Sozialgericht Aurich
Urt. v. 17.05.2011, Az.: S 32 R 183/10

Bibliographie

Gericht
SG Aurich
Datum
17.05.2011
Aktenzeichen
S 32 R 183/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 45154
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

§ 120 b SGB VI ist auch bei Rentensplitting nach § 120 a Abs. 3 Nr. 3 SGB VI anwendbar.

Tenor:

Der Bescheid vom 05.02.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2010 wird insoweit aufgehoben, als die Beklagte verpflichtet wird, die Erziehungsrente ab dem 01.12.2009 ohne Abzug von Entgeltpunkten aus dem Rentensplitting zu leisten.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe einer der Klägerin zustehenden Erziehungsrente. Streitig ist die Frage, ob ein Abschlag auf die Rentenhöhe aufgrund des Rentensplittings vorzunehmen ist.

Die verwitwete Klägerin ist im Jahre 1966 geboren und Mutter dreier Kinder, die in den Jahren 1990, 1991 und 1998 geboren sind. Der Ehegatte der Klägerin ist am 17.12.2008 gestorben. Unter dem 22.09.2009 beantragte die Klägerin die Durchführung des Rentensplittings unter Ehegatten nach § 120a Abs. 3 Nr. 3 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuch - gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) bei der Beklagten. Daraufhin wurde unter dem 14.10.2009 der Rentensplittingbescheid erteilt, der rechtskräftig geworden ist. Zugleich mit dem Antrag auf Durchführung des Rentensplittings stellte die Klägerin einen Antrag nach § 120b SGB VI auf Unterlassung der Kürzung ihrer Rente aufgrund des Rentensplittings.

Mit Schreiben vom 12.01.2010 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ihrer Ansicht nach § 120b SGB VI nicht auf die Klägerin anwendbar sei. Zugleich fragte sie an, ob vor diesem Hintergrund die Klägerin von der Splittingerklärung Abstand nehmen wolle. Dann könne die bisherige Witwenrente wieder angewiesen werden. Am 28.01.2010 erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten in der Beratungsstelle G., dass sie keine Aufhebung des Rentensplittings wünsche, sondern die Auszahlung der Erziehungsrente.

Mit hier streitigem Bescheid vom 05.02.2010 wurde dann die Erziehungsrente unter Einrechnung eines Abschlages aufgrund des Rentensplittings in Höhe von 10,6371 Entgeltpunkten bewilligt. Die Rente wurde in Höhe von 1.011,34 € (Auszahlungsbetrag 911,73 €) bewilligt. Eine Witwenrente bezieht sie seitdem nicht mehr. Die Minderung aufgrund des Splittings, der Übertragung der Punkte der Klägerin auf ihren verstorbenen Ehegatten, ergab eine Reduktion von nach Auskunft der Beklagten ca. 290,-- Euro monatlich.

Der Widerspruch der Klägerin gegen diesen Bescheid in Bezug auf den Abzug von Entgeltpunkten wegen des Rentensplittings wurde durch die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 03.05.2010 als unbegründet zurückgewiesen.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Regelung des § 120b SGB VI auf sie anwendbar sei, da sie unter dem Wortlaut der Regelung falle. Eine einschränkende Auslegung des § 120b SGB VI sei nicht möglich.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 05.02.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2010 insoweit aufzuheben als die Beklagte verpflichtet ist, die Erziehungsrente ab dem 01.12.2009 ohne Abzug von Entgeltpunkten aus einem Rentensplitting zu leisten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass § 120b SGB VI nicht in den Fällen gelte, in denen ein Rentensplitting vom überlebenden Ehegatten gemäß § 120a Abs. 3 Nr. 3 SGB VI durchgeführt sei. § 120b SGB VI stellte eine Härtefallregelung dar, die nicht in Fällen eines Splittings nach § 120a Abs. 3 Nr. 3 SGB VI anwendbar sei. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift müsse die Anwendung in einem Fall wie demjenigen der Klägerin eingeschränkt werden.

Gegenstand der Entscheidungsfindung war die Verwaltungsakte, die Gerichtsakte und der Inhalt der mündlichen Verhandlung vom 17.05.2011. Bezüglich des genauen Inhalts der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Abzug von Entgeltpunkten aufgrund des Rentensplittings im streitigen Bescheid vom 05.02.2010 stellt sich im Fall der Klägerin als rechtswidrig dar. Die erkennende Kammer vermag der Ansicht der Beklagten, dass § 120b SGB VI einzuschränken sei für den Fall der Klägerin, nicht zu folgen.

Der Klägerin ist eine Erziehungsrente gemäß § 47 Abs. 3 SGB VI ohne Abzug von Entgeltpunkten aus einem Rentensplitting zu leisten. Dies ergibt sich aus § 120b SGB VI, der auch auf den Fall der Klägerin anwendbar ist.

Die Anspruchsvoraussetzungen des § 47 Abs. 3 SGB VI für den Bezug einer Erziehungsrente liegen im Fall der Klägerin vor. Sie erzieht ein Kind, hat nicht wieder geheiratet und hat die allgemeine Wartezeit bis zum Tod des Ehegatten erfüllt.

Der Ehegatte ist am 17.12.2008 gestorben. Sie hat einen Antrag auf Bewilligung einer Erziehungsrente gestellt und ebenso ist das als Anspruchsvoraussetzung bestehende Rentensplitting durchgeführt worden. Das Rentensplitting ist gemäß § 120a Abs. 3 Nr. 3 SGB VI rechtmäßigerweise durch die Beklagte mit Bescheid vom 14.10.2009 durchgeführt worden.

Eine Kürzung der Rente der Klägerin wegen des Splittings scheidet gemäß § 120b Abs. 1 SGB VI aus.

Die Klägerin hat als Antragsberechtigte gemäß § 120b Abs. 2 SGB VI den erforderlichen Antrag an die Beklagte gestellt. Die Voraussetzungen des § 120b Abs. 1 SGB VI liegen vor. Der Ehegatte der Klägerin ist verstorben und ihm sind aus dem Rentensplitting unter den Ehegatten nicht länger als 36  Monate Rentenleistungen erbracht worden. Dem Ehegatten wurden gar keine Rentenleistungen erbracht.

Die von der Beklagten vorgebrachten Einwände gegen eine Anwendung des § 120b SGB VI im Fall der Klägerin vermögen nicht durchzugreifen.

Das Gericht stellt fest, dass eine über den Wortlaut hinausgehende einschränkende Auslegung des § 120b SGB VI auch für den Fall der Erklärung des Rentensplittings durch einen Ehegatten alleine nach Versterben des anderen Ehegatten nicht angezeigt ist. Der Gesetzgeber hat die Anwendung des § 120b SGB VI nicht auf einen bestimmten Fall des Rentensplittings beschränkt. Dies hat er (vermutlich) in Kenntnis einer eventuell von der Beklagten gesehenen Problematik getan. Er hat ausdrücklich durch eine Neuregelung im Jahre 2009 eine Vereinfachung des Gesetzes beabsichtigt und auch erzielt. Eine Einschränkung der Anwendung wurde zum 01.09.2009 in der Gestalt einführt, dass ein Antragserfordernis in § 120b Abs. 2 SGB VI eingefügt wurde. Diese Regelung sollte die Anwendung des § 120b SGB VI einschränken zu Gunsten der Versichertengemeinschaft/ zu Gunsten der Beklagten. Da der Gesetzgeber diesen Weg der Einschränkung gewählt hat, kann das Gericht nicht im Wege der Auslegung nach dem Sinn und Zweck der Norm eine weitere Einschränkung einführen, ohne sich über den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers hinwegzusetzen. Auch das weitere Argument der Beklagten, dass kein Härtefall im Sinne des § 120b SGB VI vorliegen kann bei Bezug einer Erziehungsrente, da das Splitting die gesetzliche Voraussetzung des Bezugs dieser Rente ist, vermag nach Auffassung des Gerichts der Auslegung nach dem Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers wie auch der Historie der Norm nicht entgegenzustehen.

§ 120b SGB VI soll einen Härteausgleich normieren (so auch Silber in Reinhardt, SGB VI Kommentar, 2. Auflage 2010, § 120b Rn. 5). Die Beklagte ist der Auffassung, dass diese Härte im Fall der Klägerin - allgemein in Fällen, in denen der Ehegatte erst nach dem Tod des anderen Ehegatten das Rentensplitting beantragt - nicht bestehe. Die Beklagte stützt diese Ansicht darauf, dass der überlebende Ehegatte in diesem Fall des Rentensplittings genau wisse, was auf ihn zukomme. Dies könne keine Härte bedingen.

Zunächst einmal ist die Prämisse, dass der überlebende Ehegatte genau weiß, was auf ihn zukommt, im Fall der Klägerin wohl nicht zutreffend. Eine genaue Berechnung der unterschiedlichen Rentenhöhen zwischen Erziehungsrente, die nur für die Erziehungszeit gewährt wird und der ansonsten zu zahlenden Witwenrente war der Klägerin zum einen ohne präzise Auskunft der Beklagten nicht möglich. Des weiteren ist aber auch der Sachverhalt insoweit nicht eindeutig erkennbar, als dass im Vorfeld der Entscheidung über ein Rentensplitting eine Prognose wirtschaftlicher Art für die Zukunft zu treffen ist, die auf ungewissen Faktoren beruht. Es ist ungewiss, sowohl bezüglich einer Erziehungsrente als auch einer (alternativ zu beziehenden) Witwenrente, wie lange diese gezahlt werden können. Der Zahlungszeitraum hängt vom Eintritt ungewisser Faktoren ab. Die Klägerin muss bei der Prüfung, ob sie eine Erziehungsrente beantragt, für die Zukunft kalkulieren, ob sich für sie wirtschaftlich der Bezug der potentiell höheren Erziehungsrente für einen begrenzten Zeitraum lohnt im Vergleich zum Bezug einer niedrigeren Witwenrente über einen längeren Zeitraum. Da diese Prognose unter anderen von Erwerbstätigkeit der Klägerin und von eventueller Wiederverheiratung abhängt, kann eine solche Prognose niemals mit Sicherheit zu treffen sein.

Vor allem vermag die Argumentation der Beklagten auch aus dem Grund nicht zu überzeugen, dass der Gesetzgeber eine entsprechende Einschränkung ausdrücklich nicht vorgesehen hat. Dieser Aspekt wiegt umso schwerer, als dass der Gesetzgeber § 120b SGB VI erst zum 01.09.2009 geändert hat. Zu diesem Zeitpunkt kann von einer Kenntnis der Problematik, die die Beklagte sieht, ausgegangen werden. So war zumindest im rentenrechtlichen Schrifttum die Problematik bereits diskutiert worden (vgl. Dietmar Schmeiduch in amtliche Mitteilung LVA Rheinprovinz 2002 S. 1-27). Des weiteren hatten einige Tagungen der Rentenversicherungsträger stattgefunden, in denen die Problematik diskutiert worden war (vgl. Sitzung 1 aus 2003 der Renten- und Beitragsdezernenten der nord/westdeutschen Landesversicherungsanstalten, der Seekasse, der Bahnversicherungsanstalt, der Bundesknappschaft und der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte am 30.09. und 01.10.2003). Auch sahen die internen Verwaltungsanweisungen der Beklagten ausdrücklich vor, dass bei Herbeiführung eines Rentensplittings durch einen Ehegatten allein nach Versterben des anderen § 120b SGB VI anwendbar war.

Diese Verwaltungsanweisungen wurden erst kurz vor Antragstellung der Klägerin geändert. Im Rahmen der oben zitierten Besprechung aus dem Jahre 2003 war die Rentenversicherung im Übrigen selbst zu dem Ergebnis gelangt, dass § 120b SGB VI anwendbar sei. Dementsprechend hat der Gesetzgeber bei Änderung des § 120b SGB VI in Kenntnis der Problematik der Anwendung des § 120b SGB VI auf Fälle wie denjenigen der Klägerin gehandelt und zum 01.09.2009 ausdrücklich keine entsprechende Änderung des § 120b SGB VI durchgeführt.

Die Motivation des Gesetzgebers war bei Änderung zum 01.09.2009 die Vereinfachung der Anwendung (Gürtner in Kasseler Kommentar SGB VI, 68. Ergänzungslieferung 2010, § 120b Rn. 3; Bundestagsdrucksache 16/10144). Eine solche Vereinfachung nimmt nach Auffassung des Gerichts ausdrücklich in Kauf, dass im Wege einer Pauschalierung eventuell von Beteiligten als ungerecht empfundene Ergebnisse entstehen.

In diesem Zusammenhang ergibt sich als weiteres Argument gegen eine einschränkende Auslegung des § 120b SGB VI, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Änderung zum 01.09.2009 mit dem Antragserfordernis des § 120b Abs. 2 SGB VI eine gesetzliche Einschränkung der Anwendbarkeit eingeführt hat. Diese hat -nach Auffassung des Gesetzgebers- deutlich einschränkende Auswirkungen auf den Anwendungsbereich des § 120b SGB VI (vgl. Bundestagsdrucksache a.a.O.).

Entscheidend ist weiter, dass im Wege der Änderung des § 120b SGB VI der Vereinfachung nur insoweit Rechnung getragen wurde, als dass ein Antragserfordernis eingeführt wurde. Die zuvor von der Rentenversicherung angenommene Möglichkeit der Rückgängigmachung des Rentensplittings wurde vom Gesetzgeber ausdrücklich nicht in den Wortlaut aufgenommen. Zugleich hat er ebenso wenig eine Einschränkung auf bestimmte Fälle des Rentensplittings vorgenommen. In Bezugnahme auf die Änderung des Gesetzes ohne Anerkennung einer Möglichkeit der Rückgängigmachung sind auch die verwaltungsinternen Anweisungen der Rentenversicherung während des laufenden Antragsverfahrens der Klägerin geändert worden. Die von der Beklagten zunächst auch in diesem Verfahren vertretene Rechtsauffassung bezüglich einer Rücknahme des Splittings durch die Klägerin wird nicht mehr anerkannt. Dies entspricht auch dem Wortlaut des § 120b SGB VI. Zur früheren Fassung der Norm war die Möglichkeit der Rückgängigmachung eines Splittings von der Beklagten über den Wortlaut des zuvor gültigen § 120b SGB VI hinaus angenommen worden. Inwieweit die Änderung des Gesetzes zum 01.09.2009, die im Wortlaut der Norm diese Möglichkeit nicht anerkennt, dazu führen soll, dass zugleich die Anwendung auf bestimmte Fälle des Rentensplittings eingeschränkt werden muss, kann das Gericht nicht erkennen.

Im Schrifttum wird ebenfalls vertreten, dass § 120b SGB VI in der aktuellen Fassung nicht anwendbar auf den Fall des § 120a Abs. 3 Nr. 3 SGB VI sei. Dies wird damit begründet, dass der überlebende Ehegatte (zwingend) der Begünstigte des Splittings sei und kein Interesse an einer Einschränkung der Wirkung hätte (so Komm. GRV 68. El. 2009, § 120b Rn. 2).Hierbei handelt es sich jedoch um eine nicht generell gültige Prämisse. Die Kommentierung stellt alleine darauf ab, dass der Antrag auf Splitting nur vom Begünstigten gestellt werde, diese Annahme trifft jedoch nicht zu. Der überlebende Ehegatte kann auch benachteiligt im Rahmen des Rentensplittings sein, da er dieses durchführen muss, um eine Erziehungsrente zu erlangen. (siehe diesen Fall) Die Stellung als begünstigt oder benachteiligt hat für die Möglichkeit der Erlangung einer Erziehungsrente nach § 47 SGB VI keine Auswirkung. Und selbst wenn obiges außer Acht gelassen würde, so würde es sich nur um eine zwingende tatsächliche Einschränkung der Anwendung des § 120b SGB VI handeln. Sicherlich stellt der überlebende Begünstigte des Splittings keinen Antrag nach § 120b Abs. 2 SGB VI mit dem Ziel, selbst eine geringere Rente zu erzielen. Bei Gültigkeit der Prämisse wäre eine einschränkende Auslegung des § 120b SGB VI ebenfalls nicht erforderlich, da schon aus rein tatsächlichen Gegebenheiten er niemals zur Anwendung käme.

Da die Klägerin den nach § 120b Abs. 2 SGB VI erforderlichen Antrag auf Unterlassen der Kürzung des Rentenbezuges aufgrund des Splittings gestellt hat und die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen (siehe oben) vorliegen, war der Bescheid vom 05.02.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2010 insoweit aufzuheben, als dass die Beklagte eine Kürzung der Rente aufgrund des Rentensplittings vorgenommen hat.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da die Klägerin mit ihrem Begehren im vollen Umfange obsiegt hat.

Die Berufung ist gemäß § 144 SGG zulässig. Der Streitwert des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG ist erreicht und zugleich betrifft die Entscheidung laufende Leistungen für mehr als ein Jahr.