Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.11.2006, Az.: 1 MN 148/06
Normenkontrollantrag einer Nachbargemeinde gegen einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan einer anderen Gemeinde mit Festsetzung eines Sondergebiets für einen Möbelmarkt; Reichweite der den Gemeinden durch Ziele der Raumordnung zugewiesenen Funktionen im Rahmen der Antragsbefugnis; Blickwinkel des interkommunalen Abstimmungsgebotes
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 27.11.2006
- Aktenzeichen
- 1 MN 148/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 28568
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2006:1127.1MN148.06.0A
Rechtsgrundlagen
- § 1 Abs. 4 BauGB
- § 42 Abs. 2 VwGO
- § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO
- § 2 Abs. 2 BauGB
- § 17 NROG
- § 11 Abs. 3 BauNVO
Fundstellen
- BauR 2007, 342-345 (Volltext mit amtl. LS)
- BauR 2007, 760 (amtl. Leitsatz)
- FStNds 2007, 89-94
- ZfBR 2007, 157-160 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Setzt eine Gemeinde in einem vorhabenbezogenen Bebauungsplan ein Sondergebiet für einen Möbelmarkt mit über 25.000 qm Gesamtverkaufsfläche fest, kann einer nur 8 km entfernten Nachbargemeinde regelmäßig die Antragsbefugnis für einen gegen den Bebauungsplan gerichteten Normenkontrollantrag nicht abgesprochen werden.
Zur Reichweite der den Gemeinden in § 2 Abs. 2 Satz 2, 2. Alt. BauGB 2004 durch Ziele der Raumordnung zugewiesenen Funktionen im Rahmen der Antragsbefugnis.
Gründe
Die Antragstellerin, eine etwa 8 km entfernte Nachbargemeinde zu der Stadt Vechta, begehrt die Außervollzugsetzung der am 27. März 2006 vom Rat der Antragsgegnerin als Satzung beschlossenen 1. Änderung des vorhabenbezogenen Bebauungsplanes Nr. 101. Der Bebauungsplan trifft die auf § 9 Abs. 1 BauGB und § 11 BauNVO gestützte Festsetzung "SO "Möbelmarkt" - Sondergebiet gemäß § 11 BauNVO". Nach den textlichen Festsetzungen sind innerhalb des Sondergebietes nur die folgenden Einzelhandelsnutzungen/Verkaufsflächen zulässig:
Ein Möbelmarkt mit einer Gesamtverkaufsfläche von maximal 25.160 qm. Von der Gesamtverkaufsfläche muss ein Anteil von mindestens 17.260 qm auf das Möbelkernsortiment entfallen. Zentrenrelevante Sortimente sind auf einer Teilfläche von maximal 1.700 qm zulässig.
Die verbleibenden 6.200 qm Verkaufsfläche dürfen nur mit nichtzentrenrelevanten Sortimenten folgender Branchen und den jeweils genannten Obergrenzen belegt werden:
Sortiment | Obergrenze |
---|---|
Großelektro (weiße Ware) bis zu | 2.000 qm |
Teppiche, Tapeten, Bodenbeläge, Raumausstattung, Farben und Lacke bis zu | 4.000 qm |
Sanitärwaren bis zu | 1.000 qm |
Büroausstattung bis zu | 1.500 qm |
Gartenaccessoires (Außenkeramik, Terrakotta, kein lebendes Grün) bis zu | 500 qm |
Babyartikel (Hartwaren, Möbel) bis zu | 1.200 qm |
Kamine und Öfen bis zu | 500 qm |
Sollten die 6.200 qm VK nicht ausgeschöpft werden, so bleibt die Restfläche ausschließlich dem Möbelkernsortiment vorbehalten.
Der am 1. August 1997 rechtsverbindlich gewordene Bebauungsplan Nr. 101 in seiner Ursprungsfassung war aufgestellt worden, um die Errichtung eines Möbelhauses planungsrechtlich abzusichern. Ursprünglich war die maximal zulässige Verkaufsfläche auf 12.000 qm begrenzt, wobei 1.000 qm als maximaler Anteil für Randsortimente festgelegt waren. Nach den Angaben der Antragsgegnerin hat der Möbelmarkt inzwischen eine Verkaufsfläche von 15.800 qm erreicht. Der Betreiber des Möbelhauses, die Firma Nemann, beabsichtigt nunmehr eine weitere Vergrößerung seines Möbelhauses. Diesem Anliegen ist die Antragsgegnerin mit den in diesem Verfahren angegriffenen Festsetzungen der 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 101 weitgehend gefolgt. Die 1. Änderung lässt nunmehr eine Gesamtverkaufsfläche von 25.160 qm zu, wobei auf das Möbelkernsortiment 17.260 qm (15.800 qm Bestand zuzüglich 1.461 qm neu), auf nichtzentrenrelevante Sortimente neu 6.200 qm und auf zentrenrelevante Sortimente 1.700 qm (1.000 qm Bestand zuzüglich 700 qm neu) entfallen. Grundlage der angegriffenen Festsetzungen ist zunächst ein Basisgutachten der CIMA vom Mai 2005 zum Einzelhandel und zum Einzelhandelsentwicklungskonzept für die Stadt Vechta, ferner ein am 23. Mai 2005 vom Rat der Antragsgegnerin verabschiedetes Entwicklungskonzept. Die CIMA hat unter dem 13. September 2005 ein weiteres "Verträglichkeitsgutachten zur Erweiterung von Möbel Nemann in Vechta" erstellt. Dieses Gutachten ist Bestandteil der mit der 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 101 beschlossenen Begründung. Die textlichen Festsetzungen der 1. Änderung tragen dem CIMA-Gutachten insofern Rechnung, als eine Senkung der Obergrenzen für das Sortiment Großelektro (weiße Ware) auf bis zu 2.000 qm (ursprünglich 2.200 qm) sowie für das Sortiment Babyartikel (Hartwaren, Möbel) auf bis zu 1.200 qm (ursprünglich 1.500 qm) festgesetzt worden ist. Das Verträglichkeitsgutachten kommt zu den folgenden Umverteilungseffekten (Verdrängungsumsatz) durch die ursprünglich vorgesehenen zusätzlichen Verkaufsflächen: im Bereich Möbel 0,5 %, in den Bereichen Sanitär 5,6 %, Teppiche, Tapeten, Bodenbeläge, Raumausstattung, Farben, Lacke 7,8 %, Elektrogeräte 8,0 %, Büroausstattung 6,3 % und im Bereich Babyartikel (Möbel) 10,0 %. Im Hinblick auf die nach Auffassung der Antragsgegnerin abwägungserheblichen Verdrängungseffekte im Bereich Elektrogeräte und Babyartikel sind die Verkaufsflächenobergrenzen - wie oben angeführt - herabgesetzt worden. Die weitere, während des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nachgereichte ergänzende Stellungnahme der CIMA vom 14. November 2006 beschäftigt sich mit der Worst-Case-Annahme, dass zu der ohnehin geplanten Erweiterung des Möbelsortiments um 1.461 qm weitere 6.200 qm hinzukommen würden (mithin insgesamt 23.461 qm). Für diesen Fall wird ein Verdrängungseffekt von 7,4 % errechnet.
Die Antragstellerin stützt ihren bereits am 11. Mai 2006 eingegangenen Normenkontrollantrag 1 KN 75/06 sowie den sich anschließenden einstweiligen Anordnungsantrag vom 2. August 2006 vorrangig darauf, dass sie durch die Festsetzungen der 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 101 zum einen schwerwiegende Nachteile erleiden würde und zum anderen gegen die 1. Änderung auch durchgreifende rechtliche Bedenken beständen. Die 1. Änderung sei nicht an die Ziele der Raumordnung i.S. des § 1 Abs. 4 BauGB angepasst; die 1. Änderung sei nicht mit den die Antragsgegnerin bindenden Zielen des Landes-Raumordnungsprogrammes Niedersachsen 2002 vereinbar. Ihr drohten auch nicht hinnehmbare Auswirkungen i.S. des § 2 Abs. 2 Satz 2 BauGB.
Auf den Antrag der Antragstellerin ist die 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 101 "Sondergebiet südlich der Falkenrotter Straße" außer Vollzug zu setzen. Dies folgt allerdings nicht - nach dem dem Senat vorgetragenen Sachverhalt und dem sich aus den vorgelegten Verwaltungsvorgängen ergebenden Sachstand - daraus, dass die nur 8 km von der Stadt Vechta, einem Mittelzentrum, entfernt liegende Stadt Lohne, ebenfalls ein Mittelzentrum, durch die angegriffene 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 101 schwere Nachteile i.S. des § 47 Abs. 6 VwGO erleiden würde. Der Vollzug der Festsetzungen der 1. Änderung ist aber deswegen auszusetzen, weil die angegriffene 1. Änderung - jedenfalls derzeit - an einem erheblichen und zur Unwirksamkeit führenden Fehler leidet. Die 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 101 ist mit Plansatz 10 von Ziffer C 1.6 03 Landes-Raumordnungsprogamm 2002 nicht vereinbar. Nach diesem Plansatz sind bei Einzelhandelsgroßprojekten wie Möbelmärkte, Bau- und Heimwerkermärkte, Gartencenter und Automärkte (Satz 9) nicht mehr als 10 von Hundert und maximal 700 qm der Verkaufsfläche für innenstadtrelevante Randsortimente zulässig. Das durch die 1. Änderung zugelassene innenstadtrelevante Sortiment erhöht sich aber auf 1.700 qm. Dies kann nur durch ein der 1. Änderung vorausgehendes bzw. darin integriertes Zielabweichungsverfahren zugelassen werden.
Dazu ist im Einzelnen anzuführen:
Der Normenkontrollantrag der Antragstellerin ist entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin zulässig. Sie kann geltend machen, durch die angegriffene 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 101 möglicherweise in ihren Rechten verletzt zu sein (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Bei der rechtlichen Subsumtion einer möglichen Rechtsverletzung ist § 2 Abs. 2 BauGB 2004 in der Fassung des Gesetzes zur Anpassung des Baugesetzbuches AnEU-Richtlinien (Europarechtsanpassungsgesetz - EAG Bau) vom 24. Juni 2004 (BGBl I S. 1359) abzustellen. Der Gesetzgeber hat mit § 2 Abs. 2 Satz 1 BauGB, wonach die Bauleitpläne benachbarter Gemeinden aufeinander abzustimmen sind, gegenüber der Altfassung nichts verändert. Hinzugefügt worden ist Satz 2 mit dem folgenden Wortlaut: "Dabei können sich Gemeinden auch auf die ihnen durch Ziele der Raumordnung zugewiesenen Funktionen sowie auf Auswirkungen auf ihre zentralen Versorgungsbereiche berufen". In der Gesetzesbegründung wird hervorgehoben, dass durch den neuen Satz 2 das Abstimmungsgebot auf "raumordnerische" Belange erweitert wird. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll der Verpflichtung, die Bauleitplanung an den Zielen der Raumordnung auszurichten (§ 1 Abs. 4 BauGB), eine Berechtigung der Gemeinde korrespondieren, ihre entsprechend ausgerichtete Planung gegen eine diese störende raumordnungswidrige Planung einer anderen Gemeinde zu verteidigen. Darüber hinaus werden im § 2 Abs. 2 Satz 2 BauGB auch die zentralen Versorgungsbereiche genannt. Damit soll klargestellt werden, dass die planende Gemeinde nicht nur Auswirkungen auf ihre eigenen Versorgungsbereiche beachten muss, sondern auch auf diejenigen von Nachbargemeinden (BT-Drs. 15/2250 S. 41). Entsprechend den Intentionen der Unabhängigen Expertenkommission wird mit der Vorschrift das Ziel verfolgt, den Gemeinden erweiterte Klagemöglichkeiten einzuräumen (Bericht der Unabhängigen Expertenkommission, Novellierung des Baugesetzbuches, herausgegeben vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, August 2002, Rdnr. 221). Die den Gemeinden durch die Raumordnung zugewiesenen Positionen sollen Bestandteile der Planungshoheit und damit "wehrfähig" werden.
Die gesetzliche Neuregelung des § 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 BauGB hat inzwischen eine Vielzahl von Publikationen gezeugt, die sich mit der vom Gesetzgeber vorgestellten Reichweite des § 2 Abs. 2 BauGB, namentlich des Satzes 2 dieser Vorschrift, auseinandersetzen (vgl. nur beispielhaft: Uechtritz, Neue Regelungen im EAG Bau zur standortgerechten Steuerung des Einzelhandels, NVwZ 2004, 1025; Hoppe, Das zentralörtliche Gliederungsprinzip: Keine Basis für Gemeindenachbarklagen und für ein klagebewehrtes raumordnungsrechtliches Kongruenzgebot, NVwZ 2004, 282; derselbe, Zur Erweiterung der Planungshoheit und der gemeindenachbarlichen Klagebefugnisse in § 2 Abs. 2 Satz 2 BauGB 2004 um raumordnungsrechtliche Belange, DVBl 2004, 1125; Vietmeier, Die Steuerung des großflächigen Einzelhandels nach §§ 2 und 34 BauGB, BauR 2005, 480 [LG Bonn 30.01.2003 - 14 O 113/02] und in jüngster Zeit Uechtritz, Die Neuregelungen zur standortgerechten Steuerung des Einzelhandels - Versuch einer Zwischenbilanz, DVBl 2006, 799[BVerfG 26.10.2005 - 1 BvR 396/98]). Im Vordergrund dieser Untersuchungen steht dabei insbesondere die Frage, wann im Einzelfall eine Funktionszuweisung durch Ziele der Raumordnung anzunehmen ist, auf die sich eine Nachbargemeinde berufen kann. Mehr oder weniger unstreitig ist lediglich, dass sich eine Gemeinde nicht auf "irgendwelche" raumordnungsrechtlich festgesetzten Ziele berufen kann, sondern nur auf solche, die ihr eine raumordnerische Funktion zuweisen und die - zusätzlich - ein "Ziel" der Raumordnung darstellt. Der Gesetzgeber hatte damit offensichtlich nur bestimmte raumordnerische Funktionen vor Augen, die er in Bezug auf das interkommunale Abstimmungsgebot "wehrfähig" machen wollte, dabei vorrangig die zentralörtliche Funktion einer Gemeinde. Die damit zusammenhängenden Fragen können aber auf sich beruhen. Denn im Rahmen einer die Antragsbefugnis ausfüllenden "möglichen" Rechtsverletzung kommt es darauf nicht entscheidungserheblich an. Seit dem Urteil des BVerwG vom 24. September 1998 (4 CN 2.98 - DVBl 1999, 100 = ZfBR 1999, 39 = BRS 60 Nr. 46) ist geklärt, dass an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO keine höheren Anforderungen zu stellen sind als nach § 42 Abs. 2 VwGO. Das Bundesverwaltungsgericht hat es abgelehnt, im konkreten Einzelfall eine Prüfung vorzunehmen, die nach Auswertung des gesamten Akteninhalts und der einzelnen Stellungnahmen der Beteiligten letztlich zu dem Ergebnis gelangt, dass und warum im konkreten Fall tatsächlich eine Rechtsverletzung nicht bejaht werden kann. Art und Umfang der Ausführungen zur Antragsbefugnis eines Normenkontrollantrages, und insoweit erst recht im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens, dürfen bzw. sollen nicht den Umfang einer Begründetheitsprüfung einnehmen. Auch für § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gilt der zu § 42 Abs. 2 VwGO geprägte Satz, dass sich eine prozessuale Handhabung verbietet, die im Ergebnis dazu führt, die an sich gebotene Sachprüfung als Frage der Zulässigkeit des Antrages zu behandeln. Der Senat schließt sich in diesem Zusammenhang der überzeugenden Begründung von Uechtritz, DVBl 2006, 799 (806)[BVerfG 26.10.2005 - 1 BvR 396/98] an, der insoweit von einer nur geringen praktischen Relevanz spricht und dies wie folgt begründet:
"Wendet sich eine Nachbargemeinde in einem Normenkontrollverfahren gegen einen Bebauungsplan mit dem Argument, sie werde durch den Plan in Funktionen beeinträchtigt, die durch Ziele der Raumordnung zugewiesen seien, so hat der Normenkontrollantrag im Hinblick auf die objektive Rechtsschutzfunktion des Normenkontrollverfahrens schon dann Erfolg, wenn das Normenkontrollgericht einen Verstoß des Bebauungsplans gegen ein bindendes Ziel der Raumordnung feststellt. Es liegt dann regelmäßig eine Verletzung von § 1 Abs. 4 BauGB vor. Ob bzw. in welcher Intensität die klagende Nachbargemeinde tatsächlich negativ betroffen ist, ist nicht mehr entscheidend. Allenfalls im Rahmen der Prüfung, ob ein Normenkontrollantrag zulässig ist, kann die Frage eine Rolle spielen, ob die Berufung einer Nachbargemeinde auf § 2 Abs. 2 BauGB voraussetzt, dass diese nicht nur die >abstrakte< Beeinträchtigung der Funktionszuweisung darlegt, sondern auch eine tatsächlich spürbare Auswirkung. Da im Rahmen des § 47 Abs. 2 VwGO wie im Rahmen des § 42 Abs. 2 VwGO die Möglichkeitstheorie gilt, dürfte die Antragsbefugnis in der Regel gegeben sein, wenn sich eine Nachbargemeinde auf eine Funktionsbeeinträchtigung beruft. Die Frage, ob die Beeinträchtigung dann tatsächlich vorliegt, ist eine Frage der Begründetheit, nicht der Zulässigkeit des Normenkontrollantrags."
Nach den oben dargelegten Grundsätzen kann der Antragstellerin die Antragsbefugnis für ein Normenkontrollverfahren gegen die 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 101 schon unter dem Blickwinkel des § 2 Abs. 2 Satz 1, Satz 2, 2. Alt. BauGB nicht abgesprochen werden. Ihr Stadtgebiet liegt nur 8 km von der Stadt Lohne entfernt. Wird dort ein Möbelmarkt mit einer Gesamtverkaufsfläche von 25.160 qm zugelassen, darunter auf allein 6.200 qm Sortimente für nichtzentrenrelevante und auf 1.700 qm für zentrenrelevante Ware, liegt jedenfalls eine "mögliche Rechtsverletzung" von eigenen Rechten einer nur 8 km entfernten Nachbargemeinde unter dem Blickwinkel des interkommunalen Abstimmungsgebotes nahe. Es ist unangemessen, mögliche Kaufkraftabflüsse bereits im Rahmen der Antragsbefugnis derart detailliert einer gerichtlichen Überprüfung zuzuführen wie es im Rahmen der sich erst anschließenden Begründetheit eines derartigen Antrages angebracht ist. Dies gilt jedenfalls für eine Sachverhaltsgestaltung der vorliegenden Art, in der auch das der Planung zugrunde liegende CIMA-Gutachten vom 3. September 2005 zu dem Ergebnis kommt, dass nach den Ausgangsplanungen in Teilsortimenten Kaufkraftabflüsse von bis zu 10 % auftreten. Schon im Rahmen der Antragsbefugnis eine - insoweit abschließende - Entscheidung zu treffen, ob eine derartige Verdrängungsquote für die Nachbargemeinde abwägungsgerecht vorgenommen worden ist oder nicht, ist nicht angebracht.
Ein entsprechendes Ergebnis hinsichtlich der Antragsbefugnis gilt unter dem Blickwinkel des § 2 Abs. 2 Satz 2, 1. Alt. BauGB für den Bereich der von der Antragsstellerin geltend gemachten Widersprüche zu Plansätzen des Landes-Raumordnungsprogrammes 2002. Die Antragstellerin beruft sich insoweit auf eine Unvereinbarkeit der 1. Änderung mit den Plansätzen 2, 4, 7 und 10 von C 1.6 03. Ein Widerspruch dazu kann jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Dies gilt vorrangig für den Plansatz 10. Bereits das Letztere ist ausreichend.
Der vorläufige Rechtsschutzantrag der Antragstellerin hat in der Sache Erfolg.
Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Wegen der weit reichenden Folgen, welche die Aussetzung eines Bebauungsplanes regelmäßig hat, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen für eine Aussetzung ein strenger Maßstab anzulegen. Ein schwerer Nachteil in dem oben genannten Sinn liegt nur vor, wenn rechtlich geschützte Interessen in ganz besonderem Maße beeinträchtigt und dem Betroffenen außergewöhnliche Opfer abverlangt werden (vgl. Erichsen/Scherzberg, DVBl 1987, 168). Die Antragstellerin hat nach der sich aus den vorliegenden Bebauungsplanunterlagen erkennbaren Sachlage beim Vollzug des angegriffenen Bebauungsplanes nicht mit derartig schwerwiegenden Beeinträchtigungen zu rechnen.
Dies folgt zunächst nicht aus den von ihr befürchteten und von ihr im Übrigen nicht näher präzisierten Kaufkraftabzügen aus ihrem Stadtgebiet. Der Senat richtet sich bei dieser Feststellung an dem vorliegenden Gutachten der CIMA vom 3. September 2005 aus. Der Senat sieht dieses von einer für derartige Fragen spezialisierten Fach- bzw. Beratungsfirma erstelltes Gutachten als ausreichende und die Festsetzungen der 1. Änderung grundsätzlich tragende Grundlage an. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass - bei Einhaltung bestimmter Beschränkungen für die Branchen Elektrogeräte und Babyartikel - von der regionalen Verträglichkeit des zugelassenen Möbelmarktes mit einer Größenordnung von insgesamt 25.161 qm auszugehen ist. In den anderen Branchen könne eine nicht zumutbare Verdrängungsquote nicht gesehen werden. Dieses Ergebnis ist bei Umverteilungsquoten zwischen 5,6 % im Sanitärbereich bis zu 7,8 % im Bereich Teppiche, Tapeten, Bodenbeläge, Raumausstattung, Farben, Lacke unter abwägungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden. Der allenfalls kritische Bereich von 8,0 % im Bereich Elektrogeräte und von 10,0 % im Bereich Babyartikel (Möbel) wird durch die Senkung der maximal zulässigen Verkaufsflächen ebenfalls in verträglicher Weise gelöst. Jedenfalls der in der Rechtsprechung inzwischen überwiegend angeführte "Schwellenwert" von 10 % wird in keiner Branche erreicht, geschweige denn überschritten (vgl. zu diesem Wert etwa OVG Münster, Urt. v. 6.6.2005 - 10 D 145/04.NE - BauR 2005, 1577 [OVG Nordrhein-Westfalen 06.06.2005 - 10 D 145/04 NE] = UPR 2005, 448 = ZfBR 2005, 85 [OLG Brandenburg 05.10.2004 - Verg W 12/04] = BRS 69 Nr. 2 mit zahlreichen Nachweisen; dazu auch Beschl. d. Sen. v. 30.11.2005 - 1 ME 172/05 - ZfBR 2006, 168 = NStN 2006,19 = BRS 69 Nr. 177, in dem insoweit von einer "Faustformel" die Rede ist).
Ergänzend ist in diesem Zusammenhang anzumerken: Rechtliche Bedenken gegen die 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 101 ergeben sich auch nicht aus raumordnerischen Erwägungen der Antragstellerin im Hinblick auf die Plansätze 2, 4 und 7 des Landes-Raumordnungsprogrammes 2002. Der Übersichtlichkeit halber werden die einschlägigen Vorgaben des Landes-Raumordnungsprogrammes 2002 für den großflächigen Einzelhandel in C 1.6 03 im Folgenden wiedergegeben:
"Neue Flächen für den großflächigen Einzelhandel sind den jeweiligen Zentralen Orten zuzuordnen. 2 Der Umfang neuer Flächen bestimmt sich aus dem zentralörtlichen Versorgungspotenzial, den vorhandenen Versorgungseinrichtungen und der innergemeindlichen Zentrenstruktur.
Die Ausweisung neuer Flächen für den großflächigen Einzelhandel ist interkommunal abzustimmen.
Die Ausweisung neuer Flächen für den großflächigen Einzelhandel sowie die Errichtung und Erweiterung von Einzelhandelsgroßprojekten mit innenstadtrelevanten Kernsortimenten sind grundsätzlich nur an städtebaulich integrierten Standorten zulässig. 5 Sie sind in das ÖPNV-Netz einzubinden.
Verkaufsfläche und Warensortiment von Einzelhandelsgroßprojekten im Sinne des § 11 Abs. 3 der Baunutzungsverordnung müssen der zentralörtlichen Versorgungsfunktion und dem Verflechtungsbereich des jeweiligen Zentralen Ortes entsprechen. 7 Ausgeglichene Versorgungsstrukturen und deren Verwirklichung, die Funktionsfähigkeit der Zentralen Orte und integrierter Versorgungsstandorte sowie die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung dürfen nicht wesentlich beeinträchtigt werden.
Die Träger der Regionalplanung können in den Regionalen Raumordnungsprogrammen im Einzelfall Standorte für den großflächigen Einzelhandel jenseits der Grenze des privilegierten Zentrums in einem benachbarten Mittel- oder Grundzentrum festlegen, wenn damit den Anforderungen der Sätze 3 bis 7 in gleicher Weise entsprochen wird wie bei einer Lage innerhalb des Gemeindegebiets des privilegierten Zentrums; dies gilt nicht für die in den Sätzen 11 und 12 geregelten Vorhaben.
Einzelhandelsgroßprojekte mit nicht innenstadtrelevanten Kernsortimenten (wie Möbelmärkte, Bau- und Heimwerkermärkte, Gartencenter, Automärkte) sind grundsätzlich auch außerhalb der städtebaulich integrierten Lagen an verkehrlich gut erreichbaren Standorten im baulichen Zusammenhang mit dem Siedlungsbereich des jeweiligen Zentralen Ortes zulässig. 10 Dabei sind nicht mehr als 10 vom Hundert und maximal 700 qm der Verkaufsfläche für innenstadtrelevante Randsortimente zulässig.
Hersteller-Direktverkaufszentren sind Einzelhandelsgroßprojekte und aufgrund ihrer besonderen Ausprägung und Funktion nur in Oberzentren an städtebaulich integrierten Standorten zulässig. 12 Dies gilt auch für Erscheinungsformen des Handels in Verbindung mit Freizeit-, Kultur- und sonstigen Dienstleistungen, die in ihren Auswirkungen Hersteller-Direktverkaufszentren vergleichbar sind.
Zur Verbesserung der Grundlagen für regionalbedeutsame Standortentscheidungen von Einzelhandelsprojekten sollen regional abgestimmte Konzepte erstellt werden."
Durch eine diesen Plansätzen beigefügte Fußnote ist angemerkt, dass es sich - bis auf den Plansatz 13 - um - durch Fettdruck näher gekennzeichnete - Ziele der Raumordnung im Sinne von § 3 Nr. 2 des Raumordnungsgesetzes des Bundes handelt.
Danach ergeben sich weder durchschlagende Bedenken hinsichtlich Satz 2 noch hinsichtlich der Sätze 4 und 7. Satz 2 und Satz 7 des Landes-Raumordnungsprogrammes werden im CIMA-Gutachten angesprochen (S. 34). Danach ist eine Unvereinbarkeit des Möbelmarktes in der Funktion der beiden Städte Lohne und Vechta jeweils als Mittelzentrum nicht feststellbar. Ein leistungsfähiges Möbelhaus "passt" insbesondere in die vorgesehene Zentralitätsfunktion der Stadt Vechta. Für eine nicht hinnehmbare Gefährdung von ausgeglichenen Versorgungsstrukturen im Bereich der Antragstellerin ist nichts ersichtlich. Das CIMA-Gutachten vom 14. November 2006 bestätigt dies für den Möbel-Bereich sogar unter der Voraussetzung, dass weitere 6.200 qm Verkaufsfläche allein für Möbel hinzukommen.
Der 1. Änderung des Bebauungsplanes steht aber - wie oben bereits angeführt - der in C 1.6 03 aufgenommene Leitsatz10 des Landes-Raumordnungsprogrammes 2002 entgegen. Die beantragte einstweilige Anordnung ist daher "aus anderen wichtigen Gründen i.S. des § 47 Abs. 6 VwGO dringend geboten. Derartige andere wichtige Gründe sind dann gegeben, wenn der Normenkontrollantrag mit großer Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird. So liegt der Fall hier. Die Unvereinbarkeit der Planungen der Antragsgegnerin mit dem im Leitsatz 10 aufgenommenen Ziel der Raumordnung folgt daraus, dass dieses "Ziel" nicht im Rahmen der Abwägung von der planenden Gemeinde überwunden werden kann. Die planende Gemeinde trifft vielmehr die Anpassungspflicht des § 1 Abs. 4 BauGB. Die 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 101 lässt zu den bereits vorhandenen 1.000 qm für zentrenrelevante Sortimente weitere 700 qm hinzukommen. Dies ist in der von der Antragsgegnerin praktizierten Vorgehensweise raumordnungswidrig (zu diesem Gesichtspunkt umfassend die vier DOC-Soltau-Urteile des Senats vom 1.9.2005 - 1 LC 107/05 -, - 1 KN 108 bis 110/05 -; ersteres Urteil veröffentlicht in ZfBR 2005, 809 = NordÖR 2006, 70 = NdsRpfl 2006, 65 (Leitsatz) = BRS 69 Nr. 6). Der Antragsgegnerin verbleibt die Möglichkeit, diesen Mangel im Rahmen einer Änderung der 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 101 Rechnung zu tragen oder aber ein Zielabweichungsverfahren entsprechend § 17 NROG durchzuführen (die letztere Fallgestaltung lag dem Urteil des Senats vom 14.6.2006 - 1 KN 155/05 -, V.n.b., zugrunde).
Anzumerken bleibt, dass sich die rechtliche Beurteilung entgegen der offensichtlich von der Antragsgegnerin vertretenen Auffassung nicht an der neu hinzukommenden Verkaufsfläche von 700 m² auszurichten hat. Es entspricht der - soweit ersichtlich, ständigen Rechtsprechung nicht nur des Bundesverwaltungsgerichts -, dass bei nicht selbständig abtrennbaren Erweiterungen von Betrieben bzw. Betriebsteilen nicht nur die Erweiterungsbaumaßnahme für sich, also isoliert, zu betrachten ist (BVerwG, Beschl. v. 29.11.2005 - 4 B 72.05 - ZfBR 2006, 167 = BauR 2006, 484 = NVwZ 2006, 340 = DVBl 2006, 462). Bei der Änderung einer baulichen Anlage muss vielmehr das Gesamtvorhaben in seiner durch die Erweiterung geänderten Gestalt geprüft werden; das vom Bauherrn angestrebte Ergebnis der Baumaßnahme muss den zu prüfenden bauplanungs- bzw. raumordnungsrechtlichen Vorschriften entsprechen. Dies gilt namentlich für die Erweiterung von großflächigen Einzelhandelsbetrieben, die z.B. in einer bestimmten Größenordnung noch städtebaulich nicht zu beanstanden, ja sogar gewünscht sind und erst bei Hinzutreten von Erweiterungsbaumaßnahmen den Grad einer aus städtebaulicher Sicht bedenklichen Größenordnung erreichen. Dies verdeutlicht nicht nur der Blick auf § 11 Abs. 3 Satz 3 und Satz 4 BauNVO mit der maßgeblichen Festlegung der Geschossschwellengrenze von 1.200 m², sondern auch im Rahmen der insoweit gleich zu bewertenden Vorschriften des Landes-Raumordnungsprogrammes 2002 über den großflächigen Einzelhandel, hier mit Leitsatz 10 und der darin aufgenommenen Festsetzung von "maximal" 700 m² Verkaufsfläche.
Abschließend weist der Senat darauf hin, dass der Antragsgegnerin für den Fall, dass sie den zur Unwirksamkeit der 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 101 führenden Mangel beheben sollte, die Möglichkeit zur Einleitung eines Abänderungsverfahrens eröffnet ist (Kopp/Schenke, VwGO, Komm., 14. Aufl. 2005, § 47 Rdnr. 159).