Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 08.04.2022, Az.: 14 LA 86/22

Abfindung; Aktualisierungsantrag; Ausbildungsförderung; Einkommen; Einmalzahlung; Rückforderung; Rückforderungsvorbehalt

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
08.04.2022
Aktenzeichen
14 LA 86/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59868
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 16.11.2020 - AZ: 4 A 161/19

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. § 24 Abs. 4 Satz 2 BAföG stellt für das Einkommen im Bewilligungszeitraum gerade nicht auf das konkret in den Kalendermonaten, die in den Bewilligungszeitraum fallen, erzielte Einkommen ab, sondern § 24 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 BAföG bestimmt ausdrücklich, dass als Monatseinkommen ein Zwölftel des jeweiligen Kalenderjahreseinkommens

2. Bei einem tatbestandlichen Zusammentreffen der Ansprüche aus § 20 Abs. 1 Nr. 4 BAföG und aus § 47a BAföG haften mangels abweichender Regelungen im Bundesausbil-dungsförderungsgesetz oder im Sozialgesetzbuch der Leistungsempfänger und die nach § 47a BAföG Verpflichteten nach den entsprechend anwendbaren §§ 421 ff. BGB als Gesamtschuldner.

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 4. Kammer (Einzelrichter) - vom 16. November 2020 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen eine Rückforderung von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) in Höhe von insgesamt 3.360,00 Euro.

Mit Bescheid vom 31. August 2016, aktualisiert durch Bescheid vom 30. September 2016, bewilligte das Studentenwerk D. -Stadt dem Kläger auf seinen Antrag auf Aktualisierung nach § 24 Abs. 3 BAföG eine monatliche Ausbildungsförderung in Höhe von 398,00 Euro für den Zeitraum von Oktober 2016 bis September 2017. Das Studentenwerk wies zugleich darauf hin, dass die Bewilligung unter dem Vorbehalt der Rückforderung erfolge (§ 24 Abs. 3 BAföG), da sich das Einkommen des Vaters des Klägers im Bewilligungszeitraum noch nicht abschließend feststellen lasse.

Auf die Aufforderung des E. -Stadt im März 2019, alle Einkommensnachweise für die Jahre 2016 und 2017 vorzulegen, teilte der Vater des Klägers u.a. mit, dass sein früherer Arbeitgeber ihm Ende November 2017 auf der Grundlage eines Vergleichsbeschlusses des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 11. Mai 2017 eine Sozialabfindung in Höhe von 37.000,00 Euro brutto gezahlt habe.

Mit Bescheid vom 14. Mai 2019 löste das F. -Stadt daraufhin den Vorbehalt hinsichtlich der Bewilligungsbescheide für den Bewilligungszeitraum von Oktober 2016 bis September 2017 auf und forderte insgesamt 3.360,00 Euro von dem Kläger als überbezahlte Ausbildungsförderung zurück. Dem Kläger habe nach der endgültigen Berechnung im Bewilligungszeitraum eine monatliche Ausbildungsförderung in Höhe von lediglich 118,00 Euro zugestanden. In einem Schreiben vom gleichen Tag teilte das Studentenwerk dem Kläger zudem mit, es sei festgestellt worden, dass sein Vater von der Rückforderung einen Betrag in Höhe von 1.120,00 Euro vorrangig zu erstatten habe.

Die gegen den Bescheid vom 14. Mai 2019 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Osnabrück mit Urteil vom 16. November 2020 abgewiesen. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass das F. -Stadt nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BAföG zum Erlass des angefochtenen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides berechtigt gewesen sei, weil der Kläger für den streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum (Oktober 2016 bis September 2017) Ausbildungsförderung unter dem Vorbehalt der Rückforderung erhalten habe und der dem Kläger zustehende Förderungsbetrag bei der abschließenden Entscheidung insbesondere mit Blick auf das anzurechnende Einkommen der Eltern zutreffend berechnet worden sei. Die Einkommensanrechnung entspreche der einschlägigen Vorschrift des § 24 Abs. 4 Satz 2 BAföG, deren Berechnungsmethode in verfassungsrechtlich zulässiger Weise der Verwaltungsvereinfachung diene.

Der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids stehe auch nicht entgegen, dass das F. -Stadt im Hinblick auf die im Zeitraum von Juni 2017 bis September 2017 überbezahlte Ausbildungsförderung in Höhe von insgesamt 1.120,00 Euro den Vater des Klägers nach § 47a BAföG vorrangig in Anspruch genommen habe. Für diesen Betrag hafteten der Kläger und sein Vater als Gesamtschuldner. Der Anspruch könne gegenüber mehreren Rückzahlungsverpflichteten gleichzeitig und vollständig geltend gemacht werden.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung.

II.

Der sinngemäß auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils des Verwaltungsgerichts ergeben sich aus dem maßgeblichen (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) Zulassungsvorbringen nicht.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung sind anzunehmen, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.12.2009 - 2 BvR 758/07 -, juris Rn. 96). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 -, juris Rn. 9). Eine den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügende Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert, dass im Einzelnen unter konkreter Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ausgeführt wird, dass und warum Zweifel an der Richtigkeit der Auffassung des erkennenden Verwaltungsgerichts bestehen sollen. Hierzu bedarf es regelmäßig qualifizierter, ins Einzelne gehender, fallbezogener und aus sich heraus verständlicher Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 5.1.2022 - 7 LA 51/21 -, juris Rn. 7 m.w.N.).

Hiervon ausgehend stellt der Kläger mit seinem Zulassungsvorbringen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils nicht durchgreifend in Frage.

1. Der Einwand des Klägers, eine Einmalzahlung dürfe nicht für zwei Bezugszeiträume angerechnet werden, greift nicht durch. Entgegen der Ansicht des Klägers folgt aus der Regelung des § 24 Abs. 3 Satz 1 BAföG, der auf die Einkommensverhältnisse im Bewilligungszeitraum abstellt, nicht, dass für die Berechnung des Einkommens seines Vaters nur derjenige Teil der Kalenderjahre zu Grunde zu legen ist, auf welchen der Bewilligungszeitraum sich tatsächlich erstreckt. Denn § 24 Abs. 4 Satz 2 BAföG stellt für das „Einkommen im Bewilligungszeitraum“ gerade nicht auf das konkret in den Kalendermonaten, die in den Bewilligungszeitraum fallen, erzielte Einkommen ab, sondern § 24 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 BAföG bestimmt ausdrücklich, dass als Monatseinkommen ein Zwölftel des jeweiligen Kalenderjahreseinkommens gilt.

Auch in den Fällen des §24 Abs. 3 BAföG ist damit nicht auf die real im jeweiligen Monat über die Dauer des Bewilligungszeitraumes durchschnittlich zufließenden Einkünfte, sondern auf das im Verlaufe des betroffenen Kalenderjahres oder der betroffenen Kalenderjahre erzielte Einkommen abzustellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.3.2014 - 5 C 6.13 -, juris Rn. 9 ff.; SächsOVG, Urt. v. 23.11.2015 - 1 A 373/14 -, juris Rn. 21 m.w.N.; OVG NRW, Beschl. v. 27.3.2012 - 12 A 300/12 -, juris Rn. 6). Für den Fall, dass der Bewilligungszeitraum Kalendermonate aus mehr als einem Kalenderjahr umfasst, ist das Einkommen dergestalt zu ermitteln, dass zunächst für jedes der betroffenen Kalenderjahre das Einkommen berechnet wird, und ein Zwölftel hiervon als Einkommen für jeweils die Monate des Bewilligungszeitraums angesetzt wird, die in diesem Kalenderjahr liegen. Die Summe dieser - nach Kalenderjahren unterschiedlichen - Monatsbeträge ist dann durch die Anzahl der Monate des Bewilligungszeitraums zu dividieren (vgl. SächsOVG, Urt. v. 23.11.2015 - 1 A 373/14 -, juris Rn. 21 m.w.N.; Fischer, in: Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., Stand: 46. Lfg. 2019, § 24 Rn. 36.1).

Für die Fälle des § 24 Abs. 3 BAföG stellt der Gesetzgeber damit aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität und zum Bürokratieabbau ausdrücklich nicht auf das während des Bewilligungszeitraums, sondern auf das im Verlaufe des Kalenderjahres oder der betroffenen Kalenderjahre erzielte Einkommen ab. Infolge des Zeitraums „Kalenderjahr“ kann nämlich auf die in Einkommenssteuerbescheiden enthaltenen Feststellungen zurückgegriffen werden (vgl. § 2 Abs. 7 EStG). Dass der Gesetzgeber im Rahmen seines im Sozialrecht bestehenden weiten Gestaltungsspielraums Gründe der Verwaltungspraktikabilität berücksichtigen darf, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. auch OVG NRW, Beschl. v. 27.3.2012 - 12 A 300/12 -, juris Rn. 8 f. m.w.N.).

Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich durch die Berechnungsmethode auch keine „Doppelbelastung“ des Leistungsempfängers. Dass die Einmalzahlung gegebenenfalls auch in mehreren Bewilligungszeiträumen (sofern diese nicht mit dem Kalenderjahr identisch sind) anteilig Berücksichtigung finden kann, führt nicht zu einer „Doppelbelastung“. Die Abfindung wird insgesamt nur einmal und nicht etwa doppelt dem Einkommen der Einkommensbezieher zugerechnet.

2. Der Vortrag des Klägers, sein Vater möchte sich nicht vorwerfen lassen, eine Abfindungszahlung, die er zum Zeitpunkt der Antragstellung noch gar nicht erhalten habe, widerrechtlich nicht angegeben zu haben, ist jedenfalls für das vorliegende Verfahren unbeachtlich. Die Rückzahlungspflicht nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BAföG setzt kein Verschulden des Einkommensbeziehers voraus.

3. Soweit der Kläger beanstandet, die Höhe der Rückforderung sei nicht nachvollziehbar, bleibt sein Vorbringen bereits unsubstantiiert. Das Verwaltungsgericht hat die Berechnung der Behörde nachvollzogen und dazu ausgeführt, dass sich der Rückforderungsbetrag aus der Differenz zwischen der bewilligten Leistung (398,00 Euro/Monat x 12 Monate) und der dem Kläger tatsächlich zustehenden Leistung (118,00 Euro/Monat x 12 Monate) errechnet. Der dem Kläger tatsächlich zustehende monatliche Betrag ergebe sich dabei unter Berücksichtigung des tatsächlichen Einkommens der Eltern des Klägers im Bewilligungszeitraum. Die entsprechende Berechnung des E. -Stadt war dem Bescheid vom 14. Mai 2019 beigefügt (Seite 3 des Bescheids, vom Kläger selbst vorgelegt als Anlage K3 im erstinstanzlichen Klageverfahren). Mit diesen Berechnungen setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht auseinander und legt insbesondere nicht dar, an welcher Stelle eine Nachvollziehbarkeit nicht gegeben sein solle.

4. Schließlich greift auch der Einwand nicht durch, dass gegenüber dem Vater des Klägers zeitgleich eine Forderung in Höhe von 1.120,00 Euro geltend gemacht werde und unklar bleibe, wie sich dies mit der streitgegenständlichen Rückforderung vertrage. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass zwischen dem Kläger und seinem Vater hinsichtlich der Rückforderung i.H.v. 1.120,00 Euro ein Gesamtschuldverhältnis vorliegt. Bei einem tatbestandlichen Zusammentreffen der Ansprüche aus § 20 Abs. 1 Nr. 4 BAföG und aus § 47a BAföG haften mangels abweichender Regelungen im Bundesausbildungsförderungsgesetz oder im Sozialgesetzbuch der Leistungsempfänger und die nach § 47a BAföG Verpflichteten nach den entsprechend anwendbaren §§ 421 ff. BGB als Gesamtschuldner. Der Anspruch aus § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BAföG stellt eine eigenständige und in sich geschlossene Anspruchsgrundlage dar, die in keinem Konkurrenzverhältnis zu einem daneben bestehenden Anspruch aus § 47a BAföG steht, sondern zu diesem hinzutritt (VGH BW, Urt. v. 2.12.1996 - 7 S 2235/95 -, juris, Rn. 29 m.w.N.; Steudte, in: Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., Stand: 46. Lfg. 2019, § 47a Rn. 9). Zwar kann das Studentenwerk die gewährte Ausbildungsförderung nur einmal zurückerhalten. Das hindert es aber nicht, den Anspruch gegenüber mehreren Rückzahlungsverpflichteten gleichzeitig und vollständig geltend zu machen (vgl. HessVGH, Urt. v. 24.9.1991 - 9 UE 2358/88 -, juris Rn. 32; VG Halle (Saale), Urt. v. 23.1.2008 - 5 A 341/05 -, juris Rn. 41; Steudte, in: Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., Stand: 46. Lfg. 2019, § 47a Rn. 9 m.w.N.; Heinemeyer, in: Münchner Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2019, § 421 Rn. 74 m.w.N.). Die Zahlung eines der Verpflichteten erfüllt - wie bei Gesamtschuldnern regelmäßig - auch die Verpflichtung des anderen. Es ist hier nicht ersichtlich, dass der Anspruch vor Erlass des angefochtenen Rückforderungsbescheides bereits erfüllt war.

Auch der Umstand, dass das F. -Stadt festgestellt hat, dass der Vater des Klägers von der Rückforderung einen Betrag in Höhe von 1.120,00 Euro „vorrangig zu erstatten“ habe, und somit erklärt hat, die durch Verwaltungsakt festgesetzte Schuld des Klägers zunächst noch nicht durchsetzen zu wollen, ändert nichts an der auch in dieser Höhe bestehenden Rückzahlungsverpflichtung des Klägers aus dem Gesamtschuldverhältnis und führt daher nicht zu einer (teilweisen) Rechtswidrigkeit des angegriffenen Rückforderungsbescheids.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO nicht erhoben.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).