Sozialgericht Aurich
Urt. v. 23.06.2011, Az.: S 15 AS 342/09
Einstufung eines Grundstücks als zu berücksichtigendes Vermögen bzw. als ein sog. Schonvermögen im Rahmen eines Rechtsstreits über die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II als Zuschuss
Bibliographie
- Gericht
- SG Aurich
- Datum
- 23.06.2011
- Aktenzeichen
- S 15 AS 342/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 43401
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGAURIC:2011:0623.S15AS342.09.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- LSG Niedersachsen-Bremen - AZ: L 13 AS 224/11
Rechtsgrundlagen
- § 12 Abs. 1 SGB II
- § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II
Tenor:
- 1.
Der Bescheid des Beklagten vom 29.08.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2009 wird aufgehoben.
- 2.
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die im Zeitraum 01.07.2007 bis 31.12.2007 darlehensweise gewährten Leistungen als Zuschuss zu bewilligen.
- 3.
Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten und dem Land Niedersachsen die Kosten für das Sachverständigengutachten des Gutachterausschusses beim GLL zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist, ob dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II als Zuschuss zu gewähren sind.
Der Kläger steht seit dem 01.01.2005 bei dem Beklagten im Leistungsbezug. Nach dem der Beklagte ihm mit mehreren Bescheiden zunächst entsprechende Leistungen bis einschließlich 30.06.2007 als Zuschuss gewährt hatte, lehnte er den Folgeantrag des Klägers vom 21.05.2007 mit Bescheid vom 29.08.2007 ab und führte zur Begründung aus, der Kläger verfüge über ein als Vermögen zu berücksichtigendes Haus, das vorrangig zu verwerten sei.
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks "G. " in der Gemarkung H., I ... Bei dem Grundstück handelt es sich um ein 4.250 qm großes Objekt, das mit einem Zweifamilienwohnhaus sowie mehreren Nebengebäuden bebaut ist. Die Wohn- und Nutzfläche beträgt 262 qm.
Im weiteren Verlauf bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 07.08.2008 für den Zeitraum 01.07. bis 31.12.2007 SGB II-Leistungen als Darlehen.
Der Kläger legte gegen die Ablehnung des Leistungsantrages Widerspruch ein, der nicht weiter begründet wurde. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19.02.2009 als unbegründet zurück und führte aus, dass es sich bei dem Hausgrundstück des Klägers nicht um sogenanntes Schonvermögen handele, da das Haus nicht von angemessener Größe sei. Lediglich aufgrund der Tatsache, dass derzeit eine Verwertung nicht möglich sei, seien Leistungen auf Darlehensbasis gewährt worden.
Mit der dagegen gerichteten Klage trägt der Kläger vor, er habe das Grundstück im Jahre 1994 im Wege der vorweggenommenen Erbfolge von seinen Eltern übertragen bekommen. Im Gegenzug habe er seinem schwerbehinderten Bruder J. sowie seinen Eltern ein lebenslanges Wohnrecht einzuräumen gehabt. Auch habe er zur Abfindung eines Erb- und Pflichtteilsanspruchs seinen Geschwistern insgesamt 26.000,- DM auszahlen müssen. Der Kläger ist der Auffassung, das Grundstück sei nicht verwertbar bzw. die Verwertung sei nicht zumutbar, insbesondere weil der Leistungsbezug nur bis 31.03.2008 angedauert habe, da der Kläger seit dem 01.04.2008 wieder erwerbstätig sei. Mittlerweile sei er infolge eines Arbeitsunfalls aber nicht mehr in der Lage seinen Beruf auszuüben, sei wiederum arbeitslos und beziehe derzeit Arbeitslosengeld I.
Aus dem in Kopie vorliegenden Übertragungsvertrag vom 01.07.1994 (Urkundenrolle Nr. K. des Notars L. in M.) ergeben sich die vom Kläger vorgetragenen Wohnrechte. Ferner heißt es dort unter Ziffer 2: "Der Erwerber verpflichtet sich hiermit, bei seinen Eltern in dem von ihm noch zu errichtenden Anbau wohnen zu bleiben, ihnen stets treu zur Seite zu stehen, sie zu hegen und zu pflegen, besonders in kranken Tagen und für ihre ärztliche Betreuung und für die Beschaffung der erforderlichen Arzneimittel zu sorgen. Im Falle der Gebrechlichkeit und Krankheit sind die Eltern so zu pflegen, wie es ihr Gesundheitszustand erfordert. Ferner verpflichtet sich der Erwerber, die von den Eltern im Hause "G." in H. bewohnten Räume zu reinigen und zu putzen, soweit sie hierzu aus Alters- bzw. Gesundheitsgründen nicht mehr in der Lage sind. Die vorstehende Pflegeverpflichtung entfällt, wenn die Eltern auf eigenen Wunsch oder aufgrund ärztlicher Anordnung in einem Altenheim, Pflegeheim oder Krankenhaus untergebracht werden.".
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 29.08.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum 01.07. bis 31.12.2007 zuschussweise an den Kläger zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat ein Gutachten des "Gutachterausschusses für Grundstückswerte" bei der Behörde für Geoinformation, Landentwicklung und Liegenschaften (GLL) in M. zum Wert und zur Verwertbarkeit des Grundstücks "G., Gemarkung H. in I." eingeholt. Danach sei das Objekt auch mit den Wohnungsrechten veräußerbar, allerdings unter Berücksichtigung erheblicher Abschläge. Der Verkehrswert belaufe sich unter Berücksichtigung der Wohnungsrechte auf 61.000,- Euro. Der Verkehrswert ohne Berücksichtung der Wohnungsrechte betrage 135.000,- Euro. Das Wohnrecht der Eltern wirke sich dabei mit einem Abschlag von 48.300,- Euro und das Wohnrecht des Bruders mit 25.368,- Euro aus. Bei der isolierten Betrachtung des Bodenwertes sei zu berücksichtigen, dass der östliche Teil, der mit dem Haus und den Nebengebäuden bebaut ist, als Bauland zu bewerten und mit 1.306 qm zu veranschlagen sei. Der Wert betrage 18,- Euro je Quadratmeter. Die übrigen 2.944 qm seien landwirtschaftliche Fläche und allenfalls mit 1,12 Euro je Quadratmeter zu bewerten.
Das Gericht hat ferner die Verwaltungsakten des Beklagten (N.) beigezogen und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Akten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, inhaltlich ist sie auch begründet.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der Kläger trotz des vorhandenen Grundbesitzes hilfebedürftig und hat damit einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II als Zuschuss. Zwar handelt es sich bei dem Hausgrundstück um Vermögen, das grundsätzlich verwertbar ist, da es kein Schonvermögen darstellt. Die Verwertung ist indes aufgrund der daraus resultierenden besonderen Härte nicht zumutbar.
Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II erhalten Personen, die u.a. erwerbsfähig und hilfebedürftig sind (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Person nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht (1) durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, (2) aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II).
Als Vermögen sind alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen (§ 12 Abs. 1 SGB II).
Der Begriff Vermögen wird in Gesetz selbst nicht definiert und ist nach dem Willen des Gesetzgebers (BT-Drucksache 15/1516, S. 53) in Anlehnung an die Rechtsprechung des BSG zum Recht der Arbeitslosenhilfe zu bestimmen (vgl. etwa BSG, U. v. 02.07.2009 -B 14 AS 33/08 R, SozR 4-4200 § 22 Nr. 25; U. v. 15.04.2008 -B 14/7b AS 52/06 R, NDV-RD 2008, 120). Danach ist Vermögen der Bestand an Sachen und Rechten in Geld oder Geldeswert, der dem Hilfebedürftigen oder einem sonstigen Einstandspflichtigen gehört (BSG, U. v. 11.02.1976 - 7 RAr 159/74, BSGE 41,187; U. v. 20.06.1978 - 7 RAr 47/77, BSGE 46, 271; U. v. 12.05.1993 - 7 RAr 56/92, BSGE 72, 248). Jedenfalls alle nach zivilrechtlichen Grundsätzen im Eigentum der jeweiligen Person stehenden Sachen (Mobilien und Immobilien) sowie Forderungen, Anwartschaften und sonstige Rechte, deren Inhaber der Betroffene ist, fallen unter den Vermögensbegriff. Maßgeblich ist dabei der Zeitpunkt der Antragstellung nach § 37 SGB II (BSG, U. vom 07.05.2009 - B 14 AS 4/08 R).
Das im Eigentum des Klägers stehende Hausgrundstück "G." in der Gemarkung H., I. ist grundsätzlich nicht von der Berücksichtigung als Vermögen ausgeschlossen.
Als Vermögen ist u. a. nicht zu berücksichtigen ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine entsprechende Eigentumswohnung (§ 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II). Bei dem Begriff der angemessenen Größe handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der in vollem Umfang der gerichtlichen Überprüfung unterliegt (vgl. BSG, U. v. 07.11.2006 - B 7b AS 2/05 R; U. v. 16.05.2007 - B 11b AS 37/06 R). Maßstab für die Ausfüllung des Begriffs der Angemessenheit sind die Grundsätze des bis zum 31.12.2001 gültigen zweiten Wohnungsbaugesetzes, nach dessen § 39 Abs. 1 Eigenheime mit einer Größe von 130 qm und Eigentumswohnungen mit einer Größe von 120 qm im Rahmen des öffentlichen Wohnungsbaurechts förderungsfähig und nach der ständigen Rechtsprechung des BSG damit vor der Verwertung geschütztes, sogenanntes Schonvermögen darstellen (BSG a.a.O.). Dabei geht das Gericht von einer Belegung mit 4 Personen aus und nimmt für jede Person mehr oder weniger Zuschläge oder Abzüge von 20 qm vor (vgl. BSG, U. v. 29.03.2007 - B 7b AS 12/06, in: NZS 2008, 100 [BSG 29.03.2007 - B 7b AS 12/06 R]). Welche Rolle die Grundstücksgröße bei der Frage der Angemessenheit spielt und ob insoweit ebenfalls feste Grenzwerte anzunehmen sind, ist vom Bundessozialgericht bislang nicht abschließend entschieden worden (vgl. U. v. 15.04.2008 -B 14/7b AS 34/06 R). Die Kammer brauchte sich mit dieser Rechtsfrage vorliegend nicht zu befassen, da bereits die Wohnfläche mit insgesamt ca. 262 qm, verteilt auf zwei Wohnungen, den Rahmen der Angemessenheit deutlich überschreitet. Das streitgegenständliche Grundstück ist daher nicht als Schonvermögen generell vor der Verwertung geschützt.
Der Vermögensgegenstand ist grundsätzlich auch verwertbar.
Vermögen ist verwertbar, wenn seine Gegenstände verbraucht, übertragen und belastet werden können, das BSG stellt insoweit auf die Möglichkeit des "Versilberns" ab (vgl. U. v. 27.01.2009 - B 14 AS 42/07 R; U. v. 06.05.2010 - B 14 AS 2/09 R). Die Verwertung muss für den Betroffenen einen Ertrag bringen, durch den er, wenn auch nur kurzzeitig, seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Gemäß § 12 Abs. 4 SGB II ist das Vermögen mit seinem Verkehrswert zu berücksichtigen, für die Bewertung ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem der Antrag auf Bewilligung oder erneute Bewilligung der Leistungen gestellt wird.
Tatsächlich nicht verwertbar sind dagegen Vermögensgegenstände, für die in absehbarer Zeit kein Käufer zu finden ist, wobei maßgebend für die Prognose im Regelfall der 6-monatige Bewilligungszeitraum des § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II ist (vgl. BSG a. a. O.). Für diesen Bewilligungszeitraum muss im Vorhinein eine Prognose getroffen werden, ob und welche Verwertungsmöglichkeiten bestehen, die geeignet sind Hilfebedürftigkeit abzuwenden. Ist in diesem 6-Monats-Zeitraum eine wie auch immer geartete Verwertung möglich, sind die Leistungen gemäß § 9 Abs. 4 i. V. m. 23 Abs. 5 SGB II als Darlehen zu gewähren.
Gem. § 9 Abs. 4 SGB II ist auch derjenige hilfebedürftig, dem der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder für den dies eine besondere Härte bedeuten würde. Soweit Hilfebedürftigen der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder für sie eine besondere Härte bedeuten würde, sind Leistungen als Darlehen zu erbringen (§ 23 Abs. 5 Satz 1 SGB II). Daraus lässt sich entnehmen, dass Vermögen, das nicht sofort, aber irgendwann während des sechsmonatigen Bewilligungszeitraums zu "Versilbern" ist, zu einer darlehensweisen Leistungsbewilligung führt. Ist die Verwertung dagegen auch innerhalb dieses sechsmonatigen Zeitraums nicht zu realisieren, ist die Leistung als Zuschuss zu bewilligen, da in absehbarer Zeit kein für den Lebensunterhalt verfügbarer Betrag zur Verfügung stehen wird.
Die Verwertbarkeit wird vorliegend insbesondere nicht dadurch ausgeschlossen, dass zugunsten der Eltern des Klägers sowie seines Bruders ein Wohnungsrecht gemäß § 193 BGB bewilligt und im Grundbuch eingetragen wurde.
Der vom Gericht beauftragte Gutachterausschuss für Grundstückswerte bei der GLL M. hat dazu ausgeführt, dass das Objekt auch mit den Wohnungsrechten veräußerbar sei, da sich die Wohnungsrechte nur auf die Wohnräume im Altbau bezögen und die Wohnung im Neubau frei nutzbar sei. Auf ergänzende Anfrage des Gerichts hat der Gutachterausschuss weiterhin ausgeführt, dass der Vermarktungszeitraum bei einem Zweifamilienhaus, welches mit einem Wohnungsrecht über eine Wohnung belastet ist, auf 6 bis 12 Monate geschätzt werde, während der übliche Vermarktungszeitraum bei einer Standardimmobilie ca. 3 bis 6 Monate betrage. Diese Zahlen beruhten auf einer Einschätzung der als Makler tätigen Mitglieder des Gutachterausschusses. Tatsächlich seien die Wohnobjekte in den letzten 4 Jahren lediglich bei 0,27 % der Verkaufsfälle mit einem Wohnungsrecht belastet gewesen.
Die Kammer folgt grundsätzlich dieser Einschätzung des Gutachterausschusses. Da derartige Objekte nur für eine ganz spezielle Käuferschicht interessant sein dürften, geht die Kammer des Weiteren davon aus, dass es sich bei dem genannten Zeitfenster um einen Mindestzeitraum handelt, die Verwertungsdauer jedenfalls nicht geringer einzuschätzen ist.
Aufgrund dieses Ergebnisses des Sachverständigengutachtens sind dem Kläger die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Bewilligungszeitraum 01.07. bis 31.12.2007 als Zuschuss und nicht lediglich als Darlehen zu erbringen, da das Vermögen in Form des Hausgrundstücks "G." in der Gemarkung H., I. nicht in absehbarer Zeit verwertbar ist. Ausgehend von einer Antragstellung am 21.05.2007 war nach diesen Feststellungen jedenfalls bis Ende November 2007 eine Verwertung durch Verkauf nicht möglich.
Auch unabhängig von dieser zeitlichen Komponente schließt das Hausgrundstück "G." in der Gemarkung H., I. die Hilfebedürftigkeit des Klägers nicht aus, da die Verwertung dieses Vermögensgegenstandes für den Kläger und seine Eltern sowie für seinen behinderten Bruder eine besondere Härte bedeuten würde.
Als Vermögen sind nicht zu berücksichtigen Sachen und Rechte, soweit ihre Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich ist oder für den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten würde (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II). Bei dem Begriff der besonderen Härte handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt (vgl. BSG, U. v. 08.02.2007 - B 7a AL 34/06 R; U. v. 07.05.2009 - B 14 AS 35/08 R). Dabei ist auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls abzustellen, wobei maßgeblich nur außergewöhnliche Umstände sind, die dem Betroffenen ein deutlich größeres Opfer abverlangen als eine einfache Härte und erst Recht als die mit der Vermögensverwertung stets verbundenen Einschnitte (vgl. BSG, U. v. 07.05.2009 - B 14 AS 35/08 R). Die Härtefallregelung erfasst atypische Fälle, bei denen aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls der Vermögenseinsatz die Betroffenen unbillig belasten und den im Gesetz zum Ausdruck gekommenen Leitvorstellungen des Gesetzgebers nicht gerecht würde (vgl. BSG zum SGB XII, U. v. 19.05.2009, B 8 SO 7/08 R; Bundesverwaltungsgericht zum BSHG, U. v. 26.01.1966 in BVerwGE 23, 149 ff). Eine besondere Härte kann sich nicht nur aus den wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Lebenssituation des Hilfebedürftigen, sondern auch aus den besonderen persönlichen Umständen ergeben, die mit einer Vermögensverwertung verbunden sind, wie etwa eine schwerwiegende familiäre Konfliktsituation (BSG, U. v. 06.05.2010, B 14 AS 2/09 R).
Die Eltern des Klägers haben diesem die streitgegenständliche Immobilie u. a. gegen Einräumung eines Wohnungsrechts zu ihren Gunsten sowie zugunsten des schwerbehinderten Bruders des Klägers übertragen. Ferner hat der Kläger im Übertragungsvertrag die Verpflichtung übernommen die Eltern zu betreuen, zu verpflegen und im Falle der Gebrechlichkeit und Krankheit entsprechend ihrem Gesundheitszustand zu pflegen und die Wohnung zu reinigen. Geschäftsgrundlage dieser Vereinbarung ist, so die ausdrückliche Regelung im Vertrag, dass der Kläger einen Anbau errichtet, dort eine Wohnung bezieht und wohnen bleibt. Diesen Anbau hat er unter Inanspruchnahme eines Darlehens mittlerweile auch errichtet.
Der Gutachterausschuss hat die von ihm angenommene Veräußerbarkeit des Objekts trotz der bestehenden Wohnungsrechte nunmehr in erster Linie daraus hergeleitet, dass ein evtl. Käufer als neuer Eigentümer die nicht mit Wohnungsrechten belastete Wohnung im Neubau selbst bewohnen könnte. Voraussetzung für eine Verwertung ist mithin ein Auszug des Klägers. Der Kläger wird durch einen Verkauf der Immobilie außerstande gesetzt seinen Verpflichtungen nachzukommen, er wird faktisch vertragsbrüchig; die von seinen Eltern angestrebte Regelung ihrer Altersversorgung bzw. ihres Lebensabends würde stark beeinträchtigt, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Dieses Ergebnis wäre in besonderem Maße unbillig, da die Übernahme der Betreuungs- und Pflegeverpflichtung durch den Kläger neben der Einräumung des Wohnrechts die maßgebliche Gegenleistung für die Übertragung der Immobilie gewesen ist. Dies ergibt sich daraus, dass der Kläger neben einer Abfindung seiner Geschwister für Erb- und Pflichtteilsansprüche in Höhe von 26.000,- DM (= 13.293,59 EUR) und Übernahme der grundschuldgesicherten Darlehensverbindlichkeiten, die sich ausweislich III.3 des Übertragungsvertrages seinerzeit auf 73.325,79 DM (= 37.490,88 EUR) beliefen, keine weitere Gegenleistung erbracht hat. Ohne Einräumung der mit der Übernahme einer Betreuungs- und Pflegeverpflichtung verbundenen Wohnrechte stünde die streitgegenständliche Immobilie mithin überhaupt nicht im Eigentum des Klägers. Der Kläger würde aufgrund dieser Umstände durch eine Verwertung der Immobilie deutlich stärker getroffen, als andere Immobilienbesitzer durch die mit der Veräußerung eines derartigen Objekts stets verbundenen Beeinträchtigungen.
Von besonderer Bedeutung bei der Wertung der vorliegenden Umstände als besondere Härte sowohl für den Kläger, als auch für seine Eltern waren weiterhin die im Gesetz ausdrücklich aufgeführten Leitvorstellungen des Gesetzgebers. Bereits im Allgemeinen Teil des Sozialgesetzbuches (SGB I) wird dazu ausgeführt: "Das Recht des Sozialgesetzbuches soll dazu beitragen, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, , die Familie zu schützen und zu fördern und besondere Belastungen des Lebens, auch durch Hilfe zur Selbsthilfe auszugleichen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 SGB I)". In § 1 SGB II hat der Gesetzgeber dies weiter spezifiziert und die Aufgaben und Ziele der Grundsicherung für Arbeitsuchende definiert. Dort heißt es u.a.: "Die Leistungen der Grundsicherung sind insbesondere darauf auszurichten, dass die familienspezifischen Lebensverhältnisse von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die Kinder erziehen oder pflegebedürftige Angehörige betreuen, berücksichtigt werden" (§ 1 Abs. 1 Satz 4 Nr. 4 SGB II). Bei diesen Regelungen in § 1 Abs. 1 Satz 2 SGB I und § 1 Abs. 1 Satz 4 Nr. 4 SGB II handelt es sich zwar lediglich um sog. Programmsätze, aus denen indes objektiv rechtliche Verpflichtungen erwachsen, u.a. sind sie zur Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe heranzuziehen (vgl. BSG, U. v. 06.09.2007 - B 14/7b AS 36/06 R; U. v. 30.09.2008 - B 4 AS 28/07 R; Groth, in: GK-SGB II § 1 Rdn. 5 ff.). Die Kammer verkennt dabei nicht, dass im Falle der Eltern des Klägers der Zustand der Pflegebedürftigkeit noch nicht eingetreten ist. Bei der gebotenen weiten Auslegung dieser Programmsätze ist jedoch auch die Schaffung der für eine spätere Pflege erforderlichen Struktur zu berücksichtigen. Auch darf nicht verkannt werden, dass der Kläger durch Übernahme entsprechender Verpflichtungen die Allgemeinheit entlastet. Diese Vorgehensweise ist insgesamt als schutzwürdig im Sinne der genannten Aufgaben und Ziele der Grundsicherung anzusehen.
Ob eine Verwertung darüber hinaus auch offensichtlich unwirtschaftlich wäre, lässt die Kammer ausdrücklich offen.
Auch eine andere Form der Verwertung, etwa durch Beleihung, kommt nach Überzeugung der Kammer vorliegend nicht in Betracht. Angesichts von Lage und Ausstattung der Immobilie sowie angesichts eines Wertes, der durch die Wohnrechte bereits um 54,6 % gemindert ist, dürfte sich bereits kein Kreditinstitut finden, dass dieses Objekt beleiht. Darüber hinaus wäre aber auch eine Verwertung durch Beleihung als besondere Härte anzusehen, da diese Verwertungsform den Kläger und seine Eltern in gleicher Weise treffen würde; denn aufgrund der einzutragenden Grundpfandrechte könnte das beleihende Kreditinstitut jederzeit die Zwangsvollstreckung betreiben und die Konstellation würde sich nicht anders darstellen als oben ausgeführt.
Die Kosten des GLL-Gutachtens sind von dem Beklagten zu übernehmen.
Das Gericht kann der Behörde ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass die Behörde erkennbare und notwendige Ermittlungen im Verwaltungsverfahren unterlassen hat, die im gerichtlichen Verfahren nachgeholt wurden (§ 192 Abs. 4 Satz 1 SGG).
Dem Beklagten war bereits im Verwaltungsverfahren bekannt, dass es sich um eine mit einem Wohnungsrecht belastete Immobilie handelte. Die Frage, ob derartige Immobilien überhaupt und wenn ja, zu welchen Bedingungen und in welchem Zeitraum verwertbar sind, lag daher auf der Hand. Die Notwendigkeit der Aufklärung dieser Tatsachen ergibt sich aus den obigen Ausführungen. Die Auferlegung der Kosten für das Sachverständigengutachten ist vor allem deshalb angezeigt, weil dem Land Niedersachsen durch die Ermittlung erhebliche Kosten entstanden sind, während der Beklagte dies erheblich kostengünstiger hätte ermitteln können (vgl. § 64 Abs. 2 Satz 1 SGB X).
Im Übrigen beruht die Kostenentscheidung auf § 193 SGG.