Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 27.06.2007, Az.: L 2 R 201/07
Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung bei Erhalt eines Existenzgründungszuschusses von der Bundesagentur für Arbeit
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 27.06.2007
- Aktenzeichen
- L 2 R 201/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 34735
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2007:0627.L2R201.07.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Oldenburg - 06.03.2007 - AZ: S 5 R 304/05
Rechtsgrundlagen
- § 421 l SGB III
- § 2 S. 1 Nr. 8 u. 10 SGB VI
- § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen seine von der Beklagten festgestellte Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Mit Bescheid vom 1. Juni 1983 stellte die damalige Landesversicherungsanstalt Oldenburg-Bremen fest, dass der seinerzeit als selbständiger Handwerker in der Handwerksrolle eingetragene Kläger ab 1. Juli 1982 keine Beiträge zur Rentenversicherung nach dem Handwerkerversicherungsgesetz mehr zu entrichten hatte, da für ihn bereits im Zeitpunkt der Eintragung in die Handwerksrolle für mindestens 216 Kalendermonate Pflichtversicherungsbeiträge entrichtet worden waren.
Mit weiterem Bescheid vom 1. Dezember 1998 sprach die Landesversicherungsanstalt Oldenburg-Bremen mit Wirkung vom 13. November 1997 eine Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 2 S. 1 Nr. 8 SGB VI aus, da für den Kläger für einen Zeitraum von mindestens 18 Jahren Pflichtversicherungsbeiträge entrichtet worden seien.
Mit Wirkung vom 15. Juni 2004 gewährte die Bundesagentur für Arbeit dem Kläger nach § 421 l SGB III einen Existenzgründungszuschuss; die Förderungshöchstdauer betrug drei Jahre.
Mit Bescheid vom 8. September 2004 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger ab dem 15. Juni 2004 nach § 2 S. 1 Nr. 10 SGB VI der Versicherungspflicht unterlag, und zwar ausdrücklich beschränkt auf den Zeitraum des Bestehens eines Anspruchs auf Gewährung eines Existenzgründungszuschusses. Zugleich setzte sie Beiträge in Höhe des halben Regelbeitrages, d.h. in Höhe von 125,58 EUR für den Zeitraum 15. bis 30. Juni 2004 und in Höhe von monatlich 235,46 EUR für die Folgezeit, fest.
Zur Begründung seines Widerspruchs machte der Kläger geltend, dass er in seinem Arbeitsleben bereits die "gesamten Beiträge zur Versicherungspflicht für Selbständige" eingezahlt habe. Er sei daher von der Entrichtung weiterer Beiträge befreit.
Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Bescheid vom 7. November 2005 zurück.
Die in der Sache nicht näher begründete Klage hat das Sozialgericht Oldenburg gestützt auf die Regelung des § 2 S. 1 Nr. 10 SGB VI mit Gerichtsbescheid vom 6. März 2007, dem Kläger zugestellt am 14. März 2007, abgewiesen.
Dagegen richtet sich die am 16. April 2007, einem Montag, eingelegte Berufung, für die eine Begründung zwar angekündigt, aber nicht vorgelegt worden ist.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 6. März 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 8. September 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig.
1.
Da der Kläger ab dem 15. Juni 2004 nach § 421 l SGB III einen Existenzgründungszuschuss von der Bundesagentur für Arbeit erhalten hat, unterlag er ab diesem Zeitpunkt für die Dauer der Zuschussgewährung der Rentenversicherungspflicht nach § 2 S. 1 Nr. 10 SGB VI.
Nach dem klaren Wortlaut dieser (durch Art. 4 Nr. 1 Buchst. a DBuchst. bb des Gesetzes v. 23. Dezember 2002 - BGBl. I, 4621 - mit Wirkung vom 1. Januar 2003 eingeführten) Norm unterliegen alle selbständig tätigen Personen für die Dauer des Bezugs eines Zuschusses nach § 421 l des Dritten Buches der Rentenversicherungspflicht. Dies gilt unabhängig davon, ob und ggfs. für welche Zeiträume für die betroffenen Personen in vorausgegangenen Zeiträumen Pflichtversicherungsbeiträge entrichtet worden sind.
Der Kläger kann sich demgegenüber nicht auf die Regelung des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI berufen, wonach Gewerbetreibende in Handwerksbetrieben (mit Ausnahme der Bezirksschornsteinfegermeister) von der Versicherungspflicht (auf Antrag, vgl. § 6 Abs. 2 SGB VI) befreit werden, wenn für sie mindestens 18 Jahre lang Pflichtbeiträge gezahlt worden sind. Diese Vorschrift bezieht sich nur auf Fallgestaltungen, in denen sich die Versicherungspflicht für Gewerbetreibende, die in der Handwerksrolle eingetragen sind, aus § 2 S. 1 Nr. 8 SGB VI ergibt.
Im vorliegenden Fall war der Kläger im streitigen Zeitraum jedoch nicht nach § 2 S. 1 Nr. 8 SGB VI, sondern aus den dargelegten Gründen nach § 2 S. 1 Nr. 10 SGB VI versicherungspflichtig. Das Gesetz ordnet in § 2 S. 2 SGB VI ausdrücklich an, dass einer sich aus § 2 S. 1 Nr. 10 SGB VI ergebenden Versicherungspflicht der Vorrang zukommt. Mit dieser Regelung und mit der ergänzenden Bestimmung des § 5 Abs. 2 S. 3 SGB VI hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass er eine umfassende Einbeziehung aller Bezieher eines Existenzgründungszuschusses nach § 421 l SGB III in die gesetzliche Rentenversicherung anstrebt. Dies hat zur Folge, dass diese Personen sich auch dann auf eine sich aus § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI ergebende Befreiungsmöglichkeit nicht berufen können, wenn sie ohne den Bezug eines solchen Existenzgründungszuschusses in der jeweiligen Tätigkeit von der Versicherungspflicht auf Antrag zu befreien wären (vgl. auch Gürtner in Kasseler Kommentar, § 2 Rn. 44).
Verfassungsrechtliche Bedenken sind diesbezüglich nicht ersichtlich. Der Gesetzgeber durfte die der Versicherungspflicht zugrunde liegende Annahme einer besonderen sozialen Schutzbedürftigkeit von Selbstständigen in einer generalisierenden, typisierenden und verwaltungsmäßig leicht feststellbaren Weise davon abhängig machen, dass diese einen Existenzgründungszuschuss nach § 421 l SGB III in Anspruch nehmen. Ebenso wenig ist es verfassungsrechtlich zu beanstanden, dass der Gesetzgeber aus der Gruppe versicherungspflichtiger Selbstständiger einzelne Gruppen versicherungspflichtiger Selbstständiger herausgelöst und diese eigenständig strukturiert hat (vgl. dazu im einzelnen: BSG, U.v. 5 Juli 2006 - B 12 RA 4/05 R - SozR 4-2600 § 2 Nr. 9). Mangels Vergleichbarkeit der jeweils betroffenen Personengruppen ist der Gesetzgeber namentlich verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, die nur für einzelne Versicherungstatbestände normierten einschränkenden Voraussetzungen auch für andere Tatbestände zu "übernehmen" (BSG, a.a.O.).
Die Bescheide vom 1. Juni 1983 und vom 1. Dezember 1998 bezogen sich nur auf eine Versicherungspflicht nach § 2 S. 1 Nr. 8 SGB VI bzw. nach dem früheren Handwerkerversicherungsgesetz und stehen schon deshalb einer Heranziehung des Klägers zu Beitragszahlungen nach § 2 S. 1 Nr. 10 SGB VI nicht entgegen.
2.
Da der Kläger die erbetenen Auskünfte zu seinen konkreten Einkommensverhältnissen nicht erteilt hat, hat die Beklagte die von ihm zu entrichtenden Beiträge zutreffend in Anwendung des § 165 Abs. 1 S. 2 SGB VI in Höhe des halben Regelbeitrages ermittelt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG; Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.