Landgericht Braunschweig
Urt. v. 29.04.2003, Az.: 6 S 563/02 (167)
Abgrenzung; andere Leistung; Arztgebühr; Arzthonorar; Arztvertrag; besondere Ausführung; Leistungsbestandteil; Leistungsziel; selbständige ärztliche Leistung; Selbständigkeit; Teilschritt
Bibliographie
- Gericht
- LG Braunschweig
- Datum
- 29.04.2003
- Aktenzeichen
- 6 S 563/02 (167)
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 48608
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG - 16.08.2002 - AZ: 119 C 3504/01
Rechtsgrundlagen
- § 611 BGB
- § 612 BGB
- § 4 Abs 2 S 1 GOÄ
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Auch im Anwendungsbereich der GOÄ ist ein Arzt nicht berechtigt, für seine Tätigkeit im Rahmen eines arthroskopischen Eingriffs in das Schultergelenk nach Leistungsziffern für einzelne Bereiche des Gelenkes abzurechnen.
Vielmehr stellt der Eingriff ein einheitliches Leistungsziel dar; Tätigkeiten in einzelnen Bereichen des Schultergelenkes sind dagegen unselbständige Vorbereitungs-, Hilfs- oder Begleitleistungen, die nicht gesondert abgerechnet werden dürfen.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 16. August 2002 - 119 C 3504/01 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; der Kläger kann jedoch die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Streitwert für die Berufung wird festgesetzt auf 1.024,35 €.
Tatbestand:
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO a.F. abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet.
Das Amtsgericht hat zu Recht seine Klage in Höhe von 1.024,35 € (= 2.003,46 DM) abgewiesen mit der Begründung, zum Teil seien die streitigen Positionen aus seiner Rechnung vom 11.07.2000 nicht nebeneinander abrechenbar, andere Positionen seien medizinisch nicht notwendig gewesen.
Die Berufungskammer schließt sich den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung im vollen Umfange an und nimmt auf sie Bezug (§ 543 Abs. 1 ZPO a.F.).
Auch das Berufungsvorbringen rechtfertigt eine Abänderung nicht.
Die chiropraktische Wirbelsäulenmobilisierung gem. Leistung Nr. 3305 des Leistungsverzeichnisses zur GOÄ 1996 durfte der Kläger neben der Leistungsnummer 3306 - chirotherapeutischer Eingriff an der Wirbelsäule- nicht in Rechnung stellen. Die Leistung nach Nr. 3306 kann unabhängig von der Art, der Lokalisation und der Anzahl der erfolgenden chirotherapeutischen Eingriffe nur einmal im zeitlichen Zusammenhang berechnet werden. Die Leistung bezieht sich auf die gezielte manuelle Therapie der Wirbelsäule, um die von den Bewegungsstörungen der Wirbelgelenke ausgehenden reflektorischen Fehlsteuerungen der Wirbelsäulemuskulatur zu beseitigen. Die Leistung nach Nr. 3305 beschreibt eine ungezielte manuelle Mobilisierung der Wirbelsäule, die ebenfalls im zeitlichen Zusammenhang nur einmal berechnungsfähig ist, aber nicht neben Leistungsziffer 3306 abgerechnet werden kann (Lang/Schäfer/Stiel/Vogt, der GÖA-Kommentar, Kommentierung zur Leistungsziffer 3306).
Das Amtsgericht hat auch zutreffend den Kläger als nicht berechtigt angesehen, der Beklagten die Leistungsziffer 2182 (gewaltsame Lockerung oder Streckung eines Schulter-Ellenbogen-, Hüft- oder Kniegelenks) zu berechnen. Seiner Ansicht, der Kläger habe nicht bewiesen, dass dieser Eingriff medizinisch notwendig gewesen sei, schließt sich das Berufungsgericht an. Diese Feststellung ergibt sich aus dem Gutachten des Sachverständigen vom 25.06.2002. Der Gutachter hat dazu in Beantwortung der Beweisfrage aus dem Beschluss des Amtsgerichts vom 19.02.2002 festgestellt, dass eine gewaltsame Mobilisation des Schultergelenks "zumindest sehr untypisch" ist. Die Diagnose, die zur Reparation geführt ha, ist bekannt gewesen und ein eher vorsichtiges Vorgehen wäre sinnvoller gewesen als eine gewaltsame Mobilisation.
Dem Sachverständigen lag der Operationsbericht des Klägers vom 16.06.2000 vor. Danach hat der Sachverständige keine Umstände erkannt, die für das Vorgehen des Klägers sprechen.
Die Berufungskammer hat - ebenso wie das Amtsgericht- das Gutachten kritisch gewürdigt und folgt ihm in eigener Meinungsbildung.
Auch wenn der Gutachter die Beweisfrage nur knapp beantwortet hat, ergibt sich aus seiner Stellungnahme zweifelsfrei, dass die gewaltsame Mobilisierung nicht notwendig war. Er hat diese Feststellung möglicherweise nicht klar ausgesprochen, um den Kläger zu schonen.
Dieser trägt in der Berufung vor, bei der Beklagten habe eine Schultersteife vorgelegen, die eine gewaltsame Mobilisation notwendig gemacht habe, um die folgende Behandlung auszuführen und beruft sich dazu auf Sachverständigengutachten.
Dieses Gutachten war nicht einzuholen. Die Operation ist ausgeführt, sie liegt 3 Jahre zurück. Es erscheint daher ausgeschlossen, dass ein Sachverständiger noch heute die Behauptung des Klägers überprüfen kann. Tatsachen dafür, dass dies doch möglich sei, hat der Kläger nicht vorgetragen.
Dem Amtsgericht ist auch darin beizupflichten, dass der Kläger nicht berechtigt war, der Beklagten im Rahmen der Grundversorgung die Leistungsziffer 2006 getrennt zu berechnen.
Wegen der Einzelheiten der Begründung schließt sich die Berufungskammer den überzeugenden Gründen des Amtsgerichts an.
Der Kläger hat nicht vorgetragen, dass er eine nicht primär heilende Wunde zu versorgen hatte und somit Wundheilungsstörungen vorlagen. Diese können auch nicht innerhalb von wenigen Stunden nach der Operation auftreten.
Der Einholung eines Sachverständigengutachtens, wie vom Kläger beantragt, bedarf es daher nicht.
Das Amtsgericht hat auch zu Recht den Kläger als nicht berechtigt angesehen, der Beklagten die Kostenpositionen der Leistungsziffern 2119, 2265, 2072 und 2405 in Rechnung zu stellen.
Das Amtsgericht hat dazu zutreffend ausgeführt, dass der Arzt nur selbständige ärztliche Leistungen berechnen darf und Leistungsbestandteile oder besondere Ausführungen einer anderen Leistung nicht berechnet werden dürfen, soweit für die andere Leistung eine Gebühr in Rechnung gestellt wird (§ 4 Abs. 2 Satz 1 GOÄ).
Für den selbständigen Charakter einer Leistung ist entscheidend, ob sie das Leistungsziel selbst oder nur ein Teilschritt auf dem Weg zur Erreichung des Leistungszieles darstellt. Es sind also von der Zielleistung Vorbereitungs-, Hilfs- und Begleitleistungen zu unterscheiden, die hier keinen selbständigen Leistungscharakter haben und daher nicht gesondert neben der Gebühr für die Zielleistung abgerechnet werden können.
Dem Amtsgericht ist darin beizupflichten, dass die ärztliche Tätigkeit unter den Leistungsziffern der GOÄ und damit auch ihrer Einordnung als selbständiges Leistungsziel oder unselbständiger Leistungsbestandteil eine Rechtsfrage ist.
Das Amtsgericht hat sich dazu dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 25.08.1999 angeschlossen. Dieses hat nachvollziehbar für den Bereich der BMÄ/E-GO ausgeführt, dass dort das Schultergelenk in den Leistungsnummern gleichberechtigt neben anderen Gelenken aufgeführt wird und daher im Sinne der Terminologie der Gebührenordnungen ein einziges Gelenk ist, ohne dass es darauf ankäme, dass der Schultergürtel aus verschiedenen anatomisch definierten echten Gelenken sowie einem System von Gleitspalten besteht, die als funktionelle Gelenke bezeichnet werden.
Die davon abweichende Stellungnahme des geschäftsführenden Direktors des Zentrums für Anatomie der Universität Köln, stellt eine medizinische Beurteilung des Schultergelenks dar und beantwortet daher nicht die Frage, wie nach der Gebührenordnung das Schultergelenk einzuordnen ist. Die Wertung und Begründung des Bundessozialgerichts ist überzeugend. Auf sie wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, aus welchen Gründen die Ansicht des Bundessozialgerichts nicht auf die Vorschriften der GOÄ übertragen werden können. Die Grundgedanken sind vergleichbar.
Der Kläger durfte daher die Leistungsziffern 2119, 2265, 2072 und 2404 der Beklagten nicht berechnen.
Das angefochtene Urteil ist daher nicht zu beanstanden, so dass die Berufung des Klägers zurückzuweisen war.
Er trägt wegen des Misserfolges seines Rechtsmittels die dadurch verursachten Kosten (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung von 120 % des zu vollstreckenden Betrages (§§ 708 Ziffer 11, 711 ZPO).
Die Revision, wie vom Kläger angeregt, war nicht zuzulassen, da die Rechtssache eine Einzelfallentscheidung ist und keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch der Fortbildung des Rechts nicht dient (§ 543 ZPO n.F.).