Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 25.02.2004, Az.: 2 A 268/03

Abschöpfung; Belastungen; Bewilligungszeitraum; Erhöhung; Härte; Lebensunterhalt; Leistungsbewilligung; Rückforderung; Rückforderungssumme; Rücknahme; Schonvermögen; Sozialhilfe; Sozialhilfemittel; Sozialleistungsbescheid; Sozialleistungsbescheidrücknahme; Vermögen; Vermögensabschöpfung; Vermögenswert; Vertrauen; Vertrauensschutz

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
25.02.2004
Aktenzeichen
2 A 268/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50953
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Rücknahme von Sozialleistungsbescheiden wegen verschwiegenen Vermögens ist summenmäßig auf den Wert dieses Vermögens begrenzt.

Tenor:

Der Bescheid der Stadt ... vom 12. November 2002 und der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 17. Juni 2003 werden aufgehoben, soweit die Bewilligung von Hilfe in besonderen Lebenslagen im Umfang von mehr als 233,09 Euro zurückgenommen und vom Kläger ein Betrag von mehr als 233,09 Euro zurückgefordert wird.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt der Beklagte.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen ihn festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

1

Der am geborene Kläger ist gelernter Bankkaufmann. Er erhielt von der insoweit namens und im Auftrage des Beklagten handelnden Stadt in der Zeit von Januar 1994 bis Ende April 2000 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Diese belief sich in der Zeit von Oktober 1999 bis April 2000 auf insgesamt 5.462,38 DM (entspricht 2.792,87 Euro). Daneben erhielt der Kläger in diesem Zeitraum einmalige Hilfen in Höhe von insgesamt 1.175,01 DM (entspricht 600,77 Euro) sowie pauschaliertes Wohngeld in Höhe von insgesamt 1.916,00 DM (entspricht 979,64 Euro). Ferner bewilligte die Stadt dem Kläger Krankenhilfe in der Zeit von Dezember 1999 bis April 2001 in Höhe von insgesamt 12.919,03 DM (entspricht 6,605,40 Euro). Hiervon entfallen 8.392,32 DM auf einen Krankenhausaufenthalt des Klägers in der Zeit vom 23. Dezember 1999 bis 7. Januar 2000.

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Nachdem die Stadt aufgrund einer Kontrollmitteilung des Bundesamtes für Finanzen von Vermögenswerten des Klägers erfahren hatte, legte dieser mit Schreiben vom 14. Juni 2002 Kontenaufstellungen für insgesamt sechs bei der Postbank A geführte Sparkonten vor. Die Sparkonten wiesen zwischen Oktober 1999 und März 2002 unterschiedliche Guthaben aus. Im Oktober 1999 betrug die Summe der Guthaben 17.803,00 DM, im April 2000 18.605,00 DM und Ende März 2002 3.619,47 Euro.

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Daraufhin erließ die Stadt insgesamt drei Bescheide, mit denen sie in der Zeit ab 1. Oktober 1999 erlassene Bewilligungsbescheide zurücknahm und die gewährten Leistungen zurückforderte.

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Mit Bescheid vom 6. September 2002 nahm sie die in der Zeit vom 1. Oktober 1999 bis 31. Dezember 2001 ergangenen Bescheide über Hilfe zum Lebensunterhalt zurück und forderte vom Kläger gewährte Leistungen in Höhe von 3.393,64 Euro zurück. Dieser Bescheid ist nach erfolglosem Widerspruchsverfahren bestandskräftig geworden.

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Mit Bescheid vom 11. November 2002 hob die Stadt den Bescheid vom 22. Juni 1999 und alle Folgebescheide betreffend den besonderen Mietzuschuss in der Zeit vom 1. Oktober 1999 bis 30. April 2000 auf und forderte vom Kläger insgesamt 979,64 Euro zurück. Zur Begründung gab sie an, der Kläger habe ab 1. Oktober 1999 in Folge vorhandenen Vermögens keinen Anspruch auf Sozialhilfe mehr. Dies schließe gemäß § 31 Abs. 4 Satz 2 des Wohngeldgesetzes - WoGG - einen Anspruch auf pauschaliertes Wohngeld aus. Auf Vertrauensschutz könne sich der Kläger nicht berufen und sein Interesse am Behaltendürfen des rechtswidrig erlangten Geldes sei geringer zu bewerten als das entgegenstehende öffentliche Interesse. Den hiergegen am 14. November 2002 eingelegten Widerspruch wies der Landkreis mit Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2002 im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Ausgangsbescheid zurück. Diese Bescheide waren Gegenstand des Verfahrens 2 A 33/03, das in der heutigen mündlichen Verhandlung durch übereinstimmende Erledigungserklärungen beendet wurde.

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Mit Bescheid vom 12. November 2002 nahm die Stadt sämtliche in der Zeit vom 1. Oktober 1999 bis 31. Dezember 2001 ergangenen Bescheide über Hilfen in besonderen Lebenslagen zurück und forderte vom Kläger insgesamt 6.605,40 Euro. Zur Begründung dieses Bescheides führte sie aus, der Kläger habe im fraglichen Zeitraum Vermögen mit wechselndem Bestand gehabt. Dieses habe unter Berücksichtigung des dem Kläger zustehenden Freibetrages in Höhe von 4.500,00 DM die Gewährung von Hilfe in besonderen Lebenslagen ausgeschlossen. Härtegründe für die Annahme eines höheren Freibetrages lägen nicht vor. Die Leistungen seien rechtswidrig erbracht worden. Der Kläger habe mindestens grob fahrlässig unvollständige Angaben gemacht. Das öffentliche Interesse an der Rückforderung zu Unrecht gewährter Sozialhilfeleistungen sei höher zu bewerten als das Interesse des Klägers, diese Leistungen zu behalten. Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers vom 18. November 2002 wies der Landkreis mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 2003 zurück.

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Hiergegen hat der Kläger am 27. Juni 2003 Klage erhoben.

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Zu deren Begründung trägt er vor, der Vermögensfreibetrag in Höhe von 4.500,00 DM hätte von dem Beklagten gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 der Durchführungsverordnung zu § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG angemessen erhöht werden müssen, da er infolge eines Trümmerbruches im Dezember 1999 in eine besondere Notlage geraten sei. In diesem Monat hätte der Beklagte auch in Höhe von 5.053,49 DM Sozialhilfe gewähren müssen. Denn unter Abzug eines Freibetrages von 4.500,00 DM habe ihm zu dieser Zeit lediglich ein Vermögen in Höhe von 4.503,00 DM zu Verfügung gestanden. Sein sozialhilferechtlicher Bedarf, zusammengesetzt aus laufender Hilfe zum Lebensunterhalt, pauschaliertem Wohngeld und Hilfe in besonderen Lebenslagen habe demgegenüber 9.556,49 DM betragen. Ferner  könne er sich gegenüber der Rücknahme des Bescheides auf Vertrauensschutz berufen. Er habe sein Vermögen über die Jahre hinweg aus Mitteln der Sozialhilfe angespart. Er habe geglaubt und glauben dürfen, dass derartiges Vermögen nicht angegeben werden müsse. Ferner sei dem Beklagten ein Ermessensfehler unterlaufen, da die gesamte Rückforderungssumme aller sozialhilferechtlichen Leistungen ab Oktober 1999 höher sei als seine Vermögenswerte. Schließlich habe der Beklagte die Begründung für den angefochtenen Verwaltungsakt im gerichtlichen Verfahren nicht rechtswirksam austauschen können.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Stadt vom 12. November 2002 und den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 17. Juni 2003 aufzuheben, soweit darin die Bewilligung von Hilfe in besonderen Lebenslagen in Höhe von 4.000,00 Euro aufgehoben und erbrachte Leistungen in Höhe von 4.000,00 Euro zurückgefordert werden, sowie die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen, hilfsweise,

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die Berufung zuzulassen.

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Er bestreitet das Vorliegen einer besonderen Notlage im Dezember 1999. Der Kläger habe auch in dieser Zeit über ein Vermögen verfügt, das die Gewährung von jeglicher Art von Sozialhilfeleistung ausgeschlossen habe. So habe sein Vermögen im November 1999 15.353,00 DM und im Januar 2000 17.104,00 DM betragen. Dies zeige, dass der Kläger im Dezember 1999 über mehr als die auf den Postsparbüchern ausgewiesenen 9.003,00 DM verfügt habe. Die Rückforderungssumme sei nicht auf die Höhe der Vermögenswerte beschränkt, da der Kläger keinen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen gehabt habe, solange er noch über Vermögen verfügt habe. Dies erfasse sämtliche seit Oktober 1999 gewährten Leistungen. Auf Vertrauensschutz könne sich der Kläger nicht berufen, denn er habe auf einem von ihm unter dem 12. Januar 2000 abgegebenen Überprüfungsbogen ausdrücklich erklärt, kein Vermögen (u.a. Sparguthaben) zu haben. Ergänzend sei § 45 Abs. 2 Nr. 3 SGB X heranzuziehen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze in diesem und dem Verfahren 2 A 33/03 sowie die jeweiligen Verwaltungsvorgänge der Beklagtenseite Bezug genommen. Die Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet, soweit der Beklagte vom Kläger mehr als 233,09 Euro geleisteter Hilfe in besonderen Lebenslagen zurückfordert.

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Die Aufhebung von sozialhilferechtlichen Verwaltungsakten ist in §§ 44 – 49 SGB X geregelt. Es wird danach unterschieden, ob es sich um belastende oder begünstigende, rechtmäßige oder rechtswidrige Verwaltungsakte handelt. Der angefochtene Bescheid kann nur auf § 45 SGB X gestützt werden. Danach darf ein – wie vorliegend – begünstigender Verwaltungsakt, der rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstige erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

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er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,

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der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder

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er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.

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Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 SGB X). Nur wenn eine der in den vorgenannten Nummern 1. – 3. genannten Voraussetzungen erfüllt ist, wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen (§ 45 Abs. 4  Satz 1 SGB X).

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Die jeweiligen Leistungsbescheide sind dem Grunde nach rechtswidrig, weil der Kläger zum jeweiligen Leistungszeitpunkt über einzusetzendes Vermögen verfügte. Dies liegt für die im Januar, Februar, März, April, Mai und November 2000 sowie Januar und April 2001 ergangenen Bescheide auf der Hand, denn die Leistungen betrugen maximal 1.626,97 DM und wurden von den jeweiligen Sparguthaben zu diesem Zeitpunkt abzüglich eines Freibetrages in Höhe von 4.500,00 DM (§ 88 Abs. 2 Nr. 8, Abs. 4 BSHG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 b der Verordnung zur Durchführung des § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG -DVO- in der jeweils geltenden Fassung bei weitem überschritten. Einzusetzendes Vermögen stand, anders als der Kläger meint, auch im Dezember 1999 der Bewilligung von Sozialhilfeleistungen an ihn entgegen. Denn der Kläger geht zu Unrecht davon aus, dass sein Vermögen zu diesem Zeitpunkt 9.003,00 DM betragen und sein sozialhilferechtlicher Bedarf, bestehend aus laufender Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 817,17 DM, einmaligen Beihilfen in Höhe von 124,00 DM, pauschaliertem Wohngeld in Höhe von 223,00 DM und Hilfe in besonderen Lebenslagen in Höhe von 8.392,32 DM (insgesamt also 9.556,49 DM) unter Berücksichtigung des Vermögensfreibetrages in Höhe von 4.500,00 DM in Höhe von 5.053,49 DM über diesem Vermögen gelegen habe. Zu Recht weist der Beklagte in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Sparguthaben des Klägers bei der Postbank A im November 1999 15.353,00 DM und im Januar 2000 17.104,00 DM betragen hat. Hieraus kann zwanglos geschlossen werden, dass der Kläger auch im Dezember 1999 einen zwischen diesen Summen liegenden Vermögensbestand gehabt hat. Es ist gerade nach dem klägerischen Vortrag, das Guthaben ausschließlich aus Mitteln der Sozialhilfe angespart zu haben, denkgesetzlich ausgeschlossen, dass er von Dezember 1999 bis Januar 2000 ca. 6.000,00 DM neu angespart hat. Es ist vielmehr naheliegend, dass diese Mittel auch im Dezember 1999 vorhanden waren, sich jedoch nicht auf den vorgelegten Sparkonten befanden.

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Weder ist dieser Freibetrag von 4.500,00 DM nach § 2 Abs. 1 Satz 1 DVO zu erhöhen noch haben Teile des klägerischen Vermögens frei zu bleiben, weil ihre Verwertung eine besondere Härte im Sinne von § 88 Abs. 3 BSHG darstellen würde.

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Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 DVO ist der nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a oder b maßgebende Betrag angemessen zu erhöhen, wenn im Einzelfall eine besondere Notlage des Hilfesuchenden besteht. Bei der Prüfung, ob eine besondere Notlage besteht, sowie bei der Entscheidung über den Umfang der Erhöhung sind vor allem Art und Dauer des Bedarfs sowie besondere Belastungen zu berücksichtigen. Der Kläger reklamiert eine derartige Belastung infolge seines im Dezember 1999 erlittenen Trümmerbruches zu Unrecht für sich, denn dieser Umstand begründet gerade - losgelöst von etwaigem Vermögen - den Anspruch auf Krankenhilfe nach §§ 27 Abs. 1 Nr. 2, 37 Abs. 1 BSHG. Belastungen, denen nach der Zielsetzung des BSHG durch Hilfen in besonderen Lebenslagen begegnet werden kann, können nicht zu einer Erhöhung des Schonvermögens führen. Denn mit der Erhöhung des Schonbetrages wegen einer besonderen Notlage sollen solche Mehrbelastungen ausgeglichen werden, die dem Hilfesuchenden auf andere Weise durch den Sozialhilfeträger nicht abgenommen werden können. Anderenfalls würden nämlich auf dem Umweg über die Erhöhung des Schonvermögens die in besonderen Lebenslagen gesetzlich vorgesehenen Hilfen unzulässigerweise erweitert (VG Berlin, Urteil vom 26.06.1990 - 8 A 289.88 - zitiert nach JURIS unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des OVG Rheinland-Pfalz, FEVS 14, 428, Brühl in: LPK-BSHG § 88 Rn. 61). Da der Kläger darüber hinausgehende Gründe für eine besondere Notlage nicht geltend macht, scheidet eine Erhöhung des Freibetrages nach § 2 Abs. 1 Satz 1 DVO aus.

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Auch die Voraussetzungen des § 88 Abs. 3 BSHG liegen nicht vor. Gemäß § 88 Abs. 3 Satz 1 darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Nach Satz 2 dieser Vorschrift ist dies bei der Hilfe in besonderen Lebenslagen vor allem der Fall, soweit eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde. Der Kläger behauptet, sein Sparvermögen aus Mitteln der Sozialhilfe angespart zu haben. Die Kammer kann offen lassen, ob dies eine Härte im Sinne der Vorschrift zu begründen vermag. Denn der klägerische Vortrag erscheint unglaubhaft. Im Oktober 1999 betrug das Sparguthaben des Klägers insgesamt ca. 18.000,00 DM. Seit Januar 1994 befindet sich der Kläger im Sozialhilfebezug. Bis Oktober 1999 ergibt dies 69 Monate des Leistungsbezugs. Der Kläger müsste mithin durchschnittlich ca. 261,00 DM monatlich angespart haben, um den Vermögensbestand zu erwirtschaften. Da der durchschnittliche Regelsatz in den Jahren 1994 bis 1999 ca. 530,00 DM monatlich für einen Haushaltsvorstand betragen hat, wären dem Kläger nach dessen Vortrag monatlich lediglich 269,00 DM für die Lebensführung verblieben. Dies erscheint gänzlich lebensfremd und deshalb unglaubhaft. Der Kläger kann nicht damit gehört werden, dass auch einmalige Beihilfen und Unterkunftskosten berücksichtigt werden müssten. Denn diese Leistungen sind zweckgebunden und es ist davon auszugehen, dass sie entsprechend verwendet worden sind.

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Der Kläger kann sich gegen die angefochtenen Bescheide nicht auf Vertrauensschutz berufen. Die Kammer lässt offen, ob der Kläger durch die Abgabe des Überprüfungsbogens am 12. Januar 2000 Angaben im Sinne von § 45 Abs. 2 Nr. 2 SGB X gemacht hat. Denn auf Vertrauensschutz kann sich der Kläger jedenfalls nach Maßgabe des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X nicht berufen. Es ist unerheblich, dass der Beklagte auf diese Bestimmung erst im gerichtlichen Verfahren abhebt, denn beide Tatbestandsvoraussetzungen sind auf dieselbe Rechtsfolge gerichtet und vom Gericht alternativ zu prüfen. Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Davon ist hier auszugehen.

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Der Kläger kann nicht mit dem Einwand gehört werden, er habe nicht gewusst und nicht wissen können, dass er Vermögen auch anzugeben habe, das er aus Mitteln der Sozialhilfe angespart habe. Dieses Vorbringen trägt schon deshalb nicht, weil die Behauptung, Vermögen ausschließlich aus Mitteln der Sozialhilfe angespart zu haben, wie oben dargelegt, unglaubhaft ist.

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Selbst wenn der Kläger subjektiv geglaubt haben sollte, das vorhandene Vermögen stamme aus Mitteln der Sozialhilfe, hat er die ihm obliegende Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt. Denn die Fehlerhaftigkeit dieser Ansicht hätte sich dem Kläger gerade in Anbetracht seiner Vorbildung als Bankkaufmann sowie des Umstandes, dass er durch den Erwerb von sozialhilferechtlicher Fachliteratur auf dem Gebiet der Sozialhilfe offenbar besonders kundig war (vgl. Blatt 102 der Beiakten F im Verfahren 2 A 33/03), aufdrängen müssen. Spätestens der von der Stadt geforderte Überprüfungsbogen hätte den Kläger zu Zweifeln an der Richtigkeit seiner Meinung veranlassen müssen. Es ist ihm anzusinnen, dass er insoweit mindestens hätte Nachfrage bei dem Sozialamt der Stadt halten müssen. Statt dessen erklärt er pflichtwidrig unter dem 12. Januar 2000 schriftlich ausdrücklich, über kein Vermögen, u.a. Sparkonten, zu verfügen (vgl. Blatt 89 der Beiakten A).

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Die angefochtenen Bescheide sind indessen nur insoweit rechtswidrig, als mit Ihnen das insgesamt vorhandene Vermögen des Klägers unter Abzug des einschlägigen Freibetrages abgeschöpft wird. Denn bei der Rückforderung von Sozialhilfeleistungen nach §§ 45, 50 SGB X, die ihren Anlass in einem grob fahrlässigen Verschweigen anrechenbaren Vermögens hat, ist der Sozialhilfeempfänger so zu stellen, wie wenn er sein Vermögen ordnungsgemäß angegeben hätte. Dies bedeutet, dass bei der Überprüfung, inwieweit ergangene Bewilligungsbescheide wegen einer Anrechnung von Vermögen zurückzunehmen sind, der Sozialhilfeempfänger so zu behandeln ist, wie wenn er das auf einen bestimmten Bewilligungszeitraum anzurechnende Vermögen auch für seinen Lebensunterhalt tatsächlich aufgewendet hätte. Bei der Rücknahme von Bewilligungsbescheiden ist anders als bei der Bewilligung selbst von der Behörde rückschauend zu überprüfen, wie für bestimmte, in der Vergangenheit liegende Bewilligungszeiträume die Sozialhilfe bemessen hätte werden müssen, wenn der Sozialhilfeempfänger seiner Mitwirkungspflicht aus § 60 Abs. 1 SGB X nachgekommen wäre. Dabei kann nicht unterstellt werden, dass der Sozialhilfeempfänger das Vermögen, das in einem bestimmten Zeitpunkt hätte angerechnet werden müssen, nicht für seinen Lebensunterhalt aufgewendet hätte, so dass es im darauf folgenden Zeitpunkt zur Verfügung gestanden hätte und deshalb erneut anzurechnen gewesen wäre. Sinn und Zweck des § 45 SGB X ist es, im öffentlichen Interesse den rechtmäßigen Zustand wieder herzustellen. Bei rechtswidrigem Verschweigen von Vermögen sind die öffentlichen Interessen daher nur in dem Maß beeinträchtigt, in dem der Sozialhilfeempfänger durch die bewilligten und ausgezahlten Sozialleistungen, die ihm bei zutreffender Angabe seines Vermögens nicht hätten gewährt werden dürfen, davor bewahrt worden ist, entsprechendes Vermögen einzusetzen (BVerwG, Beschluss vom 18.07.1986 - 5 B 10.85 -, Buchholz 436.36 § 28 BAföG Nr. 1 zum Ausbildungsförderungsrecht). Diese Ausführungen lassen sich vom Recht der Ausbildungsförderung auf das Sozialhilferecht übertragen, da für beide Bereiche im Fall der Rücknahme von Bewilligungsbescheiden § 45 SGB X einschlägig ist (vgl. Beschluss der Kammer vom 18.07.2002 - 2 B 2143/02 -; a. A. im Sinne eines bloßen Ermessensgesichtspunktes wohl VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.11.1997 - 6 S 1137/96 -, FEVS 48, 178; Brühl in LPK-BSHG, § 88 Rn. 25). Ergänzend bleibt anzumerken, dass die Abschöpfung von über den tatsächlichen Vermögensbeträgen liegenden Summen Bußgeldcharakter hätte. Hierfür fehlt indes die gesetzliche Grundlage, so dass die abweichende Rechtsansicht des Beklagten gegen Art. 20 Abs. 3 GG verstößt. Der Beklagte beruft sich für seinen Rechtsstandpunkt zu Unrecht auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.12.1997 (- 5 C 7.96 -, BVerwGE 106, 105). Denn diese Entscheidung befasst sich allein mit der Leistungsbewilligung und nicht mit der Rückforderung geleisteter Sozialhilfe. Auch das Argument des Beklagten, es könne dann sein, dass die Rücknahme rechtswidriger Bewilligungsbescheide ausgeschlossen sei, wenn der Sozialhilfeempfänger im Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung über kein oder unter den gesetzlichen Freibeträgen liegendes Vermögen verfüge, verfängt nicht. Denn maßgeblich ist nach dem Dargelegten dasjenige Vermögen, das der Sozialhilfeempfänger im jeweiligen Leistungszeitpunkt gehabt hat, nicht aber das im Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung aktuelle.

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Es ergibt sich danach folgende Berechnung für den zu Recht vom Kläger zurückgeforderten Betrag:

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Höchster Vermögensstand im Bewilligungszeitraum18.605,00 DM
abzüglich Vermögensfreibetrag  4.500,00 DM
14.105,00 DM
entspricht  7.211,77 Euro
abzüglich bestandskräftig zurückgeforderter Hilfe
zum Lebensunterhalt  3.393,64 Euro
abzüglich bestandskräftig zurückgeforderter Hilfe
in besonderen Lebenslagen  2.605,40 Euro
abzüglich durch übereinstimmende Erledigungserklärung von heute bestandskräftig zurückgeforderten besonderen Mietzuschusses 979,64 Euro
verbleiben 233,09 Euro
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Ermessensfehler im Sinne von § 114 VwGO sind nicht erkennbar. Der Beklagte hat sein Rücknahmeermessen hinsichtlich des verbleibenden Teilbetrages entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten (§ 39 Abs. 1 SGB I).

33

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Der Kläger unterliegt nur in Höhe von 233,09 Euro und obsiegt in Höhe des Differenzbetrages zu eingeklagten 4.000,00 Euro. Dieses Unterliegen sieht die Kammer als geringfügig an.

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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708, Nr. 11, 711 ZPO.

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Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren war gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO notwendig, weil der Kläger zur Durchsetzung seiner Rechte gegenüber dem Beklagten der rechtskundigen Unterstützung bedurfte.

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Die Berufung wird gemäß §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen, weil die Rechtssache im Hinblick auf die Frage, ob Rücknahme und Rückforderung von Sozialhilfebescheiden / -leistungen in der Summe auf den Wert des im Zeitpunkt der Leistung vorhandenen Vermögens begrenzt ist, grundsätzliche Bedeutung hat.