Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 10.02.2004, Az.: 16 W 21/04
Rechtmäßigkeit der Verlängerung der Sicherungshaft; Verhinderung der Abschiebung durch Nichtwiederbeschaffung des Passes; Abgabe des Passes an eine Schlepperorganisation
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 10.02.2004
- Aktenzeichen
- 16 W 21/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 35421
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2004:0210.16W21.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 02.12.2003 - AZ: 28 T 55/0343
- AG Hannover - AZ: XIV 225/03
Rechtsgrundlagen
- § 57 Abs. 3 S. 2 AuslG
- § 57 Abs. 2 S. 4 AuslG
- § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG
Fundstelle
- InfAuslR 2004, 246-247 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Abschiebehaftsache
In dem Rechtsstreitverfahren
hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter ... und
die Richter ... und ... am 10. Februar 2004
beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen vom 21. Dezember 2003 wird der Beschluss der 28. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 2. Dezember 2003 geändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass die Verlängerung der Abschiebehaft ab dem 30. April 2003 rechtswidrig war.
Die Beteiligte hat dem Betroffenen die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten zu erstatten.
Für das Verfahren der weiteren sofortigen Beschwerde wird dem Betroffenen unter Beiordnung von Rechtsanwalt F... in H... Prozesskostenhilfe bewilligt.
Gründe
I.
Wegen des Sachverhalts sowie der Gründe für die Rechtmäßigkeit der bis zum 29. April 2003 vollzogenen Sicherungshaft wird auf den Senatsbeschluss vom selben Tage im Parallelverfahren 16 W 19/04/16 W 20/04 verwiesen.
II.
Die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen ist zulässig und darüber hinaus auch begründet.
Die Verlängerung der Sicherungshaft durch den angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts über den 29. April 2003 hinaus um einen weiteren siebenten Monat war - entgegen der Auffassung der Beschwerdekammer beim Landgericht - rechtswidrig.
Die Höchstdauer der Sicherungshaft beträgt 6 Monate. Nachdem der Betroffene am 30. Oktober 2002 in Sicherungshaft genommen worden war, lief diese Höchstdauer also mit dem 29. April 2003 ab. Die darüber hinausgehende Verlängerung wäre nur nach § 57 Abs. 3 Satz 2 AuslG rechtmäßig gewesen, also unter der Voraussetzung, dass der Betroffene seine Abschiebung verhindert hätte.
Das Amtsgericht ist in seinem Verlängerungsbeschluss davon ausgegangen, diese Voraussetzung sei erfüllt, weil der Betroffene seinen Pass anlässlich der illegalen Einreise der Schlepperorganisation überlassen hat. Die Beschwerdekammer des Landgerichts ist auf das Tatbestandsmerkmal des Verhinderns nicht eingegangen und hat die Auffassung des Amtsgerichts damit stillschweigend gebilligt.
Indes reicht allein die Tatsache, dass der Betroffene unter Abgabe des Passes nach Deutschland eingereist ist, nicht aus, um den Tatbestand des § 57 Abs. 3 Satz 2 AuslG festzustellen. Denn Umstände, die zeitlich vor Beginn der Abschiebehaft liegen und deren Anordnung gerade ausgelöst haben, können insoweit nicht herangezogen werden. Vielmehr ist § 57 Abs. 3 Satz 2 AuslG - im Gegensatz zu § 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG - nur auf solche Umstände zu beziehen, die sich auf die Behebung des Abschiebehindernisses auswirken können (vgl. BGH NJW 1996, 2796; KGR Berlin 2000, 203). Entscheidend ist damit die Frage, ob der Betroffene es versäumt hat, an der Behebung der Passlosigkeit als Abschiebehindernis gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG in dem erforderlichen Maß mitzuwirken (vgl. BT-Drucks. 12/4450 S.18; OLG Braunschweig Nds. Rpfl. 1995, 394; OLG Düsseldorf und 1995, 367/368; OLG Hamm FGPrax 1997, 77/78; SchlHOLG). Dabei setzt der Vorwurf fehlenden Mitwirkens voraus, dass dem Betroffenen Möglichkeiten der Mitwirkung zunächst einmal aufgezeigt werden und der Betroffene diese gleichwohl nicht ergreift, um seine Abschiebung zu verhindern oder jedenfalls solange wie möglich hinaus zu schieben (BayObLG InfAuslR 2001, 176).
Daran fehlt es hier. Das Landgericht hat entsprechende Feststellungen aufgrund der Angaben der Beteiligten nicht treffen können. Im Gegenteil folgt aus der Stellungsnahme der Beteiligten vom 11. Juni 2003 (Bl. 162, 163 d. BA 28 T 27 + 28/03 LG Hannover = 16 W 19 + 20/04 OLG Celle), dass der Betroffene über seine Mitwirkungsmöglichkeiten und Mitwirkungspflichten nicht belehrt worden ist.
Selbst wenn eine mangelnde Mitwirkung hätte festgestellt werden können, würde es an der weiterhin erforderlichen Feststellung der Ursächlichkeit fehlen. Das Unterbleiben der Abschiebung in dem betreffenden Zeitraum muss maßgeblich auf das zurechenbare pflichtwidrige Verhalten des Betroffenen zurückzuführen sein (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.; KG FGPrax 1995, 128/129; Saarl. OLG FGPrax 1999, 243/244). Dies muss sicher festgestellt werden können. Verbleiben ernstliche Zweifel, darf der Betroffene nicht über sechs Monate hinaus in Haft gehalten werden (vgl. KG FGPrax 1995, 128/129; BayObLG InfAuslR 2001,344).
Im vorliegenden Fall hat die Beteiligte zwar vorgetragen, dass "eine Passausstellung ggf. durch den Betroffenen selbst hätte forciert werden können." Diese Einschätzung resultiere aus den Erfahrungen der Ausländerbehörde. Jedoch reicht diese Einschätzung der Beteiligten, die diese selbst nur mit der Einschränkung "ggf.", also gegebenenfalls, abgegeben hat, für eine sichere Feststellung nicht aus.
Hinzu kommt, dass die Identität des Betroffenen nicht zweifelhaft war, nachdem er 1997 mit Passersatzpapieren das erste Mal abgeschoben worden war. Aus diesem Grunde wurde die erneute Abschiebung im sog. vereinfachten Verfahren betrieben und sollte nach der ursprünglichen Einschätzung der Beteiligten innerhalb von 6 bis 8 Wochen, nach späterer korrigierter Einschätzung innerhalb von 8 bis 12 Wochen erfolgen. Tatsächlich konnte die Abschiebung jedoch innerhalb von 7 Monaten nicht durchgeführt werden, weil das vietnamesische Innenministerium in H... die Angelegenheit offenbar dilatorisch behandelt und letztlich wohl kein Interesse an der Rücknahme des Betroffenen gehabt hat. Auch die diplomatischen Bemühungen der Deutschen Botschaft in H... haben nicht zu einer schnelleren Bearbeitung geführt. Unter diesen Umständen erscheint es zumindest zweifelhaft, dass der Betroffene selbst das Verfahren - nicht nur möglicherweise, sondern mit Sicherheit - hätte forcieren können (vgl. KGR Berlin 2000, 203).
III.
Gemäß § 16 FEVG hat die Beteiligte die zur Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen zu tragen.
Ferner folgt aus den vorstehenden Ausführungen zu Ziffer II., dass dem Betroffenen für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist.
Streitwertbeschluss:
Beschwerdewert: 3.000 EUR.