Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 22.02.2001, Az.: 4 A 459/99

Unterscheidbarkeit im Rahmen der Kostenerstattungspflicht zwischen der Hilfeleistung außerhalb von Einrichtungen und der Hilfe innerhalb einer Einrichtung i.S.d. Bundessozialhilfegesetzes (BSHG)

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
22.02.2001
Aktenzeichen
4 A 459/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 30882
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2001:0222.4A459.99.0A

Fundstelle

  • ZfF 2002, 206-207

Verfahrensgegenstand

Sozialhilfe (Kostenerstattung gem. § 103 Abs. 3 BSHG)

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 4. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 22. Februar 2001
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Ungelenk,
den Richter am Verwaltungsgericht Hachmann und
die Richterin am Verwaltungsgericht Köhler sowie
die ehrenamtliche Richterin F. und
den ehrenamtlichen Richter G.
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Beklagte wird verpflichtet, an die Klägerin 7.253,87 DM für den Krankenhausaufenthalt von Frau K. in der Zeit vom 02.02.1996 bis zum 15.02.1996 im Krankenhaus N. zu erstatten.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte; Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 7.500,--DM vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung von Krankenhauskosten für die Hilfeempfängerin K. gemäß § 103 Abs. 3 BSHG.

2

Die am 30. September 1969 geborene Hilfeempfängerin hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt vor ihrer Unterbringung in einer Einrichtung gemäß § 97 Abs. 4 BSHG in B.. In der Zeit von Oktober 1993 bis September 1994 wurde die Hilfeempfängerin in einer Einrichtung im Landkreis N. und unmittelbar anschließend von Oktober 1994 bis zum 31. Januar 1995 in einer Einrichtung in H. im Rahmen einer Drogentherapie betreut. Die letztgenannte Einrichtung verließ die Hilfeempfängerin zum 01. Februar 1995 und mietete zu diesem Zeitpunkt eine Wohnung im Zuständigkeitsbereich der Klägerin an. Ab dem 01. Februar 1995 wurde ihr durch die Klägerin Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt. Aufgrund eines entsprechenden Antrages erkannte die Beklagte durch Schreiben vom 12. Juni 1995 ihre Kostenerstattungspflicht für den Zeitraum vom 01. Februar 1995 bis längstens zum 31. Januar 1997 an. Während dieses Zeitraumes musste die Hilfeempfängerin in der Zeit vom 02. Juni 1995 bis zum 13. Juni 1995 wegen Heroinabhängigkeit erneut in der Nervenklinik L. behandelt werden. Die Kosten für diese Behandlung wurden aufgrund eines Grundanerkenntnisses vom 05. Juli 1995 gemäß § 100 Abs. 1 Nr. 1 BSHG vom Niedersächsischen Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben getragen.

3

In der Zeit vom 02. Februar 1996 bis 15. Februar 1996 musste die Hilfeempfängerin erneut wegen Phlegmonen und Abzessen der Zehen und der Hand im Krankenhaus N. behandelt werden. Die Kosten hierfür betrugen 7.253,87 DM, die von der Klägerin übernommen wurden.

4

Durch Schreiben vom 14. November 1997 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten Sozialhilfeleistungen aus dem Zeitraum von Februar 1995 bis Januar 1997 in Höhe von insgesamt 49.480,85 DM geltend. Hiervon erstattete die Beklagte einen Betrag in Höhe von 21.782,88 DM (vgl. Schreiben der Beklagten vom 28. April 1998). Die Verweigerung der Erstattung des Differenzbetrages in Höhe von insgesamt 27.697,97 DM begründete die Beklagte im Wesentlichen damit, dass die Kosten im Bereich der Krankenhilfe zum überwiegenden Teil durch das Anerkenntnis gemäß § 100 BSHG gedeckt seien und auch die Kostenrechnung des Krankenhauses N. über 7.253,87 DM für den stationären Aufenthalt vom 02. Februar 1996 bis zum 15. Februar 1996 gemäß § 103 Abs. 3 BSHG nicht kostenerstattungsfähig sei, da die Hilfeempfängerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des örtlichen Trägers des Anstaltsortes bereits vor der Krankenhausaufnahme begründet habe. Im Rahmen des weiteren Schriftverkehrs konnte bis auf die Erstattung der Kostenrechnung des Krankenhauses N. eine Einigung zwischen den Beteiligten erzielt werden.

5

Am 11. November 1999 hat die Klägerin den Verwaltungsrechtsweg beschritten. Zur Begründung ihres Kostenerstattungsbegehrens führt sie aus, dass zwischen den Beteiligten einzig und allein streitig sei, ob die Erstattungspflicht nach § 103 Abs. 3 BSHG auch Kosten für einen stationären Aufenthalt innerhalb des Zweijahreszeitraumes umfasse. Der Gesetzeswortlaut des § 103 Abs. 3 BSHG enthalte insoweit keine Einschränkung. Danach seien dem örtlichen Träger der Sozialhilfe die "aufgewendeten Kosten" zu erstatten. Im Gegensatz zu der Vorschrift des § 107 BSHG, welche ausdrücklich nur die Erstattung der erforderlich werdenden Hilfen außerhalb von Einrichtungen vorsehe, habe der Gesetzgeber in der Vorschrift des § 103 Abs. 3 BSHG eine derartige Einschränkung nicht vorgenommen. Vielmehr habe der Gesetzgeber ausdrücklich klargestellt, dass die Erstattungspflicht nicht durch einen Aufenthalt in einer Einrichtung im Sinne des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG unterbrochen werde, wenn dieser zwei Monate nicht übersteige.

6

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, die von ihr aufgewendeten Sozialhilfekosten für den Krankenhausaufenthalt der Frau K. vom 02. Februar 1996 bis 15. Februar 1996 im Krankenhaus N. in Höhe von 7.253,87 DM zu erstatten.

7

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Zur Begründung führt sie aus, dass zwar jede Leistung, die der Hilfeempfänger nach dem Verlassen einer Einrichtung benötige, unter den Erstattungstatbestand des § 103 Abs. 3 BSHG falle. Da aber Voraussetzung der Kostenerstattung der Aufenthalt außerhalb einer Anstalt sei, könne es sich nur um offene oder halboffene Hilfen handeln, die in die sachliche Zuständigkeit des örtlichen Trägers fallen. Werde erneut Hilfe in einer Einrichtung erbracht, wie z.B. in einem Krankenhaus, sei hierfür die Zuständigkeitsregelung des § 97 Abs. 2 BSHG anzuwenden. Die Hilfeempfängerin habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in das Krankenhaus N. in H. gehabt, so dass hierfür die örtliche und sachliche Zuständigkeit der Klägerin gegeben sei.

9

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beteiligten, die Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Klage ist auch begründet.

11

Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten gemäß § 103 Abs. 3 BSHG einen Anspruch auf Erstattung der von ihr aufgewendeten Kosten in Höhe von 7.253,87 DM für die Behandlung der Hilfeempfängerin Nicole K. im Krankenhaus N. in der Zeit vom 02.02.1996 bis zum 15.02.1996.

12

In § 103 Abs. 3 BSHG in der seit dem 01. Januar 1994 geltenden Fassung (vgl. Gesetz zur Umsetzung des föderalen Konsolidierungsprogramms - FKPG - vom 23. Juni 1993, BGBl. I, S. 944, 953 und 991) ist festgelegt, dass für den Fall, dass der Hilfeempfänger in den Fällen des § 97 Abs. 2 BSHG die Einrichtung verlässt und er im Bereich des örtlichen Trägers, in dem die Einrichtung liegt, innerhalb von einem Monat danach der Sozialhilfe bedarf, dem örtlichen Träger der Sozialhilfe die aufgewendeten Kosten von dem Träger der Sozialhilfe zu erstatten sind, in dessen Bereich der Hilfeempfänger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG hatte. Abs. 1 Satz 2 gilt entsprechend. Die Erstattungspflicht wird nicht durch einen Aufenthalt außerhalb dieses Bereichs oder in einer Einrichtung im Sinne des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG unterbrochen, wenn dieser zwei Monate nicht übersteigt; sie endet, wenn für einen zusammenhängenden Zeitraum von zwei Monaten Hilfe zu gewähren war, spätestens nach Ablauf von zwei Jahren seit dem Verlassen der Einrichtung.

13

Nach diesen Maßstäben besteht die Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin die geltend gemachten Kosten für den streitigen Krankenhausaufenthalt zu erstatten. Bereits aus dem Wortlaut des § 103 Abs. 3 Satz 1 BSHG ergibt sich, dass der Gesetzgeber hinsichtlich der Kostenerstattungspflicht nicht zwischen der Hilfeleistung außerhalb von Einrichtungen im Sinne des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG und der Hilfe innerhalb derartiger Einrichtungen unterscheidet. Dieses ergibt sich im Rahmen einer systematischen Auslegung ergänzend aus der Kostenerstattungsregelung des § 107 Abs. 1 BSHG, der die Erstattungspflicht nach einem Umzug in den Bereich eines neu zuständigen örtlichen Trägers der Sozialhilfe regelt. In § 107 Abs. 1 BSHG ist nämlich im Gegensatz zu § 103 Abs. 3 Satz 1 BSHG ausdrücklich geregelt, dass sich diese Kostenerstattungspflicht nach § 107 BSHG nur auf Hilfe außerhalb von Einrichtungen bezieht. Hätte der Gesetzgeber eine entsprechende Einschränkung auch im Rahmen der Erstattungspflicht nach § 103 Abs. 3 BSHG einführen wollen, hätte er dieses im Gesetz zum Ausdruck bringen müssen. Auch unter Berücksichtigung der Gesetzesgeschichte ist die von der Beklagten vorgenommene einschränkende Auslegung des § 103 Abs. 3 Satz 1 BSHG nicht zu vertreten. Denn in der bis zum 31. Dezember 1993 geltenden Fassung des § 103 Abs. 3 Satz 1 BSHG war die Kostenerstattungspflicht auf die Hilfe außerhalb einer Anstalt, eines Heimes oder einer gleichartigen Einrichtung beschränkt. In der alten Fassung lautete nämlich diese Vorschrift wie folgt: "Die Verpflichtung zur Kostenerstattung nach Abs. 1 besteht auch, wenn jemand beim Verlassen einer Einrichtung oder innerhalb von zwei Wochen danach der Sozialhilfe bedarf, solange er sich nach dem Verlassen der Einrichtung ununterbrochen im Bereich des örtlichen Trägers, in dem die Einrichtung liegt, außerhalb einer Anstalt, eines Heimes oder einer gleichartigen Einrichtung aufhält." An dieser im Rahmen der früheren Rechtslage geltenden Einschränkung des Kostenerstattungsanspruches hat der Gesetzgeber im Rahmen der ab dem 01. Januar 1994 geltenden Neufassung des § 103 Abs. 3 BSHG nicht mehr festgehalten. Dieses ergibt sich ergänzend aus § 103 Abs. 3 Satz 2 BSHG, wonach die Erstattungspflicht nicht durch einen Aufenthalt außerhalb dieses Bereiches oder in einer Einrichtung im Sinne des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG unterbrochen wird, wenn dieser zwei Monate nicht übersteigt. Aus dieser Regelung folgt im Umkehrschluss, dass die Kosten für einen Aufenthalt in einer Einrichtung bis zur Dauer von zwei Monaten der Kostenerstattungspflicht unterfallen. Der hier im Streit befindliche Krankenhausaufenthalt dauerte jedoch nur 14 Tage. Diese Auffassung wird auch in der Literatur vertreten. Dort wird angenommen, dass, anders als die bis 31. Dezember 1993 geltende Fassung, § 103 Abs. 3 BSHG mit Wirkung vom 01. Januar 1994 nicht nur die offene Hilfe einschließe, sondern auch einen anschließenden weiteren Aufenthalt in einer Einrichtung (Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG Kommentar, 15. Aufl., § 103 Rn. 35; so auch Schwabe, Kostenerstattung zwischen den Trägern der Sozialhilfe, 1. Aufl., S. 32 u. 65). Soweit die Meinung vertreten wird, § 103 Abs. 3 BSHG erfasse nur sog. offene oder halboffene Hilfen und eine Kostenerstattung nach Abs. 3 entfalle, wenn es sich um stationäre Hilfen handele, da insoweit § 97 Abs. 2 BSHG gegebenenfalls i.V.m. § 103 Abs. 1 BSHG für diesen neuen Sozialhilfe-Fall unmittelbar anzuwenden sei (Mergler/Zink, BSHG-Loseblattsammlung, § 103 Rn. 54), kann diese Auffassung nach Änderung des § 103 Abs. 3 BSHG zum 01. Januar 1994 nicht mehr geteilt werden. Zum einen ist diese Auffassung schon mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu vereinbaren. Im Übrigen sind auch die in Bezug genommenen Spruchstellenentscheidungen nicht geeignet, diese Auffassung zu unterstützen, da diese Entscheidungen bis zum 45. Band durchweg zur alten Fassung des § 103 Abs. 3 BSHG ergangen sind. Gleiches gilt auch für die von Schoch (Lehr- und Praxis-Kommentar zum BSHG, 5. Aufl., § 103 Rn. 42 u. 43) vertretene Auffassung, da dieser sich lediglich auf die Meinung von Mergler/Zink bezieht, ohne auf die geänderte Rechtslage seit dem 01. Januar 1994 einzugehen.

14

Auch die übrigen Voraussetzungen für eine Erstattungspflicht nach § 103 Abs. 3 BSHG sind erfüllt, weil die Krankenhausbehandlung innerhalb von zwei Jahren seit Verlassen der Einrichtung in H. zum 01. Februar 1995 erfolgte und in dieser Zeit der Hilfebedarf auch nicht für einen zusammenhängenden Zeitraum von zwei Monaten unterbrochen war.

15

Der Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO stattzugeben.

16

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.

Ungelenk
Köhler
Hachmann