Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 17.10.2005, Az.: 7 U 11/05
Wirksamkeit des Widerspruchs eines Verbraucherinsolvenzschuldners gegen das Privileg der unerlaubten Handlung; Vorliegen einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung bei einer Verurteilung wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung; Übergang eines Zahlungsanspruchs des in einem Verkehrsunfall Verletzten gegen den Schädiger auf die leistende Haftpflichtversicherung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 17.10.2005
- Aktenzeichen
- 7 U 11/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 36192
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2005:1017.7U11.05.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Braunschweig - 17.12.2004 - AZ: 5 O 2075/04 (404)
- nachfolgend
- BGH - 21.06.2007 - AZ: IX ZR 29/06
Rechtsgrundlagen
- § 823 Abs.2 BGB
- § 184 InsO
- § 302 Nr.1 InsO
- § 11 Abs. 2 StGB
- § 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB
- § 316 StGB
In dem Rechtsstreit
...
hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
durch
die Richterin am Oberlandesgericht ... als Vorsitzende und
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
auf die mündliche Verhandlung vom
26. September 2005
fürRecht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 17. Dezember 2004 - Az.: 5 O 2075/04 - abgeändert. Es wird festgestellt, dass der von dem Beklagten in dem über sein Vermögen vor dem Amtsgericht Braunschweig - Insolvenzgericht - anhängigen Insolvenzverfahren 273 IN 505/02 am 24. Juni 2004 erhobene Widerspruch gegen das Privileg der vorsätzlichen unerlaubten Handlung der der Klägerin gemäß Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Braunschweig vom 24. Januar 1995 - 70 B 5780/94 - zustehenden titulierten und im Insolvenzverfahren am 06. März 2003 angemeldeten Forderung unbegründet ist.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen hat der Beklagte zu tragen.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Streitwert: 120.599,79 EUR.
Gründe
I.
Die Klägerin war Haftpflichtversicherin des Beklagten für dessen Pkw Renault Clio, mit dem dieser am 15. Oktober 1993 in einen schweren Verkehrsunfall verursachte, bei welchem der Beifahrer des Beklagten schwer verletzt wurde. Der Beklagte wurde deshalb wegen Straßenverkehrsgefährdung gem. § 315 c Abs. 3 Nr. 1 StGB in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung rechtskräftig verurteilt. Die Klägerin leistete an den Beifahrer im Laufe der Zeit Zahlungen i.H.v. fast einer Million DM und nahm den Beklagten in Regress; der Beklagte meldete Verbraucherinsolvenz an. Die Klägerin meldete ihre Forderung im Insolvenzverfahren als eine solche aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung an und verlangt nunmehr die Feststellung, der Insolvenzverfahren erhobene Widerspruch des Beklagten gegen das Privileg der unerlaubten Handlung sei unwirksam. Wegen des Sach- und Streitstandes im einzelnen sowie der Anträge der Parteien in erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 66 f d.A.) Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, die Forderung der Klägerin resultiere nicht aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung. Zwar bezwecke § 315c StGB auch den Schutz der Gesundheit Dritter. Die Klägerin beziehe sich jedoch selbst auf das amtsgerichtliche Strafurteil, durch welches der Beklagte nur wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung verurteilt worden sei. Er habe danach zwar die Straßenverkehrsgefährdung durch Trunkenheit mindestens bedingt vorsätzlich begangen; die geschützten Rechtsgüter Gesundheit und körperliche Unversehrtheit seines Beifahrers habe er aber ausweislich der tatsächlichen Feststellungen des Strafrichters und auch nach deren nochmaliger Würdigung nur fahrlässig verletzt. Der Strafrichter habe die Straftat im Tenor nur wegen § 11 Abs. 2 StGB als vorsätzliche Handlung bestätigt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl.67-70 d.A.) Bezug genommen.
Die Klägerin rügt Rechtsfehler. Gem. § 302 Nr.1 InsO privilegierte Forderungen seien auch solche, die aus der vorsätzlichen Verletzung von Schutzgesetzen i.S.v. § 823 Abs.2 BGB herrührten; bei diesen komme es aber nur auf den Vorsatz hinsichtlich der Schutzgesetzverletzung selbst an, nicht dagegen auf einen nicht zum Tatbestand gehörenden Verletzungserfolg.§§ 315, 316 StGB seien Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs.2 BGB. Dem Beklagten sei im übrigen auch die Gefährdung seines Beifahrers durchaus bewusst gewesen. Weder stehe der Wunsch, ein Schaden möge nicht eintreten, stets der Billigung der die Gefährdung begründenden Umstände entgegen, noch müsse der Schädiger den tatsächlich entstandenen Schaden gebilligt haben. Schließlich habe der Beklagte zumindest den Tatbestand des § 316 StGB vorsätzlich verwirklicht.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils festzustellen, dass der von dem Beklagten in dem über sein Vermögen vor dem Amtsgericht Braunschweig - Insolvenzgericht - anhängigen Insolvenzverfahren 273 IN 505/02 am 24. Juni 2004 erhobene Widerspruch gegen das Privileg der vorsätzlichen unerlaubten Handlung der der Klägerin gemäß Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Braunschweig vom 24. Januar 1995 - 70 B 5780/94 - zustehenden titulierten und im Insolvenzverfahren am 06. März 2003 angemeldeten Forderung unbegründet ist.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Auf die Frage, ob §§ 315 c, 316 StGB i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB im Falle der vorsätzlichen Verwirklichung des Straftatbestandes einen Anspruch begründen würden, komme es nicht an, da hier der Beklagte die Verletzungen seines Beifahrers nur fahrlässig verursacht habe. Im übrigen sei § 302 Nr.1 InsO als Ausnahmevorschrift restriktiv auszulegen; erst der vorsätzlich herbeigeführte Schaden und die Schadensersatzpflicht begründeten die Privilegierung. Schließlich könne das Privileg nur dem Gläubiger zukommen, der selbst eine Beeinträchtigung seines höchstpersönlichen Rechtsguts erfahren habe, nicht aber dem Rückgriff nehmenden, also einen reinen Vermögensschaden verfolgenden Gesamtschuldner.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen bis zum Zeitpunkt der Verhandlung vor dem Senat gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung ist begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Feststellung der Unwirksamkeit des Widerspruchs gegen die Feststellung des Privilegs der unerlaubten Handlung für den von ihr angemeldeten Insolvenzanspruch aus § 184 InsO zu.
Bereits das Landgericht hat zu Recht bemerkt, die tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts zum Unfallhergang, auf welche sich die Klägerin bezieht, seien unstreitig; das gilt auch für die Berufungsinstanz. Die Klägerin macht lediglich hilfsweise geltend, die Handlung des Beklagten sei auch im Hinblick auf die Gesundheitsgefährdung des Beifahrers als bedingt vorsätzlich anzusehen; ob dem trotz des Ergebnisses des Strafverfahrens so ist, kann im Ergebnis aber dahinstehen. Denn bereits nach dem unstreitigen Sachverhalt ist die - als solche zulässige - Feststellungsklage der Klägerin begründet.
1.
Der auf die Klägerin übergegangene Zahlungsanspruch des Beifahrers auf Schadensersatz gegen den Beklagten ergibt sich nicht nur aus den - hier nicht weiter interessierenden - Anspruchsgrundlagen der § 823 Abs. 1 und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 230, 232 a.F. (= §§ 229, 230 n.F.) StGB, sondern auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 315 c Abs. 3 Nr. 1 StGB. Die letztgenannte Vorschrift ist als Schutzgesetz zu Gunsten der am jeweiligen Verkehr konkret beteiligten Personen, hier: des Beifahrers des Beklagten, anzusehen (vgl. etwa Palandt / Heinrichs, BGB, 64. Aufl., Rz. 69 zu § 823). Daran ändert nichts, dass die dafür meist angeführte (vgl. etwa außerdem Erman/Schiemann; BGB, 11. Aufl., Rz. 160 zu § 823) frühe Entscheidung des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 1956 im 19. Band der Entscheidungssammlung (BGHZ 19, 114, 125f [BGH 23.11.1955 - VI ZR 193/54] = VersR 56, 36, 38) die Vorschriften der §§ 315 und 316 StGB a.F. betrifft. Dabei handelt es sich um die Strafvorschriften betreffend die Eisenbahnverkehrsgefährdung (heute § 315 StGB n.F.). Der Senat trägt keine Bedenken, den Rechtsgedanken der Entscheidung des Bundesgerichtshofes, die Gefährdungsdelikte der §§ 315, 316 a.F. StGB seien Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB zu Gunsten der vom Verkehr unmittelbar berührten Personen, auch auf die im Aufbau dem heutigen § 315 StGB gleichenden Vorschriften der §§ 315 a-c StGB anzuwenden. Es handelt sich bei dem hier in Betracht kommenden § 315 c StGB heutiger Fassung um ein ebensolches konkretes Gefährdungsdelikt (vgl. nur Tröndle / Fischer, StGB, 52.Aufl., Rz.1 zu § 315c), nur aber für den Bereich des Straßenverkehrs. Konkrete Gefährdungsdelikte sind ohne weiteres als Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs.2 BGB anzusehen. Anderes gilt für abstrakte Gefährdungsdelikte wie etwa § 316 StGB (vgl. ebenda Rz. 1 zu § 316; MünchKomm/Wagner, BGB, 4. Aufl., Rz. 348 f zu § 823). Deshalb kommt diese von der Klägerin hilfsweise herangezogene Vorschrift hier nicht als Schutzgesetz in Betracht, wohl aber § 315 c StGB.
2.
Mit der Berufung ist auch von einer vorsätzlichen Begehung einer Straßenverkehrsgefährdung auszugehen. Das hat auch die Kammer erkannt (Urteil S. 5 Bl.69); sie hat lediglich die Auffassung vertreten, § 302 Nr.1 InsO sei nicht erfüllt, weil die konkrete Rechtsgutsverletzung nicht vorsätzlich erfolgt sei. Die Berufung verweist demgegenüber zutreffend darauf, dass für § 315c StGB bereits die Gefährdung anderer ausreiche. Zwar hat der Beklagte diese Gefährdung nach den unstreitigen Feststellungen des Strafrichters nicht vorsätzlich, sondern eben nur fahrlässig begangen; und soweit die Klägerin sich für ihre gegenteilige Auffassung lediglich auf den Inhalt der Strafakten bezieht, ohne konkrete Würdigungsfehler des Amtsgerichts aufzuzeigen, sieht der Senat mit dem Landgericht keinen Anlass, die unstreitigen Tatsachen anders zu werten als der Strafrichter. Die Erfüllung der Vorsatz- / Fahrlässigkeitskombination des § 315c Abs.3 Nr.1 StGB ist jedoch im Rahmen der Prüfung nach § 302 Nr.1 InsO nicht als "nicht vorsätzlich begangen", sondern als Vorsatztat anzusehen.
Für eine insolvenzrechtliche Behandlung als Vorsatztat spricht zunächst die § 11 Abs.2 StGB zu entnehmende klare gesetzgeberische Intention, Vorsatz- / Fahrlässigkeitskombinationen wie die des § 315c Abs.3 Nr.1 StGB den Vorsatztaten zuzuordnen. Der Senat sieht keinen Anlass, die grundsätzliche Wirkung dieser Definitionsvorschrift für das Zivilrecht einzuschränken. Insbesondere griffe nicht das von der Kammer angeführte Argument, mit § 11 Abs.2 StGB solle lediglich die Strafbarkeit von Versuch und Teilnahme sichergestellt werden. Denn gerade für § 315c StGB ist ungeachtet dessen, dass er als Vorsatzdelikt aufzufassen ist, in der Strafrechtsliteratur und -rechtsprechung unstrittig, dass eine Versuchsstrafbarkeit nicht in den Fällen des Abs.3 in Betracht kommt (vgl. Tröndle / Fischer a.a.O. Rz. 19a, 20; Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben, StGB, 26. Aufl., Rz. 42 u. 46).
Vor allem aber ist jedenfalls der von der Kammer zutreffend dargelegte Zweck des § 302 Nr.1 InsO selbst zu berücksichtigen. Der Insolvenzschuldner soll sich der Haftung für Vorsatztaten nicht entziehen können (vgl. Kübler/Prütting/Wenzel, InsO, Rz.1; Uhlenbruck/Vallender, InsO, 12. Aufl., Rz.1; Nerlich/Römermann, InsO, Rz.1; Braun / Buck, InsO, 2. Aufl., Rz.1, alle zu § 302 unter Bezugnahme auf die Begründung des Regierungsentwurfs). Dann aber führt die Sichtweise des Landgerichts zu keinem überzeugenden Ergebnis. Für § 302 Nr.1 InsO ist eindeutig zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitstaten zu trennen; eine dritte Möglichkeit kann es nicht geben. Dann aber kann es nicht richtig sein, den Verstoß gegen das Schutzgesetz in zwei Tatbestände zu zerlegen, von denen der erste (vorsätzlich begangene), nämlich die Trunkenheitsfahrt den Beifahrer gewissermaßen gar nicht betreffe. Denn diese war schließlich ursächlich für die fahrlässige Gesundheitsgefährdung des Beifahrers und erfüllt mit ihr zusammen den einheitlichen Tatbestand der§§ 315c Abs.1 Nr.1a, Abs.3 Nr.1 StGB. Wäre die Straßenverkehrsgefährdung im Ergebnis als Fahrlässigkeitstat anzusehen, wie es die Kammer tut, so könnte sich der Beklagte deren Folgen trotz unangegriffener strafrechtlicher Verurteilung wegen einer Vorsatztat zum Nachteil des Geschädigten durch die Restschuldbefreiung entziehen. Ein solches Ergebnis lässt sich weder mit § 11 Abs. 2 StGB noch mit § 302 Nr. 1 InsO vereinbaren.
Schließlich spricht für die Einordnung der Vorsatz-/Fahrlässigkeitskombination als Vorsatztat im Sinne des § 302 Nr. 1 InsO, dass in der Kommentierung dieser Vorschrift als Vorsatztaten sonst ohne weiteres auch solche Strafgesetze verstanden werden, deren Tatbestände nicht besonders auf den Eintritt einer Rechtsgutsverletzung des Geschädigten abstellen, so unerlaubtes Entfernen vom Unfallort ( § 142 StGB) oder Verstöße gegen die Versicherungspflicht (§§ 1, 5, 6 PflVG; vgl. etwa Uhlenbrock/Vallender, InsO, 12. Aufl., Rz. 3 zu§ 302).
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs.1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision war gem. § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wegen der Grundsätzlichkeit der Frage zuzulassen, ob ein Delikt nach § 315 c Abs. 3 Nr. 1 StGB auch im Sinne des § 302 InsO als Vorsatztat anzusehen sein kann. Der Streitwert war gem. §§ 66 Abs. 8 GKG, 3 ZPO nach dem Wert des geltend gemachten Rückgriffsanspruchs festzusetzen.
Wichmann
Dr. Pansegrau