Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 17.02.2004, Az.: 2 A 24/03
Asylbewerber; Asylbewerberleistung; Beistandsgemeinschaft; Bestreiten; Einkünfte; Einstellung; Haushalt; Lebensgemeinschaft; Leistungen; Leistungseinstellung; Rückforderung; Rücknahme; Rückwirkung; Zurechnung; Zusammenleben
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 17.02.2004
- Aktenzeichen
- 2 A 24/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 50978
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 1 Abs 3 Nr 1 AsylbLG
- § 9 Abs 3 AsylbLG
- § 45 Abs 2 S 3 SGB 10
- § 45 Abs 2 S 1 SGB 10
- § 7 Abs 1 S 1 AsylbLG
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 28. August 2002 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 25. November 2002 werden insoweit aufgehoben, als die Einstellung der Leistungen für die Zeit vom 22. August 2002 bis 31. August 2002 verfügt worden ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerinnen können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen sie festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Klägerinnen sind Staatsangehörige der Republik Serbien und Montenegro und reisten im September 1999 gemeinsam mit ihrem Ehemann bzw. Vater, Herrn A., in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten hier Asylanträge. Diese sind seit dem 30. April bzw. 7. Mai 2002 bestandkräftig abgelehnt. Seitdem erhalten die Klägerinnen von dem Beklagten Duldungen.
Die Klägerinnen leben mit Herrn A. seit ihrer Einreise in derselben Wohnung, A-Str.. Nach den Äußerungen der Klägerin zu 1) in der mündlichen Verhandlung, von denen das Gericht zu Gunsten der Klägerinnen als feststehend ausgeht, bewohnt die Familie die Wohnung gemeinsam, wenn auch die Klägerin zu 1) und Herr A. als Mann und Frau nichts gemeinsam haben. So leistet Herr A. seiner Familie insbesondere keine finanzielle Unterstützung und die Eheleute nutzen getrennte Betten. Allerdings wohnt und schläft Herr A. in der gemeinsamen Wohnung und nimmt, wenn er anwesend ist, dort auch seine Mahlzeiten, allerdings getrennt von der Restfamilie, zu sich. Herr A. war und ist zwar längere Zeit auch ortsabwesend, kommt aber regelmäßig in die Wohnung zurück. Hier wurde er anlässlich einer polizeilichen Durchsuchung auch am 22. August 2002 morgens um 6.00 Uhr angetroffen. Bei einer zur selben Zeit durchgeführten Durchsuchung der Wohnung einer Familie B. in C. ermittelten die anwesenden Polizeibeamten, dass Herr A. sich gelegentlich auch dort aufhielt. In Anbetracht der Räumlichkeiten, so die Einschätzung der Polizeibeamten, könne es sich nur um besuchsweise Aufenthalte handeln. Herr A. hatte sich gegenüber dem Sozialamt des Fleckens D. jedoch am 8. Juli 2002 als dort wohnhaft gemeldet. Zum 26. August 2002 meldete sich Herr A. melderechtlich zur U. Straße in D. ab. Der daraufhin vom Beklagten befragte Hauseigentümer gab an, Herrn A. nicht zu kennen und mit ihm auch keinen Mietvertrag geschlossen zu haben.
Herr A. erzielte ausweislich eines Umsatzausdrucks der Fa. X (Stand: 10. April 2002) in der Zeit von Januar bis März 2002 ein durchschnittliches Monatseinkommen in Höhe von 1.372,64 Euro aus dem Verkauf von Schrott. Im Jahre 2000 hatten diese Einnahmen 5.288,42 Euro und im Jahre 2001 4.733,08 Euro betragen. Eine weitere Aufklärung der Einnahmen des Jahres 2002 scheiterte an der fehlenden Mitarbeit des Herrn A. und der Klägerinnen, die stets bestritten, einen gemeinsamen Haushalt zu führen.
Schon mit Wirkung vom 16 April 2002 stellte der namens und im Auftrage des Beklagten handelnde Flecken D. die Gewährung von Asylbewerberleistungen im Hinblick auf das Einkommen des Herrn A. ein. Den hiergegen gerichteten einstweiligen Rechtsschutzantrag lehnte die seinerzeit zuständige 1. Kammer des erkennenden Gerichts mit Beschluss vom 24. Mai 2002 (1 B 1071/02) ab.
Daraufhin nahm der Flecken D. zunächst mit Bescheid vom 8. Juli 2002 sämtliche in der Zeit vom 22. März 2000 bis April 2002 erlassenen Bewilligungsbescheide zurück und forderte von den Klägerinnen und der weiteren Tochter M. insgesamt 7.050,31 Euro Asylbewerberleistungen zurück. Im dazu angestrengten Klageverfahren hob der Beklagte den Bescheid vom 8. Juli 2002 auf, nachdem die Kammer im Prozesskostenhilfebeschluss vom 26. August 2003 zu erkennen gegeben hatte, dass sie den Bescheid in Ermangelung einer Horizontalberechnung für rechtswidrig halte. Die Beteiligten gaben übereinstimmende Erledigungserklärungen ab.
Nachdem in der Folgezeit aufgrund der klägerischen Angaben, Herr A. lebe nicht mehr in der Familienwohnung, erneut Asylbewerberleistungen bewilligt worden waren, stellte der Flecken D. mit zwei weiteren Bescheiden die Weiterbewilligung von Asylbewerberleistungen mit Wirkung vom 22. August 2002 ein.
Der Bescheid vom 27. August 2002, betreffend Frau M. ist Gegenstand des vor der Kammer anhängigen Verfahrens zu Az.: 2 A 220/03.
Mit Bescheid vom 26. August 2002 traf der Flecken D. dieselbe Regelung für die Klägerinnen. Zur Begründung führte er an, der Ehemann und Vater der Klägerinnen lebe
-wieder- in der Familienwohnung. Bei der Familie B. habe er sich nur besuchsweise aufgehalten. Das durchschnittliche monatliche Einkommen von Herrn A., das die Bewilligung von Asylbewerberleistungen ausschlösse, hätten sich die Klägerinnen als Angehörige der Haushaltsgemeinschaft zurechnen zu lassen. Hiergegen legten die Klägerinnen mit der Begründung Widerspruch ein, Herr A. lebe im Auto eines Freundes bzw. übernachte bei Freunden. In der Familienwohnung habe er sich am 22. August 2002 lediglich zum Duschen aufgehalten. Diesen Widerspruch wies die Bezirksregierung Braunschweig mit Widerspruchsbescheid vom 25. November 2002 im Wesentlichen mit der Begründung zurück, die Klägerinnen hätten nicht nachgewiesen, dass Herr A. eine andere Wohnung als die Familienwohnung innehabe.
Hiergegen haben die Klägerinnen am 23. Dezember 2002 Klage erhoben.
Zu deren Begründung wiederholen sie ihr Widerspruchsvorbringen und tragen ergänzend vor, wenn überhaupt, hätte die Leistungseinstellung zum 31. August 2002 erfolgen dürfen. Im Übrigen unterstelle der Beklagte zu Unrecht, dass Herr A. über Einkommen in Höhe von monatlich 1.352,70 Euro verfüge. Er dürfe die in den Monaten Januar bis März 2002 erzielten Einnahmen nicht einfach auf die Zeit ab 22. August des Jahres fortschreiben.
Die Klägerinnen beantragen,
den Bescheid des Flecken D. vom 26. August 2002 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 25. November 2002 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er tritt dem klägerischen Vorbringen unter Berufung auf die angefochtenen Bescheide in der Sache entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze in diesem, wie den Verfahren 2 A 23/03 und 2 A 220/03 sowie die jeweiligen Verwaltungsvorgänge des Flecken D. Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist im Wesentlichen unbegründet.
Nur soweit der Flecken D. mit Bescheid vom 26. August 2002 und, ihn bestätigend, die Bezirksregierung Braunschweig mit Widerspruchsbescheid vom 25. November 2002 Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz - AsylbLG - rückwirkend ab dem 22. August 2002 für den Monat August Leistungen an die Klägerinnen einstellen, sind die Bescheide rechtswidrig und deshalb antragsgemäß aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach dem Wortlaut und der gesetzlichen Systematik des § 1 Abs. 3 AsylbLG ist eine rückwirkende Leistungseinstellung rechtlich unmöglich. Um solche Leistungen einzufordern, bedarf es der Rücknahme und Rückforderung des geleisteten Betrages.
Gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 AsylbLG endet die Leistungsberechtigung mit Ablauf des Monats, in dem die Leistungsvoraussetzung entfällt. Dies war, da der Beklagte von einem die Leistungsgewährung gemäß § 7 Abs. 1 AsylbLG ausschließenden Einkommen der Klägerinnen ab August 2002 ausging, mithin der Ablauf dieses Monats. Eine rückwirkende Leistungseinstellung ist nach dem Wortlaut und der gesetzlichen Systematik des § 1 Abs. 3 AsylbLG rechtlich unmöglich. Um diese Leistungen von den Klägerinnen ebenfalls einzufordern hätte es gemäß § 9 Abs. 3 AsylbLG i.V.m. §§ 45 ff. SGB X der Rücknahme und Rückforderung des für August 2002 geleisteten Betrages bedurft. Einen solchen Bescheid hat der Beklagte indes nicht erlassen. Auch eine Umdeutung des angefochtenen Bescheides in einen Rücknahmebescheid nach § 43 Abs. 1 SGB X kommt insoweit nicht in Betracht. Denn ein solcher Bescheid wäre nicht rechtmäßig erlassen worden. Es ist schon fraglich, ob das Vertrauen der Klägerinnen in den Bestand der bisherigen Leistungsbewilligung gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht schutzwürdig ist. Dies kann offen bleiben, denn jedenfalls lässt sich den angefochtenen Bescheiden eine irgendwie geartete Ermessensbetätigung im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X nicht entnehmen, so dass die angefochtenen Bescheide mangels Ermessensbetätigung rechtswidrig wären.
Die Einstellung von Asylbewerberleistungen ab dem 1. September 2002 ist hingegen rechtmäßig, so dass die Klägerinnen durch die angefochtenen Bescheide nicht in ihren Rechten verletzt sind. Denn das monatliche Einkommen der Klägerinnen im Sinne von § 7 Abs. 1 AsylbLG lag mit 1.352,70 Euro (so der angefochtene Bescheid vom 26. August 2002) bzw. 1.372,64 (so die Nachberechnung des Flecken D., Bl. 1980 der Beiakten C) über dem Bedarf der Klägerinnen.
Ein bloßes Bestreiten genügt nicht, um eine durch Tatsachendaten der Vergangenheit erhärtete Annahme von Einnahmen zu widerlegen.
Dieses Einkommen ist vom Beklagten in entsprechender Anwendung der §§ 4 Abs. 2, 11 der Verordnung zur Durchführung des § 76 BSHG in der Höhe zutreffend ermittelt worden. Es entspricht unter Zugrundelegung der Umsatzdaten der Firma X. (Bl. 1856 ff. der Beiakten B) dem durchschnittlichen Monatseinkommen des Ehemannes bzw. Vaters der Klägerinnen. Die Klägerinnen können nicht damit gehört werden, der Beklagte sei zu Unrecht davon ausgegangen, Herr A. habe auch ab August 2002 über derartige Einkünfte verfügt und hätte vielmehr neu ermitteln müssen. Der Beklagte durfte in Anbetracht des Umstandes, dass Herr A. auch in den Jahren 2000 und 2001 über beträchtliche Einnahmen aus Schrottverkäufen verfügt hat, vielmehr davon ausgehen, dass diese Einkunftsquelle auch in der Zeit ab August 2002 geflossen ist. Es wäre als Teil der den Klägerinnen nach § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I obliegenden Mitwirkungspflicht deren Sache gewesen, die Unrichtigkeit der Annahme des Beklagten durch Bescheinigungen, etwa der Fa. X., zu belegen oder die Richtigkeit unter Beweisantritt zu bestreiten. Da es sich um Tatsachen aus dem Lebensbereich der Klägerinnen handelt, somit die Beweislast in ihre Sphäre fällt, genügt das bloße Bestreiten derartiger Einnahmen nicht, um die durch Tatsachendaten der Vergangenheit erhärtete Annahme des Beklagten zu widerlegen.
Ein Zusammenleben im selben Haushalt liegt bereits vor, wenn die Personen ihren jeweiligen Lebensmittelpunkt in einer zusammengehörigen Raum- und Funktionseinheit haben. Auf das Vorhandensein einer Lebens- und Beistandsgemeinschaft kommt es nicht an.
Die Klägerinnen haben sich das Einkommen ihres Ehemannes und Vaters gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG auch zurechnen zu lassen. Denn danach sind Einkommen und Vermögen, über das verfügt werden kann, von dem Leistungsberechtigten und seinen Familienangehörigen, die im selben Haushalt leben, vor Eintritt von Leistungen nach diesem Gesetz aufzubrauchen. Die Klägerinnen lebten im fraglichen Zeitraum (1. September bis 25. November 2002, dem die rechtliche Beurteilung durch das Gericht begrenzenden Erlass des Widerspruchsbescheides) mit Herrn A. zusammen. Denn anders als eine Haushaltsgemeinschaft im Sinne von § 16 BSHG liegt ein Zusammenleben im selben Haushalt i.S.d. § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG bereits vor, wenn die Personen ihren jeweiligen Lebensmittelpunkt in einer zusammengehörigen Raum- und Funktionseinheit (dem Haushalt) haben, dort also räumlich und funktionell zusammenleben (so schon die erste Kammer des erkennenden Gerichts in dem genannten Beschluss vom 24.5.2002 unter Hinweis auf den Gemeinschaftskommentar zum AsylbLG, § 7 Rdnr. 64 f.). Von einem derartigen Zusammenleben ist nach dem Vorbringen der Klägerin zu 1), das insoweit als wahr unterstellt werden mag, hier auszugehen. Denn die Klägerin zu 1) hat bekundet, dass die Familie nach ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland in einer gemeinsamen Wohnung gelebt hat. Ferner, dass ihr Ehemann diese Wohnung regelmäßig zum Schlafen - er verfügt in der Wohnung je nach Bedarf über ein eigenes Bett - und Essen aufgesucht hat. Die Wohnung war und ist deshalb auch in Würdigung der oft mehrwöchigen Abwesenheit des Herrn A. von der Wohnung für diesen zentraler und einziger Anlaufpunkt im Sinne eines Lebensmittelpunktes. Woanders hat Herr A. seinen Lebensmittelpunkt erkennbar nicht begründet. So sind die Aufenthalte bei der Familie B. schon wegen der polizeilicherseits dort festgestellten räumlichen Enge lediglich von Besuchsnatur. Einen Lebensmittelpunkt hat Herr A. auch nicht unter der Adresse U. Straße begründet. Dem dortigen Hauseigentümer ist der Ehemann und Vater der Klägerinnen nicht bekannt und eine Wohnung hat er ihm nicht vermietet. So muss der Versuch, den Beklagten glauben zu machen, Herr A. bewohne nicht mehr die Familienwohnung in diesem Punkt ebenso als fehlgeschlagen angesehen werden, wie die Behauptung, Herr A. habe im gesamten Herbst im Auto eines Freundes gelebt. Hierzu hat die Kammer das Nötige im Prozesskostenhilfebeschluss vom 26. August 2003 ausgeführt. Darauf wird Bezug genommen. Darauf, ob Herr A. seine Familie tatsächlich finanziell unterstützt hat, was die Klägerinnen in Abrede nehmen, kommt es bei der Auslegung und Anwendung des § 7 Abs. 1 AsylbLG nicht an.
Der von den Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag, durch Zeugenvernehmung bestätigt zu erhalten, dass die Klägerinnen nichts mit Herrn A. gemein hatten, war abzulehnen, da die Beweisaufnahme nach dem eben Dargelegten rechtlich unerheblich war. Denn in Anwendung des § 7 Abs. 1 AsylbLG kommt es - anders als bei der Anwendung des § 16 BSHG - nicht auf das Vorhandensein einer Lebens- und Beistandsgemeinschaft, das zu widerlegen die Zeugenaussagen dienen sollten, an. Die Kammer konnte für ihre rechtliche Würdigung die Aussagen der Klägerin zu 1) als wahr unterstellen.