Landgericht Braunschweig
Beschl. v. 26.05.2003, Az.: 8 T 476/03 (178)

Duldungsanspruch; einstweilige Verfügung; Forderungserhöhung; Fortsetzung; Gaslieferungsvertrag; Gaszählersperrung; Klageverfahren; ordentlicher Klageweg; täglicher Verbrauch; Unzumutbarkeit; Verfügungsgrund; Zahlungsunfähigkeit; Zahlungsunwilligkeit

Bibliographie

Gericht
LG Braunschweig
Datum
26.05.2003
Aktenzeichen
8 T 476/03 (178)
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 48610
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG - 15.04.2003 - AZ: 3 C 205/03 (3 C)

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Helmstedt vom 15.04.2003 - 3 C 205/03 (3 C) aufgehoben. Dem Antragsgegner wird aufgegeben, den Zutritt eines mit einem Ausweis versehenen Beauftragten der Antragstellerin zu seinen Räumen in 38... H., B. Straße 18, und die Sperrung des Gaszählers mit der Nummer 0.754.732.3 zu dulden.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner.

Beschwerdewert: 486,- EUR.

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin versorgt den Antragsgegner im Hausgrundstück B. Straße 18 in H. mit Gas.

2

Für den Verbrauchszeitraum vom 01.11.2000 bis 03.12.2002 ist ein Betrag von 1.056,46 EUR offen. In der Rechnung vom 10.12.2002 wurde der neue monatliche Abschlagsbetrag auf 81,00 EUR festgesetzt. Er war jeweils zum 3. der Monate Januar bis April 2003 fällig, wurde von dem Antragsgegner jedoch nicht gezahlt.

3

Mit Mahnungen vom 16.01., 29.01. und 06.02.2003 wurde der Antragsgegner zur Begleichung der offenen Forderungen der Antragstellerin aufgefordert. Mit Schriftsatz vom 06.02.2003 kündigte die Antragstellerin gleichzeitig die Einstellung der Versorgung an.

4

Der Außendienstmitarbeiter der Antragstellerin, Herr Ingo S., erschien am 24.03.2003 um 16:00 Uhr und am 27.03.2003 um 13:00 Uhr bei dem Antragsgegner, um das Inkasso zu betreiben oder anderenfalls die Versorgung einzustellen. Obgleich im Haus Licht brannte, wurde die Tür nicht geöffnet. Eine entsprechende eidesstattliche Versicherung des Außendienstmitarbeiters (vgl. Blatt 46 d.A.) hat die Antragstellerin vorgelegt.

5

Die Antragstellerin hat deshalb bei dem Amtsgericht Helmstedt den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Inhalt beantragt, dem Antragsgegner aufzugeben, den Zutritt eines mit einem Ausweis versehenen Beauftragten der Antragstellerin zu seinen Räumen in 38... H., B. Straße 18, und die Sperrung des Gaszählers mit der Nummer 0.754.732.3 zu dulden. Ein Verfügungsgrund sei gegeben, weil sich die uneinbringlichen Forderungen der Antragstellerin bei zahlungsunfähigen oder zahlungsunwilligen Kunden mit dem täglichen Verbrauch ständig erhöhen würden, und es deshalb der Antragstellerin nicht zumutbar sei, ihre Rechte im länger währenden ordentlichen Klageverfahren geltend zu machen.

6

Mit Beschluss vom 15.04.2003 - 3 C 205/03 (3C) - hat das Amtsgericht Helmstedt den Antrag der Antragstellerin vom 14.04.2003 auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Es fehle an einem Verfügungsgrund. Insoweit ist auf den Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 30.03.2001 - 4 T 302/01 (8) - Bezug genommen worden. Die begehrte Regelungsverfügung diene ferner weder der Abwendung wesentlicher Nachteile, die die Antragstellerin anderenfalls erleiden würde, noch sei ihr Erlass aus anderen Gründen erforderlich. Durch einen etwaigen weiteren Zahlungsverzug werde die Antragstellerin unter Beibehaltung der Gaslieferung weder in ihrer Existenz beeinträchtigt noch gefährdet. Durch die begehrte Zählersperrung würde im Ergebnis eine endgültige Regelung herbeigeführt werden, die dem ordentlichen Verfahren vorbehalten sei. Letztlich könne sich die Antragstellerin durch Kündigung des Versorgungsvertrages gemäß § 33 Abs. 4 AVBGasV jederzeit von einem weiter anwachsenden Zahlungsrückstand "befreien".

7

Gegen den Beschluss, der den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin unter dem 17.04.2003 zugestellt worden ist, richtet sich die mit Schriftsatz vom 24.04.2003, eingegangen beim Amtsgericht Helmstedt am 25.04.2003, eingelegte "Beschwerde" der Antragstellerin. Sie beantragt, dem Antragsgegner unter Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts Helmstedt vom 15.04.2003 - 3 C 205/03 (3C) - aufzugeben, den Zutritt eines mit einem Ausweis versehenen Beauftragten der Antragstellerin zu seinen Räumen in 38... H., B. Straße 18, und die Sperrung des Gaszählers mit der Nummer 0.754.732.3 zu dulden. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung u.a. der Landgerichte Stuttgart, Heilbronn und Saarbrücken hält sie an ihrer Auffassung, ein Verfügungsgrund sei gegeben, fest.

8

Das Amtsgericht hat der "Beschwerde" der Antragstellerin nicht abgeholfen und die Sache dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt.

9

Dem Antragsgegner ist rechtliches Gehör gewährt worden. Eine Stellungnahme ist nicht erfolgt.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verfahrensakten Bezug genommen.

II.

11

Die als sofortige Beschwerde auszulegende "Beschwerde" der Antragstellerin ist gemäß §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 ZPO zulässig.

12

Sie hat auch in der Sache Erfolg.

13

Der Verfügungsanspruch der Antragstellerin ergibt sich aus § 33 Abs. 2 AVBGasV. Hiernach ist das Gasversorgungsunternehmen bei Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung trotz Mahnung berechtigt, die Versorgung zwei Wochen nach Androhung einzustellen. Die Voraussetzungen hierfür sind erfüllt.

14

Ein Verfügungsgrund ist ebenfalls gegeben. Da sich die uneinbringlichen Forderungen der Antragstellerin bei zahlungsunfähigen oder zahlungsunwilligen Kunden mit dem täglichen Verbrauch ständig erhöhen, ist es der Antragstellerin unzumutbar, auf den möglicherweise langwierigen Weg der Geltendmachung im ordentlichen Klageverfahren verwiesen zu werden (vgl. LG Heilbronn, RdE 1991, 167; LG Stuttgart, RdE 1984, 281; LG Saarbrücken, RdE 1996, 119; OLG Köln NJW-RR 1988, 832 [OLG Köln 10.02.1988 - 2 W 216/87]).

15

In Abweichung des Beschlusses des Landgerichts Braunschweig vom 30.03.2001 - 4 T 302/01 (8) - hält die Kammer deshalb eine Eilbedürftigkeit für gegeben.

16

Nach Auffassung der Kammer ist eine Vergleichbarkeit mit dem Fall der Weiterbenutzung einer Mietsache, ohne dass der Mieter den Mietzins zahlt, nicht gegeben. Der sich ständig erhöhende Inkasso des Energieversorgungsunternehmens ist anders als - grundsätzlich - der Mietzins in keiner Weise gesichert. Zu Gunsten des Vermieters besteht regelmäßig ein Vermieterpfandrecht an den von dem Mieter eingebrachten Sachen gemäß § 562 BGB und in der Regel hat der Mieter auch eine Mietsicherheit gemäß § 551 BGB zu leisten. Auch sind die Folgen einer im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes durchgesetzten Räumung der Unterbrechung der Gasversorgung im einstweiligen Rechtsschutz nicht vergleichbar. Die Folgen der Räumung würden den Mieter ungleich härter treffen als die Unterbrechung der Gasversorgung.

17

Auch der Umstand, dass die Forderungen der Antragstellerin zum Teil bereits in 2000 bzw. 2001 entstanden sind, steht dem Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht entgegen. Zwar kann ein zu langes Zuwarten durch den Antragsteller dem Antrag im einstweiligen Rechtsschutz die Eilbedürftigkeit grundsätzlich nehmen. Dieser Einwand könnte sich jedoch allenfalls hinsichtlich des bereits aufgelaufenen Zahlungsrückstandes auswirken, nicht jedoch hinsichtlich der zukünftig entstehenden Zahlungsansprüche, die zu einem erheblichen Forderungsausfall bei der Antragstellerin führen können (vgl. LG Saarbrücken, RdE 1996, 119). Da der Antragsgegner auch die Abschlagszahlungen für die Monate Januar bis April 2003 nicht geleistet hat, ist von einem weiteren Anwachsen der Zahlungsansprüche der Antragstellerin wegen Zahlungsunwillig- oder Zahlungsunfähigkeit des Antragsgegners auszugehen.

18

Ziel des Erlasses der begehrten einstweiligen Verfügung ist es, das Anwachsen der offenen Forderungen der Antragstellerin zu verhindern. Es kann daher entgegen der Auffassung des Amtsgerichts nicht darauf ankommen, ob die Antragstellerin bei Beibehaltung der Gaslieferung in ihrer Existenz beeinträchtigt oder gefährdet wird. Auch wenn die Antragstellerin bei Zurückweisung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht in ihrer wirtschaftlichen Existenz beeinträchtigt wird, so droht ihr dennoch ein nicht wieder gutzumachender Schaden, weil sich ihre uneinbringlichen Forderungen mit dem täglichen Gasverbrauch durch den zahlungsunfähigen oder zahlungsunwilligen Antragsgegners ständig erhöhen. Eine Verweisung auf den ordentlichen Rechtsweg ist der Antragstellerin daher nicht zumutbar. Der Antragsgegner wird durch den antragsgemäßen Erlass der einstweiligen Verfügung auch nicht unzumutbar hart getroffen. Er hatte hinreichend Gelegenheit bei dem Sozialamt eine Kostenübernahme zu erwirken, wenn er denn tatsächlich zahlungsunfähig ist. Es ist nicht Aufgabe der Antragstellerin, Sozialaufgaben der Allgemeinheit zu übernehmen. Soweit der Antragsteller zahlungsunwillig sein sollte, ist er nicht schutzbedürftig.

19

Zwar wird durch den Erlass der einstweiligen Verfügung im Ergebnis eine endgültige Regelung herbeigeführt, die grundsätzlich dem ordentlichen Rechtsweg vorbehalten ist. Diese Folge ist jedoch dem zwischenzeitlich allgemein anerkannten Rechtsinstitut der Regelungsverfügung immanent.

20

Durch eine Kündigung seitens der Antragstellerin kann letztlich das Anwachsen eines Zahlungsrückstandes nicht verhindert werden, weil durch die Kündigung nicht vermieden wird, dass der Antragsgegner weiter Gas verbraucht.

21

Nach alledem war daher zu Gunsten der Antragstellerin eine einstweilige Verfügung mit dem von ihr begehrten Inhalt zu erlassen.

22

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

23

Der Beschwerdewert ist entsprechend dem Interesse der Antragstellerin an dem Erlass einer einstweiligen Verfügung festgesetzt worden, das mit 6 monatlichen Abschlagzahlungen bewertet worden ist. Dies entspricht in etwa der Zeit, die benötigt worden wäre, um einen Titel im ordentlichen Verfahren zu erlangen, und den Verbrauchskosten, die bis dahin voraussichtlich weiter aufgelaufen wären.