Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 22.02.2001, Az.: 6 A 552/00

Asylantrag; Haftbefehl; Mitwirkungspflicht; Substantiierung; Syrien

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
22.02.2001
Aktenzeichen
6 A 552/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 39291
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zu den Mitwirkungspflichten des Asylsuchenden bei einem Asylantrag. Erfordernis, den Antrag in wesentlicher Hinsicht zu begründen.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

1

Der Kläger ist syrischer Staatsangehöriger. Ein von ihm nach der Einreise auf dem Landweg gestellter Asylantrag wurde vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 28. Juni 1999 als unbegründet abgelehnt. Die Behörde stellte außerdem fest, dass die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 und 53 AuslG nicht gegeben seien, und drohte für den Fall, dass der Aufforderung zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einem Monat nach Unanfechtbarkeit der ablehnenden Entscheidung nicht nachgekommen werde, die Abschiebung an. Das hiergegen gerichtete Klageverfahren wurde durch Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 21. Juni 2000 eingestellt, nachdem der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als einen Monat nicht betrieben hatte und deshalb die Klage als zurückgenommen galt (6 A 80/00).

2

Aufgrund von Betrugshandlungen, die der Kläger zusammen mit seinem Bruder zu Lasten der Deutschen Telekom AG in der Zeit von August bis September 1999 begangen hatte, wurde gegen ihn ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren eingeleitet und mit Beschluss des Amtsgerichts Goslar vom 07. Januar 2000 ein Haftbefehl zur Anordnung von Untersuchungshaft erlassen. Durch Urteil des Amtsgerichts Goslar vom 24. Januar 2001 wurde der Kläger wegen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde.

3

Im Oktober 1999 hatte der Kläger versucht, illegal nach Belgien einzureisen und dort unter unzutreffenden Angaben sowohl hinsichtlich seiner Person als auch zu den Gründen der Ausreise aus dem Heimatland einen Asylantrag gestellt, der abgelehnt wurde. Im Zuge der Rückführung nach Deutschland war der Kläger dann untergetaucht und später in Haft genommen worden.

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Am 02. November 2000 stellte der in Untersuchungshaft genommene Kläger aus der Haftanstalt durch seinen Prozessbevollmächtigten bei dem Bundesamt einen Asylfolgeantrag, ohne allerdings diesen Antrag zu begründen. Mit Bescheid vom 09. November 2000 lehnte das Bundesamt die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens sowie die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 AuslG ab. Gegen den am 14. November 2000 zugestellten Bescheid hat der Kläger am 24. November 2000 den Verwaltungsrechtsweg beschritten.

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Zur Begründung der Klage macht der Kläger geltend:

6

Das Bundesamt hätte ihn in der Justizvollzugsanstalt in Braunschweig zu seinem Asylantrag anhören müssen. Für den Prozessbevollmächtigten habe keine Gelegenheit bestanden, bis zur Entscheidung vom 09. November 2000 Kontakt mit ihm aufzunehmen. Spätestens bei dem Termin zur Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Goslar bestehe Gelegenheit, die Gründe für das Asylfolgeverfahren mit dem Prozessbevollmächtigten zu erörtern und anschließend vorzutragen.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid des Bundesamtes vom 09. November 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ein weiteres Asylverfahren durchzuführen und ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, sowie außerdem festzustellen, dass die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 und 53 AuslG vorliegen.

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Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid (schriftlich),

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die Klage abzuweisen.

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Auf die nach § 87b VwGO erlassene Verfügung des Gerichts hat der Kläger - nach Ablauf der ihm gesetzten Frist - ergänzend vorgetragen, dass er durch die bei seiner Inhaftierung im Jahr 1997 erlittenen Misshandlungen gesundheitliche Schäden davongetragen habe. Auf dem rechten Ohr habe er fast völlig das Hörvermögen verloren. Von seinem Bruder, der am 23. Januar 2001 mit dem Vater telefoniert habe, habe er erfahren, dass vor etwa zwei Wochen den Eltern ein Haftbefehl zugestellt worden sei, den der Vater übersenden werde.

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Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung zu seinem Asylvorbringen informatorisch ergänzend angehört worden; hinsichtlich seiner Angaben wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens, der Verfahrens 6 A 80/00 und 6 A 81/00 sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die den Beteiligten bekannte Liste der Erkenntnismittel zu Asylverfahren türkischer Staatsangehöriger verwiesen. Diese Unterlagen waren ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand des Verfahrens.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage über die das Gericht trotz Ausbleibens von Beteiligten verhandeln und entscheiden konnte, da es in der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen hat (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist nicht begründet.

15

Nach § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG ist auf einen nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages gestellten neuen Asylantrag ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn sich nach rechtskräftiger Ablehnung des Asylantrages die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage zugunsten des Betroffenen geändert hat, neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden, oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind. Der Antrag ist darüber hinaus nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außer Stande war, in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, den Grund für das Wiederaufgreifen geltend zu machen (§ 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 2 VwVfG). Der Antrag muss ferner binnen drei Monaten gestellt werden, gerechnet von dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen des Verfahrens Kenntnis erhalten hat (§ 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 3 VwVfG).

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Die Klage hat schon deshalb keinen Erfolg, weil der Kläger weder innerhalb der Frist der §§ 71 AsylVfG, 51 VwVfG überhaupt Gründe für sein Asylbegehren vorgetragen hat, obgleich ihm dies - erforderlichenfalls auch schriftlich und ohne Übersetzung - möglich gewesen wäre.

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Ein Asylsuchender hat aufgrund seiner Mitwirkungspflicht im Asylverfahren die Gründe für eine politische Verfolgung sowie alle sonstigen Tatsachen und Umstände anzugeben, die einer Abschiebung aus dem Bundesgebiet entgegenstehen (§§ 15, 25 AsylVfG). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich, wenn er als wahr unterstellt wird, bei verständiger Würdigung die drohende Verfolgungsgefahr ergibt (BVerwG, Beschl. vom 18.09.1989, InfAuslR 1989, 350 [BVerwG 18.09.1989 - BVerwG 9 B 308.89] m.w.N.). Demzufolge ist gemäß § 30 Abs. 3 AsylVfG ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet zu behandeln, wenn das Vorbringen des Ausländers in wesentlichen Punkten nicht substantiiert ist und er damit seine Mitwirkungspflichten in einer von ihm zu vertretenden Weise gröblich verletzt hat.

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Hiernach hat das Bundesamt den lediglich formal als Asylfolgeantrag bezeichneten, aber ohne jegliche inhaltliche Angaben zu den von § 71 AsylVfG vorausgesetzten Gründen für ein weiteres Asylverfahren versehenen Antrag, zutreffend abgelehnt. Den Kläger entschuldigt insoweit nicht, infolge seiner Untersuchungshaft in seiner freien Beweglichkeit eingeschränkt gewesen zu sein. Denn der Kläger hätte entweder den von seinem Prozessbevollmächtigten gestellten Asylfolgeantrag durch eine handschriftliche Begründung oder im Wege einer persönlichen Kontaktaufnahme mit seinem Prozessbevollmächtigten in der Justizvollzugsanstalt ergänzen können.

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Soweit der Kläger erstmals im gerichtlichen Verfahren, allerdings bereits nach Ablauf der mit gerichtlicher Verfügung gemäß § 87b VwGO gesetzten Ausschlussfrist, geltend gemacht hat, während seiner Abwesenheit in Syrien mit einem Haftbefehl überzogen worden zu sein, vermag dieses Vorbringen nicht die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zu rechtfertigen. Zwar ist das Gericht gehalten, wegen der sich aus der gesetzlichen Beschleunigungsmaxime ergebenden Pflicht, die Streitsache spruchreif zu machen, derartige Wiederaufgreifensgründe, die sich nach dem Vorbringen des Asylsuchenden erst nach der Entscheidung des Bundesamtes ergeben, in dem anhängigen Verfahren zu berücksichtigen; das Gericht hält dieses Vorbringen jedoch für nicht glaubhaft und das in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Schriftstück für eine Fälschung.

20

Die im gerichtlichen Verfahren nachgeschobene Behauptung, kürzlich mit einem "Haftbefehl" wegen eines Vorfalls überzogen worden zu sein, der bereits mehr als drei Jahre zurückliegt und auf den die Sicherheitsbehörden bereits in Bezug auf den Kläger eine Beteiligung verneint hatten, ist unglaubhaft. Ungeachtet des Umstandes, dass dieses Vorbringen - obwohl dem Kläger nach seinem eigenen Vortrag bereits zwei Wochen zuvor bekannt - nach Ablauf der vom Gericht nach § 87b VwGO gesetzten Ausschlussfrist geltend gemacht wurde, entsprechen die diesbezüglichen Angaben nicht der Auskunftslage hinsichtlich des Erlasses und der Zustellung von Haftbefehlen gegenüber abwesenden Personen. Auffällig ist insoweit auch, dass die von seinem Bruder vorgetragene ursprüngliche Behauptung, die Haftbefehle seien dem Vater zugestellt worden, später dahin abgeändert wurde, ein Sicherheitsbeamter habe den Vater hinsichtlich der Überlassung von Haftbefehlen an die Sicherheitsbehörde verwiesen, bei der der Vater inzwischen einen Antrag auf Überlassung der Haftbefehle gestellt habe. Auch dies deutet auf ein unglaubhaftes Vorbringen hin. Ein gegenüber einem Abwesenden ergangener Haftbefehl wird in Anwesenheit des Bürgermeisters und einer weiteren Person bzw. zweier anderer Zeugen nach Maßgabe der syrischen Strafprozessordnung am letzten Wohnsitz des Betreffenden niedergelegt. Die vom Kläger geschilderte Vorgehensweise bei der Zuleitung der vorgeblichen Haftbefehle ist danach ebenso wenig wahrscheinlich wie der Umstand, dass nach einer derart langen Auslandsabwesenheit überhaupt ein solcher Haftbefehl ergehen würde (Deutsches Orient-Institut, Auskunft vom 02.10.2000 an das VG Ansbach).

21

Soweit der Kläger mit dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Schriftstück geltend macht, es handele sich um eine Suchanordnung der Sicherheitsbehörde und nicht um einen gerichtlichen Haftbefehl, führt dies ebenfalls nicht zum Erfolg. Das Gericht hält das als Kopie vorgelegte Schriftstück für eine Fälschung. Dies ist schon daran zu erkennen, dass der Stempelabdruck offensichtlich nachgemacht ist und dem verwendeten Formular das üblicherweise darauf angebrachte Hoheitszeichen fehlt. Dem Schriftstück fehlt außerdem eine präzise Angabe des Behördensitzes; als Ausstellungsort ist lediglich aus dem Stempelaufdruck "Damaskus" ersichtlich. Auch die sonstigen Umstände lassen auf eine Fälschung schließen. Der "Suchbefehl" soll von Oktober 1998 stammen. Obwohl der Kläger und sein Bruder seit ihrer Ankunft in Deutschland etwa alle drei Wochen mit den Eltern telefoniert haben, wollen sie erst jetzt von diesem Schriftstück erfahren haben, das zudem dem Vater entgegen den bisherigen Angaben zu dem im Januar 2001 geführten Telefonat bereits seit Ende 1998 vorliegen soll. Der Grund für die späte Übersendung des Schriftstücks nach Deutschland, der Vater habe bisher Angst gehabt, es zu schicken, überzeugt nicht. Im Übrigen weist das Gericht die Urkunde als verspätet i.S.d. § 87b VwGO zurück. In Anbetracht der regelmäßigen Postlaufzeiten (mit Luftpost von Syrien nach Deutschland längstens fünf Tage) hätte der Kläger das Schriftstück nach dem Telefonat von Mitte Januar 2001 innerhalb der ihm gesetzten Frist vorlegen können und müssen.

22

Der Kläger hat keine Gründe vorgebracht, die unter diesen Voraussetzungen ein Wiederaufgreifen des Asylverfahrens rechtfertigen.

23

Schließlich sind auch Abschiebungshindernisse i.S.d. § 53 AuslG nicht ersichtlich. § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG erfasst allgemeine Gefahren i.S.d. § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG auch dann nicht, wenn sie den einzelnen Ausländer konkret und in individualisierbarer Weise betreffen. Lediglich dann, wenn dem einzelnen Ausländer kein Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 1 bis 4 und Abs. 6 Satz 1 AuslG zusteht, er aber gleichwohl nicht abgeschoben werden darf, weil die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG wegen einer extremen Gefahrenlage die Gewährung von Abschiebungsschutz unabhängig von einer Ermessensentscheidung nach den §§ 53 Abs. 6 Satz 2, 54 AuslG gebieten, ist § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG verfassungskonform einschränkend dahin auszulegen, dass eine Entscheidung nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht ausgeschlossen ist (BVerwG, Urt. vom 17.10.1995, NVwZ 1996, 199 [BVerwG 17.10.1995 - BVerwG 9 C 9/95]). Es ist jedoch nicht wahrscheinlich, dass der Kläger sich bei einer Rückkehr nach Syrien in einer solchen extremen Gefahrenlage befinden würde.

24

Der Kläger hat sein Heimatland offenbar aus asylfremden Gründen verlassen. Hierauf deutet auch sein strafbares Verhalten in Deutschland. Die dabei entwickelte erhebliche kriminelle Energie in einem Land, in dem der Kläger vorgeblich Schutz vor einer politischen Verfolgung erhalten möchte, macht deutlich, dass sein Verhalten in Deutschland nicht von einer Furcht vor der Rückführung in sein Heimatland und einer ihm dort drohenden Verfolgungsgefahr geprägt war. Andernfalls wäre er dieses Risiko nicht eingegangen.

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Die Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b Abs. 1 AsylVfG abzuweisen.