Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 18.02.2004, Az.: 9 U 182/03
Zugriffe der Gesellschafter auf das Gesellschaftsvermögen als Missbrauch der Rechtsform der GmbH ; Verlust des Haftungsprivilegs; Vereitelung oder wesentliche Erschwerung der Vollstreckung eines Urteils ohne Arrestverhängung ; Glaubhaftmachung eines Arrestanspruchs und eines Arrestgrundes
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 18.02.2004
- Aktenzeichen
- 9 U 182/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 34031
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2004:0218.9U182.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hildesheim - 07.08.2003 - AZ: 4 O 259/03
Rechtsgrundlagen
- § 13 Abs. 2 GmbHG
- § 30 GmbHG
- § 31 GmbHG
- § 917 ZPO
Fundstelle
- ZInsO 2004, 808-810 (Volltext mit red. LS)
In dem Rechtsstreit
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 28. Januar 2004
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. S. und
die Richter am Oberlandesgericht Dr. W. und ... für
Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung gegen das am 7. August 2003 verkündeten Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Gründe
1.
Es wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil verwiesen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihren erstinstanzlichen Antrag weiter und macht im Wesentlichen geltend, das Landgericht hätte diesem stattgeben müssen, weil sie die Voraussetzungen für eine Durchgriffshaftung wegen eines existenzgefährdenden Eingriffs ausreichend dargelegt und glaubhaft gemacht habe.
Das Landgericht sei auch verfahrensfehlerhaft ihrem Antrag auf Beiziehung der Insolvenzakten betreffend die D. mbH nicht nachgegangen und deshalb von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen. Eine anerkannte Fallgruppe, in der die Haftungsbeschränkung des Gesellschafters einer GmbH nicht eingreife, sei die Vermögensvermischung, wenn sich beispielsweise in Folge einer verschleierten oder unvollständigen Buchhaltung Umfang und Folgen vorgenommener oder veranlasster Eingriffe nicht mehr feststellen ließen. Eine mangelhafte Buchführung ergebe sich aber aus dem Gutachten des Insolvenzverwalters. Im Übrigen rechtfertigten die eidesstattlichen Versicherungen des früheren Geschäftsführers ... und des Bauunternehmers ... bereits den Anspruch.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
2.
Die Berufung ist unbegründet.
Die Klägerin hat weder einen Arrestanspruch noch einen Arrestgrund glaubhaft, d. h. überwiegend wahrscheinlich (§§ 920 Abs. 2, 294 ZPO, BGH NJW 1996, 1682), gemacht.
a)
Arrestanspruch
Nach der jetzigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 151, 181 ff., sog. KBV-Urteil) stellen Zugriffe der Gesellschafter auf das Gesellschaftsvermögen, die die aufgrund von dessen Zweckbindung zur vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger gebotene angemessene Rücksicht auf die Erhaltung der Fähigkeit der Gesellschaft zur Bedienung ihrer Verbindlichkeiten in einem ins Gewicht fallenden Maße vermissen lassen, einen Missbrauch der Rechtsform der GmbH dar, die zum Verlust des Haftungsprivilegs (§ 1 3 Abs. 2 GmbHG) führt, soweit nicht der der GmbH durch den Eingriff insgesamt zugefügte Nachteil bereits nach den §§ 30, 31 GmbHG ausgeglichen werden kann oder kein ausreichender Ausgleich in das Gesellschaftsvermögen geschieht.
Die Klägerin behauptet keine konkreten Tatsachen, aus denen sich eine Ersatzpflicht des Beklagten aus den §§ 30 f. GmbHG ergeben könnte, d. h. Leistungen der Gesellschaft an den Beklagten, die sich auf deren Eigenkapitalsituation ausgewirkt haben. Es besteht auch keine Veranlassung, der Klägerin Darlegungs- und Beweiserleichterungen zu gewähren, denn sie kann gemäß § 4 InsO i.V.m. § 299 Abs. 1 ZPO Einsicht in die gerichtlichen Insolvenzakten, insbesondere in das darin befindliche Gutachten des (vorläufigen) Insolvenzverwalters, nehmen. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind neben den sonstigen Verfahrensbeteiligten auch alle Gläubiger "Parteien" im Sinne des § 299 Abs. 1 ZPO. Der Gläubigerbegriff ist hier weit auszulegen. Ob die Forderung tituliert ist oder nicht, ist unerheblich (Ganter in MünchKomm-InsO, § 4 Rnrn. 57 ff., insbesondere Rn. 61). Der Senat ist auch nicht verpflichtet, die gerichtlichen Insolvenzakten beizuziehen und darauf durchzusehen, ob ihr Inhalt der Klägerin hilfreich ist (s. zur Rechtslage: Zöller-Greger, ZPO, § 253 Rn. 12 a).
Entsprechendes gilt - wie das Landgericht in dem angefochtenen Urteil bereits zutreffend begründet hat - für einen Anspruch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Missbrauchs des Haftungsprivilegs der Gesellschafter:
Die bloße Tatsache der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft ist insoweit nicht von Belang. Dem Geschäftsführer einer GmbH kann nicht ohne weiteres zur Last gelegt werden, dass das Insolvenzverfahren eröffnet werden muss, denn die Ursache dafür kann auch außerhalb seines Verantwortungsbereichs liegen, wenn etwa ein Schuldner der Gesellschaft insolvent ' wird. Die Klägerin trägt denn auch gar nicht vor, welches der eigentliche Grund für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens war. Eine umfassende Auskunftspflicht eines Gesellschafters oder Geschäftsführers gegenüber Dritten über die geschäftliche Tätigkeit der Gesellschaft und insbesondere über den Verbleib ihrer Gelder besteht nicht.
Die von der Klägerin vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen sind, soweit sich daraus überhaupt etwas zu ihren Gunsten ergibt, zu unbestimmt:
Die des früheren Geschäftsführers P. vom 10. März 2003 betrifft Verhaltensweisen des Beklagten gegenüber anderen Gesellschaften als der, gegen die die Klägerin einen Vollstreckungstitel besitzt. Auch ist das Volumen der angeblich transferierten Gelder gänzlich unbekannt. Gewinne beispielsweise konnte der Beklagte - soweit es den Arrestanspruch betrifft - in jedem Fall "transferieren".
Aus der weiteren eidesstattlichen Versicherung P. vom 26. Mai 2003 ergibt sich Näheres zur Vorgehensweise des Beklagten. Wenn aber die Bauherrn auf Veranlassung des Beklagten "höhere Vorschüsse als vertraglich vereinbart" zahlten, wurde die Gesellschaft - worauf es in diesem Zusammenhang ankommt - gar nicht geschädigt, weil sie solche Leistungen nicht beanspruchen konnte. Dass der Beklagte die angeblich zu viel gezahlten Beträge für sich verbraucht hat, ist nicht glaubhaft gemacht worden. Auch ist gar nicht bekannt geworden, dass Bauherren oder Subunternehmer mit Ansprüchen gegen die Gesellschaft hervorgetreten sind. Schließlich ist bei der Würdigung der beiden eidesstattlichen Versicherungen P. auch zu berücksichtigen, dass dieser und der Beklagte zerstritten sind (s. die mit dem Schriftsatz des Beklagten vom 20. Juni 2003 vorgelegte Klagebegründung in einem Mietrechtsstreit zwischen dem Beklagten und P. das Schreiben des Rechtsanwalts W. vom 28. November 2002 an den Beklagten betreffend die Niederlegung des Amtes des Geschäftsführers durch P. und ... die Antwort des Beklagten vom 3. Dezember 2002 und schließlich den Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit dem Datum des 25. Mai 2003).
Aus den eidesstattlichen Versicherungen des früheren Bauleiters B. vom 23. Juli 2003 und des Bauunternehmers W. vom 22. Juli 2003 ist (nur) zu entnehmen; dass der Bruder T. des Beklagten verantwortlich dafür war, einerseits von den Bauherrn nach Maßgabe des Bautenstandes einen zu großen Teil des Kaufpreises zu fordern und andererseits die Lieferanten und Subunternehmer der Gesellschaft um den größten Teil ihres Entgelts zu bringen, indem erstere nicht bezahlt und gegenüber letzteren wider besseres Wissen Baumängel behauptet wurden, um die Abnahme - als vertraglich vereinbarte Voraussetzung für die Bezahlung - zu verhindern. Die eidesstattliche Versicherung des Bauunternehmers W. ist wenig glaubhaft, denn dass T. D. diesem gesagt hat, dass er und der Beklagte Gelder der Gesellschaft zu deren Schaden, also auch zum Schaden des Bauunternehmers W. selbst, beiseite schafften, erscheint wenig wahrscheinlich. Gegen den Inhalt dieser beiden eidesstattlichen Versicherungen sprechen auch diejenigen der Mitarbeiter der Gesellschaft, wonach in keinem Fall falsche Bautenstände zum Nachteil der Bauherrn behauptet worden sind, andererseits aber die Subunternehmer überhöhte Rechnungen aus-. stellten und von diesen zu vertretende Baumängel Zahlungsverweigerungen der Bauherren zur Folge hatten.
b)
Arrestgrund
§ 917 Abs. t ZPO bezeichnet als Arrestgrund die Besorgnis, dass die Vollstreckung eines Urteils ohne Arrestverhängung vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde. Auch insoweit fehlt es an einer ausreichenden Glaubhaftmachung. Aus den Akten ergibt sich Folgendes:
Der frühere Geschäftsfrüher P. hat insoweit unter dem Datum des 26. Mai 2003 eidesstattlich versichert, der Beklagte habe ihm gegenüber erklärt, dass er mit der D. Baugesellschaft mbH "noch einmal tüchtig Kasse machen ... und sich (dann) komplett absetzen" wolle, "da gegen ihn Deutschland seitens der Staatsanwaltschaft zu viel anhängig" sei. Wenn das aber der Fall wäre, hätte sich der Beklagte schon längst absetzen müssen. Er hat aber nach wie vor seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland und ist auch zu dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 28. Januar 2004 erschienen. Ferner hat der frühere Geschäftsführer K. die genannte Äußerung nicht eidesstattlich versichert (s. dessen Versicherung vom 22. Mai 2003), obwohl der Beklagte diese auch gegenüber K. gemacht haben soll (s. die eidesstattliche Versicherung F. vom 26. Mai 2003). Ausweislich der eidesstattlichen Versicherung von F. und K. vom 22. Mai 2003 soll der Beklagte gegenüber einem Herrn V. geäußert haben, dass er sich "nach Lima absetzen" wolle und soll diesen gebeten haben, Wege aufzuzeigen, "um sich aus Deutschland aus privaten und geschäftlichen Gründen für immer zu verabschieden". Das "Absetzen" soll für Ende September/Anfang Oktober 2003 geplant gewesen und der Beklagte auch schon im Besitz von Flugtickets gewesen sein. Zur "Abreise und Auswanderung" ist es jedoch nicht gekommen. Auch ist es wenig wahrscheinlich, dass sich das Goethe-Institut gegen eine "Spende" von 5.000 DM - wohl zum Zwecke eines sonst nicht erreichbaren legalen Aufenthalts in Peru - zur Vermittlung des Erwerbs von Einreisepapieren hergegeben hat. Auf Seite 4 der Antragsschrift hat die Klägerin dagegen vorgetragen, der Beklagte habe "beim Goethe-Institut in Lima einen entsprechenden Kursus für den Herbst 2003 gebucht". Im Übrigen ergibt sich aus der eidesstattlichen Versicherung des Herrn V. vom 22. Juli 2003 nichts Entsprechendes (s. dazu auch den Schriftsatz der Klägerin vom 23. Juli 2003). Die Lebensgefährtin des Beklagten hat dagegen in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 24. Juni 2003 Absetzungspläne in Abrede genommen.
Dass der Beklagte begonnen hat, sein Vermögen "zu versilbern", ist auch nicht glaubhaft gemacht worden. "Auslandsbeziehungen" eines anscheinend dem Beklagten gehörenden Unternehmens (s. Seite 2 des Schriftsatzes der Klägerin vom 17. Januar 2004) besagen in diesem Zusammenhang nichts. Das Unternehmen hat seinen Sitz nach wie vor in Hannover bzw. Laatzen. Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte etwa versucht, sich von diesem zu trennen o. dergl., bestehen nicht. Entsprechendes gilt für angebliche "Auslandsbeziehungen des Beklagten zu Italien". Soweit es das Transferieren von Geldern ins Ausland betrifft, ist jedenfalls zu deren Volumen nichts bekannt. Dieses kann im Übrigen auch nicht ohne Weiteres mit einem Makel versehen werden.
Es ist auch nicht von Belang, dass sich zwei Gerichte überzeugt gezeigt haben, dass der Beklagte anderweitig als Zeuge die Unwahrheit gesagt hat. Es ist ferner kaum noch verständlich, dass die Klägerin aus der Tatsache etwas zu ihren Gunsten herzuleiten versucht, dass der Bruder des Beklagten "darum bemüht ist, seine Lebensversicherungen zu kapitalisieren" (Seite 5 a.a.O.). Es ist ferner allgemein bekannt, dass die Kapitalerträge der Lebensversicherer und damit die Überschussbeteiligung der Versicherten durch Kursverluste bei der Geldanlage in Aktien sowie durch die seit Jahren währenden Zinsrückgänge am Kapitalmarkt stark gelitten haben.
Über dem Beklagten nachteilige Ergebnisse des gegen ihn von der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Hannover eingeleiteten Ermittlungsverfahrens ist nichts bekannt. Die von dem Amtsgericht Hannover beschlagnahmten Hausgrundstücke werden veräußert und der Verkaufserlös wird "beim Notar hinterlegt, bis das Ermittlungsverfahren abgeschlossen ist" (eidesstattliche Versicherung der Lebensgefährtin des Beklagten vom 26. Januar 2004 und Seite 7 der Leseabschrift des Urteils des Landgerichts Hildesheim vom 26. November 2003 in dem " Rechtsstreit 4 O 301/03). Dadurch wird eine etwaige Zwangsvollstreckung der Klägerin nicht erschwert.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. W.