Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 07.02.2001, Az.: 6 A 132/00

Anhörungsfrist; Erinnerungsvermögen; Fahrtenbuch; Fahrtenbuchdauer; Foto; Höchstgeschwindigkeit; Streitwert

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
07.02.2001
Aktenzeichen
6 A 132/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 39274
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine Fahrtenbuchdauer von 12 Monaten ist bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 43 km/h angemessen. Zur Einhaltung der Anhörungsfrist von regelmäßig 14 Tagen bei dem Vorliegen eines zur Identifizierung geeigneten Fotos. (Bestätigt: OVG Lüneburg, Beschl. vom 05.03.01, 12 LA 897/01)

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann eine vorläufige Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 6000,-- DM festgesetzt.

Tatbestand:

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Anordnung, für die Dauer von zwölf Monaten ein Fahrtenbuch zu führen.

2

Die Klägerin ist Halterin eines Personenkraftwagens mit dem amtlichen Kennzeichen GF-..... Nach einem vom Landkreis Coesfeld eingeleiteten Ordnungswidrigkeitenverfahren ist mit diesem Fahrzeug am 12.04.1999 gegen 21.16 Uhr in der Ortschaft Coesfeld-Lette die dort zugelassene Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 43 km/h  überschritten worden. Die im Laufe dieses Verfahrens als Halterin um zeugenschaftliche Angaben gebetene Klägerin ließ durch ihre Bevollmächtigten mitteilen, sie könne die Person, die das Fahrzeug zum Vorfallszeitpunkt geführt habe, anhand des Frontfotos nicht identifizieren. Weitere Ermittlungen, die sich auch auf den in Freiburg/Br. wohnenden Sohn der Klägerin erstreckten, blieben erfolglos. Der Landkreis Coesfeld stellte daraufhin das Ordnungswidrigkeitenverfahren nach Eintritt der Verfolgungsverjährung ein und informierte den Beklagte.

3

Mit Bescheid vom 30.09.1999 gab der Beklagte der Klägerin auf, für die Dauer von zwölf Monaten nach Eintritt der Bestandskraft dieses Bescheides für das o.g. Fahrzeug - auch für ein Ersatzfahrzeug - ein Fahrtenbuch zu führen.

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Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch, den die Bezirksregierung Braunschweig mit Widerspruchsbescheid vom 10.01.2000 - den Bevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 12.01.2000 - zurückwies.

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Mit der am 19.01.2000 erhobenen Klage macht der Klägerin im Wesentlichen geltend:

6

Das fragliche Fahrzeug werde nahezu ausschließlich von ihrer Tochter benutzt, die es zum Vorfallszeitpunkt einer dritten Person überlassen habe, die auf dem Foto in der Bußgeldakte abgebildet sei. Sie kenne diese Person nicht und habe auch nichts davon gewusst, dass ihre Tochter es entgegen ihrer ausdrücklichen Anordnung anderen Personen überlassen habe. Ihre Tochter habe sich erstmalig über ihre Weisung hinweggesetzt, was sie, die Klägerin nicht habe verhindern können. Deshalb wäre die Androhung einer Fahrtenbuchauflage ausreichend gewesen, wohingegen die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage ohne vorherige Anhörung unverhältnismäßig sei, zumal sie sich durchaus in angemessenem Maße um eine Aufklärung des Verkehrsverstoßes bemüht habe.

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Die Klägerin beantragt,

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die Fahrtenbuchauflage in dem Bescheid des Beklagten vom 30.09.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Braunschweig vom 10.01.2000 aufzuheben.

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Der Beklagte hält an seiner Entscheidung fest und beantragt,

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die Klage zurückzuweisen.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage, über die das Gericht im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten.

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Rechtsgrundlage für die gegenüber der Klägerin als Fahrzeughalterin angeordnete Maßnahme des Beklagten ist § 31a Satz 1 StVZO. Nach dieser Vorschrift kann die Verwaltungsbehörde einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere Fahrzeuge das Führen eines Fahrtenbuches auferlegen, wenn die Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Das ist hier der Fall.

14

Eine Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften in dem genannten Sinne ist darin zu sehen, dass am 12.04.1999 mit dem fraglichen Kraftfahrzeug in der Ortschaft Coesfeld-Lette die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 43 km/h überschritten worden ist. In einer Geschwindigkeitsübertretung dieser Größenordnung liegt ein erheblicher Verkehrsverstoß, der bereits nach einem erstmaligen Vorfall die Anordnung rechtfertigt, ein Fahrtenbuch zu führen (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.12.1982 - Bay. VBl. 1983, 310; Urt. vom 17.05.1995 - 11 C 12.94 -, BVerwGE 98, 227; Beschl. vom 09.09.1999 - 3 B 94.99 -, NZV 2000, 386; Nds. OVG, Urt. vom 26.06.1980 - 12 OVG A 45/80; Beschl. vom 27.06.00 - 12 L 2377/00). Des Nachweises einer konkreten Gefährdung durch diesen zu den Hauptunfallursachen rechnenden Verkehrsverstoß bedarf es nicht.

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Die Feststellung des Fahrzeugführers, der bei dem Verkehrsverstoß das Fahrzeug gefahren hat, war der zuständigen Ordnungsbehörde darüber hinaus i.S.d. § 31a StVZO nicht möglich. Eine solche Sachlage ist gegeben, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Ob die Aufklärung angemessen war, richtet sich insoweit danach, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Dabei kann sich Art und Umfang der Tätigkeit der Behörde, den Fahrzeugführer nach einem Verkehrsverstoß zu ermitteln, an der Erklärung des Fahrzeughalters ausrichten. Lehnt dieser erkennbar die Mitwirkung einer Aufklärung des Verkehrsverstoßes ab, so ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende und kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben (BVerwG, Urt. vom 17.12.1982 - Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 11 m.w.N.; Beschl. vom 21.10.1987 - Buchholz, a.a.O., Nr. 18 m.w.N.; Beschl. vom 23.12.1996 - 11 B 84/96 -; Nds. OVG, Beschl. vom 17.02.1999 - 12 L 669/99 -, Beschl. vom 12. 04.2000 - OVG 12 L 1374/00 Beschl. vom 27.06.00 - 12 L 2377/00).

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Ausgehend von diesen Grundsätzen war der Ermittlungsaufwand der Behörde angemessen. Schon aufgrund einer Mitwirkungsverweigerung im vorgenannten Sinne brauchte der Landkreis Coesfeld weitergehende Ermittlungen nicht anzustellen. Die Klägerin hat sich auf den ihr übersandten Zeugenfragebogen lediglich dahingehend eingelassen, sie könne die auf dem Frontfoto abgebildete Person nicht identifizieren. Dabei hat sie - was entscheidend ist - jeden Hinweis darauf unterlassen, wer weitere Auskunft über den Besitzer des Fahrzeugs zum Vorfallszeitpunkt geben könnte. Da für den Landkreis Coesfeld Anhaltspunkte dafür, dass auch die Tochter der Klägerin das Fahrzeug besessen und diese es einer dritten (nach dem bei der Messung der Geschwindigkeitsübertretung gefertigten Frontfoto vielleicht männlichen) Person gegeben haben könnte, - unstreitig - nicht bestanden haben, hätte die Klägerin nur auf diese Weise ihrer Mitwirkungsobliegenheit hinreichend genügt. Solche Hinweise auf den in Betracht kommenden Personenkreis (Bekannte ihrer Tochter) wären der Klägerin ohne Weiteres möglich gewesen. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass das Fahrzeug jedenfalls in dem in Betracht zu ziehenden Zeitraum "nahezu ausschließlich" von der Tochter der Klägerin geführt worden ist, muss der Umstand, dass die Klägerin den Landkreis Coesfeld darauf nicht umgehend hingewiesen hat, auch als eine erkennbare Mitwirkungsverweigerung verstanden werden, an der Aufklärung der begangenen Ordnungswidrigkeit mitzuwirken. Allein aufgrund dieses Umstandes ist es bereits gerechtfertigt anzunehmen, dass es der Behörde im Sinne des § 31a StVZO nicht möglich war, die Person festzustellen, die die Geschwindigkeitsübertretung begangen hat. Unabhängig davon hat der Landkreis Coesfeld aber auch die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausgeschöpft und ist zunächst dem Verdacht nachgegangen, dass das Fahrzeug der Klägerin von ihrem Sohn gefahren worden ist. Aufgrund des bei der Messung der Geschwindigkeitsübertretung gefertigten Frontfotos lag es nahe anzunehmen, dass als Fahrzeugführer wahrscheinlich eine männliche Person in Betracht kommt. Weitergehende Ermittlungen waren danach nicht mehr geboten.

17

Entgegen der Auffassung der Klägerin, der im Übrigen im Widerspruchsverfahren auch rechtliches Gehör gewährt worden ist, hat der Beklagte sein Ermessen nicht fehlerhaft ausgeübt. Die getroffene Maßnahme ist insbesondere nicht unverhältnismäßig. Gegenüber den insoweit bereits im Widerspruchsverfahren vorgebrachten Bedenken der Klägerin hat die Widerspruchsbehörde bereits das Richtige gesagt, so dass darauf gemäß § 117 Abs. 5 VwGO zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen werden kann. Ergänzend ist lediglich hervorzuheben:

18

In der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist geklärt, dass bereits eine einmalige Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 20 km/h regelmäßig eine so erhebliche Verkehrsübertretung darstellt, dass eine Androhung nicht ausreichend, sondern die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage mit einer Dauer von regelmäßig 6 Monaten geboten ist, selbst wenn durch die Geschwindigkeitsübertretung, die eine der hauptsächlichen Unfallursachen ist, eine konkrete Gefährdung nicht eingetreten ist (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.05.1995, BVerwGE 98, 227 = NZV 1995, 460 m.w.Nw.; Beschl. v. 12.07.1995 - 11 B 18.95 -, NJW 1995, 3402; Urt. vom 17.12.1982, Bay. VBl. 1983, 310; Nds. OVG, Urt. vom 08.05.1995, 12 L 7501/94; Beschl. vom 20.04.1998, 12 L 1886/98, m.w.Nw.; Nds. OVG, Beschl. vom 27.06.2000 - 12 L 2377/00,  st. Rspr. auch des VG Braunschweig, vgl. etwa Urt. vom 23.06.1999 - 6 A 103/99 - und vom 10.10.2000 - 322/99). Vor diesem Hintergrund und mit Rücksicht auf die erheblich erhöhte Gefährlichkeit eines Geschwindigkeitsverstoßes der hier gegebenen Größenordnung übersteigt eine Anordnung, die sich auf zwölf Monate erstreckt, das zulässige Maß der gebotenen effektiven Kontrolle nicht und stellt auch keine übermäßige Belastung dar. Dies gilt mit Blick auf die konkreten Umstände des Einzelfalls erst recht, wenn berücksichtigt wird, dass die das Fahrzeug der Klägerin führende Person, die innerorts so schnell gefahren ist, dass sie - wie die Widerspruchsbehörde zutreffend ausgeführt hat - mit einem Fahrverbot hätte geahndet werden müssen, währenddessen auch noch mit einem Handy telefoniert und damit die von ihr mit dem Fahrzeug der Klägerin ausgehende Gefährdung deutlich erhöht hat. Angesichts der im konkreten Fall fruchtlosen Anweisungen der Klägerin gegenüber ihrer Tochter und der ersichtlichen Unbekümmertheit der fahrenden Person einerseits sowie andererseits der von einer solchen innerörtlichen Raserei ausgehenden Gefahr, die durch das die Aufmerksamkeit einschränkende Telefonieren noch gesteigert worden ist, muss hinreichend sicher Vorsorge getroffen werden, dass sich Solches nicht wiederholen wird; eine Fahrtenbuchanordnung, die bestimmt ist, über den Zeitraum von zwölf Monaten auch die persönliche Verantwortlichkeit des Fahrers sicherzustellen, dient diesem Zweck ersichtlich und ist auch im Falle der Klägerin angezeigt, die auf diese Weise eher in die Lage versetzt wird zu erfahren, wer ihr Fahrzeug tatsächlich führt.

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Da die angefochtene Fahrtenbuchanordnung auch im Übrigen rechtmäßig ist, muss die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abgewiesen werden. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit und zur Abwendungsbefugnis folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708, 711 Nr. 11 ZPO.

20

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG und berücksichtigt für jeden Monat der Dauer der streitigen Anordnung einen Betrag in Höhe von 500,-- DM (vgl. dazu Nr. 45.6 der Empfehlungen im Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom Januar 1996, DVBl. 1996, 605, 610).