Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 08.02.2001, Az.: 6 A 312/99

Fahrtenbuch; Geschwindigkeitsüberschreitung; Geschäftsfahrzeug; Messgerät; Messung

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
08.02.2001
Aktenzeichen
6 A 312/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 40191
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Bloße Mutmaßungen gegen die Messgenauigkeit eines Geschwindigkeitsmessgeräts reichen nicht aus, um die Messergebnisse in Zweifel zu ziehen.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann eine vorläufige Vollstreckung durch den Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3000,-- DM festgesetzt.

Tatbestand:

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Anordnung, für die Dauer von sechs Monaten ein Fahrtenbuch zu führen.

2

Die Klägerin ist Halterin eines Personenkraftwagens der Marke BMW 323 mit dem amtlichen Kennzeichen ....

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Nach einem vom Landkreis Hannover eingeleiteten Bußgeldverfahren soll mit diesem Fahrzeug am 08.04.1999 um 09.01 Uhr auf der BAB 7 in der Gemarkung Sehnde Richtung Hannover bei km 161.920 die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um - nach Abzug der Toleranz - 46 km/h überschritten worden sein: Auf den ihr vom Landkreis Hannover unter dem 17.05.1999 übersandten Zeugenfragebogen antwortete die Klägerin mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 27.05.1999, das Fahrzeug werde verschiedenen Personen zu Nutzung überlassen und es könne nicht festgestellt werden, wer es am fraglichen Tag gelenkt habe. Womöglich könne die Einsicht in den Ermittlungsvorgang helfen, den Fahrer zu erkennen. Zu der beantragten Akteneinsicht kam es im Zuge des Ordnungswidrigkeitenverfahrens nicht mehr. Ein vom Landkreis Hannover mit weiteren Ermittlungen ersuchter Beamter der Polizei in Goslar sprach am 10.06.1999 bei der für den Fahrzeugpark zuständigen Mitarbeiterin der Klägerin vor und präsentierte ihr das bei der Geschwindigkeitsmessung gefertigte Frontfoto. Nach dem darüber aufgenommenen Vermerk vom 17.06.1999 (Bl. 16 des Bußgeldvorgangs), auf den im Übrigen Bezug genommen wird, erklärte diese, im Zweigwerk Goslar würden ca. 200 Personen arbeiten. Wenn die firmeneigenen Wagen nicht ausreichten, würden weitere Wagen von einem bestimmten Vermieter angemietet. Fahrtenbücher oder Nachweise für die Fahrzeuge würden nicht geführt. Nachdem sie auf die Belehrung über eine mögliche Fahrtenbuchauflage weitere Nachforschungen angekündigt hatte, erklärte sie am 14.06.1999 gegenüber einem anderen Polizeibeamten, sie habe den Fahrer auf dem Foto nicht ausfindig machen können. Außerdem sei das Bild "zu undeutlich". Daraufhin stellte der Landkreis Hannover das Ordnungswidrigkeitenverfahren ein und informierte den Beklagten, der seinerseits der Klägerin mit Schreiben vom 14.07.1999 Gelegenheit gab, zur beabsichtigten Fahrtenbuchanordnung Stellung zu nehmen.

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Mit Bescheid vom 02.08.1999 gab der Beklagte der Klägerin auf, für die Dauer von sechs Monaten für das Fahrzeug mit dem o.g. amtlichen Kennzeichen  - auch für ein Ersatzfahrzeug - ein Fahrtenbuch zu führen.

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Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch, den die Bezirksregierung Braunschweig mit Widerspruchsbescheid vom 04.11.1999 - den Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 08.11.1999 - zurückwies.

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Mit der am 08.12.1999 erhobenen Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend: Sie könne nicht nachvollziehen, ob der fragliche Verkehrsverstoß tatsächlich begangen worden sei. Dies könne letztlich auch dahinstehen, da die Anordnung der Fahrtenbuchauflage schon deshalb rechtswidrig sei, weil es der zuständigen Behörde nicht unmöglich gewesen sei, den Fahrer zu ermitteln. Sie habe die notwendigen Ermittlungen nicht rechtzeitig eingeleitet und so auch verhindert, dass der Fahrer in ihrem Unternehmen habe ausfindig gemacht werden können. Hätte die Behörde zeitgerecht gehandelt, wäre der Fahrer - wie auch bei anderen Anlässen - ausfindig gemacht worden. Da dies nicht geschehen sei, habe sie angesichts der Vielzahl der in ihrem Unternehmen eingesetzten "mehreren Dutzend" Fahrzeugen, die nicht regelmäßig jeweils bestimmten Nutzern ständig zugewiesen seien, sondern von den verschiedensten Fahrern benutzt würden, den Fahrzeugführer zum Tatzeitpunkt nicht mehr ermitteln können. Unterlagen, die darüber hätten Auskunft geben können, seien bei Eintreffen der entsprechenden Anfrage nicht "mehr" vorhanden gewesen. Außerdem habe der Beklagte gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen und das Ermessen nicht zutreffend ausgeübt.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 02.08.1999 in der Form des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Braunschweig vom 04.11.1999 aufzuheben und die Hinzuziehung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

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Der Beklagte hält an der getroffenen Entscheidung fest und beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, des beigezogenen Vorgangs des Landkreises Hannover sowie des Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage, über die das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§101 Abs. 2 VwGO) , ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten. Mit der Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuches hat der Beklagte der Klägerin für künftige Fälle zu Recht eine Mitwirkungspflicht auferlegt, die in Ergänzung der für das fragliche Fahrzeug bestehenden Kennzeichnungspflicht der Erhaltung von Ordnung und Sicherheit im Straßenverkehr dienen soll.

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Rechtsgrundlage für die Maßnahme des Beklagten, die sich gegen die Klägerin als Fahrzeughalterin richtet, ist § 31a Satz 1 StVZO. Nach dieser Vorschrift kann die Verwaltungsbehörde einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere Fahrzeuge das Führen eines Fahrtenbuches auferlegen, wenn die Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Das ist hier der Fall.

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Eine Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften in dem genannten Sinne ist darin zu sehen, dass am 08.04.1999 um 09.01 Uhr auf der BAB 7 in der Gemarkung Sehnde Richtung Hannover bei km 161.920 die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um - nach Abzug der Toleranz - 46 km/h überschritten worden ist. Dies ergibt sich aus dem amtlichen, von Beamten des Autobahnkommissariat Hildesheim angefertigten Messprotokoll und seinen Anlagen, die sich ebenfalls in der beigezogenen Akte des Landkreises Hannover befinden. Diesen Unterlagen (Bl. 2 bis 8 der Beiakte A), öffentliche Urkunden im Sinne des § 98 VwGO i. V. m. § 418 ZPO, ist ferner zu entnehmen, dass die Messung unter regulären Bedingungen mit einem dafür amtlich zugelassenen, geeichten und funktionsfähigen Messgerät ("ESO" uP 80/VIII-4) durchgeführt und dieses dabei vorschriftsmäßig bedient worden ist. Die von der Klägerin geäußerten Mutmaßungen geben keine Veranlassung, die Richtigkeit der genannten Feststellungen zu bezweifeln und weitergehende Ermittlungen durchzuführen. In der Rechtsprechung ist schon wegen der Voraussetzungen des § 98 VwGO i. V. m. § 418 ZPO anerkannt, dass ein unsubstantiiertes Bestreiten des Verkehrsverstoßes bzw. der diesbezüglichen polizeilichen Feststellungen weitere Ermittlungen nicht erforderlich macht (vgl. BVerwG, Beschl. vom 09.12.1993 - 11 B 113.93 -; Nds. OVG, Urt. vom 28.05.1993 - 12 L 7381/91 -; Beschl. vom 14.06.1999 - 12 M 2491/99 - NZV 1999, 486; Beschl. vom 29.11.1999 - 12 L 4605/99).

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In der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist geklärt, dass bereits eine einmalige Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 20 km/h regelmäßig eine so erhebliche Verkehrsübertretung darstellt, dass bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen für eine Fahrtenbuchauflage deren Androhung nicht ausreicht, sondern die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage mit einer Dauer von regelmäßig 6 Monaten ohne Weiteres geboten ist, selbst wenn durch die Geschwindigkeitsübertretung, die eine der hauptsächlichen Unfallursachen ist, eine konkrete Gefährdung nicht eingetreten ist (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.05.1995, BVerwGE 98, 227 = NZV 1995, 460 m.w.Nw.; Beschl. v. 12.07.1995 - 11 B 18.95 -, NJW 1995, 3402; Urt. vom 17.12.1982, Bay. VBl. 1983, 310; Nds. OVG, Urt. vom 08.05.1995, 12 L 7501/94; Beschl. vom 20.04.1998, 12 L 1886/98, m.w.Nw.; Nds. OVG, Beschl. vom 27.06.2000 - 12 L 2377/00,  st. Rspr. auch des VG Braunschweig, vgl. etwa Urt. vom 23.06.1999 - 6 A 103/99 -, 10.10.2000 - 322/99 und vom 07.02.2001 - 6 A 132/00).

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Die Feststellung des Fahrzeugführers, der bei dem Verkehrsverstoß das Fahrzeug gefahren hat, war der zuständigen Ordnungsbehörde darüber hinaus i.S.d. § 31a StVZO nicht möglich. Eine solche Sachlage ist gegeben, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Ob die Aufklärung angemessen war, richtet sich insoweit danach, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Dabei kann sich Art und Umfang der Tätigkeit der Behörde, den Fahrzeugführer nach einem Verkehrsverstoß zu ermitteln, an der Erklärung des Fahrzeughalters ausrichten. Lehnt dieser erkennbar die Mitwirkung einer Aufklärung des Verkehrsverstoßes ab, so ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende und kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben (BVerwG, Urt. vom 17.12.1982 - Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 11 m.w.N.; Beschl. vom 21.10.1987 - Buchholz, a.a.O., Nr. 18 m.w.N.; Beschl. vom 23.12.1996 - 11 B 84/96 -; Nds. OVG, Beschl. vom 17.02.1999 - 12 L 669/99 -, Beschl. vom 27.06.00 - 12 L 2377/00).

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Ausgehend von diesen Grundsätzen war der Ermittlungsaufwand des Landkreises Hannover angemessen. Unerheblich ist insoweit, dass der Anhörungsbogen zur Verkehrsordnungswidrigkeit der Klägerin nicht binnen zwei Wochen nach dem 08.04.1999, sondern erst mit Schreiben vom 17.05.1999 übersandt worden ist. Allerdings wird davon auszugehen sein, dass dem Erfordernis des angemessenen Ermittlungsaufwands grundsätzlich nur dann genügt ist, wenn der Halter unverzüglich (vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls regelmäßig innerhalb von zwei Wochen) von der mit seinem Kraftfahrzeug begangenen Zuwiderhandlung in Kenntnis gesetzt wird, damit er die Frage, wer zur Tatzeit sein Fahrzeug geführt hat, noch zuverlässig beantworten und der Täter Entlastungsgründe vorbringen kann. Wird die Anhörung des Halters - aus hier nicht nachvollziehbaren, für die Entscheidung aber auch unmaßgeblichen Gründen - verzögert, ist die Fahrtenbuchauflage gleichwohl indessen z. B. dann nicht ausgeschlossen, wenn - wie hier - feststeht, dass die Verzögerung für die Erfolglosigkeit der Täterermittlung nicht ursächlich gewesen ist (vgl. BVerwG, Beschl. vom 25.06.1987 - 7 B 139.87 - Buchholz 442.16 § 31 a StVZO Nr. 17; Beschl. vom 23.12.1996 - 11 B 84/96; Beschl. vom 14.05.1997 - 3 B 28/97). Eine solche Nicht-Ursächlichkeit der verspäteten Anhörung ist hier gegeben, da die Klägerin ersichtlich nicht bereit gewesen ist, ihren Mitwirkungsverpflichtungen nachzukommen, so dass auch ein rechtzeitiger Hinweis auf die begangene Verkehrsordnungswidrigkeit nicht zur Fahrerfeststellung geführt hätte. Dies gilt umso mehr, als das zum Beweis des Verkehrsverstoßes angefertigte Frontfoto den Fahrer nicht deutlich erkennen lässt, weil dieser -wahrscheinlich um die Überführung anhand des Fotos zu vermeiden - sein Gesicht mit der linken Hand verdeckt, so dass die Ermittlung des Täters mehr als bei einem auch anhand des Bildes ohne Weiteres identifizierbarem Fahrer von den Halterabgaben über den in Frage kommenden Täterkreis abhängig war.

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Die Mitwirkungsverweigerung der Klägerin ergibt sich zum einen aus der Tatsache, dass die Klägerin auf die Übersendung des Anhörungsbogens mit Schreiben vom 27.05.1999 geltend gemacht hat, sie könne nicht feststellen, welche der verschiedenen Personen, denen das Fahrzeug zur Nutzung überlassen sei, es am Tattag gefahren habe. Trotz der gleichzeitig beantragten Akteneinsicht hat bereits diese Äußerung den Schluss zugelassen, dass die Klägerin nicht im erforderlichen Ausmaß zur Mitarbeit bei der Aufklärung des Verkehrsverstoßes bereit war. Denn andernfalls hätte die Klägerin den Kreis der in Betracht kommenden Personen einengen, diese konkret benennen und zumindest auf diese Weise die Ermittlungen nachhaltig unterstützen können und müssen (vgl. BVerwG, Beschl. vom 18.07.1995 - 11 B 30.95; VG Braunschweig, Urt. vom 10.08.2000 - 6 A 296/99 -). Da sie dies auch im weiteren Verlauf des Ordnungswidrigkeitenverfahrens pflichtwidrig unterlassen hat, muss die Klägerin sich entgegen halten lassen, dass sie an der notwendigen Aufklärung der Tat nicht mitgewirkt hat. Mit dem Beklagten ist das Gericht der Auffassung, dass es jeder Lebenserfahrung widerspräche anzunehmen, die Klägerin sei nicht in der Lage gewesen, den Nutzerkreis des in Rede stehenden Mittelklassewagens nachhaltig einzuschränken und so weitere Ermittlungen, die auch anhand des allerdings nicht sehr deutlichen Frontfotos möglich gewesen wären, maßgeblich zu fördern. Die dem entgegenstehenden Einlassungen der Klägerin verfangen nicht. Insbesondere kann aus ihrem Verhalten bei anderer (auch späterer) Gelegenheit nicht geschlossen werden, die Klägerin habe sich auch in diesem Fall hinreichend kooperativ erwiesen; demgemäss braucht den Beweisanregungen in den Schriftsätzen der Klägerin vom 30.03.2000 und 05.06.2000 nicht nachgegangen zu werden. Gegen eine hinreichende Kooperationsbereitschaft der Klägerin sprechen auch die Einlassungen der Mitarbeiterin der Klägerin, die von dem ermittelnden Polizeibeamten am 10.06.1999 befragt worden ist. Nach dem darüber unter dem 17.06.1999 gefertigten und in seiner Richtigkeit auch von der Klägerin nicht bezweifelten dienstlichen Vermerk hat diese auch für den Fahrzeugpark zuständige Mitarbeiterin der Klägerin nach Hinweisen auf mögliche rechtliche Weiterungen "zu verstehen" gegeben, sie wolle den betroffenen Fahrer feststellen. Daraus schließt das Gericht, dass sie solches auch noch zum damaligen Zeitpunkt für möglich hielt. Dies würde auch der Lebenserfahrung entsprechen. Das im Telefonat vom 14.06.1999 mitgeteilte Ergebnis ihrer Bemühungen, sie habe den Fahrer auf dem Foto nicht ausfindig machen können und außerdem sei das Bild "zu undeutlich", belegt nicht, dass die Klägerin die ihr zumutbaren hinreichenden Bemühungen zur Fahrerfeststellung unternommen hat. Mit Blick auf die in Rede stehende Schwere des Vergehens, das durchaus auch mit einem Fahrverbot hätte geahndet werden können, wären über die visuelle Identifikation anhand des Frontfotos hinausgehende Nachforschungen möglich und zumutbar gewesen. Unter Umständen hätte die Geschäftsleitung oder eine von ihr dafür autorisierte Person alle in Betracht zu ziehenden Mitarbeiter nach ihren Aktivitäten zum Tatzeitpunkt befragen und - nach der gebotenen kritischen Hinterfragung - das Ergebnis der Ermittlungsbehörde mitteilen müssen. Die tatsächlich erfolgten Rückäußerungen der Klägerin durfte der Landkreis Hannover jedenfalls zum Anlass nehmen, weitergehende Ermittlungen als unverhältnismäßig und nicht hinreichend aussichtsreich zu qualifizieren.

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Die Unschädlichkeit der verspäteten Anhörung und eine (in diesem Zusammenhang: strukturelle) Mitwirkungsverweigerung der Klägerin folgt - unabhängig von Vorstehendem, rechtlich selbständig tragend - auch aus der Tatsache, dass sie - wie sich aus der genannten Einlassung ihrer Mitarbeiterin ergibt - Fahrtenbücher oder Nachweise über die Benutzung ihrer Kraftfahrzeuge nicht geführt hat. Da die Klägerin eine sowohl nach bilanz- wie auch steuerrechtlichen Gesichtspunkten buchführungspflichtige Handelsgesellschaft ist, bei der vorhandene Geschäftsfahrzeuge mehreren Betriebsangehörigen zur Verfügung stehen, wäre es Sache ihrer Geschäftsleitung gewesen, die notwendigen organisatorischen Vorkehrungen dafür zu treffen, dass auch noch nach längerer Zeit festgestellt werden kann, welche Person zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes Geschäftsfahrzeug benutzt hat. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass es ungeachtet der aus §§ 238 Abs. 1, 257 HGB folgenden Buchführungs- und Aufbewahrungspflichten sachgerechtem kaufmännischem Verhalten entspricht, dass ein kaufmännischer Wirtschaftsbetrieb grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Erinnerung einzelner Personen in der Lage ist, Geschäftsfahrten anhand schriftlicher Unterlagen zu rekonstruieren und den jeweiligen Fahrzeugführer im Einzelfall festzustellen (OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. vom 31.03.1995 - 25 A 2798/93 - NJW 1995, 3335, 3336 f; Urt. vom 29.04.1999 - 8 A 699/97 - NZV 1999, 439; VGH Bad.-Würt., Beschl. vom 26.02.1996 - 10 S 294/96 - m.w.Nw., Beschl. vom 20.11.1998 - 10 S 2673/98 - NZV 1999, 149; VG Koblenz, Urt. vom 05.02.1997 - 3 F 10/97 A - ZfSch 1997, 318 - hier zitiert nach Juris; Nds. OVG, Beschl. vom 23.10.1996 - 12 L 587/96; VG Braunschweig, Urteile vom 22.10.1997 - 6 A 61180/97 -; 22.04.1999 - 6 A 41/99 -; 15.02.2000 - 6 A 311/99 -und 03.08.2000 - 6 A 296/99). Soweit die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigten hat vortragen lassen, sie könne den fraglichen Fahrer nicht ermitteln, da entsprechende Nachweisunterlagen nach Ablauf von mehr als 6 Wochen "nicht mehr" vorhanden waren, entnimmt das Gericht dem nicht den (in dieser Form nur unzulänglich substantiierten) Tatsachenvortrag, sie habe solche Nachweisunterlagen je gehabt. Selbst wenn es (entgegen den von der Polizei zitierten Angaben der dazu befragten Mitarbeiterin der Klägerin) so gewesen wäre, hätte die Klägerin ihrer Nachweisobliegenheit nicht genügt und die Unterlagen - wie dieser Fall zeigt - deutlich zu früh vernichtet. Im Interesse der Verkehrssicherheit darf nicht hingenommen werden, dass ein Unternehmen, das zahlreiche (nach eigenen Angaben der Klägerin: "Duzende") Fahrzeuge für seine geschäftlichen Zwecke - wie hier - einsetzt, sich in einer Weise organisiert, die seinen Mitarbeitern bei der Benutzung von Unternehmensfahrzeugen das Gefühl vermitteln muss, sie könnten im Falle einer Verkehrsübertretung mit größerer Wahrscheinlichkeit nicht ausfindig gemacht und persönlich zur Verantwortung gezogen werden.

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Entgegen der Auffassung der Klägerin lässt die angefochtene Fahrtenbuchanordnung Ermessensfehler nicht erkennen. Sie verstößt insbesondere auch nicht gegen das Übermaßverbot. Mit Blick auf die genannte Rechtsprechung zur Erheblichkeit einer Geschwindigkeitsüberschreitung um mehr als 20 km/h und mit Rücksicht auf die erheblich erhöhte Gefährlichkeit eines Geschwindigkeitsverstoßes der hier gegebenen Größenordnung von 46 km/h besteht Anlass darauf hinzuweisen, dass die Klägerin die Anordnung des Beklagten als eine milde Maßnahme begreifen kann, da auch daran zu denken gewesen wäre, die Dauer der Fahrtenbuchanordnung auf eine längeren Zeitraum (vgl. dazu etwa Urteil des erkennenden Gerichts vom 07.02.2001 - 6 A 132/00: 12 Monate; sowie Urteil vom 10.08.2000 - 296/99 m. w. Nw.) und auch auf vergleichbare Fahrzeuge der Klägerin zu erstrecken, um die Ziele des Gesetzes zu erreichen. Das Führen eines Fahrtenbuchs fördert nicht nur die Ermittlung begangener Verkehrsverstöße, sondern trägt auch dazu bei, dass etwaige Verstöße künftig unterbleiben, weil es sich positiv auf die Verkehrsdisziplin eines Fahrzeugführers auswirkt, wenn er damit rechnen muss, dass er wegen der durch das Fahrtenbuch feststellbaren Fahreridentität für jeden Verkehrsverstoß zur Verantwortung gezogen wird (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. vom 17.11.1997, NZV 1998, 126-127 = DÖV 1998, 298-299 [VGH Baden-Württemberg 17.11.1997 - 10 S 2113/97]; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. vom 14.03.1995, NJW 1995, 2242).

21

Da die angefochtenen Bescheide auch im Übrigen rechtmäßig sind, muss die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abgewiesen werden. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit und zur Abwendungsbefugnis folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708, 711 Nr. 11 ZPO.

22

Dem Antrag der Klägerin, nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO die Zuziehung ihrer Prozessbevollmächtigten für notwendig zu erklären, kann nicht stattgegeben werden, da die dafür vorausgesetzte Verpflichtung des Beklagten zur Kostentragung nicht besteht.

23

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG und berücksichtigt für jeden Monat der Dauer der streitigen Anordnung einen Betrag in Höhe von 500,-- DM (vgl. dazu Nr. 45.6 der Empfehlungen im Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom Januar 1996, DVBl. 1996, 605, 610).