Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 06.04.2022, Az.: 14 ME 180/22

Anordnungsgrund; Genesen; Genesenenstatus; RKI

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
06.04.2022
Aktenzeichen
14 ME 180/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59863
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 22.02.2022 - AZ: 15 B 615/22

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes für die begehrte vorläufige Feststellung im Zusammenhang mit dem sog. Genesenenstatus erfordert die Darlegung, welche Handlungen, die nur für Genesene erlaubt sind, in nächster Zeit von von dem Antragsteller vorgenommen werden sollen.

2. § 22a Abs. 2 IfSG ist bei summarischer Prüfung nicht evident verfassungswidrig. Der Gesetzgeber hat sich hinsichtlich der Dauer des Immunschutzes an der wissenschaftlichen Einschätzung des RKI orientiert. Dem fachkundigen RKI kommt gemäß § 4 IfSG eine herausgehobene Rolle bei der Bewertung infektiologischer Fragestellungen zu. Auch ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot sowie den Gleichheitsgrundsatz sind nicht offensichtlich.

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 15. Kammer - vom 22. Februar 2022 geändert.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird insgesamt abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren ebenfalls auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt Eilrechtsschutz gegen die Verkürzung seines sog. Genesenenstatus infolge der am 15. Januar 2022 in Kraft getretenen Änderung des § 2 Nr. 5 der Verordnung zur Regelung von Erleichterungen und Ausnahmen von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (Covid-19-Schutzmaßnahmen Ausnahmeverordnung - SchAusnahmV).

Mit seinem am 16. Februar 2022 gestellten Eilantrag hat er beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm einen Nachweis über seine Genesung im Sinne des § 2 Abs. 5 SchAusnahmV für den Zeitraum vom 26. Dezember 2021 bis zum 31. Mai 2022 auszustellen.

Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 22. Februar 2022 im Wege einer gegenüber der Antragsgegnerin erlassenen einstweiligen Anordnung vorläufig festgestellt, dass der Antragsteller bis zum 28. Mai 2022 als genesene Person gilt und die Dauer seines Genesenenstatus nicht durch die Änderung des § 2 Nr. 5 SchAunahmV vom 14. Januar 2022 verkürzt worden sei. Im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt.

Die Antragsgegnerin hat am 8. März 2022 Beschwerde eingelegt und diese am 22. März 2022 begründet.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet.

Nach § 146 Abs. 4 VwGO muss die Beschwerde gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Die Prüfung des Oberverwaltungsgerichts beschränkt sich gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zunächst darauf, ob die Beschwerde geeignet ist, die Begründung des angefochtenen Beschlusses zu erschüttern. Wenn dies der Fall ist, ist von Amts wegen darüber hinaus zu prüfen, ob sich der Beschluss auf der Grundlage der Erkenntnisse des Beschwerdeverfahrens im Ergebnis als richtig erweist oder geändert werden muss (vgl. Senatsbeschl. v. 14.03.2022 - 14 ME 175/22 -, juris Rn. 10 m.w.N.). Danach ist die angefochtene Entscheidung zu ändern.

1. Das Beschwerdevorbringen erschüttert entscheidungstragende Annahmen des Verwaltungsgerichts.

a) Das Verwaltungsgericht hat entscheidungstragend angenommen, dass der Antragsteller einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht habe. Die besondere Eilbedürftigkeit bestehe für ihn darin, dass er ohne einen Nachweis über einen Genesenenstatus aufgrund der 2G-Maßnahmen der derzeit gültigen Niedersächsischen Corona-Verordnung von weitgehenden Teilen des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen sei.

Dagegen wendet die Antragsgegnerin ein, es reiche nicht aus, lediglich pauschal anzugeben, dass der Genesenennachweis Voraussetzung für die Teilnahme am gesellschaftlichen und sozialen Leben in diversen Bereichen sei. Der Antragsteller hätte vielmehr konkret darlegen müssen, inwiefern er aktuell von etwaigen Zugangs- oder Kontaktbeschränkungen betroffen sei. Dies sei jedoch nicht erfolgt. Die vom Antragsteller vorgetragene Testpflicht am Arbeitsplatz (die so auch für seine Freizeittätigkeit als Schiedsrichter und Fußballtrainer bestanden habe) bestehe seit dem 20. März 2022 aufgrund des Wegfalls der entsprechenden Regelung in § 28b Abs. 1 IfSG nicht mehr.

Damit hat die Antragsgegnerin die Annahme des Verwaltungsgerichts, es liege ein Anordnungsgrund vor, erschüttert. Der Senat hat bereits entschieden, dass von Antragstellerseite konkret darzulegen ist, welche Handlungen, die nur für Genesene erlaubt sind, in nächster Zeit von ihm vorgenommen werden sollen (vgl. Senatsbeschl. v. 18.3.2022 - 14 ME 153/22 -, juris Rn. 30 und v. 14.3.2022 - 14 ME 175/22 -, juris Rn. 28).

b) Das Verwaltungsgericht hat des Weiteren entscheidungstragend angenommen, dass sich § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 14. Januar 2022 bei summarischer Prüfung jedenfalls aus formellen Gründen als verfassungswidrig erweise. Der Verweis in der Vorschrift auf die Homepage des Eufach0000000017s (RKI) verstoße gegen das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip, weil die in der dynamischen Verweisung enthaltene Subdelegation an das RKI die gesetzgeberische Ermächtigung aus § 28c IfSG überschreite. Darüber hinaus verstoße die Regelung des § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 14. Januar 2022 durch den Verweis auf die Internetseite des RKI bei summarischer Prüfung gegen den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 20 Abs. 3 GG.

Dagegen wendet die Antragsgegnerin mit der Beschwerdebegründung u.a. ein, dass sich durch die Einführung des § 22a Abs. 2 IfSG in der ab dem 19. März 2022 (BGBl. I, S. 466) geltenden Fassung eine wesentliche Änderung der Rechtslage ergeben habe. Mit Aufnahme dieser Regelungen zum Genesenenstatus unmittelbar in das Infektionsschutzgesetz bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken formeller und materieller Art mehr gegen die Regelung, die weiterhin eine Geltungsdauer des Genesenenstatus von 90 Tagen vorsehe.

Damit hat die Antragsgegnerin die Argumentation des Verwaltungsgerichts erschüttert. Die Begründung des Verwaltungsgerichts bezog sich auf die bis einschließlich 18. März 2022 geltende Rechtslage. Der Bundestag hat am 18. März 2022 den Gesetzentwurf (BT-Drs. 20/958 vom 10. März 2022) der Koalitionsfraktion zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) und anderer Vorschriften beschlossen (https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw11-de-infektionsschutzgesetz-freitag-881812; Gesetz vom 18. März 2022, BGBl. I, S. 466). Nach der gesetzlichen Neuregelung und der entsprechenden Änderung der SchAusnahmV durch die Zweite Verordnung zur Änderung der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordung (BGBl I, S. 478) ergibt sich die Gültigkeitsdauer des Genesenennachweises nunmehr unmittelbar aus dem Gesetz; sie beträgt nach § 22a Abs. 2 Nr. 2 IfSG höchstens 90 Tage. Nachträgliche Änderungen der Sach- und Rechtslage können auch im Beschwerdeverfahren vorgetragen werden und müssen grundsätzlich berücksichtigt werden. Dies gilt zumindest solange, wie die Begründungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Insofern ist die Antragsgegnerin nicht auf das alternativ einschlägige Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO analog zu verweisen (vgl. auch VGH BW, Beschl. v. 4.7.2017 - 2 S 1258/17 -, juris Rn. 12 m.w.N.; OVG Saarl., Beschl. v. 16.6.2017 - 2 B 344/17 -, juris Rn. 14 m.w.N.; BayVGH, Beschl. v. 30.1.2017 - 4 CE 16.2575 -, juris Rn. 6 m.w.N.; OVG Berl-Bbg., Beschl. v. 30.5.2016 - OVG 2 S 8.16 -, juris Rn. 14 m.w.N.; SächsOVG, Beschl. v. 29.01.2015 - 3 B 100/14 -, juris Rn. 4 m.w.N.; Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018 -, juris Rn. 82 f.; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, Stand: 27. Aufl. 2021, § 146 Rn. 42 m.w.N.; für die vergleichbare Situation bei einem Antrag auf Zulassung der Berufung BVerwG, Beschl. v. 11.11.2002 - 7 AV 3.02 -, juris Rn. 10; a.A.: NdsOVG, Beschl. v. 11.12.2012 - 7 ME 131/12 -, juris Rn. 14 ff.). Das Beschwerdeverfahren ist darauf ausgerichtet, die im Ergebnis richtige Entscheidung über den Streitgegenstand zu finden. Folglich sind im Beschwerdeverfahren alle vom Beschwerdeführer dargelegten tatsächlichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die für den Erfolg des Rechtsmittels entscheidungserheblich sein können. Dazu gehören auch Umstände, die das Verwaltungsgericht nicht berücksichtigen konnte, weil sie erst nach dessen Entscheidung eingetreten sind (VGH BW, Beschl. v. 4.7.2017 - 2 S 1258/17 -, juris Rn. 12 m.w.N.; OVG Saarl., Beschl. v. 16.6.2017 - 2 B 344/17 -, juris Rn. 14 m.w.N.; SächsOVG, Beschl. v. 29.01.2015 - 3 B 100/14 -, juris Rn. 4 m.w.N.).

2. Nach Erschütterung der erstinstanzlichen Entscheidungsbegründung ist der vom Antragsteller gestellte Eilantrag vom Oberverwaltungsgericht eigenständig nach dem Maßstab des § 123 Abs. 1 VwGO zu prüfen. Dies führt zur vollständigen Ablehnung des Antrags.

a) Der Antrag des Antragstellers ist bei verständiger Würdigung gemäß § 122 Abs. 1, § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes begehrt wird, vorläufig festzustellen, dass der Antragsteller im Sinne der Ge- und Verbotsregelungen des Infektionsschutzgesetzes sowie der Verordnungen nach § 32 Satz 1 IfSG, insbesondere der Niedersächsischen Corona-Verordnung, soweit diese an den sogenannten Genesenenstatus anknüpfen, bis zum 31. Mai 2022 als genesen gilt (vgl. insoweit zum feststellungsfähigen Rechtsverhältnis bereits Senatsbeschl. v. 14.3.2022 - 14 ME 175/22 -, juris Rn. 16 ff.).

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass der vom Antragsteller wörtlich gestellte Verpflichtungsantrag auf Ausstellung eines Nachweises über die Genesung für den Zeitraum vom 26. Dezember 2021 bis zum 31. Mai 2022 bereits unzulässig wäre, weil der Antragsteller bereits über einen solchen Nachweis verfüge.

b) Der so verstandene Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Begründetheit des Antrags nach § 123 Abs. 1 VwGO setzt voraus, dass ein Antragsteller sowohl das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. seine materielle Anspruchsberechtigung, als auch eines Anordnungsgrundes, d.h. eine besondere Dringlichkeit, glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO. Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht regelmäßig nur vorläufige Entscheidungen treffen und einem Antragsteller noch nicht in vollem Umfang das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheverfahren erstreiten könnte. Im Hinblick auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes durch Art. 19 Abs. 4 GG gilt dieses Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache jedoch nicht, wenn die sonst zu erwartenden Nachteile des Antragstellers unzumutbar und in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären sowie ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für einen Erfolg in der Hauptsache spricht, der Antragsteller dort also schon aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anzustellenden, bloß summarischen Prüfung des Sachverhalts erkennbar Erfolg haben würde (vgl. etwa vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.4.2009 - 2 BvR 338/08 -, juris Rn. 3; Beschl. vom 25.10.1988 - 2 BvR 745/88 -, juris Rn. 17; BVerwG, Beschl. v. 26.11.2013 - 6 VR 3.13 -, juris Rn. 5, 7; Beschl. v. 10.2.2011 - 7 VR 6.11 -, juris Rn. 6). Maßgeblich für die Entscheidung über das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. VG Würzburg, Beschl. v. 25.3.2022 - W 8 E 22.456 -, juris Rn. 19 m.w.N.).

aa) Unter Berücksichtigung der hier wegen der in der begehrten Feststellung liegenden Vorwegnahme der Hauptsache geltenden hohen Anforderungen hat der Antragsteller bereits keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Für eine entsprechende Glaubhaftmachung reicht es nicht aus, - wie hier - lediglich pauschal anzugeben, der Genesenennachweis sei Voraussetzung für die Teilnahme des Antragstellers am gesellschaftlichen und sozialen Leben in diversen Bereichen. Der Antragsteller hätte vielmehr zum Beleg der besonderen Eilbedürftigkeit konkret darlegen müssen, von welchen Beschränkungen gerade er nach dem Auslaufen seines Genesenenstatus betroffen ist (vgl. bereits Senatsbeschl. v. 14.3.2022 - 14 ME 175/22 -, juris Rn. 35), zumal die meisten Beschränkungen zum 3. April 2022 entfallen sind. Dies ist jedoch nicht erfolgt, auch nicht im Beschwerdeverfahren auf den entsprechenden Beschwerdevortrag des Antragsgegners.

Soweit der Antragsteller auf die sog. 3G-Regelung am Arbeitsplatz Bezug genommen hat, hat die Antragsgegnerin zutreffend darauf hingewiesen, dass mit der Änderung des § 28b IfSG zum 20. März 2022 (BGBl. I, S. 466) die gesetzliche Grundlage für die 3G-Regelung ersatzlos entfallen ist. Der diesbezügliche Vortrag des Antragstellers geht daher ins Leere.

bb) Der Antragsteller hat darüber hinaus auch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

(1) Der Anordnungsanspruch ergibt sich nicht aus dem dem Antragsteller von der Antragsgegnerin am 13. Dezember 2021 ausgestellten Genesenennachweis. Bei dieser Bescheinigung handelt es sich nämlich nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um eine behördliche Wissenserklärung. Ein Verwaltungsakt ist nach § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 35 Satz 1 VwVfG jede Verfügung, Entscheidung oder andere öffentlich-rechtliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Der Genesenennachweis selbst ist lediglich eine Bescheinigung über Tatsachen, an die das Gesetz selbst unmittelbare Rechtsfolgen, nämlich die Ausnahmen von andernfalls geltenden Ge- und Verboten knüpft und durch die damit ein behördliches Wissen kundgetan wird (vgl. Senatsbeschl. v. 14.3.2022 - 14 ME 175/22 -, juris Rn. 37).

(2) Der Anordnungsanspruch ergibt sich entgegen der Auffassung des Antragstellers auch nicht aus § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 8. Mai 2021 (BAnz AT 08.05.2021 V1), der eine Dauer des Genesenenstatus von sechs Monaten ausdrücklich festlegte (vgl. insoweit noch zur alten Rechtslage: Senatsbeschl. v. 14.3.2022 - 14 ME 175/22 -, juris Rn. 42).

Die Geltungsdauer des Genesenennachweises ist mittlerweile durch § 22a Abs. 2 IfSG in der Fassung vom 18. März 2022 gesetzlich auf höchstens 90 Tage nach der Testung festgelegt und die dem entsprechende Regelung in § 2 Nr. 5 SchAusnahmV gestrichen worden (vgl. BT-Drs. 20/952 vom 10. März 2022, S. 8).

Die (vorläufige) Feststellung, dass der Antragsteller bis zum 31. Mai 2022 als genesen gilt, würde deshalb jedenfalls voraussetzen, dass die gesetzliche Regelung des § 22a Abs. 2 IfSG im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht angewendet würde. Eine solche Verfahrensweise im Verfahren nach § 123 VwGO ist zwar durch Art. 100 Abs. 1 GG nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts hat zur Folge, dass ein Gericht Folgerungen aus der (von ihm angenommenen) Verfassungswidrigkeit eines formellen Gesetzes - jedenfalls im Hauptsacheverfahren - erst nach deren Feststellung durch das Bundesverfassungsgericht ziehen darf. Die Fachgerichte sind jedoch durch Art. 100 Abs. 1 GG nicht gehindert, schon vor Erlass der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn dies nach den Umständen des Falles im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheint und die Entscheidung in der Hauptsache dadurch nicht vorweggenommen wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.3.2014 - 2 BvL 2/13 -, juris Rn. 17).

Die Verwerfung eines formellen Gesetzes als verfassungswidrig muss im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes jedoch die Ausnahme bleiben und ist auf Fälle evidenter Verfassungswidrigkeit beschränkt (vgl. BVerfG, Beschl. v., 15.12. 2011 - 2 BvR 2362/11 -, juris, Rn. 5 m.w.N.; Beschl. v. 5.9.2005 - BvR 1781/05 -, Rn. 13 m.w.N.; NdsOVG, Beschl. v. 9.10.2020 - 10 ME 207/20 -, juris Rn. 7; NdsOVG, Beschl. v. 13.9.2017 - 7 ME 77/17 -, juris Rn. 5; NdsOVG, Beschl. v. 21.2.2013 - 2 NB 20/13 -, juris, Rn. 10 m.w.N; NdsOVG, Beschl. v. 21.12.2006 - 2 NB 347/06 -, juris, Rn. 32 m.w.N.; HambOVG, Beschl. v. 10.10.2001 - 3 NC 150/00 -, juris Rn. 8; VG Schwerin, Beschl. v. 20.3.2022 - 7 B 421/22 SN -, juris Rn. 7).

Es ist nicht ersichtlich und vom Antragsteller auch nicht hinreichend dargelegt worden, dass der Gesetzgeber mit der den bisherigen fachlichen Vorgaben des RKI entsprechenden Festlegung der Gültigkeitsdauer des Genesenennachweises in § 22a Abs. 2 IfSG auf einen Zeitraum von höchstens 90 Tagen die ihm insoweit zustehende Einschätzungsprärogative überschritten hätte oder dass diese Regelung aus sonstigen Gründen evident verfassungswidrig wäre.

(a) Die Verkürzung des sogenannten Genesenenstatus von sechs auf drei Monate beruht offensichtlich auf der sachverständigen Einschätzung des RKI (vgl. Fachliche Vorgaben des RKI für COVID-19-Genesenennachweise, abrufbar unter https:/www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Genesenennachweis-old.html, Stand: 3.2.2022, außer Kraft seit dem 19. März 2022). Das RKI hatte jedenfalls für Ungeimpfte bereits seit dem 15. Januar 2022 einen verkürzten Immunschutz angenommen. Auf diese fachlichen Vorgaben nahm zuletzt § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 15. Januar 2022 (BAnz AT 14.1.2022 V1) ausdrücklich Bezug. Der Bundestag hat nunmehr diese - zum 3. Februar 2022 noch einmal aktualisierte und ergänzte - Bewertung des RKI übernommen und sie „aufgrund der besonderen Bedeutung der Impf-, Genesenen- und Testnachweise“ in die Form eines Gesetzes gefasst (vgl. BT-Drs. 20/958 vom 10. März 2022, S. 2 und 13). In den zuvor zitierten fachlichen Vorgaben des RKI wird u.a. ausgeführt:

„Die Gültigkeit des Genesenennachweises wurde von 6 Monaten auf 90 Tage reduziert, da die bisherige wissenschaftliche Evidenz darauf hindeutet, dass Ungeimpfte nach einer durchgemachten Infektion mit der Deltavariante oder einer früheren Virusvariante einen im Vergleich zur Reinfektion mit der Deltavariante herabgesetzten und zeitlich noch stärker begrenzten Schutz vor einer SARS-CoV-2-Infektion mit der Omikronvariante haben (1-3). Nach einer durchgemachten SARS-CoV-2-Infektion besteht üblicherweise ein Schutz vor erneuter SARS-CoV-2-Infektion bzw. COVID-19, der mit der Zeit abnimmt. Der Grad und die Dauer des Schutzes können individuell stark schwanken und werden vermutlich durch Alter, Schwere der Erkrankungen und Virusvarianten beeinflusst. (…) Bei den fachlichen Vorgaben für COVID-19-Genesenennachweise geht es primär um den o.g. Schutz vor Virusübertragung bzw. das Risiko, dass die genesene Person asymptomatisch mit SARS-CoV-2 infiziert ist und das Virus auf andere Menschen übertragen kann. Studien zur Übertragbarkeit der Omikronvariante durch Genesene liegen noch nicht vor, der Schutz vor jeglicher bzw. asymptomatischer Infektion kann aber als Richtwert für die Bewertung des Schutzes vor Virusübertragung herangezogen werden. Die vorliegenden Studien zeigen insbesondere, dass es unter dominanter Zirkulation der Omikronvariante bei zuvor infizierten und nicht geimpften Personenhäufig zu Reinfektionen kommt (1). Daten der britischen SIREN-Studie (2) weisen darauf hin, dass Genesene unter diesen Bedingungen nur noch eine Schutzwirkung von ca. 40% gegenüber Reinfektionen aufweisen. Der Schutz von 40% bezieht sich auf die Verhinderung jeglicher (d.h. symptomatischer und asymptomatischer) Infektionen. In einer weiteren Studie, die die Schutzwirkung gegenüber Reinfektionen mit verschiedenen Virusvarianten verglich, hatten Genesene gegenüber Omikron-Reinfektionen nur einen Schutz von ca. 60%, während es gegenüber Delta-Reinfektionen mehr als 90% waren (3). Dies wird durch laborbasierte Studien unterstützt, die zeigen, dass Seren von Personen, die mitSARS-CoV-2 infiziert und nicht geimpft waren, eine deutlich verringerte Neutralisationsfähigkeit gegen Omikron (im Vergleich zum Wildtyp bzw. Delta-Variante) aufwiesen (5-7).“

Das RKI nimmt dabei auf die folgenden wissenschaftliche Quellen Bezug: „(1) Ferguson et al.: Hospitalisation risk for Omicron cases in England. Imperial College London (22-12-2021)(2) UK Health Security Agency: SARS-CoV-2 variants of concern and variants under investigation inEngland. Technical briefing 34(3) Altarawneh et al.: Protection afforded by prior infection against SARS-CoV-2 infection with theOmicron variant. Preprint https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2022.01.05.22268782v1(5) Gruell, H., Vanshylla, K., Tober-Lau, P., Hillus, D., Schommers, P., Lehmann, C.,... & Klein, F. (2022). mRNA booster immunization elicits potent neutralizing serum activity againstthe SARS-CoV-2 Omicron variant. Nature medicine, 1-4.(6) Schmidt, F., Muecksch, F., Weisblum, Y., Da Silva, J., Bednarski, E., Cho, A., ...& Bieniasz, P. (2021) Plasma neutralization properties of the SARS-CoV-2 Omicron variant (preprint).(7) Rössler A, Riepler L, Bante D, von Laer D, Kimpel J. SARS-CoV-2 Omicron Variant Neutralization in Serum from Vaccinated and Convalescent Persons. N Engl J Med. 2022 Jan 12.“

Dem RKI ist durch den Gesetzgeber nach § 4 IfSG eine zentrale Stellung bei der Einschätzung des Infektionsgeschehens hinsichtlich übertragbarer Krankheiten zuerkannt worden (vgl. hierzu auch BremOVG, Beschl. v. 5.1.2022 - 1 B 508/21 -, juris Rn. 3 und v. 10.03.2021 - 1 B 104/21 -, juris Rn. 12 m.w.N.; VG Oldenburg, Beschl. v. 3.3.2022 - 7 B 507/22 -, juris Rn. 7). Der Senat vermag die Einschätzung des RKI auch angesichts der kritischen Äußerungen von Wissenschaftlern und Praktikern (vgl. dazu etwa VG Osnabrück, Beschl. v. 4.2.2022 - 3 B 4/22 -, juris Rn. 28) im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht als nachhaltig erschüttert oder gar als Fehleinschätzung anzusehen. Der Umstand allein, dass im Rahmen eines wissenschaftlichen Diskurses abweichende Meinungen vertreten werden, führt nicht zwangsläufig zur Fehlerhaftigkeit der hier zu Grunde liegenden wissenschaftlichen Sichtweise und lässt jedenfalls nicht die Annahme einer evident unzutreffenden fachlichen Einschätzung zu. Dass in europäischen Nachbarländern der Genesenenstatus nach wie vor sechs Monate betragen mag, rechtfertigt in diesem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ebenfalls keine andere Beurteilung.

(b) Entgegen der Auffassung des Antragstellers verletzt § 22a Abs. 2 IfSG auch nicht evident den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Der allgemeine Gleichheitssatz verlangt, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Soweit der Antragsteller eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von ungeimpften, mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizierten Personen, die nur höchstens 90 Tage als genesen gelten, und Personen, die lediglich zwei Einzelimpfungen erhalten haben, die aber dennoch bis zum 30. September 2022 als geimpft gelten, rügt, ist eine solche jedenfalls nicht offenkundig.

Der Gesetzgeber regelt in § 22a Abs. 1 IfSG den Impfnachweis einerseits und in Absatz 2 dieser Vorschrift den Genesenennachweis andererseits. Nach seinem Sinn und Zweck definiert § 22a Abs. 2 IfSG, wie lange bei einer ungeimpften Person, die sich mit dem Coronavirus infiziert hat, die Annahme eines hinreichenden Schutzes vor einer Neuinfektion mit dem Coronavirus und damit zugleich vor einer Übertragung des Coronavirus auf Dritte gerechtfertigt ist (vgl. Fachliche Vorgaben des RKI für COVID-19-Genesenennachweise).

§ 22a Abs. 1 IfSG regelt - abweichend hiervon - in einem differenzierten System mit zeitlicher Staffelung den Nachweis eines vollständigen Impfschutzes. In dieses System bezieht der Gesetzgeber ausdrücklich auch den Fall einer Infektion mit dem Coronavirus mit ein. Der Gesetzgeber geht dabei zunächst davon aus, dass bis zum 30. September 2022 eine Grundimmunisierung genügt, um einen vollständigen Impfschutz nachzuweisen. Eine solche Grundimmunisierung liegt nach § 22a Abs. 1 Satz 3 IfSG (bis zum 30. September 2022) bei nur zwei Einzelimpfungen und unter den in § 22a Abs. 1 Satz 4 Nrn. 1 bis 3 IfSG näher genannten Voraussetzungen vor. Danach ist unter anderem auch bei nur einer Einzelimpfung und einer Infektion ein vollständiger Impfschutz im Sinne des § 22a Abs. 1 Satz 1 IfSG gegeben. Die Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 allein führt dagegen noch nicht dazu, dass ein Betroffener im Sinne dieser Vorschriften den Nachweis einer Grundimmunisierung führen kann.

Indem der Gesetzgeber auf diese Weise zwischen dem Fall der Grundimmunisierung einerseits und dem Fall der bloßen Genesung Ungeimpfter andererseits differenziert, regelt er unterschiedliche Sachverhalte und knüpft zudem an unterschiedliche tatsächliche Voraussetzungen an. Vor diesem Hintergrund lässt sich jedenfalls nicht erkennen, dass eine evidente Verletzung des Gleichheitssatzes vorliegt.

(c) § 22a IfSG verstößt auch nicht offenkundig gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Rückwirkungsverbot. Die Norm entfaltet allenfalls eine sog. unechte Rückwirkung für Personen, deren Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Norm noch keine sechs Monate (bisher gültige Regelung) zurücklag. Eine unechte Rückwirkung ist nicht grundsätzlich unzulässig, denn die Gewährung des vollständigen Schutzes zugunsten des Fortbestehens der bisherigen Rechtslage würde den demokratisch gewählten Gesetzgeber in wichtigen Bereichen in seiner Gestaltungsbefugnis lähmen und den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung z.B. im Hinblick auf einen Wandel der Lebensverhältnisse in nicht mehr vertretbarer Weise zu Lasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen (vgl. BVerfG, Urt. v. 22.3.1983 - 2 BvR 475/78 -, juris Rn. 54 ff.; Beschl. v. 05.02.2002 - 2 BvR 305/93 -, juris Rn. 63 ff.).

Die mit § 22a Abs. 2 IfSG allenfalls teilweise verbundene tatbestandliche Rückanknüpfung ist gerechtfertigt. Die genesenen Personen durften nicht darauf vertrauen, dass ihr Genesenennachweis in jedem Fall sechs Monate gültig ist. Vielmehr war eine Verkürzung aus Gründen des Gesundheitsschutzes der Allgemeinheit jederzeit zulässig.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung von Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013, wobei im Hinblick auf die tatsächliche Vorwegnahme der Hauptsache eine Reduzierung des Auffangstreitwerts nicht angebracht erscheint.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).