Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 14.06.2007, Az.: L 12 AL 127/06

Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe wegen Eintritts einer Sperrzeit von zwölf Wochen Dauer; Anforderung an die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung; Zumutbarkeit einer ausbildungsfremden Beschäftigung; Allgemeine Gefährdungslage und gesundheitliche Einschränkungen als wichtiger Grund zur Ablehnung eines Vermittlungsvorschlags für eine Spielhalle; Voraussetzungen für das Vorliegen einer besonderen Härte zur Verkürzung der zwölfwöchigen Sperrzeit; Bestimmung eines sperrzeitauslösenden Ereignisses

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
14.06.2007
Aktenzeichen
L 12 AL 127/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 35991
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2007:0614.L12AL127.06.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Osnabrück - 10.05.2006 - AZ: S 12 AL 154/03

Fundstelle

  • info also 2007, 245-248 (Volltext mit amtl. LS)

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 10. Mai 2006 abgeändert. Der Bescheid der Beklagten vom 23. Dezember 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2003 wird aufgehoben, soweit der Eintritt der Sperrzeit vor dem 5. November 2002 festgestellt, soweit die Arbeitslosenhilfe-Bewilligung bereits für die Zeit vor dem 5. November 2002 aufgehoben und soweit eine Erstattungsforderung von mehr als 423,20 EUR festgestellt worden ist. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind dem Kläger zu einem Zehntel zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) wegen Eintritts einer Sperrzeit von zwölf Wochen Dauer mit Ruhen des Leistungsanspruchs.

2

Der 1964 geborene Kläger bezog seit Jahren laufend Alhi von der Beklagten, zuletzt in Höhe von 18,40 EUR täglich (552,00 EUR für 30 Tage). Das Vorliegen gesundheitlicher Einschränkungen hatte er bei Stellung von Leistungsanträgen wiederholt, zuletzt in seinem Antrag vom 19. September 2002, verneint. Durch Schreiben der Beklagten vom 28. Oktober 2002 wurde dem Kläger ohne Setzung eines konkreten Termins für eine Bewerbung ein Stellenangebot der Firma I. Spielothek, Osnabrück, als Spielhallenaufsicht (Tätigkeit für Kasse und Service) in einer der Filialen der Firma unterbreitet. Einer im Berufungsverfahren von der Beklagten vorgelegten Bescheinigung der Firma I. vom 11. Dezember 2006 zufolge wäre bei einer Vollzeitbeschäftigung ein Monatslohn von 1.150,- EUR (entsprechend einem Stundenlohn von ca. 6,40 EUR) angeboten worden; die Arbeitszeit hätte sich bei zwei freien Tagen von Montag bis Sonntag im Schichtbetrieb mit einer monatlichen Arbeitszeit von ca. 180 Stunden erstreckt. Die Einteilung in die Früh-, Spät- oder Nachtschicht wäre individuell über die zuständige Filialleitung erfolgt. Laut Mitteilung der Firma I. vom 8. November 2002 an die Beklagte bewarb sich der Kläger nicht bei der Firma, woraufhin die Beklagte ihn mit Schreiben vom 15. November 2002 über die beabsichtigte Feststellung des Eintritts einer Sperrzeit in Kenntnis setzte und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gab. Der Kläger teilte mit Schreiben vom 27. November 2002 mit, er sei dem Stellenangebot auf Grund sehr starker Ängste, die er im Zusammenhang mit der Ausübung einer Tätigkeit als Spielhallenaufsicht bekomme, nicht nachgegangen. Aus Medienberichten und den Erzählungen von Bekannten sei ihm bekannt, dass Spielhallen und ähnliche Einrichtungen häufig überfallen würden. Diesem unnötigen Gesundheitsrisiko wolle er sich nicht aussetzen. Der Kläger legte eine Bescheinigung des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. J. vom 10. Dezember 2002 vor, wonach er dort mit psychosozialen Konflikten vorstellig geworden sei.

3

Durch Bescheid vom 23. Dezember 2002 stellte die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit vom 1. November 2002 bis zum 23. Januar 2003 (12 Wochen) unter gleichzeitiger Aufhebung der Leistungsbewilligung für den genannten Zeitraum gem. § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) fest; überdies verlangte sie die Rückzahlung der im Aufhebungszeitraum zu Unrecht gewährten Leistungen für die Zeit vom 1. November 2002 bis zum 30. November 2002 gem. § 50 SGB X in Höhe von 552,- EUR. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Kläger habe trotz Belehrung über die Rechtsfolgen die angebotene Tätigkeit als Spielhallenaufsicht nicht angenommen, ohne hierfür einen wichtigen Grund gehabt zu haben.

4

Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, er habe bereits Anfang Oktober 2002 dem Arbeitsvermittler K. mitgeteilt, dass eine gefahrgeneigte Tätigkeit als Spielhallenaufsicht nicht seinen Eignungen, Fähigkeiten, Neigungen und psychosozialen Kompetenzen entspreche. Dies habe er Herrn K. nach Erhalt des Arbeitsangebotes nochmals telefonisch dargelegt und überdies den Arzt Dr. J. aufgesucht, um bestätigen zu lassen, dass er die angebotene Tätigkeit aus medizinischen Gründen nicht ausführen könne. Er habe vor einer Beschäftigung in einer Spielhalle begründete Angst, denn Überfälle auf solche Einrichtungen ließen sich regelmäßig der Tagespresse entnehmen. Eine Beschäftigung in einer Spielhalle würde ihn permanent psychisch belasten und krank machen.

5

Auf Veranlassung der Beklagten erstellte der Psychologe L. nach Untersuchung des Klägers ein Gutachten vom 18. Februar 2003, in welchem er ausführte, dass bei dem Kläger aus psychologischer Sicht keine ernsthaften Anzeichen von Einschränkungen seiner seelischen Gesundheit festgestellt werden könnten. Weder seien krankheitswertige Leiden aus dem Bereich der Angstthemen oder anderer seelischer Leistungen zu erkennen noch für die Zukunft irgendwelche generellen Einschränkungen der Vermittelbarkeit. Der Kläger selbst sehe sich als einen "an Leib und Seele gesunden Menschen".

6

Durch Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 2003 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte aus, der Kläger habe trotz Belehrung das Arbeitsangebot nicht angenommen und habe hierfür keinen wichtigen Grund gehabt. Der durch Dr. J. bestätigte psychosoziale Konflikt sei nach den Ausführungen des Gutachters L. nur die Situationsbeschreibung eines gesunden Menschen, der seine Konflikte selber lösen könne. Der Kläger sei gesund an Leib und Seele. Es sei ihm daher zuzumuten gewesen, das Arbeitsangebot anzunehmen.

7

Dagegen hat der Kläger am 17. März 2003 Klage beim Sozialgericht (SG) Osnabrück erhoben. Er hat vorgetragen, er sei angstbedingt nicht in der Lage gewesen, die angebotene gefahrgeneigte Tätigkeit auszuüben. Wie sich aus einem vorgelegten Zeitungsartikel ergebe, sei die Spielhalle, in der er hätte vermittelt werden sollen, tatsächlich am 8. Juni 2003 überfallen worden. Statistische Erhebungen wiesen eine sehr hohe Raubüberfallquote in Spielhallen aus. Folglich handele es sich um eine gesunde Einschätzung von Gefahren, denen sich kein Bürger gegen seinen Willen aussetzen müsse. Der Arbeitsvermittler K. habe im Dezember 2002 dem Kläger die mündliche Zusicherung gegeben, dass er keine Stelle in einer Spielhalle annehmen müsse und es dann auch keine Rechtsfolgen bei der Arbeitslosenhilfe gäbe.

8

Die Beklagte hat die Abgabe einer solchen Versicherung unter Vorlage einer schriftlichen dienstlichen Erklärung des Arbeitsvermittlers K. vom 23. Juni 2003 bestritten. Sie hat im Übrigen ausgeführt, dass allgemeine statistische Angaben über die Häufigkeit von Raubüberfällen nicht dazu führen könnten, keinen Vermittlungsvorschlag für diesen Tätigkeitsbereich mehr zu unterbreiten.

9

Mit Gerichtsbescheid vom 10. Mai 2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, das allgemein gegebene Risiko, bei der Ausübung einer vom Arbeitsamt angebotenen rechtlich zulässigen beruflichen Tätigkeit das Opfer eines Raubüberfalls werden zu können, rechtfertige nur bei Vorliegen einer erheblichen krankhaften Angststörung die Annahme eines die Sperrzeit ausschließenden Grundes. Eine derartige Angststörung liege weder nach dem eigenen Vorbringen des Klägers noch nach den vom Gutachter L. getroffenen schlüssigen und überzeugenden Feststellungen vor. Die Annahme einer besonderen Härte komme bei dem nach eigenem Vorbringen seelisch vollkommen gesunden Kläger nicht in Betracht. Er hätte bei Erhalt des Stellenangebots leicht erkennen können, dass allein die theoretische Möglichkeit, Opfer eines Raubüberfalls zu werden, ihn nicht zur Ablehnung des Stellenangebots berechtigen konnte. Ob der Arbeitsvermittler Feldkamp mündlich eine anderslautende Zusicherung gegeben habe, könne dahingestellt bleiben, da jedenfalls eine der Schriftform des § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB X entsprechende Zusicherung nicht erteilt worden sei.

10

Gegen diesen ihm am 10. Mai 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 12. Mai 2006 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Er macht geltend, nicht an einer generalisierten Angststörung zu leiden, sondern von einer partiellen, die Tätigkeit in Spielhallen betreffenden Angst erfasst zu sein, die gleichwohl Krankheitswert habe. Hierzu hätte das SG Nachforschungen anstellen müssen. Wie der spätere Überfall zeige, habe sich der Kläger auch nicht nur in abstrakter, sondern in konkreter Gefahr befunden. Der Arbeitsvermittler K. habe nach Erörterung der Problematik ein Spielhallen-Arbeitsangebot wieder an sich genommen und in die Schublade gelegt. Auch habe die Beklagte mit ihrem Arbeitsangebot weder der Neigung, Eignung und Leistungsfähigkeit des Klägers Rechnung getragen noch darauf hingewirkt, dass der Arbeitgeber einen geeigneten Arbeitnehmer erhalte. Gerügt werde ferner, dass dem Kläger der Sperrzeitbescheid am Heiligabend zugestellt worden sei. Auf Anfrage des Gerichts hat der Kläger mitgeteilt, sich nicht in psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung befunden zu haben oder zu befinden.

11

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des SG Osnabrück vom 10. Mai 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 23. Dezember 2002 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2003 aufzuheben.

12

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

13

Sie bezieht sich zur Erwiderung auf ihre bisherigen Ausführungen sowie die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheides.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten - Stammnummer: 195032 - Bezug genommen. Diese Unterlagen haben dem Gericht vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.

Entscheidungsgründe

15

Die zulässige, insbesondere rechtzeitig eingelegte Berufung ist nur teilweise begründet. Zu Recht hat die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit von zwölf Wochen Dauer angenommen, jedoch deren Beginn sowie das Datum der Bewilligungsaufhebung nicht zutreffend festgestellt und die sich daraus ergebende Erstattungsforderung nicht zutreffend berechnet. Insoweit ist der angefochtene Bescheid vom 23. Dezember 2002 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2003 aufzuheben.

16

Die Rechtmäßigkeit des Bescheides der Beklagten vom 23. Dezember 2002 misst sich an § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - SGB III - (hier i.d.F., welche die Norm durch das Arbeitsförderungs-Reformgesetz - AFRG - vom 24. März 1997, BGBl. I 594, erhalten hat) sowie an § 50 Abs. 1 SGB X. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 4 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung vom Zeitpunkt einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse an aufzuheben, soweit der Betroffene dies wusste oder deshalb nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist. Wesentlich ist jede tatsächliche oder rechtliche Änderung, die sich auf Grund oder Höhe der bewilligten Leistung auswirkt (vgl. nur BSGE 78, 109, 111 = SozR 3-1300 § 48 Nr. 48 m.w.N.). Hier kann wegen des Eintritts einer Sperrzeit ein Ruhen des Anspruchs auf Alhi nach § 144 Abs. 2 Satz 2 SGB III (i.d.F. des AFRG vom 24. März 1997) i.V.m. § 198 Satz 2 Nr. 6 SGB III (hier i.d.F. des Entlassungsentschädigungs-Änderungsgesetzes vom 24. März 1999, BGBl. I 396) eingetreten sein. Nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGB III tritt eine Sperrzeit von zwölf Wochen ein, wenn der Arbeitslose trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine vom Arbeitsamt unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit angebotene Beschäftigung nicht angenommen oder nicht angetreten hat, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben (Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung).

17

Unstreitig ist dem Kläger vom Arbeitsamt eine Beschäftigung als Spielhallenaufsicht unter Benennung der Art der Tätigkeit schriftlich mit einer zutreffenden Rechtsfolgenbelehrung angeboten worden. Die angebotene Arbeit war auch hinreichend konkretisiert. Für die Bestimmtheit des Arbeitsangebotes genügt es gem. § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGB III, wenn der Arbeitgeber sowie die Art der Tätigkeit benannt werden (vgl. hierzu BSG SozR 3-4100 § 119 Nr. 11 S 48). Diesen Anforderungen entsprach der schriftliche Vermittlungsvorschlag.

18

Die dem Kläger angebotene Beschäftigung als Spielhallenaufsicht war ihm auch nach den Maßstäben des § 121 SGB III zumutbar, wobei dahingestellt bleiben kann, ob es sich bei dem Kriterium der Zumutbarkeit um ein eigenständig zu prüfendes Merkmal handelt oder ob es im Rahmen des Merkmals des wichtigen Grundes zu prüfen ist (so Niesel, SGB III, 3. Aufl. 2005, § 144 Rn. 55). Abgesehen davon, dass gemäß § 121 Abs. 5 SGB III eine ausbildungsfremde Beschäftigung nicht unzumutbar ist, war die Stelle für den Kläger auch auf Grund seines beruflichen Werdegangs (nicht abgeschlossene Ausbildungen als Einzelhandelskaufmann und als Ergotherapeut) und seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit (Ausstellungsassistent, zuletzt ausgeübt 1996) angemessen. Auch Beschäftigungszeiten und die (brutto) die Alhi um mehr als 100% übersteigende Vergütung (Bescheinigung der Firma I. vom 11. Dezember 2006) geben gemäß § 121 Abs. 3 und 4 SGB III keinen Anlass, an der Zumutbarkeit des Arbeitsangebots zu zweifeln.

19

Der Kläger hatte für die Ablehnung der angebotenen Beschäftigung auch nicht wegen einer allgemeinen Gefährdungslage oder gesundheitlicher Einschränkungen einen wichtigen Grund. Eine nach statistischen Erhebungen gegebene erhöhte Häufigkeit für Überfälle im Bereich von Spielhallen allgemein kann nicht als ausreichend gesehen werden, um eine Unzumutbarkeit der Beschäftigung in diesem Bereich überhaupt zu begründen. Anderes könnte gelten, wenn die konkrete Spielhalle, in welcher der Kläger beschäftigt werden sollte, zum Zeitpunkt des Arbeitsangebots nachgewiesen bereits besonders häufig Ziel strafbarer Handlungen gewesen wäre. Das ist jedoch weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Hinweis des Klägers auf einen Überfall am 8. Juni 2003 vermag für den Zeitpunkt des Arbeitsangebots am 28. Oktober 2002 eine konkret erhöhte Gefährdungslage nicht zu begründen. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass dem Kläger, welcher sich sowohl gegenüber dem Gutachter L. als auch in seinen Leistungsanträgen als gesund eingeschätzt hat, aus gesundheitlichen Gründen die angebotene Beschäftigung unzumutbar gewesen wäre. Die von ihm behauptete partielle Angststörung hat - ihr Vorliegen unterstellt - kein Ausmaß erreicht, das eine Ausübung der Beschäftigung als unmöglich oder nur unter gesundheitlichen Risiken zu Folge gehabt hätte. Die vom Kläger vorgelegte Bescheinigung betreffend das Aufsuchen des Dr. J. besagt über den reinen Arztbesuch hinaus nichts und gibt keine Veranlassung zu weiterer Sachverhaltsaufklärung. Offen bleibt bereits, ob der Arztbesuch überhaupt vor Ablehnung des Vermittlungsangebots oder erst danach stattgefunden hat. Jedenfalls aber sind aus der Bescheinigung keinerlei Symptome zu ersehen, die im Falle einer krankheitswertigen Störung zu erwarten gewesen wären. Der Kläger hat solche Symptome nicht einmal vorgetragen und auch eine Behandlungsbedürftigkeit verneint. Erst recht bietet das Gutachten des Psychologen L. keine Grundlage dafür, von einer krankheitswertigen seelischen Einschränkung auszugehen, da dieses Gutachten überzeugend das Vorliegen solcher Einschränkungen verneint.

20

Somit war gem. § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGB III eine Sperrzeit von zwölf Wochen eingetreten.

21

Auch Gründe für eine Verkürzung der Sperrzeit wegen Vorliegens einer besonderen Härte i.S.d. § 144 Abs. 3 Satz 1 SGB III sind nicht gegeben. Gemäß dieser Regelung umfasst die Sperrzeit sechs Wochen, wenn eine Sperrzeit von zwölf Wochen für den Arbeitslosen nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgeblichen Tatsachen eine besondere Härte bedeuten würde. Dabei ist auf eine Bewertung der Gesamtumstände des Einzelfalles abzustellen. Der unbestimmte Rechtsbegriff der besonderen Härte kann nur dann angenommen werden, wenn nach den Umständen des Einzelfalls der Eintritt einer Sperrzeit mit der Regeldauer im Hinblick auf die für den Eintritt maßgeblichen Tatsachen objektiv als unverhältnismäßig anzusehen ist (vgl. BSG SozR 3-4100 § 119 Nr. 11; Niesel a.a.O. § 144 Rn. 105).

22

Anhaltspunkte für das Vorliegen einer besonderen Härte fehlen jedoch. Insbesondere kann nicht eine mündliche Äußerung des Arbeitsvermittlers K. den Kläger zu der Auffassung gebracht haben, die Ablehnung des Arbeitsangebots werde keine Rechtsfolgen nach sich ziehen. Zum einen fehlt es, wie das SG bereits zutreffend ausgeführt hat, an der gem. § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB X für eine verbindliche Zusicherung erforderlichen Schriftform. Zum anderen kann eine entsprechende mündliche Äußerung des Arbeitsvermittlers K. nicht festgestellt werden, nachdem dieser in seiner dienstlichen Äußerung vom 23. Juni 2003 die Behauptung des Klägers entschieden zurückgewiesen hat. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass nach dem eigenen Vortrag des Klägers im Widerspruchs- und Klageverfahren die Gespräche mit dem Arbeitsvermittler K. über die Zumutbarkeit einer Spielhallentätigkeit Anfang Oktober 2002 und im Dezember 2002 stattgefunden haben sollen. In dem erstgenannten Zeitraum lag das Arbeitsangebot vom 28. Oktober 2002 noch gar nicht vor; zu dem zweiten Zeitpunkt hatte der Kläger mit Schreiben vom 27. November 2002 das Arbeitsangebot bereits abgelehnt. In Bezug auf das konkrete, dem Kläger unterbreitete Vermittlungsangebot können diese behaupteten Gespräche den Kläger daher objektiv nicht veranlasst haben, zu glauben, die Annahme dieses Arbeitsangebots sei nicht erforderlich. Ein etwaiger Irrtum des Klägers über die Erforderlichkeit der Annahme des Arbeitsangebots war zumindest vermeidbar; lediglich der unverschuldete Irrtum aber rechtfertigt die Einschätzung, dass die Gründe für das Eintreten der Sperrzeit und die Folgen der Sperrzeit von zwölf Wochen nicht in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen (BSG SozR 3-4100 § 119 Nr. 11). Bei zumutbarer Anstrengung und erforderlicher Sorgfalt hätte der Kläger erkennen können, dass es entweder des ärztlichen Nachweises einer Störung von Krankheitswert oder aber der schriftlichen Zusicherung des Arbeitsvermittlers über eine rechtsfolgenlose Ablehnung des konkreten Angebots bedurft hätte.

23

Rechtlich ohne Belang ist das Argument des Klägers, der Sperrzeitbescheid sei ihm am Heiligabend zugestellt worden. Die emotionale Bedeutsamkeit dieses Tages berührt nicht die Wirksamkeit einer vorgenommenen Zustellung.

24

Dennoch ist eine (teilweise) Aufhebung des angefochtenen Bescheides vorzunehmen, weil die Beklagte mit dem 1. November 2002 einen Beginn der Sperrzeit festgestellt und eine entsprechende Aufhebung der Bewilligung sowie Berechnung der Erstattungsforderung vorgenommen hat, die sich als teilweise unzutreffend erweisen:

25

Gem. § 144 Abs. 2, 1. Halbsatz SGB III beginnt die Sperrzeit mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet. Die Bestimmung des sperrzeitauslösenden Ereignisses mit der vom Gesetzgeber geforderten Taggenauigkeit erweist sich gerade beim Sperrzeittatbestand der Arbeitsablehnung durch mangelndes Tätigwerden gem. § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGB III als problematisch. Für die Bestimmung des sperrzeitauslösenden Ereignisses werden dabei unterschiedliche Lösungen vertreten:

26

Für den Fall, dass der Arbeitslose niemals beabsichtigte, sich bei dem vorgeschlagenen Arbeitgeber zu melden, wird das Abstellen auf den Zugang des Vermittlungsvorschlages als sperrzeitauslösendes Ereignis diskutiert (vgl. dazu Legde, Beginn und Ablauf von Sperrzeiten, Sozialgerichtsbarkeit 11/2003, 617, 619; Gagel-Winkler, SGB III, § 144 Rn. 211). Es erscheint bereits fraglich, ob die Anknüpfung an eine allgemein ablehnende, individuell aber stets änderbare Haltung gerechtfertigt sein kann oder nicht einzig die Reaktion des Arbeitslosen auf das konkret unterbreitete Stellenangebot entscheidend sein muss. Im vorliegenden Fall könnte jedenfalls das sperrzeitauslösende Ereignis mit Blick auf eine vorherige ablehnende Haltung des Klägers nicht hinreichend bestimmt werden. Denn zwar könnte im vorliegenden Fall daran gedacht werden, im Hinblick auf seine generell ablehnende und nach seinem eigenen Vorbringen schon Anfang Oktober 2002 dem Arbeitsvermittler K. mitgeteilte Haltung zu einer Tätigkeit in einer Spielhalle bereits mit Zugang des Vermittlungsvorschlages vom 28. Oktober 2002 den Beginn der Sperrzeit gem. § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGB III anzunehmen. Dagegen spricht aber, dass im vorliegenden Fall der Kläger sich nach Erhalt des konkreten Vermittlungsangebots zumindest telefonisch bei der Firma I. gemeldet und erkundigt hat, ob die Stelle noch frei sei; es muss daher für möglich gehalten werden, dass er in Bezug auf dieses Angebot doch in Überlegungen eingetreten war.

27

Andererseits kann hier nicht erst der Tag der Abgabe der ausdrücklichen Erklärung des Klägers über die Ablehnung des Vermittlungsangebots (Schreiben vom 27. November 2002) für maßgeblich gehalten werden. Dieses Kriterium erscheint ungeeignet, da es anderenfalls der Arbeitslose durch sehr späte oder gar nicht erfolgende Abgabe einer ausdrücklichen Ablehnungserklärung in der Hand hätte, den Eintritt der Sperrzeit hinauszuzögern oder zu verhindern (offen gelassen in LSG Niedersachsen-Bremen vom 16.03.2004, Az.: L 7 AL 241/02).

28

Das BSG hat sich, soweit ersichtlich, nicht festgelegt (BSG a.a.O.) und u.U. auch einen Sperrzeitbeginn wegen Arbeitsablehnung durch Nichtmeldung beim Arbeitgeber erst ab dem Wegfall der Einstellungsbereitschaft des Arbeitgebers für möglich angesehen (BSG, Urt. v. 21.03.2002, Az.: B 7 AL 44/01 R, SozR 3-4100 § 119 Nr. 23; so auch M in Hauck-Noftz, SGB III, § 144 Rn. 155 und LSG Niedersachsen-Bremen vom 12.08.2006, Az.: L 7 B 56/06 AL), was hier (spätestens) für das Datum der Mitteilung des Arbeitgebers (Schreiben vom 8. November 2002) als sperrzeitauslösendes Ereignis sprechen könnte, sofern - was fraglich erscheint - darin der Wegfall der Einstellungsbereitschaft zu sehen wäre. Diese Ansicht vermag indes nicht zu überzeugen. Sie knüpft allein an eine Entscheidung des BSG vom 20.03.1980 (Az.: 7 Rar 4/79) an, welche wiederum ohne nähere Darlegungen ausgeführt hat, dass, solange der Arbeitgeber dem Arbeitslosen den Arbeitsplatz offen halte, die Arbeitsablehnung durch den Arbeitslosen im Rechtssinne nicht wirksam werde. Fraglich erscheint, ob diese Auffassung den Zweck der Sperrzeitregelung und die Tatsache, dass eine "verspätete" Bewerbung die Beseitigung der Arbeitslosigkeit jedenfalls zum frühestmöglichen Zeitpunkt verhindert, hinreichend berücksichtigt. Sperrzeiten stellen nach dem Willen des Gesetzgebers eine zeitlich begrenzte Ablehnung der Übernahme des Risikos in einem durch den Versicherten zu vertretenden Schadensfall dar und bilden einen Schutz der Versichertengemeinschaft gegen die Manipulation des Versicherungsrisikos (vgl. Gagel-Winkler, SGB III, § 144 Rn. 23 m.w.N.). Die Versagung der Leistungszusage soll die Versichertengemeinschaft entlasten, soweit der Arbeitslose die Arbeitslosigkeit durch sein Verhalten herbeigeführt oder an ihrer Beendigung nicht mitgewirkt hat (Gagel-Winkler a.a.O.). Anknüpfungspunkt ist somit - neben dem hier bereits vorliegenden Eintritt des Versicherungsfalls der Arbeitslosigkeit - nach dem Willen des Gesetzgebers allein das Verhalten des Arbeitslosen, nicht aber das u.U. zeitverzögerte und von Entschließungen Dritter abhängige Eintreten der Folgen dieses Verhaltens.

29

Vor diesem Hintergrund erscheint es dem Senat sachgerecht, als entscheidend auf den Zeitpunkt des Nichthandelns als Ereignis abzustellen, das die Sperrzeit auslöst (vgl. BSG, Urt. v. 09.12.2003, Az.: B 7 AL 106/02 R,. SozR 4-4100 § 119 Nr. 3), also auf den Tag, zu dem der Arbeitslose nach den Gesamtumständen des Einzelfalles spätestens hätte reagieren müssen (Henke/Eicher in Eicher-Schlegel, SGB III, § 144 Rn. 479). Diese Frist ist - wenn wie hier keine Besonderheiten zu berücksichtigen sind, die etwa bei ausdrücklich vorgegebenem oder den erkennbaren Umständen nach erforderlichem anderen Bewerbungstermin vorliegen könnten - mit einer Woche anzunehmen (Henke/Eicher a.a.O; a.A. - [zwei Wochen] - noch Legde a.a.O. unter Berufung auf eine frühere Auffassung von Henke in Hennig, Kommentar zum SGB III, § 144 Rn. 276). Dabei handelt es sich nicht um eine - in anderem Zusammenhang abgelehnte (vgl. BSG vom 18.08.2005 - B 7a/7 AL 80/04 -) - Kulanzfrist, sondern um eine in der Regel gebotene Überlegungs- und Vorbereitungsfrist für die Bewerbung. Das in der Durchführungsanweisung der Beklagten zu § 144 SGB III vertretene Abstellen auf den Tag nach Zugang des Stellenangebots im Normalfall ist an die - hier nicht ersichtliche - Aufforderung geknüpft, "sofort" bzw. "umgehend" tätig zu werden, und berücksichtigt generell nicht ausreichend die Notwendigkeit, dem Arbeitslosen eine angemessene Bewerbungsfrist einzuräumen.

30

Danach hätte der Kläger hier spätestens am Donnerstag, den 7. November 2002, auf den Vermittlungsvorschlag durch eine regelrechte Bewerbung reagieren müssen. Denn er hat in seiner schriftlichen Erklärung vom 27. November 2002 angegeben, die Arbeit sei ihm "am" 28. Oktober 2002 per Post angeboten worden. Angesichts dessen und mangels anderer Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass der Vermittlungsvorschlag vom 28. Oktober 2002 noch an demselben Tag zur Post gegangen ist. Gemäß § 37 Abs. 2 SGB X gilt ein Verwaltungsakt bei der Übermittlung durch die Post im Inland am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben; diese Vorschrift ist für den Zugang des Stellenangebots auch nach der Durchführungsanweisung der Beklagten entsprechend heranzuziehen. Somit ist der Zugang des Stellenangebots beim Kläger am Donnerstag, den 31. Oktober 2002, anzunehmen, so dass die Wochenfrist am Donnerstag, den 7. November 2002, endete. Datum des Sperrzeitereignisses ist somit der 7. November 2002. Die Sperrzeit begann somit gem. § 144 Abs. 2 SGB III am 08. November 2002; sie endete nach zwölf Wochen Dauer am 13. Januar 2003.

31

Die mit dem Bescheid vom 23. Dezember 2002 verbundene Erstattungsforderung beruht auf § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X, wonach erbrachte Leistungen zu erstatten sind, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Die Erstattungsforderung ist damit dem Grunde nach nicht zu beanstanden. Sie ist aber für die zu Unrecht erhaltene Arbeitslosenhilfe angesichts des Beginns der Sperrzeit erst am 8. November 2002 nicht zutreffend berechnet. Statt für die Zeit bereits ab 1. November 2002 bis zum 30 November 2002 eine Erstattungsforderung von insgesamt 552,- EUR zu berechnen(30 Tage à 18,40 EUR), kann die Erstattungsforderung nur den Zeitraum ab 8. November 2002 bis zum 30. November 2002 (23 Tage à 18,40 EUR) und damit einen Betrag von lediglich 423,20 EUR umfassen.

32

Die Berufung konnte nach alledem nur teilweise Erfolg haben.

33

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

34

Die Revision wird gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf die Vielzahl der von der Durchführungsanweisung der Beklagten zum Sperrzeitbeginn betroffenen Fälle zugelassen.