Sozialgericht Aurich
Urt. v. 14.01.2011, Az.: S 13 SO 19/07
Anspruch eines zu 100 Prozent Schwerbehinderten auf Leistungen für Unterkunft und Heizung
Bibliographie
- Gericht
- SG Aurich
- Datum
- 14.01.2011
- Aktenzeichen
- S 13 SO 19/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 43389
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGAURIC:2011:0114.S13SO19.07.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- LSG Niedersachsen-Bremen - AZ: L 8 SO 41/11
Rechtsgrundlagen
- § 17 SGB XII
- § 29 SGB XII
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 05.011.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2007 wird insoweit aufgehoben, als dem Kläger monatlich 300,00 EUR an Leistungen nach dem SGB XII für die Kosten der Unterkunft und Heizung nachgezahlt werden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte trägt 10 % der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Die Klage wurde zunächst durch den jetzigen Kläger als Kläger zu 2. und seine Mutter, Frau G., als Klägerin zu 1. erhoben. Die vormalige Klägerin zu 1. verstarb am H ... Der Kläger ist im Jahre I. geboren und wohnt im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Es bezieht seit dem 16.06.2006 vom Beklagten laufende Leistungen der Grundsicherung für Erwerbsgeminderte nach dem Sozialgesetzbuch 12. Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).
Zwischen den Beteiligten besteht Streit über die dem Kläger rechtmäßigerweise zu bewilligenden Leistungen für Unterkunft und Heizung im Sinne des § 29 SGB XII.
Der Kläger ist schwerbehindert mit einem GdB von 100 und pflegebedürftig. Er wohnte im streitgegenständlichen Zeitraum gemeinsam mit seiner Mutter, der verstorbenen Klägerin zu 1., in einem Haus, welches im Eigentum seines Bruders stand. Dem Kläger war mit notariellem Vertrag vom 07.04.1972 ein Wohnrecht eingeräumt worden in § 4 Nr. 5 des Vertrages. Diese Regelung hatte folgenden Wortlaut:
"Der Sohn J. der Übertragenden wird während der Lebenszeit seiner Eltern bei diesen wohnen und leben. Nach dem Tode der Eltern und der Beendigung von deren Wohnrecht hat K. seinem Bruder J. ein wohnrecht in den beiden links vom Eingang gelegenen Räumen einzuräumen und ihm gegen angemessenes und übliches Entgelt Kost zu gewähren. Sobald das Wohnrecht von L. endet, erhält J. die Räume, welche diese zur Zeit innehat. Die Eintragung dieses Wohnrechtes von M. kann jederzeit verlangt werden. Es soll auf alle Fälle dann erfolgen, wenn das Wohnrecht von L. gelöscht wird."
Eine Eintragung des Wohnrechtes des Klägers erfolgte nicht.
Zum 01.04.2006 schloss der Kläger mit seinem Bruder einen Mietvertrag betreffs der Räumlichkeiten in dem Haus, welches mit Vertrag vom 07.04.1972 übertragen worden war. Ausweislich des Mietvertrages sollte der Kläger eine Gesamtmiete von monatlich 400,- Euro zahlen. In diesen Betrag waren Nebenkosten von insgesamt 50,- Euro pauschal enthalten, wovon 20,- Euro für Strom angesetzt waren. Hintergrund des Abschlusses des Mietvertrages war nach Auskunft des Klägers die Tatsache, dass der Hauseigentümer, sein Bruder, "finanziell in Schieflage geraten war". Gegenstand des Verfahrens ist ein Bescheid des Beklagten vom 05.11.2006, mit dem der Antrag des Klägers vom 26.06.2006 so beschieden wurde, dass Leistungen für die Zeit vom 01.06.2006 bis 31.03.2007 ohne Anerkennung von Kosten der Unterkunft und Heizung bewilligt wurden. Der Widerspruch des Klägers gerichtet auf Bewilligung von Kosten der Unterkunft und Heizung wurde mit Widerspruchsbescheid vom 04.04.2007 abschlägig beschieden.
Der Kläger ist der Auffassung, dass die vormalige Klägerin zu 1. weiter Leistungen vom Beklagten beanspruchen könne, da sie ihre Ansprüche an den Vermieter abgetreten habe. Bezüglich seiner eigenen Ansprüche vertritt er die Auffassung, dass er die Miete in voller Höhe vom Beklagten beanspruchen könne. Er sei der ernsthaften Mietforderung des Bruders ausgesetzt gewesen. Er habe diese Miete auch laufend bezahlt. Nachweise hierzu könne er eventuell vorlegen.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung der Bescheide des Beklagten vom 05.11.2006 und vom 19.06.2006 sowie der Widerspruchsbescheide des Beklagten vom 04.04.2007, beide zugestellt am 10.04.2007 den Beklagten zu verurteilen, den Klägern Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII unter Berücksichtigung der Unterkunftskosten sowie Heizkosten zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass dem Kläger keinerlei Kosten der Unterkunft und Heizung entstanden seien, dies begründet er damit, dass der Eigentümer in Zeiträumen zuvor bereits seit langen Jahren auf die Erstattung jeglicher Unterkunftskosten verzichtet habe. Der Eigentümer habe auch die Verbrauchskosten der Immobilie laufend getragen. Ein Anspruch der Klägerin zu 1. scheide nach ihrem versterben gemäß § 17 SGB XII aus.
Gegenstand der Entscheidungsfindung waren die durch den Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten, der Vortrag der Beteiligten und der Inhalt der mündlichen Verhandlung vom 14.01.2011.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage des Klägers ist nur im tenorierten Umfange begründet.
I.
Ein Anspruch der vormaligen Klägerin zu 1. scheidet schon aus dem Grunde aus, dass sie im April 2010 verstorben ist.
Eine Übertragung des potenziellen Anspruchs gegen den Beklagten auf den verbleibenden Kläger wird nicht vorgetragen. Es wird vorgetragen, dass die potentiellen Ansprüche auf "den Vermieter", also vermutlich dem Bruder des Klägers, übertragen worden seien. Hierzu hat das Gericht keine weiteren Ermittlungen angestellt, da gemäß der Regelung des § 17 SGB XII Ansprüche auf Sozialhilfeleistungen unabhängig von dem Empfänger nicht übertragbar sind. Außerdem wäre der jetzige Kläger in jedem Fall nicht aktiv legitimiert zur Geltendmachung der Leistungen.
II.
Der Kläger kann im Grundsatz als erwerbsunfähiger volljähriger Mensch Leistungen der Grundsicherung für Erwerbsgeminderte gemäß dem 4. Kapitel des SGB XII vom Beklagten beanspruchen. Neben den hier unstreitigen Leistungen der Regelleistungen im Sinne des § 28 SGB XII kann der Kläger auch rechtmäßigerweise im tenorierten Umfange Leistungen der Unterkunft und Heizung vom Beklagten beanspruchen. Weitergehende Unterkunftskosten kann der Kläger jedoch nicht beanspruchen.
1. Bezüglich der geltend gemachten Mietzinsforderung ist der Kläger nicht einer ernsthaften Forderung im Sinne des § 29 SGB XII ausgesetzt.
Nach § 29 Abs. 1 S. 1 werden Leistungen für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht. Tatsächliche Aufwendungen im diesen Sinne für eine Wohnung liegen nicht nur dann vor, wenn der Hilfsbedürftige die Miete bereits gezahlt hat und nunmehr die Erstattung verlangt. Es reicht aus, dass der Hilfebedürftige im jeweiligen Leistungszeitraum einer wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt ist (BSG vom 03.03.2009, Az.:B 4 AS 37/08 R).
Die Tatsache, dass der Vermieter bezüglich der Geltendmachung seiner Mietforderungen auf gerichtlichem Wege Zurückhaltung an den Tag legt, kann ebenfalls nicht dazu führen, dass keine Aufwendungen für die Kosten der Unterkunft angesetzt werden können. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes auf dem Gebiet des SGB II ist bezüglich eines Mietverhältnisses zwischen Verwandten nicht erforderlich, dass dieses Mietverhältnis den Grundsetzen des sogenannten Fremdvergleiches aus der finanzgerichtlichen Rechtsprechung stand hält. Entscheidend ist allein die Ernsthaftigkeit der Mietzinsforderung (BSG vom 07.05.2009, Az.: B 14 AS 31/07 R; BSG vom 03.03.2009, Az.:B 4 AS 37/08 R). Hierbei ist auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen. Entscheidend ist, dass bei Nichtzahlung der Miete regelmäßig Kündigung und Räumung der Unterkunft droht. Der Zweck der Regelung über die Erstattung der Kosten für die Unterkunft ist es, existenzielle Notlagen zu beseitigen und den Eintritt von Wohnungslosigkeit zu verhindern. Zu diesem Zwecke müssen auch diejenigen Mietzinsforderungen ernsthafter Art in die Berechnung einbezogen werden, die einem förmlichen Fremdvergleich im Sinne des Steuerrechts nicht standhalten würden. Nach Auffassung der Kammer ist entscheidend auf die Frage abzustellen, ob eine existenzielle Notlage droht. Diese besteht jedoch bezüglich des Mietvertrages des Klägers mit seinem Bruder vom 01.04.2006 nicht. Bezüglich des Klägers drohte bei Nichtzahlung der laufenden Mietzinsforderung keine Wohnungslosigkeit. Selbst wenn die Miete nicht gezahlt würde, hätte der Kläger weiter aufgrund seines Wohnrechtes nach dem Kaufvertrag aus dem Jahre 1972 das Recht, die dort bezeichneten Räume zu bewohnen und konnte nicht obdachlos werden. Eine Räumungsdurchsetzung durch den Vermieter war aufgrund des Wohnrechts aus rechtlichen Gründen unmöglich.
2. Bezüglich der Nebenkosten in Höhe von 50,- Euro gilt, dass die darin enthaltenden 20,- Euro für die Belieferung mit Strom durch den Vermieter nicht übernahmefähig sind, da die Belieferung mit Haushaltsenergie Inhalt des Regelsatzes im Sinne des § 28 SGB XII ist. Eine nochmalige Übernahme als Kosten der Unterkunft nach § 29 SGB XII kommt nicht in Betracht.
3. Bezüglich der weiteren festen Nebenkosten der Wohnung für Heizung und Wasser geht die Kammer von einer ernsthaften Forderung auf dem Gebiet der Kosten der Unterkunft durch den Vermieter aus. Sofern der Kläger diese Forderungen nicht begleicht, hat der Vermieter zwar nicht die Berechtigung, den Kläger der Wohnung zu verweisen, aber er kann wegen fehlender Zahlung der entsprechenden Kosten die Belieferung mit Strom und Wasser einstellen. Das im notariellen Vertrag aus dem Jahre 1972 eingeräumte Wohnrecht bietet für den Kläger keine Berechtigung zum kostenlosen Bezug von Heizenergie und Wasser. Es umfasst ausdrücklich alleine die Berechtigung, die entsprechenden Räume zu bewohnen. Eine Regelung bezüglich der Nebenkosten/Verbrauchskosten des Bewohnens ist nicht getroffen, sodass die allgemeinen zivilgerichtlichen Gründsätze gelten müssen. Diese besagen, dass diejenigen die Verbrauchskosten zu bestreiten hat, der die entsprechenden Leistungen in Anspruch nimmt. Dies wäre der Kläger.
Eine Berechtigung des Klägers zum kostenfreien Bezug der Nebenleistungen ergibt sich auch nicht aus den ersten Absatz der Ziffer 5 des Übertragungsvertrages von 1972. Auch das zunächst bestehende abgeleitete Wohnrecht von seinen Eltern umfasst nicht die festen und laufenden Nebenkosten. Das in Ziffer 4 des Vertrages geregelte Wohn- und Altenteilsrecht der Eltern des Klägers beinhaltet ebenfalls keine Übernahme der laufenden Kosten durch den Vermieter/ Eigentümer der Immobilie.
Die Einstellung der Belieferung mit Heizenergie und Wasser führt zwar nicht zu einer tatsächlichen Obdachlosigkeit. Der Kläger könnte weiter in der (kalten) Wohnung verbleiben. Jedoch besteht einhellige Rechtsprechung, dass die Einstellung der Belieferung mit Heizenergie faktisch einer Obdachlosigkeit gleichzustellen ist (vgl. nur LSG Nds. vom 19.04.2007 L 8 AS 237707 ER; LSG Nds. vom 9.6.2010 L 13 AS 147/10 B ER m.w.N.)
Bezüglich der Höhe der durch den Vermieter angesetzten Nebenkosten in Höhe von 30,- Euro pro Monat entspricht dieser Ansatz auch dem Grundsatz, dass Nebenkosten/Wohnkosten kopfanteilig zwischen den Bewohnern aufzuteilen sind (BSG vom 23.11.2006, Az.: B 11b AS 1/06 R; BSG vom 18.06.2008, Az.: B 14/11b AS 61/06 R; BSG vom 18.02.2010, Az.: B 14 AS 73/08 R jeweils m. w. N.). Der Kläger wie auch seine Mutter hatten in der Zeit des Bewohnens der Wohnung jeweils die gleichen Nebenkosten in Höhe von 30,- Euro monatlich zu bestreiten, wie sich aus dem auch von der Mutter des Klägers abgeschlossenen Mietvertrag ergibt. Nur für den Fall, dass ein kollusives Zusammenwirken zwischen Vermieter und Mieter bezüglich der Höhe der Nebenkosten besteht, könnte von einer durch den Beklagten vorzunehmenden Absenkung der entsprechenden Zahlung auszugehen sein (vgl. BSG vom 22.03.2010, Az.: B 8 SO 24/08 R). Hierfür bestehen aber keine Anhaltspunkte, da Nebenkosten von 60,- Euro für eine Immobilie der Größe, die von dem Kläger und seiner Mutter bewohnt wurde, nicht als überhöht angesehen werden können. Im Übrigen sind Nebenkosten entsprechend der vertraglichen Abrede mit dem Vermieter vorrangig gegenüber den tatsächlich entstehenden Nebenkosten zu übernehmen (vgl. BSG a. a. O.). Der Vertrag regelt im Verhältnis Vermieter zu Mieter gerade eine Abweichung von der Übernahme der tatsächlichen Kosten, was im Rahmen der Vertragsfreiheit den Parteien freigestellt ist. Jedenfalls im Rahmen der oben angeführten Grenzen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Der Kläger ist in Bezug auf die für die verstorbene Mutter des Klägers geltend gemachten Ansprüche im vollen Umfange unterlegen. Bezüglich der von ihm geltend gemachten Kosten der Unterkunft und Heizung ist er in Höhe von etwa 90 % unterlegen, sodass eine Kostenquote von mehr als null und weniger als zehn Prozent rechnerisch anzusetzen wäre. Da eine Rundung durch das Gericht vorzunehmen ist, ist von der angesetzten Quote auszugehen. Eine Vernachlässigung der Obsiegensquote erscheint dem erkennenden Gericht dem Verfahrensausgang nicht angemessen.
IV.
Das Gericht hat die Berufung für den Beklagten nicht zugelassen, da für die Beschwer des Beklagten der Berufungswert des § 144 Abs. 1 SGG nicht erreicht ist. Nach Auffassung der erkennenden Kammer liegt auch keiner der Zulassungsgründe des § 144 Abs. 2 SGG vor.
Für den Kläger ist die Berufungssumme des § 144 Abs. 1 SGG erreicht, so dass die Berufung für ihn zulässig ist.