Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 21.06.2007, Az.: L 9 U 315/04
Tätigkeit eines Berufsbetreuers als Wohlfahrtspflege im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 9 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII); Abkehr vom Grundsatz der persönlichen Betreuung aufgrund der Verpflichtung zur rechtlichen Wahrnehmung der Angelegenheiten des Betreuten
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 21.06.2007
- Aktenzeichen
- L 9 U 315/04
- Entscheidungsform
- Endurteil
- Referenz
- WKRS 2007, 34392
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2007:0621.L9U315.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 05.10.2004 - AZ: S 36 U 2/00
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII
- § 153 Abs. 2 SGG
Fundstellen
- BtMan 2007, 204
- BtPrax 2007, 222-223 (Volltext mit amtl. LS)
- FamRZ 2007, 1770 (Volltext mit amtl. LS)
Tenor:
Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 5. Oktober 2004 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Pflicht des Berufungsklägers, sich bei der Berufungsbeklagten in der gesetzlichen Unfallversicherung zu versichern.
Der Berufungskläger ist als Berufsbetreuer tätig. Er wandte sich im September 1998 an die Berufungsbeklagte und bat darum, ihm Unterlagen über eine freiwillige Versicherung als Berufsbetreuer zu übersenden. Im anschließenden Schriftverkehr wies die Berufungsbeklagte darauf hin, sie sei der Auffassung, der Berufungskläger könne sich bei ihr nicht freiwillig versichern, sondern sei vielmehr pflichtversichert.
Mit Bescheid vom 14. April 1999 stellte die Berufungsbeklagte fest, sie sei für das Unternehmen des Berufungsklägers der zuständige Unfallversicherungsträger nach dem Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII). Der Berufungskläger werde seit dem 1. Januar 1998 als Pflichtversicherter geführt. Der Berufungskläger wurde in die Gefahrtarifstelle 14 der Gefahrklasse 2,40 eingestuft. Den Widerspruch des Berufungsklägers wies die Berufungsbeklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7. Dezember 1999 zurück. Sie war der Auffassung, der Berufungskläger sei als in der Wohlfahrtspflege selbstständig Tätiger pflichtversichert. Die Tätigkeit als Berufsbetreuer diene auch dem Wohl der Allgemeinheit, da dieser Kosten erspart würden und dazu beigetragen würde, Menschen in die Gesellschaft zu integrieren.
Am 4. Januar 2000 ist Klage erhoben worden.
Das Sozialgericht (SG) Hannover hat die Klage nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 5. Oktober 2004 abgewiesen. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen darauf hingewiesen, die Tätigkeit eines Betreuers könne nicht auf rechtliche Aspekte reduziert werden. Daneben stünden jedenfalls auch Tätigkeiten, die in der Wohlfahrtspflege im weiteren Sinne zugeordnet werden könnten.
Gegen den am 11. Oktober 2004 zugestellten Gerichtsbescheid ist am 28. Oktober 2004 Berufung eingelegt worden.
Der Berufungskläger ist nach wie vor der Auffassung, er sei nicht pflichtversichert bei der Berufungsbeklagten. Dies ergebe sich schon daraus, dass er mit der Tätigkeit seinen Lebensunterhalt verdiene. Schon deshalb könne nicht darauf geschlossen werden, es handele sich um "Wohlfahrt" im Sinne des Gesetzes. Darüber hinaus sei seine Tätigkeit im Wesentlichen eine rechtliche Vertretung der Betreuten. Auch hieraus ergebe sich, dass es sich nicht um eine "Wohlfahrts"tätigkeit im Sinne des Gesetzes handele.
Der Berufungskläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 5. Oktober 2004 sowie den Bescheid der Berufungsbeklagten vom 14. April 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 1999 aufzuheben.
Die Berufungsbeklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf ihre angefochtenen Bescheide und die erstinstanzliche Entscheidung. Ergänzend legt sie verschiedene Gerichtsurteile in Parallelsachen vor.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Berufungsbeklagten (1 Band zum Az.: M916187) Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch den Berichterstatter als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungagründe
Der Senat entscheidet in Anwendung von §§ 155 Abs. 3 und 4, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch den Berichterstatter als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Das SG hat zu Recht entschieden, dass der Bescheid der Berufungsbeklagten vom 14. April 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 1999 rechtmäßig ist und den Berufungskläger nicht in seinen Rechten verletzt. Die Berufungsbeklagte hat darin zu Recht festgestellt, dass der Berufungskläger in Anwendung von § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII bei ihr pflichtversichert ist. Nach dieser Vorschrift sind kraft Gesetzes versichert Personen, die selbstständig in der Wohlfahrtspflege tätig sind. Hierzu rechnet auch der Berufungskläger.
Zur Begründung nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen in Anwendung von § 153 Abs. 2 SGG zunächst Bezug auf die Ausführungen des SG in seinem angefochtenen Gerichtsbescheid vom 5. Oktober 2004. Ergänzend wird auch Bezug genommen auf die im Verlauf des Verfahrens übersandten Entscheidungen anderer Sozialgerichte in gleichgelagerten Verfahren, die alle zu dem gleichen Ergebnis gelangt sind und daher nicht wiederholt werden sollen.
Soweit der Berufungskläger gegen die Anwendung von § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII einwendet, schon aus der Tatsache, dass er seinen Lebensunterhalt mit der Tätigkeit als Berufsbetreuer verdiene, ergebe sich, dass er nicht in der Wohlfahrtspflege tätig sei, vermag dies nicht zu überzeugen. Der Gesetzgeber hat nämlich bei der Normierung von § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII ausdrücklich die selbstständig Tätigen erwähnt. Er hat also ausdrücklich auch diejenigen Personen in den Blick genommen, die mit ihrer Tätigkeit in der Wohlfahrtspflege ihren Lebensunterhalt verdienen. Unter selbstständige Tätigkeit wird nämlich in Abgrenzung zur weiter in der Norm genannten unentgeltlichen Tätigkeit eine berufliche Tätigkeit zu Erwerbszwecken als Unternehmer verstanden (vgl. Ricke in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 2 SGB VII Rdnr. 41). Ausgenommen hiervon sind lediglich die in § 4 Abs. 3 SGB VII versicherungsfrei gestellten Selbstständigen, zu denen der Berufungskläger nicht zählt.
Die vom Berufungskläger ausgeübte Tätigkeit rechnet auch zur Wohlfahrtspflege im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII. Das erkennende Gericht teilt insoweit die Auffassung des LSG Berlin (Urteil vom 12. September 2002, L 3 U 20/01) und des LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 21. Mai 2003, L 17 U 54/02), der sich auch der 6. Senat des erkennenden Gerichts angeschlossen hat (Beschluss vom 13. Januar 2005, L 6 U 216/03; zustimmend auch Kruschinsky in Brackmann, Handbuch des Sozialversicherungsrechts - Gesetzliche Unfallversicherung, § 2 Rdnr. 540 a). Wohlfahrtspflege ist danach eine vorbeugende oder abhelfende Hilfeleistung für gesundheitlich, sittlich oder wirtschaftlich gefährdete oder notleidende Menschen. Die vom Berufungskläger im Verlauf des Verfahrens immer wieder thematisierte Verpflichtung zur rechtlichen Wahrnehmung der Angelegenheiten des Betreuten stellt keine Abkehr vom Grundsatz der persönlichen Betreuung dar, sondern soll nur klarstellen, dass die Vertretung des Betroffenen das Leitbild des Betreuerhandelns darstellt (vgl. Jürgens, Betreuungsrecht, 3. Auflage, § 1901 BGB Rdnr. 2). Der Betreuer muss diejenigen Tätigkeiten wahrnehmen, die für die Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind unter Berücksichtigung des Grundsatzes der persönlichen Betreuung. Dies berücksichtigend hat die Berufungsbeklagte den Berufungskläger zu Recht als in der gesetzlichen Unfallversicherung pflichtversichert eingestuft.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung von § 193 SGG.
Anlass, die Revision in Anwendung von § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht.