Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 14.02.2001, Az.: 6 B 26/01
Körperbehinderte; Reisekrankheit; sofortige Vollziehung; sonderpädagogischer Förderbedarf; Sonderschule; Überweisung
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 14.02.2001
- Aktenzeichen
- 6 B 26/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 39552
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 68 SchulG ND
- § 80 Abs 5 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Zuweisung zur Sonderschule für Körperbehinderte.
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,-- DM festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsteller sind die Erziehungsberechtigten der am 22. Juni 1993 geborenen Schülerin H.. Zu Beginn ihrer Schulpflicht wurde die Schülerin ab August 1999 für die Dauer eines Jahres vom Schulbesuch zurückgestellt und (weiterhin) dem Kindergarten zugewiesen, weil bei ihr eine mehrfache Behinderung sowie eine Verzögerung ihrer Entwicklung festgestellt worden waren. Bei einer Untersuchung durch das Gesundheitsamt des Landkreises Peine wurden u.a. eine hochgradige Sehbehinderung mit visuomotorischen Auffälligkeiten, eine spastische Cerebralparese mit Beeinträchtigungen der Motorik sowie Dystrophie und Mikrozephalie diagnostiziert.
Im Hinblick auf diese Beeinträchtigungen beantragten die Antragsteller am 27. Januar 2000 die Durchführung eines Verfahrens zur Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs. Auf der Grundlage eines Entwicklungsberichts des Kindergartens M., des Ergebnisses der Einschulungsuntersuchung vom 04. Mai 2000, des sonderpädagogischen Beratungsgutachtens vom 07. April 2000, einer Stellungnahme des Mobilen Dienstes für sehbehinderte Schülerinnen und Schüler vom 07. April 2000 und einer schulfachlichen behördeninternen Stellungnahme vom 25. Mai 2000 stellte die Antragsgegnerin einen erheblichen sonderpädagogischen Förderbedarf der Schülerin fest und wies sie ab Beginn des Schuljahres 2000/2001 der -Schule (Schule für Körperbehinderte) hinzu. Hiergegen erhoben die Antragsteller am 19. Juni 2000 Widerspruch. Infolge der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs wurde die Schülerin zu Beginn des Schuljahres zunächst an der für sie örtlich zuständigen Grundschule in Meerdorf eingeschult.
Mit Schreiben vom 10. Oktober 2000 wandte sich die Grundschule Meerdorf an die Antragsgegnerin mit der Bitte, die sofortige Vollziehung der Überweisungsverfügung vom 06. Juni 2000 anzuordnen, weil an dieser Schule eine angemessene Förderung der Schülerin nicht erfolgen könne. Als Ergebnis der Lernstandsbeobachtung durch die Grundschule und des Beobachtungsberichts eines hinzugezogenen Lehrers der Schule für Lernhilfe wurde festgestellt, dass die Schülerin bereits mit den Anforderungen der Eingangsphase im Grundschulunterricht überfordert sei und unbedingt der Förderung mit reduzierten Lerninhalten, einer individuellen Hilfestellung sowie einer therapeutischen Förderung in dem Bereich Ergotherapie und der Versorgung mit speziellen Sehhilfen bedürfe. Im Hinblick auf ein von den Antragstellern vorgelegtes Attest vom 22. August 2000 des Kinderarztes Dr. aus, der bei dem Kind eine Reisekrankheit diagnostiziert hatte und eine tägliche "zweistündige Autofahrt" von Wendeburg nach Braunschweig und zurück für nicht möglich hielt, beteiligte die Antragsgegnerin hierzu das Gesundheitsamt des Landkreises . In der ärztlichen Stellungnahme vom 10. Januar 2001 führte die Amtsärztin aus, dass die Beförderung der Schülerin zur -Schule in durchaus möglich sei. Allerdings müsse der Transport als Einzelbeförderung auf direktem Weg zwischen der Wohnung und der Schule erfolgen. Außerdem müsse die Schülerin vorn im Fahrzeug sitzen, wie sie es auch im Fahrzeug ihrer Mutter dürfe. Gegen aufkommende Übelkeit könnten Reisekaugummis verabreicht werden. Damit die Schülerin in der Übergangszeit nicht überfordert werde, solle ein gestaffelter Unterricht ermöglicht werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2001 - zugestellt am 31. Januar 2001 - wies daraufhin die Antragsgegnerin den Widerspruch der Antragsteller gegen die Verfügung vom 06. Juni 2000 als unbegründet zurück und ordnete die sofortige Vollziehung der Überweisung in die Schule für Körperbehinderte (-Schule) in an.
Am 06. Februar 2001 haben die Antragsteller beim Verwaltungsgericht um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung tragen sie vor:
Bei der Zuweisung zur Sonderschule für Körperbehinderte in Braunschweig müsse die besondere gesundheitliche Belastung, die diese Maßnahme für die Schülerin bedeute, berücksichtigt werden. Hierzu genüge es nicht festzustellen, dass die Beförderung zur Schule "mit bestimmten Bedingungen" bewältigt werden könne. Es müsse vielmehr die Beförderung im Einzelnen in einer Weise geregelt werden, die die gesundheitliche Belastbarkeit der Tochter der Antragsteller nicht übersteige. Dies sei noch nicht geschehen, wie sich darin zeige, dass weder sie - die Antragsteller - noch der Landkreis Peine als Träger der Schülerbeförderung über die Vorgaben des Gesundheitsamtes informiert worden seien.
Die Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Überweisungsverfügung der Antragsgegnerin vom 06. Juni 2000 i.d.F. des Widerspruchsbescheids vom 24. Januar 2001 wiederherzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie entgegnet:
Es liege im besonderen öffentlichen Interesse, dass die Schülerin mit sofortiger Wirkung eine Schule für Körperbehinderte besuche. Es sei festgestellt worden, dass bei der Schülerin ein sonderpädagogischer Bedarf vorliege, der an der derzeit besuchten Grundschule nicht erfüllt werden könne. Dieser Schule fehlten überdies die für eine angemessene Unterweisung erforderlichen besonderen Hilfsmittel. Wie sich aus der vom Gesundheitsamt des Landkreises Peine eingeholten ärztlichen Stellungnahme vom 18. Januar 2001 ergebe, sei die Beförderung des Kindes zu der der Behinderung entsprechenden und zur Deckung des Förderbedarfs geeigneten Schule durchführbar. Der Landkreis Peine als Träger der Schülerbeförderung sei bereit und in der Lage, entsprechend den in der ärztlichen Stellungnahme festgelegten Vorgaben eine Beförderung auf direktem Wege zwischen dem Wohnort und der Schule sicherzustellen. Hierzu gebe es eine Vereinbarung des Landkreises Peine mit einem örtlichen Taxiunternehmen auf der Grundlage des amtsärztlichen Gutachtens. Sowohl im Interesse des Kindes, unverzüglich eine angemessene Förderung zu erhalten, als auch im Interesse der Allgemeinheit, dass eine schulische Einrichtung nur von denjenigen Schülern besucht werde, die dort angemessen gefördert werden könnten, sei die sofortige Vollziehung der Überweisungsverfügung vom 06. Juni 2000 geboten. Darüber hinaus ergebe sich das öffentliche Interesse an einem Sofortvollzug auch daraus, dass einer evtl. nachfolgenden Klage die Erfolgsaussichten fehlten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin verwiesen.
II.
Der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.
Die Antragsgegnerin hat die sofortige Vollziehung der sonderpädagogischen Überweisungsverfügung vom 06. Juni 2000 i.d.F. des Widerspruchsbescheids vom 24. Januar 2001 in formell ordnungsgemäßer Weise angeordnet (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) und in ausreichender Weise schriftlich begründet, warum das besondere Interesse an dem Sofortvollzug als gegeben erachtet wird (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Der Hinweis darauf, dass es bei einer festgestellten Sonderschulbedürftigkeit das Wohl des Kindes erfordere, unverzüglich an einer geeigneten Schulform unterwiesen zu werden, und es außerdem im öffentlichen Interesse liege, dass eine schulische Einrichtung nicht von Schülern besucht werden dürfe, die dort eine angemessene Förderung nicht erhalten könnten, genügt dem gesetzlich vorgeschriebenen Begründungserfordernis.
Auch aus materiell-rechtlichen Gründen besteht keine Veranlassung, die aufschiebende Wirkung des gegen die Verfügung vom 06. Juni 2000 erhobenen Rechtsbehelfs wiederherzustellen. Nach § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung, sofern nicht die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde besonders angeordnet wird. Eine derartige Vollziehungsanordnung setzt zu ihrer Rechtswirksamkeit voraus, dass ohne sie das öffentliche Interesse in schwerwiegender Weise beeinträchtigt würde, so dass demgegenüber die privaten Interessen des von der Vollziehungsanordnung Betroffenen zurücktreten müssen.
Ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der von den Antragstellern angefochtenen Überweisungsverfügung ist bereits deshalb anzunehmen, weil nach Lage der zu den Verwaltungsvorgängen gelangten Unterlagen über die Feststellung eines Förderbedarfs bei der Schülerin ein evtl. nachfolgendes Verfahren zur Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Dies ergibt sich auch aus den zutreffenden Ausführungen der Antragsgegnerin im Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2001, in dem im Einzelnen die rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen für die angefochtene Anordnung dargelegt sind. Hierauf nimmt die Kammer zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug. Das Antragsvorbringen rechtfertigt eine andere Beurteilung nicht. Soweit darin - ohne dies im Einzelnen zu substantiieren - angezweifelt wird, dass eine Beförderung der Schülerin zur Schule entsprechend den Vorgaben des Gesundheitsamtes des Landkreises Peine erfolgen könne, teilt das Gericht diese Bedenken der Antragsteller nicht. Die Antragsgegnerin hat in ihrer Antragserwiderung dargelegt, dass der Landkreis Peine als Träger der Schülerbeförderung in Kenntnis der ärztlichen Vorgaben bereit sei, mit einem geeigneten Beförderungsunternehmen eine unmittelbare Beförderung der Schülerin auf dem direkten Weg zwischen ihrer Wohnung und der Schule für Körperbehinderte in sicherzustellen. Der Kammer ist aus anderen Verfahren bekannt, dass der Träger der Schülerbeförderung auch in der Lage ist, eine solche auf den Einzelfall zugeschnittene Beförderung sicherzustellen.
Zudem hätte ein Stattgeben des Antrags zur Folge, dass die Schülerin bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit der angefochtenen Überweisungsverfügung weiterhin die Grundschule in M. zu besuchen hätte, an der sie bereits mit den Anforderungen der Eingangsphase im Grundschulunterricht überfordert ist und ihrem Leistungsvermögen auch nicht annähernd entsprechend gefördert werden kann. Nach dem Ergebnis des sonderpädagogischen Überprüfungsverfahrens ist vielmehr davon auszugehen, dass die Schülerin aufgrund vielfältiger erheblicher Defizite einer besonderen pädagogischen Förderung bedarf, die wegen der dafür erforderlichen organisatorischen, personellen und sächlichen Mittel eine Unterrichtung an der hierfür geeigneten -Schule erfordert. In Anbetracht der vielfältigen Behinderungen und der Eindeutigkeit der Beeinträchtigung der Schülerin wäre ein weiteres Verbleiben an der bisherigen Schule für ihre weitere Entwicklung schädlich.
Der Antrag ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG und beläuft sich auf die Hälfte des in einem Hauptsacheverfahren anzunehmenden Wertes (Nr. I 7 i.V.m. II 37.3 des Streitwertkatalogs/Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl. § 189).