Landgericht Braunschweig
Urt. v. 06.02.2003, Az.: 4 O 417/02

Einspeisungsvertrag; Energieeinspeisungsgesetz; Inbetriebnahme; Vergütung; Windenergieanlagen

Bibliographie

Gericht
LG Braunschweig
Datum
06.02.2003
Aktenzeichen
4 O 417/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 47686
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 162.654,96 Euro zuzüglich 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 12.12.01 zu zahlen.

II. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

V. Der Streitwert wird auf 167.951,50 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung einer Einspeisevergütung für den Betrieb von fünf Windenergieanlagen des Typs NM1500c/64/1.500 kW in Anspruch, aus denen Strom in das Netz der Beklagten eingespeist wird.

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Eine der Anlagen, die alle in der Gemarkung ... stehen, wird von der Firma ... betrieben, jeweils zwei von den Firmen ....  Die Klägerin führte die gesamte Planung, Errichtung und Inbetriebnahme der fünf Anlagen sowie die Vertragsgestaltung mit der Beklagten durch. Die Klägerin ließ sich die Vergütungsansprüche der Betreiberfirmen zum Zwecke der gerichtlichen Geltendmachung abtreten. Die erste Anlage wurde am 30.08.01 an das Stromnetz der Beklagten angeschlossen, die Anlagen 2 und 3 am 01.09.01 und die Anlagen 4 und 5 am 19.10.01. Seit dem jeweiligen Zeitpunkt speisen sie ohne technische Probleme Strom in das Netz der Beklagten ein. Beim Transport von der einzelnen Anlage zum Einspeisepunkt entsteht ein Energieverlust von maximal 2 %. Die Beklagte verkaufte den Strom weiter. Am 22.09./01.10.01 schloss die Klägerin als Vertreterin der Betreiberfirmen mit der Beklagten drei gleichlautende Einspeiseverträge. § 1 Ziff. 1 der Verträge beginnt mit den Worten: "Der Kunde betreibt ... ", § 4 Ziff. 1 lautet jeweils: "Der Vertrag tritt in Kraft mit Tag der Inbetriebnahme des WEA". Wegen des weiteren Wortlauts wird auf den Vertragstext auf Bl. 9 ff. d. A. verwiesen. Die endgültige Inbetriebnahme des Windparks erfolgte am 29.11.01 mit der technischen Abnahme der Einzelanlagen. Die Klägerin teilte der Beklagten erstmals mit Schreiben vom 26.10.01 mit, dass diese ihre Zähler noch nicht angeklemmt habe und sie deshalb davon ausgehe, dass die intern gemessene Einspeiseleistung der ersten drei Windkraftanlagen Grundlage der Abrechnung sein werde. Unter dem 29.10.01 antwortete die Beklagte, dass nach ihrer Auffassung lediglich ein Probebetrieb stattfinde und die Inbetriebnahme erst noch erfolgen müsse. Mit Schreiben vom 11.12.01 lehnte die Beklagte Zahlungen an die Klägerin endgültig ab.

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Die Klägerin behauptet,

4

die Anlagen hätten bis zum 29.11.01, 14.50 Uhr folgende Strommengen erzeugt, die die Beklagte abgenommen habe:

5

Anlage 1:            452.329,1 kWh

6

Anlage 2:            538.668,7 kWh

7

Anlage 3:            332.029,2 kWh

8

Anlage 4:            249.933,4 kWh

9

Anlage 5:            291.099,6 kWh

10

Gesamtmenge: 1.864.60,0 kWh.

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Die Klägerin ist der Ansicht, der Vergütungsanspruch entstehe mit Einspeisung der ersten Kilowattstunde Elektrizität in das Netz. Die Inbetriebnahme im Sinne des § 4 des Einspeisungsvertrages sei als tatsächliches Inbetriebsetzen zu verstehen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Beklagte zu verurteilen, an sie 167.951,50 Euro zzgl. 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 12.12.01 zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt,

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            die Klage abzuweisen.

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Sie behauptet,

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vor dem 29.11.01 sei keine Inbetriebnahme erfolgt, sondern lediglich ein geduldeter Probebetrieb, um die elektrischen Anlagenkomponenten zu testen und die Auflage der Zu- und Abschaltung der Einzelanlagen in einem zeitlichen Abstand von 1,5 Minuten zu überprüfen. Die Anlagen hätten zu Beginn der Stromeinspeisung noch nicht den technischen Anforderungen genügt, insbesondere sei eine sogenannte Cut-In-Anlage zur Verhinderung schädlicher Rückwirkungen auf das Netz der Beklagten noch nicht eingebaut gewesen. Die Beklagte bestreitet die gelieferten Strommengen und die ordnungsgemäße Erhebung der Messwerte. Die Betreiber hätten den Strom gegen den Willen der Beklagten und ohne ihre Kenntnis in ihr Stromnetz eingespeist. Hätte die Beklagte entsprechende Kenntnis gehabt, hätte sie Gegenmaßnahmen eingeleitet. Sie ist der Auffassung, die Klage sei unbegründet, weil eine Vergütungspflicht mit 17,8 Pfennig pro Kilowattstunde nach § 7 Abs. 1 S. 1 EEG erst nach der förmlichen Inbetriebnahme der Anlage bestehe. § 2 EEG begründe zwar einen Kontrahierungszwang zu Lasten des Energieversorgungsunternehmens. Allerdings bedürfe es für den Anschluss an Netze von Elektrizitätsversorgungsunternehmen eines Vertrages. Dessen Konditionen und Modalitäten könne das Versorgungsunternehmen bestimmen, solange es den Vertragsschluss nicht von unbilligen Voraussetzungen abhängig mache.

18

Hinsichtlich eines möglichen bereicherungsrechtlichen Anspruchs sei die Klägerin nicht aktivlegitimiert. Außerdem handle es sich um eine aufgedrängte Bereicherung.

19

Das Gericht hat Beweis erhoben über die erzeugten Strommengen durch Vernehmung des Zeugen .... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 16.01.03 (Bl. 133 d. A.) verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze einschließlich Anlagen, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18.09.02 sowie die sonstigen Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist überwiegend begründet.

21

Der Klägerin steht gegen die Beklagten ein Anspruch auf Zahlung von 162.654,96 Euro aus § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 S. 1 EEG zu.

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Nach § 3 Abs. 1 EEG sind Netzbetreiber verpflichtet, Anlagen zur Erzeugung von Strom an ihr Netz anzuschließen, den gesamten angebotenen Strom aus diesen Anlagen vorrangig abzunehmen und den eingespeisten Strom nach §§ 4 bis 8 EEG zu vergüten. § 7 Abs. 1 S. 1 EEG in der Fassung vom 29.03.00 legt die Höhe der Vergütung von Elektrizität aus Windenergieanlagen auf mindestens 17,8 Pfennig pro Kilowattstunde fest, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Inbetriebnahme.

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Danach ist die Beklagte verpflichtet, den gelieferten Strom ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Zulieferung zu vergüten. Die Abnahme und Vergütung bedarf entgegen der Ansicht der Beklagten weder einer förmlichen Inbetriebnahme noch des Abschlusses eines Vertrages zwischen den Parteien. Vielmehr begründet § 3 Abs. 1 EEG ein gesetzliches Schuldverhältnis, durch das eine Vergütungspflicht mit der Einspeisung der ersten Kilowattstunde Elektrizität im Sinne von § 2 Abs. 1 EEG in das Netz begründet wird (Salje, § 3 Rn. 59, 61 EEG2).

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Die Beklagte hat unstreitig seit dem 30.08.01 Strom aus den klägerischen Anlagen bezogen. Dieses Datum ist der Tag der Inbetriebnahme im Sinne des § 7 Abs. 1 EEG. Das ergibt die Auslegung des im EEG nicht definierten Begriffes der "Inbetriebnahme". Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch handelt es sich hierbei um einen rein tatsächlichen Vorgang, nämlich die erstmalige Erzeugung von Strom. Entgegen ihrem nunmehr vertretenen Standpunkt hat selbst die Beklagte den Begriff ursprünglich in diesem Sinne verwendet. Anderenfalls hieße es im Vertragstext der Einspeiseverträge nicht, die Klägerseite betreibt eine Windenergieanlage, sondern allenfalls, dass sie den zukünftigen Betrieb von Windenergieanlagen beabsichtige. Auch der Sinn und Zweck des EEG, die Produktion von Windenergie zu fördern und die Betreiber finanziell abzusichern, spricht dafür, auf den frühen Zeitpunkt der faktischen Inbetriebnahme abzustellen. Dem steht nicht entgegen, dass § 10 EEG zur Vermeidung schädlicher Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit vorschreibt, dass die Ausführung des Anschlusses gemäß der im Einzelfall notwendigen technischen Anforderungen des Netzbetreibers zu erfolgen hat. Denn hieraus ließe sich hinsichtlich der Vergütung allenfalls ein Zurückbehaltungsrecht herleiten bis zu dem Zeitpunkt, an dem alle technischen Voraussetzungen zum gefahrlosen Betrieb der Anlage erfüllt sind. Die Versorgungssicherheit erfordert indes nicht, dass Strom, der vor der endgültigen technischen Abnahme einer Anlage erzeugt und tatsächlich abgenommen wurde, überhaupt nicht oder nur nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung zu vergüten wäre, zumal es vorliegend unstreitig keine technischen Probleme bei der Einspeisung gab und die Beklagte auch nichts unternommen hat, die Einspeisung bis zum Einbau sämtlicher technischer Sicherungen zu unterbinden, obwohl sie spätestens seit dem Schreiben der Klägerin vom 26.10.01 Kenntnis von deren Stromeinspeisung hatte. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Vergütungspflicht unabhängig vom Parteiwillen unmittelbar aufgrund des Gesetzes entsteht. Deshalb kann dahinstehen, ab wann die Beklagte Kenntnis von der Stromeinspeisung hatte und ob es sich hierbei lediglich um einen Probebetrieb handelte.

25

Die von der Beklagten herangezogene Entscheidung des OLG Koblenz vom 28.09.99 (RdE 2000, 74) ist für den vorliegenden Fall nicht unmittelbar einschlägig. Dort ging es um die vom Oberlandesgericht Koblenz bejahte Frage, ob ein Energieversorgungsunternehmen nur unter der Voraussetzung des Abschlusses eines Stromeinspeisungsvertrages zur Abnahme und Vergütung verpflichtet sei. Die Streitfrage braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden, weil die Parteien unstreitig entsprechende Verträge geschlossen haben. Sie haben darin jedoch keine abweichende Regelung hinsichtlich des Beginns der Vergütungspflicht getroffen. § 3 Ziff. 1 der Verträge verweist statt dessen auf die bestehende gesetzliche Regelung und beschränkt sich im übrigen auf die Regelung bestimmter Zahlungsmodalitäten. Daher kann offen bleiben, ob mit dem in § 4 der Einspeiseverträge vom 22.09.01/01.10.01 bestimmten Inkrafttreten der Tag der faktischen Inbetriebnahme oder derjenige der endgültigen technischen Abnahme gemeint war. Maßgeblich ist die Auslegung des in § 7 Abs. 1 EEG gebrauchten Begriffs der Inbetriebnahme im Sinne einer faktischen Zulieferung von Strom. Dies ist gestaffelt ab dem 30.08.01 erfolgt.

26

Die Höhe der der Klägerin zustehenden Vergütung ergibt sich rechnerisch aus der Menge des erzeugten Stroms, die mit dem gesetzlichen Preis pro Kilowattstunde zu multiplizieren ist.

27

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die fünf Windenergieanlagen bis zum 28.11.01 insgesamt 1.864.060 kWh Strom erzeugt haben. Die von der Klägerin errechnete Summe von 1.864,60 kWH enthält einen unbeachtlichen Schreibfehler. Dies ergibt sich aus den Angaben des Zeugen ...  sowie den von der Klägerin vorgelegten Messprotokollen. Der Zeuge ...  hat bestätigt, die in den Protokollen ausgewiesenen Daten am 28.11.01 aus dem Computer abgerufen und ausgedruckt zu haben. Anhaltspunkte dafür, dass die Werte manipuliert sein könnten, sind nicht ersichtlich. Der Zeuge hat keine persönliche Beziehung zu den Parteien; er ist deshalb glaubwürdig und seine Angaben glaubhaft.

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Der Zeuge hat des weiteren bekundet, dass er eine Genauigkeitstoleranz von 1-2 % ansetzen würde, weil die Messcomputer nicht geeicht seien. Abzuziehen sei des weiteren der Eigenverbrauch der Anlagen, der auf den Protokollen im einzelnen ausgewiesen sei.

29

Das Gericht übernimmt diese Werte in Ausübung seines ihm durch § 287 Abs. 2 ZPO eingeräumten Ermessens, weil es technisch ausgeschlossen ist, die Messungen im nachhinein mittels geeichter Geräte nachzuvollziehen und eine Begutachtung der tatsächlich bestehenden Messtoleranz der vorhandenen Geräte durch einen Sachverständigen zu der Bedeutung des streitigen Teils der Forderung in keinem Verhältnis stünde. Zu Lasten der insoweit beweispflichtigen Klägerin ist eine Messungenauigkeit von 2 % zugrunde zu legen.

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Hieraus ergeben sich folgende Abzüge:

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Gesamtmenge:                                                               1.864.060,00 kWh

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abzgl. 2 % Messtoleranz:                                                    37.281,20 kWh

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abzgl. Eigenverbrauch (Summe der Anlagen 1-5):                   3.083,20 kWh

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Zwischenergebnis:                                                         1.823.695,60 kWh

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abzgl. 2 % Transportverlust:                                              36.473,91 kWh

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Restmenge:                                                                    1.787.221,70 kWh

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x 17,8 Pf. (§ 7 Abs. 1 EEG):                                              318.125,46 DM

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= 162.654,96 Euro.

39

Aufgrund der Abzüge bleibt eine Differenz von 5.296,54 Euro, hinsichtlich derer die Klage unbegründet ist.

40

Der Schriftsatz der Beklagten vom 22.01.03 bot keinen Anlass zum Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung. Wenn die Beklagte vorträgt, die Genauigkeitstoleranz der internen Messcomputer der Klägerin sei in jedem Fall höher als die von dem Zeugen ...  angegebenen 2 %, ist dies eine Behauptung ins Blaue hinein. Es wäre Sache der Beklagten gewesen, konkrete Anhaltspunkte dafür vorzutragen, weshalb und in welcher Größenordnung höhere Messtoleranzen bestehen sollen. Dies hat sie nicht getan. Entsprechendes gilt hinsichtlich der in den Computerausdrucken ausgewiesenen Eigenverbrauchsdaten. Auch insoweit ist der Vortrag der Beklagten nicht geeignet, die per Computer ermittelten Messwerte in Zweifel zu ziehen.

41

Die Klägerin hat gemäß §§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 2 BGB Anspruch auf Zahlung von 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 12.12.01, nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 11.12.01 jegliche Zahlungen abgelehnt hat.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

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Die Zuvielforderung der Klägerin war mit 3,15 % der Klagesumme verhältnismäßig geringfügig und hat nur geringfügig höhere Kosten veranlasst.

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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1, 2 ZPO.

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Der Streitwert wurde gemäß §§ 12 Abs. 1 GVG, 3 ZPO festgesetzt.