Einwohner hat, liegt im Nordosten des Landes H.. Nach dem Landesentwicklungsplan H. kommt ihr die Funktion eines Mittelzentrums zu. Das Stadtgebiet der Antragstellerin grenzt im Nordosten an das Stadtgebiet der Antragsgegnerin. Mit rund 20 800 Einwohnern hat die Antragsgegnerin nach dem Landesraumordnungsprogramm des Landes I. ebenfalls die Funktion eines Mittelzentrums. Die Entfernung zwischen der Innenstadt der Antragstellerin zum Gebiet "J." beträgt 10,5 km, die Fahrzeit über die K. und die L. etwa 13 Minuten. Neben der Innenstadt gibt es im Gebiet der Antragstellerin eine weitere Einzelhandelsagglomeration im Gewerbegebiet "M.". Der Bereich des Elektrohandels ist vor allem hier konzentriert (N., Fachabteilungen im O. -Baumarkt und bei P. Möbel). Auch bei der Antragsgegnerin liegt der Angebotsschwerpunkt im Bereich Elektrohandel nicht in der Innenstadt, sondern im Gewerbegebiet "J." (N., Q., Fachabteilung von R.).

4

Für die Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 12 "G." i.d.F. der 11. Änderung sowie die dazu erforderliche Änderung des Flächennutzungsplanes schlossen die Antragsgegnerin und die Beigeladene im März 2007 einen städtebaulichen Vertrag, in dem als wesentliches Planungsziel die Ausweisung von zwei Sondergebieten vereinbart wurde. Im Sondergebiet 1 sind nur Consumer Electronics/Elektrotechnik mit einer maximalen Verkaufsfläche von 2 700 m2, davon maximal 10 % zentrenrelevante Randsortimente, zulässig, während im Sondergebiet 2 großflächige Einzelhandelsbetriebe mit nicht zentrumsrelevanten Branchen, ausgeschlossen Consumer Electronics/Elektrotechnik mit einer maximalen Verkaufsfläche von 1 200 m2, davon maximal 10 % zentrenrelevante Randsortimente, zulässig sind. Die Beigeladene legte im Planverfahren eine Verträglichkeitsbeurteilung für die Errichtung des geplanten Elektrofachmarktes im Sondergebiet 1 der Firma S. GmbH - im Folgenden: T. - vom Juni 2007 vor. Dieses Gutachten stuft das geplante Vorhaben als städtebaulich und raumordnerisch unbedenklich ein. Die Antragstellerin wurde im Planverfahren als Nachbargemeinde beteiligt.

5

Mit Schreiben vom 17.12.2007 legte die Antragstellerin Widerspruch gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung ein und beantragte zugleich die Aussetzung der Vollziehung. Den Widerspruch wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 28.01.2008 zurück. Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte sie mit Bescheid vom 31.01.2008 ab.

6

Daraufhin hat die Antragstellerin am 04.02.2008 um einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht und am 29.02.2008 die unter dem Aktenzeichen 12 A 1442/08 anhängige Klage erhoben. Zur Begründung ihres Eilrechtsschutzantrages macht sie im Wesentlichen geltend: Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung sei rechtswidrig, da die ihr zugrunde liegende 11. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 12a "G." aufgrund eines Verstoßes gegen das interkommunale Abstimmungsgebot ihrerseits rechtswidrig sei. Das. interkommunale Abstimmungsgebot sei verletzt, wenn die Planung die Nachbargemeinde unzumutbar beeinträchtige, weil die planende Gemeinde ihre örtliche Planungshoheit rücksichtslos zum Nachteil der Nachbargemeinde ausübe. Unzumutbare bzw. rücksichtslose Auswirkungen auf Nachbargemeinden lägen vor, wenn der zu erwartende Kaufkraftabfluss mehr als 10 % betrage. Dieser Wert werde vorliegend überschritten. Das Gutachten der T. komme zu dem Ergebnis, dass die Umsatzumlenkung im Zentrum der Antragstellerin bei 10,7 % und in den sonstigen Lagen der Antragstellerin bei 20,6 % liege. Der Kaufkraftabfluss liege tatsächlich sogar noch höher als im Gutachten der T. prognostiziert, weil das Gutachten an verschiedenen Stellen fehlerhaft sei. Die T. gehe von einem zu großen Einzugsgebiet, von zu hohen branchenspezifischen Verbraucherausgaben pro Kopf und Jahr und von einer zu geringen Flächenproduktivität aus. Falsch sei die Annahme, der Handel mit Elektro- und Unterhaltungselektronik habe für die Antragsgegnerin keine Zentrenrelevanz. Unberücksichtigt lasse die T. die Agglomerationswirkung, die sich durch die Ansiedlung des F. es in dem Gebiet "J." ergebe. Schließlich habe die Antragsgegnerin einem Antrag der Beigeladenen auf Erhöhung der Verkaufsfläche für die Sortimente Foto, Film und Optik auf 17,5 % (statt 10 %) der Gesamtverkaufsfläche sowie auf Erweiterung der Nutzfläche um 90 m2 für einen Dienstleistungs- und Beratungsbereich zugestimmt, ohne die Auswirkungen auf das Gebiet der Antragstellerin zu untersuchen. Die Antragstellerin beruft sich zudem auf eine Verletzung von § 2 Abs. 2 Satz 2, Alt. 1 BauGB (Ziele der Raumordnung) sowie von § 2 Abs. 2 Satz 2, Alt. 2 BauGB (Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche).

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Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

  1. die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 29.02.2008 gegen die der Beigeladenen von der Antragsgegnerin erteilte Baugenehmigung vom 28.11.2007 anzuordnen.

8

Die Antragsgegnerin beantragt,

  1. den Antrag abzulehnen.

9

Sie erwidert: Der Schwellenwert von 10 % Kaufkraftabzug sei nicht festgeschrieben. Unstreitig sei ein Kaufkraftabzug von unter 10 % nicht zu berücksichtigen. Erst ab 10 % Kaufkraftabzug verlange die Rechtsprechung ein "näheres Hinsehen". Die T. habe im vorliegenden Gutachten einen innerstädtisch relevanten Kaufkraftabzug von maximal 10 % prognostiziert, wobei dies ein "worst-case-Wert" sei. Die von der Antragstellerin vorgenommene Addition prognostizierter Kaufkraftabflüsse für die Innenstadt und sonstige Bereiche sei nicht zulässig. Entscheidend sei der in der Innenstadt erwartete Kaufkraftabfluss. Die Kritik der Antragstellerin am Gutachten der T. hinsichtlich Einzugsgebiet, Flächenproduktivität, Zentrenrelevanz und Agglomerationswirkung sei nicht gerechtfertigt. Bei der Gesamtbetrachtung des Spannungsfeldes zwischen den beiden Gemeinden sei das städtebauliche Verhalten der "beeinträchtigten" Gemeinde, hier der Antragstellerin, zu berücksichtigen. Sie habe durch Ansiedlung von großflächigen Einzelhandelsbetrieben auf der "U." im "Einkaufszentrum V. Straße" ihre Innenstadt geschwächt und aus der Innenstadt der Antragsgegnerin Kaufkraft abgezogen. Dieses Verhalten müsse sie sich entgegenhalten lassen, wenn nun in ihrem Einzugsgebiet von der Antragsgegnerin ebenfalls großflächige Einzelhandelsbetriebe angesiedelt würden. Soweit sich die Antragstellerin auf eine Verletzung des § 2 Abs. 2 Satz 2, Alt. 1 BauGB (Ziele der Raumordnung) berufe, übersehe sie, dass diese Vorschrift nur zugunsten der Gemeinde positive Rechtswirkungen entfalte, denen die W. Landesplanung eine bestimmte zentralörtliche Funktion zugewiesen habe. Dies dürfte im Verhältnis W. Gemeinden zu Gemeinden in H. nicht der Fall sein. Auch könne sich die Antragstellerin nicht mit Erfolg auf § 2 Abs. 2 Satz 2, Alt. 2 BauGB berufen, da schädliche Auswirkungen des Vorhabens auf zentrale Versorgungsbereiche nicht zu erwarten seien.

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Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

  1. den Antrag abzulehnen.

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Sie trägt vor: Die 11. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 12 "G." sei in rechtmäßiger Weise auf die Bauleitplanung der Antragstellerin im Sinne des § 2 Abs. 2 BauGB abgestimmt. Die "Verdachtsschwelle" für wesentliche Auswirkungen auf das städtebauliche Gefüge liege bei rund 10 %. Dieser Wert werde für den innerstädtischen zentralen Versorgungsbereich der Antragstellerin nur knapp überschritten. Der 10 %-Wert sei aber kein "Grenz" wert. Zudem rechne das Gutachten der T. branchenspezifisch; eine gesamteinzelhandelsbezogene Verdachtsschwelle werde deshalb erheblich unterschritten. Die Kritik am Gutachten der T. hinsichtlich Einzugsgebiet, Verbraucherausgaben und Flächenproduktivität sei nicht gerechtfertigt. Vielmehr habe das Gutachten die ökonomischen Auswirkungen korrekt ermittelt. Städtebauliche Auswirkungen von Kaufkraftabfluss könnten zudem nur vorliegen, wenn Geschäfte in der Nachbargemeinde aufgäben und dadurch die Verödung der Innenstadt als zentralem Versorgungsbereich eintrete. Geschäftsschließungen in der Innenstadt der Antragstellern seien nicht zu erwarten. Von Umsatzumverteilungen in Kaufhäusern seien nur wenige Fachabteilungen betroffen. Für das Management der Kaufhäuser seien aber die Zahlen aller Abteilungen von Interesse, so dass eine Umsatzeinbuße von maximal 10-11 % in der Elektrowarenabteilung Kaufhausbetreiber nicht veranlassen werde, die Kaufhäuser im Hinblick auf den geplanten F. zu schließen. Die handwerksorientierten Betriebe seien schon deshalb nicht gefährdet, weil sie auch handwerkliche und andere Dienstleistungen anböten und mit dieser Stärke gegen die Konkurrenz von F. antreten könnten. Aufgrund der Spezialisierung der reinen Einzelhandelsgeschäfte seien auch diese nicht gefährdet. Soweit der Standort des X. Marktes im Gewerbegebiet "M." überhaupt zum zentralen Versorgungsbereich gehöre, sei eine Geschäftsaufgabe nicht zu erwarten. Allenfalls der im Gewerbegebiet "J." in unmittelbarer Konkurrenz zum geplanten F. ansässige X. Markt könne gefährdet sein. Soweit sich die Antragstellerin auf die Planung einer Einkaufsgalerie berufe, sei bereits unklar, welche Nutzungen in der Einkaufsgalerie geplant seien. Von Elektrohandel sei in der Vorlage jedenfalls keine Rede. Die Antragstellerin sei verpflichtet, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um in dem zwischengemeindlichen Konkurrenzkampf zu bestehen. Dazu gehöre es, sich um die Ansiedlung attraktiver Märkte zu bemühen und auf diese Weise möglichen Kaufkraftabflüssen zu begegnen. Die Antragstellerin sei nicht gehindert, durch eigene Bauleitplanung zur "Gegenwehr" zu greifen. Schließlich seien auch Ziele der Raumordnung nicht verletzt. § 2 Abs. 2 Satz 2, Alt. 1 BauGB entfalte nur zugunsten der Gemeinden positive Rechtswirkungen, denen die W. Landesplanung eine bestimmte zentralörtliche Funktion zugewiesen habe.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen; sie sind Gegenstand der Beratung gewesen.

13

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg.

14

Die nach § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass das Interesse der Beigeladenen an der Ausnutzung der ihr erteilten Baugenehmigung bereits vor bestands- bzw. rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache das gegenläufige Interesse der Antragstellerin, dass von der angegriffenen Baugenehmigung vorerst kein Gebrauch gemacht werden darf, überwiegt. Denn bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung spricht nach Auffassung der Kammer jedenfalls keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Antragstellerin durch die angefochtene Baugenehmigung in subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt wird (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO ). Bei dieser Einschätzung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache und unter Berücksichtigung der Folgen, die sich voraussichtlich an die Gewährung bzw. Versagung des beantragten vorläufigen Rechtsschutzes für die Beteiligten knüpfen werden, fällt die Abwägung der gegenläufigen Interessen zu Lasten der Antragstellerin aus.

15

Das Bauvorhaben der Beigeladenen beurteilt sich bauplanungsrechtlich nach dem Bebauungsplan Nr. 12a "G." i.d.F. der 11. Änderung der Antragsgegnerin vom 09.10.2007, der mit ortsüblicher Bekanntmachung am 19.10.2007 in Kraft getreten ist. Der Bebauungsplan setzt im maßgeblichen Bereich des Bauvorhabens ein Sondergebiet gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO fest, in dem nur Märkte mit dem Sortiment Consumer Electronics/Elektrotechnik mit einer maximalen Verkaufsfläche von 2 700 m2, davon maximal 10 % zentrenrelevante Randsortimente, zulässig sind. Danach ist der geplante F., eine Elektrofachmarkt, mit einer genehmigten Verkaufsfläche von insgesamt 2 699,7 m2 im Plangebiet zulässig.

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Nach dem im vorliegenden Verfahren bei nur summarischer Prüfung gegebenen Erkenntnisstand zeichnet sich nicht ab, dass die von der Antragstellerin angegriffene Baugenehmigung Rechtsvorschriften verletzt, die zumindest auch ihrem Schutz als Nachbargemeinde zu dienen bestimmt sind. Insbesondere ist nicht davon auszugehen, dass die angefochtene Baugenehmigung in unzumutbarerweise ihre Planungshoheit verletzt.

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§ 2 Abs. 2 Satz 1 BauGB, wonach die Bauleitpläne benachbarter Gemeinden aufeinander abzustimmen sind, enthält eine gesetzliche Ausformung der gemeindlichen Planungshoheit, die das Recht einschließt, sich gegen solche Planungen anderer Stellen zur Wehr zu setzen, die die eigene Planungshoheit rechtswidrig verletzen. Unschädlich ist insoweit eine Verletzung des formellen Abstimmungsverfahrens, die für sich genommen regelmäßig nicht zur Nichtigkeit eines entsprechend fehlerhaft zustande gekommenen Bebauungsplans führt. Zu prüfen ist vielmehr die materielle Abstimmung, das Abgestimmtsein als Zustand. Ein Abstimmungsbedarf ergibt sich immer dann, wenn "unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art" bei der Nachbargemeinde eintreten können, wobei diese Auswirkungen gleichzeitig einen städtebaulichen Bezug aufweisen müssen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass § 2 Abs. 2 BauGB nach seiner systematischen Stellung, seiner amtlichen Überschrift und seinem Wortlaut nur für die Bauleitplanung gilt. In Verfahren, in denen die Nachbargemeinde - wie hier - gegen eine Einzelgenehmigung vorgeht, entfaltet er nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt.v. 11.02.1993 - 4 C 15.92 -, NVwZ 1994, 285 [BVerwG 11.02.1993 - BVerwG 4 C 15/92]) aber dann Rechtswirkungen, wenn die Gemeinde dem Bauinteressenten unter Missachtung dieser Vorschrift einen Zulassungsanspruch verschafft hat. Erforderlich ist demnach, dass die Gemeinde in einer städtebaurechtlich zurechenbaren Weise die Weichen in Richtung Zulassung eines bestimmten Vorhabens gestellt hat. Angesichts dessen ist es unerheblich, ob der der Genehmigungserteilung zu Grunde liegende Bebauungsplan als solcher wirksam ist. Ausschlaggebend ist, ob das aufgrund der erteilten Baugenehmigung errichtete Vorhaben sich auf die Bauleitplanung in der Nachbargemeinde auf eine Weise auswirkt, dass von einer Verletzung ihrer Planungshoheit bzw. § 2 Abs. 2 Satz 1 BauGB auszugehen ist (vgl. BVerwG, Urt.v. 11.02.1993, NVwZ 1994, 285 [BVerwG 11.02.1993 - BVerwG 4 C 15/92]; Nds. OVG, Beschl.v. 30.11.2005 - 1 ME 172/05 -, zitiert nach juris; OVG H., Beschl.v. 09.02.1988, NVwZ-RR 1988, 11).

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Die Antragsgegnerin hat zwar durch den Bebauungsplan Nr. 12a "G." i.d.F. der 11. Änderung die Weichen für die Zulassung des streitgegenständlichen Elektrofachmarktes gestellt. Denn sie hat in der Planung vorgesehen, dass auf der Gesamtfläche des für das Sondergebiet 1 vorgesehenen Planbereichs ein Elektrofachmarkt der Kette der Beigeladenen errichtet werden soll. Jedoch ist für die Kammer im vorliegenden Eilverfahren nicht erkennbar, dass durch die Zulassung des streitgegenständlichen Vorhabens gegen das interkommunale Abstimmungsgebot des § 2 Abs. 2 S. 1 BauGB zu Lasten der Antragstellerin verstoßen worden sein könnte.

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Soweit sich die Antragstellerin darauf beruft, dass der geplante Elektrofachmarkt sich negativ durch Kaufkraftabfluss auf sie auswirke, kann sie sich zwar als Nachbargemeinde gegen unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art zur Wehr setzen. Dabei muss es sich jedoch um Auswirkungen handeln, die einen städtebaulichen Bezug besitzen. Auswirkungen, welche keine städtebauliche Relevanz haben, bleiben unberücksichtigt. Dies gilt insbesondere für ausschließlich wettbewerbliche Nachteile für bestimmte Einzelhändler und Branchen, deren Verhinderung ebenso wenig ein Anliegen des - wettbewerbsneutralen - Bauplanungsrechts ist wie die Verhinderung rein wirtschaftlicher negativer Auswirkungen (z.B. Abzug von Kaufkraft) auf die Nachbargemeinde. Solche Auswirkungen sind erst dann zu berücksichtigen, wenn sie eine städtebauliche Dimension erlangen. Städtebauliche Auswirkungen liegen z.B. vor, wenn durch übermäßige Kaufkraftbindung an einem Standort ein Verdrängungswettbewerb ausgelöst wird und in Folge dessen durch Geschäftsaufgabe im betroffenen Gebiet die ausreichende Nahversorgung der (nichtmotorisierten) Bevölkerung, insbesondere mit Waren des kurzfristigen bzw. täglichen Bedarfs, nicht mehr gewährleistet ist oder die Innenstadt aufgrund drohender Verödung ihre urbane Funktion nicht mehr erfüllen kann ( VG Stuttgart, Beschl.v. 26.07.2002 - 13 K 1257/02 - m.w.N., zitiert nach juris). Eine Verletzung des drittschützenden interkommunalen Rücksichtnahmegebots ist erst dann anzunehmen, wenn die vorgenannten Auswirkungen derart schwerwiegend sind, dass sie für die Nachbargemeinde unverträglich bzw. unzumutbar werden. Zur Beantwortung der Frage, ob die Auswirkungen eines Bauvorhabens mit der städtebaulichen Gestaltung einer Nachbargemeinde unverträglich sind, kann die künftige Umsatzumverteilung als wesentliches Indiz herangezogen werden. In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird recht uneinheitlich beantwortet, ab welcher Prozentzahl ein im Hinblick auf § 2 Abs. 2 BauGB so rechtserheblicher Kaufkraftabfluss zu verzeichnen ist, dass dies als wesentliche Auswirkung auf die Nachbargemeinde angesehen werden muss (vgl.z.B. OVG Brandenburg, Beschl.v. 16.12.1998 - 3 B 116/98 -, NVwZ 1999, 434 = BauR 1999, 154 [OVG Brandenburg 16.12.1998 - 3 B 116/98] unter Hinweis auf OVG Münster, Beschl.v. 05.09.1997 - 7 A 2902/93 -, NVwZ 1998, 717 = BauR 1998, 309: Faustformel: mindestens 10 %.; Thür. OVG, Beschl.v. 23.04.1997 - 1 EO 248/97 -, DÖV 1997, 791 = UPR 1997, 376 [OVG Thüringen 23.04.1997 - 1 EO 241/97]: etwa 30 %.; OVG Greifswald, Beschl.v. 30.06.1999 - 3 M 144/98 -, NVwZ-RR 2000, 559, 561: 10 bis 30 %; OVG Koblenz, Beschl.v. 08.01.1999 - 8 B 12650/98 -, NVwZ 1999, 435 [OVG Rheinland-Pfalz 08.01.1999 - 8 B 12650/98]: wohl 10 bis 20 %.; vgl.a. ThürOVG, B.v. 20.12.2004 - 1 EO 1077/04 -, zitiert nach juris: 20 %., u.U. sogar 25 %.).

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Die Grenze bei Umsatzeinbußen bzw. Kaufkraftabflüssen wird demnach in der Rechtsprechung ab 10 % gezogen. Bei Kaufkraftabflüssen bis zu 10 % wird die Annahme "unmittelbarer Auswirkungen gewichtiger Art" in der Regel verneint. Allerdings ist danach zu differenzieren, ob der Innenstadthandel insgesamt oder nur in bestimmten Branchen in Mitleidenschaft gezogen wird und ob die Gemeinde, die sich auf den Schutz des § 2 Abs. 2 BauGB beruft, "wirtschaftlich gesund" ist oder schon jetzt in erheblichem Umfang unter dem Abfluss von Kaufkraft zu leiden hat. In jedem Fall ist zu berücksichtigen, dass die Gemeinde die ihr zuzumutenden Anstrengungen zu unternehmen hat, auf Herausforderungen der umgebenden Gemeinden zu antworten. Unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art stehen im Rechtssinne daher nicht zu erwarten, wenn es der Gemeinde gelingen kann, die mit einem Vorhaben verbundenen nachteiligen Auswirkungen durch eigene Anstrengungen jedenfalls so weit zu kompensieren, dass die Schwelle zu städtebaulichen Auswirkungen gewichtiger Art nicht (mehr) überschritten wird (vgl. dazu Nds. OVG, Beschl.v. 27.11.2006 - 1 MN 148/06 -, BauR 2007, 342 [OVG Niedersachsen 27.11.2006 - 1 MN 148/06]; Beschl.v. 30.11.2005 - 1 ME 172/05 -, NVwZ-RR 2007, 7).

21

Der Schwellenwert von 10 % für den "begründeten Anfangsverdacht" wird hier - allerdings nur für die Branche Elektronik und Unterhaltungselektronik - geringfügig überschritten. Die im vorliegenden Verfahren nur mögliche summarische Prüfung der Sachlage ergibt, dass der durch den genehmigten Elektrofachmarkt der Beigeladenen entstehende zusätzliche Kaufkraftabfluss aus dem Bereich der Antragstellerin branchenspezifisch bei 10,7 % liegen dürfte. Dies ergibt sich für die Kammer bei allen Unsicherheiten, die derartigen Prognosen innewohnen, aus den Ausführungen des im Bebauungsplanverfahren eingeholten Gutachtens der T.. Die Ansicht der Antragstellerin, die zu erwartenden Umsatzumlenkungen des geplanten F. es zu Lasten des Zentrums der Antragstellerin und zu Lasten ihrer sonstigen Lagen müssten addiert werden, trifft nicht zu. Im Rahmen der Prüfung einer Verletzung von § 2 Abs. 2 Satz 1 BauGB kommt es auf den Kaufkraftabzug aus zentralen Versorgungsbereichen der Antragstellerin an. Hierzu gehört die Innenstadt der Antragstellerin, nicht aber das Gewerbegebiet "M.", das unter die "sonstigen Lagen" fällt. Entsprechend ist hiervon einem Kaufkraftabzug von 10,7 % auszugehen.

22

Die Kammer folgt dem Gutachten der T., das eine Umsatzumlenkung zu Lasten des Zentrums der Antragstellerin von 10,7 % prognostiziert. Die Kritik der Antragstellerin an diesem Gutachten, das gerade zur Ermittlung der städtebaulichen und raumordnerischen Auswirkungen des geplanten F. der Beigeladenen in Auftrag gegeben wurde, ist nicht gerechtfertigt:

23

Soweit die Antragstellerin geltend macht, das Gebiet der Gemeinde Y. habe aufgrund seiner günstigen Lage zu Z. nicht "voll" in das Einzugsgebiet des F. es einbezogen werden dürfen, übersieht sie, dass das Gutachten der T. von einem inneren Kerneinzugsgebiet und einem äußeren Ergänzungsbereich ausgeht. In diesem äußeren Ergänzungsbereich liegt Y.. Das Gutachten berücksichtigt bei dem Beitrag der einzelnen Gemeinden zum Umsatz, dass die Marktdurchdringung im Kerneinzugsgebiet am größten ist und umgekehrt die Anziehungskraft des Planvorhabens in Richtung periphere Gemeinden - hierzu zählt Y. - abnimmt. Vor dem Hintergrund, dass die Antragsgegnerin Kreisstadt sowie maßgeblicher Schulstandort für Y. ist, ist es aufgrund des hohen Bekanntheitsgrades und der hohen Attraktivität des Planvorhabens gerechtfertigt, Y. jedenfalls in den Ergänzungseinzugsbereich einzubeziehen.

24

Keinen Erfolg hat die Antragstellerin mit ihrem Einwand, das Gutachten gehe von unzutreffenden branchenspezifischen Verbraucherausgaben aus. Die T. hat die Verbraucherausgaben aufgrund ihrer ständig aktualisierten Struktur- und Marktdaten mit 467,- € festgelegt. Die Antragstellerin stützt ihre Annahme, die Verbraucherausgaben lägen bei 425,- €, auf eine Stellungnahme der AA., die wiederum keine fundierte Q. für ihre Ermittlungen nennt, sondern sich schlicht auf ihre "Branchenrecherche" stützt.

25

Soweit die Antragstellerin einwendet, das Gutachten rechne mit fehlerhaften Einwohnerzahlen, hat die T. diese Unstimmigkeit aufgeklärt. Bei der Angabe auf S. 29 des Gutachtens (22 667 Einwohner) handelt es sich um einen Tippfehler. In die Berechnung ist die niedrigere Einwohnerzahl von 20 667 eingeflossen.

26

Die im Gutachten zugrunde gelegte Flächenproduktivität ist nicht zu beanstanden. Das Gutachten der T. legt einen Umsatz von 6 000,- €/m2 zugrunde und führt hierzu aus, dass die Schätzung am oberen Rand von Durchschnittswerten für Elektrofachmärkte von 4 500,- bis 7 000,- € pro m2 Verkauffläche liegt (GMA <2006>, Markt- und Strukturanalyse des Einzelhandels). Dabei berücksichtigt die T., dass ein F. aufgrund seiner Größe und Angebotsausstattung sowie kontinuierlicher Marktbearbeitungsmaßnahmen einen hohen Bekanntheitsgrad und eine schnelle und effektive Marktdurchdringung erreichen wird, und legt nachvollziehbar dar, dass das Planvorhaben andererseits aufgrund der vorhandenen Konkurrenzsituation und der nur annähernd durchschnittlichen Kaufkraft im Einzugsgebiet keine Spitzenwerte erreichen kann. Soweit die Antragstellerin unter Berufung auf den Geschäftsbericht der AB. AG (zu der u.a. die AC. Gruppe gehört) einen Umsatz von 8 000,- € für realistisch hält, ist zu berücksichtigen, dass es sich hierbei um einen bundesdurchschnittlichen Wert handelt. In dieser bundesdurchschnittlichen Prognose sind die zahlreichen in Großstädten ansässigen Märkte der AC. Gruppe enthalten, die aufgrund der höheren Kaufkraft sowie der Lage in Einkaufszentren und Fußgängerzonen eine wesentlich höhere Flächenproduktivität aufweisen dürften als es für das im Gebiet der Antragsgegnerin geplante Vorhaben zu erwarten ist. Dass selbst ein Umsatz von 6 000,- € noch recht hoch eingestuft sein dürfte, zeigen die von der Beigeladenen herangezogenen Gutachten vergleichbarer Vorhaben mit prognostizierten Umsätze zwischen 3 222,- und 5 764,07 Euro.

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Soweit die Antragstellerin einwendet, das Gutachten der T. gehe unzutreffend davon aus, dass der Handel mit Elektroartikeln für die Antragsgegnerin nicht zentrenrelevant sei, ist bereits nicht ersichtlich, inwieweit sich die Antragstellerin mit diesem Einwand auf die Verletzung eigener Rechte beruft. Im Übrigen trifft es zu, dass der Handel mit Elektroartikeln in der Innenstadt der Antragsgegnerin nicht mehr relevant ist. Im Gebiet der Antragsgegnerin existieren derzeit rund 4 000 m2 Verkaufsfläche im Bereich des Elektroeinzelhandels. Davon entfallen nur 600 m2 (rund 15 %) auf die Innenstadt. Die aufgrund einer VorOrt-Erhebung geschätzten Umsätze liegen in der Innenstadt sogar nur bei 11 %. Dagegen liegt umsatz- und flächenmäßig der größte Angebotsschwerpunkt bei den Anbietern X., Q. und R. im Gewerbegebiet "J.". Dies zeigt die fehlende Innenstadtrelevanz des Sortiments "Elekrohandel". Bestätigt wird diese Annahme durch das Einzelhandelsentwicklungskonzept für die Antragsgegnerin der AD. mbH vom 06.09.2004. Danach entfällt lediglich eine Verkaufsfläche von 14,3 % im Sortimentsbereich Elektroartikel, Unterhaltungselektronik, Foto, PC und Neue Medien auf die Innenstadt. Der Anteil des Umsatzes der Innenstadt in diesem Sortimentsbereich liegt mit 12,8 % nach dem Gutachten der AE. sogar noch darunter.

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Das Gutachten der T. ist auch nicht deshalb fehlerhaft, weil es eine - angeblich - durch die Ansiedlung des F. im Gewerbegebiet "J." entstehende Agglomerationswirküng nicht berücksichtigt. Anhaltspunkte dafür, dass allein durch das Planvorhaben - etwa durch eine damit verbundene Attraktivitätssteigerung des gesamten Gewerbegebietes "J." - die Flächenproduktivität der bereits vorhandenen Einzelhandelsbetriebe spürbar steigen und zu zusätzlichen Umsatzverschiebungen zu Lasten benachbarter Kommunen führen wird, sind nicht ersichtlich. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass bereits jetzt im Gewerbegebiet "J." ein großes Angebot in dem Sortimentsbereich Elektroartikel und Unterhaltungselektronik vorliegt und nicht erst durch das Planvorhaben ein neuer Markt mit Magnetwirkung geschaffen wird.

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Keinen Erfolg hat die Antragstellerin mit ihrem Vorbringen, die T. habe die Auswirkungen der beantragten Erweiterung der Nutzfläche um 90 m2 um einen Dienstleistungs- und Beratungsbereich sowie die Auswirkungen der beantragten Befreiung von den textlichen Festsetzungen dahingehend, dass der zulässige Verkaufsflächenanteil für zentrenrelevante Sortimente von 10 % auf 17,5 % erweitert wird, nicht berücksichtigt. Zum einen hat die Antragsgegnerin eine entsprechende Befreiung noch gar nicht erteilt, so dass eine derartige Befreiung auch nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist. Dem Antrag auf Befreiung von den textlichen Festsetzung des Bebauungsplans wird lediglich in einer internen Stellungnahme des Dezernats für Bauen und Stadtentwicklung vom 28.11.2007 zugestimmt. Zum anderen führt die T. in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 31.10.2007 nachvollziehbar aus, dass die Erweiterung des Sortiments Foto-Film-Optik auf 17,5 % der Verkaufsfläche an den Aussagen des Gutachtens zur landesplanerischen und städtebaulichen Verträglichkeit nichts ändere, da das Warenangebot nicht ausreiche, um die Fläche auszuschöpfen, und darüber hinaus die Erhöhung der Verkaufsfläche für die Sortimente Foto-Film-Optik zu einer Reduzierung in anderen Sortimentsbereichen und damit im Ergebnis zu einer annähernd gleichen Umsatzleistung führe. Selbst wenn durch die proportional große Flächenproduktivität im Sortimentsbereich Foto-Film-Optik insgesamt ein höherer Umsatz erzielt werden sollte, ist vor dem Hintergrund einer für diesen Sortimentsbereich zusätzlich gewonnenen Fläche von nur 200 m2 kein merklich höherer Kaufkraftabfluss aus dem Innenstadtbereich der Antragstellerin zu erwarten. Gleiches gilt für den Einwand der Antragstellerin, die Auswirkungen der Erweiterung der Nutzfläche des Planvorhabens um 90 m2 für einen Dienstleistungs- und Beratungsbereich seien von der S. nicht untersucht worden. Es kann offen bleiben, ob dieser Bereich, der der Bearbeitung und Beratung von Leasingverträgen, Finanzierungen und Reklamationen dienen soll, überhaupt zur Verkaufsfläche gehört. Denn aufgrund der gemessen an der Gesamtgröße des Planvorhabens nur geringen Erweiterungsfläche von etwa 3 % ist nicht von spürbaren Umsatzumverteilungen auszugehen. Soweit die T. insoweit keine neue Berechnung vornimmt, ist darauf hinzuweisen, dass eine Gemeinde, auf deren Gebiet ein Vorhaben verwirklicht werden soll, nicht unbedingt ein allen Ansprüchen gerecht werdendes Fachgutachten vorlegen muss (vgl. Nds. OVG, Beschl.v. 30.11.2005 - 1 ME 172/05 -, a.a.O.).

30

Nach dem somit nicht zu beanstandenden Gutachten der T. wird zwar der Schwellenwert von 10 % um 0,7 % überschritten. Das Gutachten der T. rechnet aber brachenspezifisch. Der errechnete Kaufkraftabzug von 10,7 % bezieht sich somit nur auf die Sortimentsgruppen Elektronik und Unterhaltungselektronik. In der Rechtsprechung wird der Schwellenwert von 10 % in zahlreichen Entscheidungen hingegen auf den gesamten im Innenstadtbereich ansässigen Einzelhandel bezogen (vgl.z.B. OVG Rheinland-Pfalz, Beschl.v. 08.01.1999 - 8 B 12650/98 -, zitiert nach juris; OVG Greifswald, Beschl.v. 30.06.1999 - 3 M 144/98 -, NVwZ-RR 2000, 559). Wird - wie hier - bezogen auf die Sortimente Elektroartikel und Unterhaltungselektronik, die im Zentrum der Antragstellerin nur einen Umsatzanteil von 18 % ausmachen, - die Verdachtsschwelle von 10 % nur knapp überschritten, wird eine gesamthandelsbezogene Verdachtsschwelle erheblich unterschritten.

31

Aber auch wenn man den Schwellenwert von 10 % nur auf die Branche Elektronik und Unterhaltungselektronik bezieht, ist der zentrale Versorgungsbereich der Antragstellerin nicht unzumutbar beeinträchtigt. Zu berücksichtigen ist hierbei zunächst, dass das Gutachten der T. eine "worst-case-Berechnung" vornimmt. Die Umsatzschätzungen der T. basieren auf anerkannten Kennzahlen. Da es sich um Durchschnittswerte handelt, hat die T. diese im Rahmen der Vor-Ort-Erhebung basierend auf ihrer Einschätzung des jeweiligen Standortes unter Berücksichtigung aller relevanten Faktoren individuell angepasst. Um die Auswirkungen des Vorhabens nicht zu unterschätzen, wurde bei der Beurteilung der Verträglichkeit mit höheren Umsätzen als den der T. mitgeteilten Ist-Umsätzen gerechnet. Diese berücksichtigen eine überdurchschnittlich hohe Flächenproduktivität, wie sie durch eine optimale Nutzung der Möglichkeiten am Standort, überdurchschnittlich starke Kopplungsgeschäfte mit nahe gelegenen Anbietern oder eine nicht absehbare Änderung des Verbraucherverhaltens zugunsten einer stärkeren Präferenz des jeweiligen Vorhabens realisiert werden können.

32

Selbst bei Annahme eines Kaufkraftabflusses in der in dem Gutachten prognostizierten Größenordnung ist nicht mit einer städtebaulich relevanten Beeinträchtigung der Innenstadt der Antragstellerin als Versorgungsbereich zu rechnen. Auch ein größerer Umsatzverlust für einzelne Branchen ist unschädlich, solange nicht für den gesamten Versorgungsbereich eine kritische Schwelle überschritten wird. Bei Betroffenheit nur einer bestimmten Branche ist von städtebaulicher Bedeutung, ob dieser Branche für die verbrauchernahe Versorgung ein besonderes Gewicht zukommt, das für die Attraktivität des Versorgungsbereiches von Bedeutung ist (vgl. BayVGH, Urt.v. 07.06.2000 - 26 N 99.2961 -, BayVBl. 2001, 175). Angesichts der geringen Anzahl und Größe der Elektrofachbetriebe handelt es sich nicht um eine Branche, die in einem erheblich Ausmaß für die Attraktivität der Innenstadt der Antragstellerin von Bedeutung ist. Die Angebotsanalyse der T. hat gezeigt, dass schon jetzt die Sortimente Elektronik und Unterhaltungselektronik nur noch marginal in der Innenstadt der Antragstellerin vertreten sind. Selbst wenn es zu einzelnen Betriebsaufgaben kommen sollte, spricht angesichts der Attraktivität und der Tourismusdichte in der Innenstadt nichts für einen längeren Leerstand von Geschäften. Zwar mögen die Nachmieter dann aus anderen Branchen kommen. Die Gefahr einer Verödung der Innenstadt besteht aber nicht. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass das Planvorhaben nicht auf ein Sortiment abzielt, das im zentralen Versorgungsbereich der Antragstellerin von einem Magnetbetrieb angeboten wird, dessen unbeeinträchtigter Fortbestand maßgebliche Bedeutung für die weitere Funktionsfähigkeit dieses zentralen Versorgungsbereichs hat (vgl. hierzu OVG H. , Urt.v. 11.12.2006 - 7 A 964/05 -, NVwZ 2007, 727 [OVG Nordrhein-Westfalen 11.12.2006 - 7 A 964/05]).

33

Es gibt auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Versorgung der (nicht über Kraftfahrzeuge verfügenden) Bevölkerung der Antragstellerin mit Elektroartikeln gefährdet wäre. Es ist nicht ersichtlich, dass die von der Antragstellerin befürchteten Umsatzeinbußen zugunsten des Planvorhabens zur Aufgabe des Großteils der Elektrofachbetriebe in der Innenstadt, und nicht lediglich - bei Wegfall einiger - zu Umverteilungen an die verbleibenden Betriebe führen wird. Mögliche Auswirkungen auf die vorhandenen Anbieter in der Innenstadt werden durch den Umstand, dass das Vorhaben nicht der erste Elektrofachmarkt außerhalb der Einkaufsinnenstadt ist, abgeschwächt. Die kleineren Fachhändler im Gebiet der Antragstellerin haben sich deshalb schon spezialisieren müssen, um im Wettbewerb bestehen zu können. Bereits jetzt existiert demnach der Elektrohandel in der Innenstadt unabhängig von Konsumenten, die ihre Einkäufe bevorzugt an Fachmarktstandorten in Gewerbegebieten tätigen. Nach den unwidersprochenen Angaben der Beigeladenen gibt es in der Innenstadt der Antragstellerin fünf kleinere Handwerksbetriebe mit Annexhandel. Diese Betriebe handeln nicht nur, sie bieten auch handwerkliche und andere Dienstleistungen an. Aufgrund dieses zusätzlichen Angebots besteht keine Gefahr, dass sie durch die Ansiedlung von F. aufgeben müssten. Ebenso verhält es sich mit dem Foto- und Optikgeschäft, das auch ein Fotoatelier betreibt und dadurch spezialisiert ist. Soweit sich in der Innenstadt noch drei Handyläden befinden, ist davon auszugehen, dass die Kaufkraftumschichtung schon deshalb gering ist, weil in dieser Sparte die Nähe zum Anbieter geschätzt wird. Soweit in den Kaufhäusern in Fachabteilungen Elektroartikel angeboten werden, wirken sich Kaufkraftumschichtungen allenfalls auf den Umsatz in den Fachabteilungen aus, dürften aber selbst bei einem Umsatzverlust von 11 % in der Fachabteilung keinesfalls zu einer Schließung eines Kaufhauses führen.

34

Soweit im dezentral gelegenen Gewerbegebiet "M.", in dem der Bereich des Elektrohandels konzentriert ist (N. sowie Fachabteilungen von O. und bei P. Möbel), höhere Kaufkraftabzüge zu erwarten sind, ist zu berücksichtigen, dass das Gewerbegebiet "M." für die Stadtstruktur der Antragstellerin nicht von erheblicher Bedeutung ist. § 2 Abs. 2 BauGB dient von seinem Schutzzweck her der gemeindlichen Planungshoheit und Selbstverwaltung, bezweckt jedoch nicht einen Wettbewerbsschutz gegen einzelne Handelseinrichtungen (vgl. Nds. OVG, Beschl.v. 21.09.2005 - 9 ME 49/04 -, NVwZ-RR 2006, 453). Abgesehen davon, dass hier nur ein dezentraler Bereich betroffen ist, ist eine Schließung einer der im Gewerbegebiet "M." ansässigen Betriebe, insbesondere auch des N., nicht zu erwarten. Der im Gebiet der Antragstellerin ansässige N. hat den Vorteil, seine - insbesondere aus dem südlichen und westlichen Einzugsgebiet kommenden - Kunden aufgrund seiner geographischen Lage binden zu können. Die eigentliche Konkurrenzsituation wird es vielmehr - worauf es in diesem Verfahren nicht ankommt - zwischen F. und dem N. im Gewerbegebiet "J." geben.

35

Soweit die Antragstellerin geltend macht, die Verwirklichung des in Aufstellung befindlichen Einzelhandelskonzeptes und die Verwirklichung der "Einkaufsgalerie AF." könnten durch die angegriffene Baugenehmigung in Mitleidenschaft gezogen werden, ist darauf hinzuweisen, dass der Umstand, dass die Festsetzung eines Bebauungsplanes, mit denen eine Gemeinde die Ansiedlung von Einzelhandelsbetrieben auf ihrem Gebiet begünstigen wollte, infolge entsprechender Festsetzungen einer Nachbargemeinde keine Aussicht auf Verwirklichung haben, für sich allein keine Verletzung von § 2 Abs. 2 BauGB darstellt (vgl. Nds. OVG, Beschl.v. 21.01.2002 - 1 MN 4128/01 -, NVwZ-RR 2003, 7). Hinzu kommt, dass im Hinblick auf die geplante Einkaufsgalerie nicht ersichtlich ist, inwieweit das Planvorhaben überhaupt Auswirkungen hierauf haben kann. Jedenfalls ergeben sich aus den von der Antragsstellerin vorgelegten Unterlagen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass in der künftigen Einkaufsgalerie gerade die Ansiedlung von Elektrofachhandel geplant ist. Vielmehr ist noch überhaupt nicht absehbar, welche Geschäfte sich an welcher Stelle auf dem Galeriegelände ansiedeln werden. Soweit das Einzelhandelskonzept für die Antragstellerin vom Juli 2006 die Stärkung des zentrenrelevanten Einzelhandels vorsieht und deshalb nur noch nicht zentrenrelevante Sortimente außerhalb des Zentrums zulassen will, kann eine solche Regelung nur mit Wirkung für die Antragstellerin, nicht aber für die Nachbargemeinden getroffen werden.

36

Das Vorhaben hat demnach keine wesentlichen Auswirkungen städtebaulicher Art auf das Gebiet der Antragstellerin. Im Übrigen träfe in solch einem Fall zunächst die Antragstellern die Pflicht, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um erheblichen Kaufkraftabflüssen - etwa durch Ansiedlung neuer attraktiver Märkte - zu begegnen (vgl. hierzu Nds. OVG, Beschl.v. 21.09.2005 - 9 ME 49/04 -, a.a.O.). Die Antragstellerin hat gerade im Hinblick auf ihre geographisch günstige Lage die Möglichkeit - und nutzt diese augenscheinlich bereits -, durch eigene Bauleitplanung Kaufkraft zu binden.

37

Auch im Hinblick auf § 2 Abs. 2 Satz 2 BauGB, der durch das Gesetz zur Anpassung des Baugesetzbuchs an EU-Richtlinien (Europarechtsanpassungsgesetz) vom 24.06.2004 (BGBl. I S. 1359) eingefügt worden ist, dürfte die Antragstellerin das Vorhaben aller Voraussicht nach ebenfalls nicht abwenden können. Hiernach können sich benachbarte Gemeinden "dabei", d.h. im Rahmen der Pflicht zur Abstimmung ihrer Baupläne, auch auf die ihnen durch Ziele der Raumordnung zugewiesenen Funktionen sowie auf Auswirkungen auf ihre zentralen Versorgungsbereiche berufen.

38

Mit der ersten Alternative dieser Vorschrift soll in Abkehr von der bisherigen herrschenden Meinung erreicht werden, dass eine Gemeinde die Funktion, die ihr durch das Landesraumordnungsrecht im Hinblick auf die zentralörtliche Gliederung zugewiesen worden ist und ihr nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten einträgt, als Teil ihrer interkommunal zu wahrenden Plänungshoheit reklamieren und verteidigen darf. Ihr soll es mit anderen Worten nunmehr möglich sein, ihre u.a. an den raumordnerischen Zielen ausgerichtete Bauleitplanung gegen eine ihre zentralörtliche Funktion störende raumordnungswidrige Planung einer anderen Gemeinde zu verteidigen (vgl. Nds. OVG, Beschl.v. 30.11.2005 - 1 ME 172/05 - m.w.N., a.a.O.). Eine Verletzung dieser Vorschrift kommt hier bereits deshalb nicht in Betracht, weil § 2 Abs. 2 Satz 2, Alt. 1 BauGB nur zugunsten der Gemeinden positive Rechtswirkungen entfaltet, denen die W. Landesplanung eine bestimmte zentralörtliche Funktion zuweist. Dies ist im Verhältnis von W. zu AG. Gemeinden nicht der Fall (vgl. Nds. OVG, Beschl.v. 30.11.2005 - 1 ME 172/05 -, a.a.O.). Das Land I. weist in seinem Raumordnungsprogramm aus dem Jahre 1994 der Antragstellerin keine bestimmten Funktion (etwa als Ober-, Mittel- oder Grundzentrum) zu und bezieht sie damit auch nicht in das Rechte-Pflichten-Verhältnis mit W. Gemeinden ein, welches für eine Anwendung des § 2 Abs. 2 Satz 2, Alt. 1 BauGB kennzeichnend ist. Das wäre auch nicht möglich, da sich das Landesraumordnungsprogramm bei aller Pflicht zur Abstimmung mit benachbarten Ländern schon wegen der Ermächtigungsgrundlage allein auf den Bereich des Landes I. beziehen kann. Gleiches gilt im Hinblick auf das Regionale Raumordnungsprogramm des Landkreises C. 2000 - RROP 2000 -, das zwar eine Berücksichtigung der Antragstellerin vorsieht, der Antragstellerin aber weder Aufgaben zuweist noch Lasten auferlegt.

39

Auch hinsichtlich der Auswirkungen des Bebauungsplans und des konkreten Planvorhabens auf die zentralen Versorgungsbereiche der Antragstellerin (§ 2 Abs. 2 Satz 2, Alt. 2 BauGB) wird das kommunale Abstimmungsgebot nicht verletzt. Wie oben ausgeführt, sind keine erheblichen Auswirkungen auf die Innenstadt der Antragstellerin als zentralem Versorgungsbereich zu befürchten.

40

Nach alledem besteht nach der hier gebotenen und nur möglichen summarischen Prüfung jedenfalls keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die von der Antragstellerin angefochtene Baugenehmigung deren Rechte verletzt. Bei dieser Einschätzung der Sach- und Rechtslage räumt die Kammer auch unter Berücksichtigung der tatsächlichen Folgen einer stattgebenden bzw. ablehnenden Entscheidung im vorliegenden Verfahren dem Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Vollziehung der Baugenehmigung den Vorrang ein. Bei den Folgen für die Antragstellerin ist zu berücksichtigen, dass die von ihr befürchteten Nachteile nicht schon mit der Vollendung des Bauvorhabens eintreten würden, sondern erst mit der tatsächlichen Aufnahme der genehmigten Nutzung, die im Falle einer Aufhebung der Baugenehmigung im Hauptsacheverfahren untersagt werden könnte. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf das durch die dargelegte Einschätzung der Sach- und Rechtslage begründete Gewicht des Interesses am Sofortvollzug wiegen die im Hinblick auf die Investitionsmaßnahmen und wirtschaftlichen Dispositionen der Beigeladenen zu erwartenden Nachteile bei einem bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren hinausgeschobenen Baubeginn deutlich schwerer als die Belange der Antragstellerin.

41

Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin als Unterliegende nach § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen. Die Kosten der Beigeladenen sind zu erstatten, da sie einen eigenen Antrag gestellt und damit ein eigenes Kostenrisiko eingegangen ist ( § 154 Abs. 3 VwGO ), so dass es der Billigkeit entspricht, sie für erstattungsfähig zu erklären.

Streitwertbeschluss:

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG in Verbindung mit Nr. 9.7.2. des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. vom 07./08. Juli 2004 (NVwZ 2004 S. 1327), der für die Anfechtungen von Baugenehmigungen durch Nachbargemeinden einen Betrag von 30 000,- Euro für angemessen hält, wobei dieser Betrag aufgrund der Vorläufigkeit der Entscheidung im Eilverfahren halbiert wird (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkataloges).

Reccius
Lange
Schraeder