Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.04.2002, Az.: 1 K 1948/00
Abwägungsgebot; Bebauungsplan; Einkaufszentrum; Einzelhandel; Etikettenschwindel; Festsetzung; Funktionslosigkeit; Mischgebiet; Sondergebiet; Umstellung; Verbrauchermarkt; Zweckbestimmung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 24.04.2002
- Aktenzeichen
- 1 K 1948/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 43988
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 6 Abs 1 BauNVO
- § 6 Abs 1 BauNVO
- § 11 Abs 3 BauNVO
- § 1 Abs 3 BauGB
- § 214 Abs 3 BauGB
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Zur Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans, der Mischgebiet festsetzt, in dessen Geltungsbereich aber großflächiger Einzelhandel dominiert.
2. Die Umstellung der Festsetzung Mischgebiet nach BauNVO 1968 auf die BauNVO 1990 stellt sich als Etikettenschwindel dar, wenn sie die Einschränkung großflächigen Einzelhandels bezweckt, der vorhandene Bestand die Bandbreite eines Mischgebiets aber verlassen hat.
Tatbestand:
Der Antragsteller, der Eigentümer des Grundstückes A. Straße 115 bis 121 in B. mit einem Famila Markt mit einer Geschossfläche von 3.283 m² und einer Verkaufsfläche von 2.376 m² ist, wendet sich gegen die 3. Änderung des Bebauungsplans Nr. 12 Teil II A.
Das Grundstück des Antragstellers liegt mit einer Frontlänge von ca. 130 m auf der Südwestseite der A. Straße, einer Ausfallstraße der Stadt C., etwa 2 km südöstlich des Zentrums der Stadt. Es ist mit einem knapp 100 m langen, im Wesentlichen eingeschossigen Gebäude bebaut, vor dem drei Reihen Stellplätze angeordnet sind. Nördlich vom Grundstück des Antragstellers liegt auf der Südwestseite der A. Straße ein Umspannwerk und dann an der Ecke zur D. Straße ein zu dieser Straße orientiertes Wohnhaus. Jenseits der D. Straße liegt das Grundstück eines Autohauses mit einer Ausstellungshalle von ca. 850 m² Größe. Nach Süden grenzt an das Grundstück des Antragstellers ein Grundstück mit einem Getränke- und Spielwarenmarkt (A. Straße 123) mit ca. 400 m² Verkaufsfläche sowie ein zweigeschossiges Wohn- und Geschäftshaus mit vier Wohnungen in den Obergeschossen (Nr. 125) an. Das Erdgeschoss, in dem bisher ein Matratzengeschäft betrieben wurde, wird derzeit zu einer Bankfiliale umgebaut. Dann folgen nach Süden bis zur Abzweigung der E. ein eingeschossiger Ladenkomplex, der bis vor kurzem einen Einzelhandelsbetrieb für Arzt- und Krankenhausbedarf mit ca. 600 m² Ausstellungsfläche (Nr. 127) beherbergte, sowie ein Geschäft mit 740 m² Verkaufsfläche (Nr. 131: "Dänisches Bettenlager"). Dem Bettenlager gegenüber liegen auf der Ostseite der A. Straße ein Tierfuttermarkt mit 430 m² Verkaufsfläche und an der Abzweigung der F. ein Sonnenstudio, Fahrradmarkt und kleines Möbelhaus. Dann folgen nach Norden drei Wohnhäuser mit einer Frontlänge von ca. 100 m und dann ein Teppichmarkt mit 700 m² Verkaufsfläche. Auf der Höhe des Grundstückes des Antragstellers liegt auf der Nordostseite der A. Straße ein Praktiker Baumarkt mit 5.000 m² Verkaufsfläche und nach Norden anschließend ein Möbelmarkt mit ca. 14.700 m² mit einer Frontlänge von 190 m und umfangreichen Stellplatzflächen an der Straße. Nach Norden schließt ein Verbrauchermarkt mit einer Verkaufsfläche von 2.800 m² und ein Baumarkt mit einer Verkaufsfläche von 1.780 m² an, der seit 2000 leer steht. Dann folgt nach Norden Wohnbebauung.
Das Grundstück des Antragstellers liegt im Geltungsbereich des 1977 erlassenen Bebauungsplanes Nr. 12 Teil II A, der die Grundstücke auf der Südwestseite der A. Straße zwischen der D. Straße im Norden und dem Grundstück A. Straße 125 im Süden sowie die nach Südwesten anschließende Wohnbebauung umfasst. Dieser Bebauungsplan setzt für die Grundstücke an der A. Straße - vom Umspannwerk abgesehen - Mischgebiet fest. Das Umspannwerk ist als Versorgungsfläche festgesetzt. Südwestlich des Umspannwerkes sind einige Grundstücke an der D. Straße ebenfalls als Mischgebiet festgesetzt, dann folgt weiter nach Süden und Osten allgemeines Wohngebiet.
Der südöstlich an den Bebauungsplan Nr. 12 Teil II A anschließende Bebauungsplan Nr. 12 Teil II, der unter anderem die Grundstücke A. Straße 127 und 131 umfasst, setzt diese ebenfalls als MI fest. Der Bebauungsplan Nr. 19 erfasst die Nordostseite der A. Straße und setzt das Grundstück des kleinen Möbelhauses und des Fahrradmarktes an der Ecke F. als Mischgebiet fest, das Grundstück des Teppichmarktes sowie die nördlich angrenzenden Geschäftsgrundstücke als Gewerbegebiet.
Am 11. April 1996 beschloss der Rat der Antragsgegnerin die Aufstellung der 3. Änderung des Bebauungsplanes zur Anpassung der Festsetzungen an die Baunutzungsverordnung 1990, um der Errichtung von Einkaufszentren und Verbrauchermärkten entgegenzuwirken. Die Antragsgegnerin legte den Entwurf der 3. Änderung des Bebauungsplanes vom 1. Juni bis 2. Juli 1999 aus. Der Antragsteller regte mit Schreiben vom 28. Juni 1999 an, sein Grundstück mit dem Famila Markt und das benachbarte Grundstück des Umspannwerkes als Sondergebiet "Verbrauchermarkt" festzusetzen, weil er den Famila Markt auf 5.000 m² Geschossfläche und 3.700 m² Verkaufsfläche erweitern wolle. Außerdem regte er an, die textliche Festsetzung zur Sortimentsbegrenzung zu streichen. Am 23. September 1999 beschloss der Rat der Antragsgegnerin über die Anregungen des Antragstellers und die 3. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 12 Teil II A als Satzung. Die 3. Änderung des Bebauungsplanes erklärt die Baunutzungsverordnung 1990 für anwendbar und schließt unter anderem in den Mischgebieten Einzelhandelsbetriebe und sonstige Gewerbebetriebe mit Verkaufsflächen für den Verkauf an letzte Verbraucher für bestimmte, im Einzelnen aufgeführte zentrenrelevante Branchen und Sortimente aus. Nach § 14 der textlichen Festsetzungen sind in den Mischgebieten ausnahmsweise Einzelhandelsbetriebe und sonstige Gewerbebetriebe mit Verkaufsflächen für den Verkauf von Lebens- und Genussmitteln an letzte Verbraucher zulässig, sofern sie nachweislich für die Grundversorgung des Ortsteils G. notwendig sind. Die 3. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 12 Teil II A ist am 15. Oktober 1999 im Amtsblatt des Landkreises Emsland bekannt gemacht worden.
Entscheidungsgründe
Der Normenkontrollantrag hatte Erfolg.
Der Normenkontrollantrag ist auch begründet, weil die 3. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 12 - Teil II A Ortsteil D. - an verschiedenen unheilbaren Fehlern leidet.
1. Die 3. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 12 - Teil II A Ortsteil D. - ist nichtig, weil diese Änderung einen - zumindest teilweise - funktionslosen Bebauungsplan ändern soll und damit - jedenfalls teilweise - ins Leere geht. Die 3. Änderung des Bebauungsplanes enthält keine punktuelle Änderung des 1977 erlassenen Bebauungsplanes, sondern mit der Umstellung der Mischgebietsfestsetzung auf die Baunutzungsverordnung 1990 eine weitreichende inhaltliche Änderung des Bebauungsplanes, deren rechtliche Beurteilung von der Wirksamkeit der Festsetzungen des ursprünglichen Bebauungsplanes abhängig ist.
Die Überprüfung des 1977 erlassenen Bebauungsplanes ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Frist für einen Normenkontrollantrag gegen diesen Bebauungsplan am 31. Dezember 1998 abgelaufen ist. Die Antragsfrist gilt nur für den Normenkontrollantrag, nicht aber für die Inzidentprüfung des Bebauungsplanes (vgl. von Albedyll in Bader, VwGO, 1999, § 47 Rdn. 85; Kopp/Schenke, 12. Aufl. 2000, § 47 Rdn. 83; Gerhard in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Januar 2001, § 47 Rdn. 35; Jörg Schmidt in Eyermann, VwGO, 11. Aufl. 2000, § 47 Rdn. 74; vgl. auch BT-Drs. 13/3993 S. 10). Ist der Bebauungsplan Nr. 12 Teil II A 1977 unwirksam, ist auch die 3. Änderung unwirksam, weil sie auf den Festsetzungen des 1977 erlassenen Bebauungsplanes aufbaut und für sich alleine keine sinnvolle Regelung darstellt.
Der Bebauungsplan Nr. 12 Teil II A war im Zeitpunkt des Erlasses der 3. Änderung funktionslos geworden, soweit er das Grundstück des Antragstellers an der A. Straße als Mischgebiet festsetzt, weil sich dieses Gebiet zu einem faktischen Sondergebiet im Sinne des § 11 Abs. 3 BauNVO entwickelt hat. Eine bauplanerische Festsetzung tritt wegen Funktionslosigkeit außer Kraft, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt und die Erkennbarkeit dieser Tatsache einen Grad erreicht hat, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.4.1977 - IV C 39.75 -, BVerwGE 54, 5/9). Entscheidend ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 3.12.1998 - 4 CN 3.97 -, DVBl. 1999, 786), ob die jeweilige Festsetzung noch geeignet ist, zur städtebaulichen Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB im Geltungsbereich des Bebauungsplanes einen sinnvollen Beitrag zu leisten. Freilich wird die Plankonzeption, die einer Festsetzung zugrunde liegt, nicht schon dann sinnlos, wenn sie nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann (vgl. BVerwG, Beschl. v. 6.6.1997 - 4 NB 6.97 -, BRS 59 Nr. 54). Regelmäßig kommt es dabei nur auf die Entwicklung seit dem Inkrafttreten des Bebauungsplanes an, weil die Schutzwürdigkeit des Vertrauens in die Geltung der planerischen Festsetzungen erst verloren gehen kann, wenn sich die bauliche Entwicklung abweichend vom Bebauungsplan vollzieht (BVerwG, Beschl. v. 11.12.2000 - 4 BN 58.00 -, BRS 63 Nr. 54). Allerdings wird bei einem planwidrigen Altbestand durch die Fortführung einer dem neuen Plan widersprechenden Bebauung schneller ein Zustand eintreten, bei dem mit einer Verwirklichung des Planes nicht mehr gerechnet werden kann (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.12.2000, a.a.O.).
Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes stellt sich zunächst die Frage nach dem baulichen Bestand im Zeitpunkt des Erlasses des Bebauungsplanes Nr. 12 Teil II A. Auf der Westseite der A. Straße liegt an der Ecke zur D. Straße ein Wohnhaus, dann folgt nach Süden mit einer Frontlänge von ca. 50 m das Umspannwerk der X. Nach Süden folgte seinerzeit auf dem Grundstück des Antragstellers ein Autohaus (Opel H.) mit Werkstatt und Wohnhaus. Daran schlossen sich zwei weitere Wohngrundstücke an. Im Geltungsbereich des südlich anschließenden Bebauungsplanes Nr. 12 Teil III folgten dann zunächst unbebaute Flächen, die später mit einem Geschäftshaus für Arzt- und Krankenhausbedarf und einem Lederwarengeschäft bebaut wurden (vgl. die Beschreibung der Örtlichkeit im Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. März 1991 an den Antragsteller betreffend Ablehnung der Baugenehmigung für den Verbrauchermarkt). Diese seinerzeit vorhandene Mischung von Gewerbe und Wohnen rechtfertigte ein Mischgebiet, ohne dass es einer abschließenden Beurteilung bedarf, ob die tatsächliche Bebauung einer qualitativen und quantitativen gleich gewichteten Mischung der Hauptnutzung entsprach (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 11.4.1996 - 4 B 51.96 -, BRS 58/82). Allerdings ist die Wohnnutzung auf der Westseite der A. Straße mittlerweile stark zurückgegangen. Auf einer Frontlänge von ca. 375 m vom Umspannwerk im Norden bis zur E. südlich des Dänischen Bettenlagers ist auf der Westseite der A. Straße nur noch das Haus Nr. 125 mit vier Wohnungen in den Obergeschossen vorhanden. Das bedeutet, dass die gewerbliche Nutzung eindeutig dominiert und von einem Nebeneinander von "Wohnen und Gewerbe" nicht mehr die Rede sein kann. Es kommt hinzu, dass auf der Ostseite der A. Straße auf einer Frontlänge von ca. 220 m die gewerbliche Nutzung mit Teppichmarkt, Baumarkt und Möbelhaus eine solche Größenordnung angenommen hat, dass sie die Situation des Grundstückes des Antragstellers trotz der Breite der A. Straße von 12,5 m stark mit bestimmt. Die Wohnbebauung an der D. Straße und der I. spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, weil sie mehr als 50 m westlich der Bebauung der A. Straße liegt und erschließungsmäßig zu den weiter südlich verlaufenden Straßen orientiert ist.
Führt man sich diese Entwicklung vor Augen, dann ist mit der Beseitigung der Wohnhäuser auf dem Grundstück des Antragstellers (zwischen dem früheren Autohaus und dem Getränkemarkt) die Bandbreite des Mischgebietes verlassen worden, denn dazu ist es nicht nötig, dass eine der beiden Hauptnutzungsarten als eigenständige Nutzung im Gebiet völlig verdrängt worden ist (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 4.5.1988 - 4 C 34.86 -, BRS 48 Nr. 37). Die gewerbliche Nutzung hat im Bereich des Grundstückes des Antragstellers ein solches Übergewicht bekommen, dass von einer Mischung mit Wohnnutzung nicht mehr die Rede sein kann. Die Bewertung der qualitativen und quantitativen Durchmischung von Wohnen und nicht wesentlich störendem Gewerbe, die als gleichwertige Funktionen des Mischgebietes nebeneinander stehen, bereitet zwar in der Praxis Schwierigkeiten, weil das Verhältnis der beiden Nutzungsarten weder nach der Fläche noch nach Anteilen genau zu bestimmen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.4.1996, a.a.O.; vgl. auch Urt. d. Sen. v. 10.6.1993 - 1 L 562/92 -, BRS 55 Nr. 58). Auf der Westseite der A. Straße ist die gewerbliche Nutzung aber beherrschend in den Vordergrund getreten, weil auf einer Frontlänge von 375 m auf sechs Gewerbegrundstücken nur eines in den Obergeschossen Wohnnutzung aufweist. Nach der Geschossfläche tritt die Wohnnutzung gegenüber den meist großflächigen Einzelhandelsbetrieben völlig in den Hintergrund. Daran ändert sich auch nur Unwesentliches, wenn man das Umspannwerk außer Betracht lässt, das im Bebauungsplan als Versorgungsfläche festgesetzt ist, jedoch optisch der gewerblichen Nutzung zuzuordnen ist.
Die beiden Geschäftsgrundstücke A. Straße Nr. 127 und 131 liegen zwar außerhalb des Planbereichs des Bebauungsplanes, sie prägen aber die bodenrechtliche Situation der Grundstücke im Plangebiet des Bebauungsplanes Nr. 12 Teil II A an der A. Straße ebenso wie die beiden gewaltigen Einzelhandelsbetriebe auf der Ostseite der A. Straße (Möbelhaus J. und Praktiker Baumarkt).
Mit der beschriebenen Bebauung aller Grundstücke auf der Westseite der A. Straße hat die bauliche Entwicklung einen Zustand erreicht, der eine Verwirklichung eines Mischgebietes auf unabsehbare Zeit ausschließt. Es sind keine Baulücken mehr vorhanden. Mit der Errichtung neuer Wohnbebauung ist auch in Anbetracht der vorhandenen Einzelhandelsagglomeration und der Lage an der verkehrsreichen A. Straße (15000 Kfz/24 h) nicht zu rechnen. Auch der Verkehrslärm dürfte einer Nutzungsänderung in Richtung Wohnen entgegenstehen.
Der Wandel der Art der Nutzung hat auch einen Grad erreicht, dass ein Vertrauen in die Festsetzung Mischgebiet nicht mehr schutzwürdig ist. Der Bereich des Bebauungsplanes Nr. 12 Teil II A an der A. Straße wird durch Gewerbe und Einzelhandel geprägt, wobei dem großflächigen Einzelhandel - auch von der gegenüberliegenden Straßenseite - eine besonders starke Prägekraft zukommt. Das Wohnhaus D. Straße ist zur D. Straße orientiert und fällt für die Betrachtung der Grundstücke an der A. Straße nicht ins Gewicht. Die Wohnungen in den Obergeschossen des Hauses A. Straße 125 verschwinden in der Wirkung des Straßenbildes, das durch die großflächigen Anlagen des Einzelhandels auf beiden Seiten der A. Straße bestimmt wird.
Ist die Festsetzung Mischgebiet im Bebauungsplan Nr. 12 Teil II A für den Bereich der Grundstücke an der A. Straße südlich des Umspannwerkes wegen Funktionslosigkeit unwirksam, ist der Bebauungsplan jedenfalls für diesen Bereich insgesamt unwirksam, weil die Nichtigkeit der Festsetzung des Baugebietes in der Regel alle übrigen Festsetzungen erfasst (BVerwG, Beschl. v. 8.8.1989 - 4 NB 2.89 -, BRS 49 Nr. 35). Damit hängt die 3. Änderung des Bebauungsplanes, die hier Gegenstand des Streites ist, in der Luft. Die 3. Änderung kann sinnvoll nicht alleine bestehen bleiben, weil die Umstellung der Baugebietsart von der BauNVO 1968 auf die BauNVO 1990 ebenso wie die ergänzenden textlichen Festsetzungen nur auf der Grundlage der Festsetzungen des Mischgebietes einen Sinn macht.
2. Die 3. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 12 Teil II A verletzt aber auch das Abwägungsgebot, dass das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 12.12.1969 - 4 C 105.66 -, BVerwGE 34, 301; Urt. v. 5.7.1974 - IV C 50.74 -, BVerwGE 45, 309) wie folgt zusammengefasst hat:
Das Gebot der gerechten Abwägung ist verletzt, wenn eine (sachgerechte) Abwägung überhaupt nicht stattfindet. Es ist verletzt, wenn in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss. Es ist ferner verletzt, wenn die Bedeutung der betroffenen privaten Belange verkannt oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot jedoch nicht verletzt, wenn sich die zur Planung berufene Gemeinde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet.
Die Umstellung der Festsetzung des Mischgebietes auf die BauNVO 1990 erweist sich als "Etikettenschwindel", weil diese Festsetzung nach der Planbegründung allein darauf ausgerichtet ist, großflächigen Einzelhandel auszuschließen, und die Zweckbestimmung der Festsetzung "Wohnen und Gewerbe" an den tatsächlichen Gegebenheiten vorbei geht. Als "Etikettenschwindel" wird eine Planung bezeichnet, bei der eine bestimmte Festsetzung im Bebauungsplan nur gewählt wird, um ein auf dem Papier stimmiges Konzept einzuhalten, obgleich die Gemeinde andere städtebauliche Absichten hegt (vgl. Gelzer/Bracher/Reidt, Bauplanungsrecht, 6. Aufl. 2001, Rdn. 681). Die Festsetzung Mischgebiet verfehlt ihren städtebaulichen Auftrag, weil der Planungswille der Antragsgegnerin und der Inhalt der Festsetzung auseinander klaffen.
Die Festsetzung eines Mischgebietes dient nach § 6 Abs. 1 BauNVO 1990 - ebenso wie nach § 6 Abs. 1 BauNVO 1968 - dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören. Diese Zweckbestimmung hatte die Antragsgegnerin bei der 3. Änderung des Bebauungsplanes nicht im Auge, denn bei einem bebauten Gebiet hätte das vorausgesetzt, dass die Gemeinde die Frage aufgeworfen hätte, wie weit diese Zweckbestimmung mit der vorhandenen Bebauung übereinstimmt, bzw. auf der Grundlage der vorhandenen Bebauung gewährleistet oder erreicht werden kann. Der Bebauungsplan Nr. 12 Teil II A ließ in seiner ursprünglichen Fassung, die durch die BauNVO 1968 ergänzt wurde, großflächige Einzelhandelsbetriebe zu, soweit sie nicht der übergemeindlichen Versorgung dienen. Mit der Umstellung auf die BauNVO 1990, die in § 11 Abs. 3 großflächige Einzelhandelsbetriebe, die sich nach Art, Lage oder Umfang auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung oder auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung nicht nur unwesentlich auswirken können, auf Kern- und Sondergebiete konzentriert, wollte die Antragsgegnerin die Zulassung von großflächigen Einzelhandelsbetrieben einschränken. Der Planungswille der Antragsgegnerin wird in der Begründung des Bebauungsplanes (S. 6) deutlich hervorgehoben:
Die bestehenden Festsetzungen sollen auf die Vorschriften der BauNVO umgestellt werden, um insbesondere in den Mischgebieten der Errichtung von Einkaufszentren sowie großflächigen Einzelhandels- und Handelsbetrieben mit nachteiligen städtebaulichen Auswirkungen gemäß § 11 Abs. 3 BauNVO außerhalb des Stadtkerns zur Stärkung der Innenstadt als Kernbereich (Einkaufszentrum) entgegenzuwirken...
Allerdings kann die Gemeinde auch angesichts einer abweichenden baulichen Entwicklung an einer Festsetzung festhalten, die nicht mehr "passt", denn die Rechtmäßigkeit eines Bebauungsplanes lässt sich nicht allein damit in Frage stellen, dass der Plan inhaltlich mit den tatsächlichen Verhältnissen im Plangebiet nicht übereinstimmt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 6.6.1997, aaO). Freilich ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass das Mischgebiet der A. Straße 115 bis 125 durch Einzelhandel bzw. großflächigen Einzelhandel geprägt wird und diese Prägung durch die benachbarte Bebauung verstärkt wird. Da die Grundstücke mehr oder weniger vollständig ausgenutzt sind, besteht auch auf absehbare Zeit keine Chance, die völlig in den Hintergrund getretene zweite Hauptnutzung des Mischgebietes, die Wohnnutzung, gleichrangig neben dem Gewerbe zu verwirklichen.
Damit wird deutlich, dass die Antragsgegnerin die Festsetzung Mischgebiet nicht gewählt hat, um ein gleichrangiges Nebeneinander von Wohnen und nicht wesentlich störendem Gewerbe zu ermöglichen, sondern um den großflächigen Einzelhandel einzuschränken.
3. Selbst wenn man - einer Formulierung im Urteil des BVerwG vom 4. Mai 1988 (- 4 C 34.86 - aaO) folgend - die Festsetzung des Mischgebietes an der A. Straße deshalb noch nicht als funktionslos ansehen wollte, weil die Wohnnutzung im Gebiet noch nicht völlig verdrängt worden ist, sondern mit den vier Wohneinheiten auf dem Grundstück A. Straße 123 noch vertreten ist, wäre jedenfalls die Bandbreite eines Mischgebiets angesichts des erdrückenden Übergewichts des großflächigen Einzelhandels verlassen. Dieser Umstand wäre bei der Abwägung zu berücksichtigen, denn die Antragsgegnerin musste sich schon vor der Grenze der Funktionslosigkeit Gedanken darüber machen, ob die Fortführung der Festsetzung "Mischgebiet", künftig ergänzt durch die BauNVO 1990, nicht an der vorhandenen Bebauung vorbei ging. Da die Grundstücke im Mischgebiet an der A. Straße vollständig ausgenutzt sind, besteht auch auf absehbare Zeit keine Chance, die völlig in den Hintergrund getretene zweite Hauptnutzung des Mischgebietes, die Wohnnutzung, so zu verstärken, dass sie gleichrangig neben die gewerbliche Nutzung tritt. Zwar darf eine Gemeinde auch Gebiete überplanen, die bereits bebaut sind. Sie ist auch nicht darauf beschränkt, den vorgefundenen Bestand festzuschreiben, sondern kann sich auch darüber hinwegsetzen, wenn es die von der Gemeinde verfolgten Ziele der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung rechtfertigen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 6.6.1997 - 4 NB 6.97 -, BRS 59 Nr. 54). Je stärker sich die Gemeinde vom vorhandenen Bestand entfernt, desto deutlicher müssen allerdings die städtebaulichen Ziele artikuliert werden und gegebenenfalls auch die Instrumente zur Verwirklichung der Planung sowie der Planungshorizont deutlich gemacht werden. Die Begründung der 3. Änderung des Bebauungsplanes deutet zwar (auf Seite 7) an, dass an der A. Straße ein Geschäftsgebiet und Nebenzentrum entstanden ist, jedoch wird nicht deutlich, dass die Bandbreite des Mischgebiets bereits verlassen ist. Die Formulierung, es seien "Wohn- und Geschäftshäuser mit einem vielschichtigen Angebot von Handel und Dienstleistungen sowie Gewerbebetrieben zur Versorgung des örtlichen Bedarfs errichtet worden" suggeriert vielmehr einen baulichen Bestand, der Mischgebietsqualität besitzt. Dementsprechend finden sich auch keine Andeutungen, wie die Festsetzung Mischgebiet realisiert werden soll.
4. Die aufgezeigten Abwägungsmängel führen zur Nichtigkeit des Bebauungsplanes, weil sie im Sinne des § 214 Abs. 3 BauGB offensichtlich und auf das Ergebnis von Einfluss gewesen sind und nicht "geheilt" werden können. Bei einem Vergleich der Zweckbestimmung des festgesetzten Baugebietes mit der vorhandenen Bebauung wird ohne weiteres deutlich, dass die Festsetzung Mischgebiet funktionslos geworden ist bzw. die vorhandene Bebauung die Bandbreite eines Mischgebietes verlassen hat, so dass die Festsetzung eines Mischgebietes besondere Rechtfertigung bedurfte. Diese Fehler sind auch auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen, denn wenn die Gemeinde erkannt hätte, dass für die Festsetzung eines Mischgebietes wegen der "aus dem Ruder gelaufenen Bebauung" die erforderliche Rechtfertigung fehlt, hätte die Antragsgegnerin wahrscheinlich ein anderes Baugebiet festgesetzt, weil es ihr in erster Linie - neben dem Ausschluss von Vergnügungsstätten - um die Beschränkung auf nicht zentrenrelevante Sortimente ging. Da die Abwägungsmängel die Art der Nutzung betreffen und damit das Grundgerüst der Planung, scheidet eine Heilung nach § 215 a Abs. 1 BauGB aus.
5. Anzumerken ist, dass die textliche Festsetzung des § 14 nicht unbedenklich ist. § 14 lautet:
Ausnahmsweise sind in den MI-Gebieten Einzelhandelsbetriebe und sonstige Gewerbebetriebe mit Verkaufsflächen für den Verkauf von Lebens- und Genussmitteln an letzte Verbraucher zulässig, sofern sie nachweislich für die Grundversorgung des Ortsteils G. notwendig sind (§ 1 Abs. 7 Nr. 2 BauNVO).
Zwar ist der Ortsteil G. klar abgrenzbar, weil mit der Ortschaftsverfassung auch die Grenzen der Ortschaften festgelegt werden. Eine Beschränkung von Einzelhandelsbetrieben, die für die Grundversorgung eines Ortsteils notwendig sind, gibt aber Anlass zu Bedenken, wenn die Grenzen des Ortsteils im baulichen Zusammenhang mit dem Hauptort nicht mehr erkennbar sind. Der Begriff der Grundversorgung dürfte bestimmbar sein, weil damit nach der Begründung die verbrauchernahe Versorgung für die Wohnbevölkerung gewährleistet werden soll. Mit dem, was für die Grundversorgung notwendig ist, soll offensichtlich die Zulassung des Einzelhandels stärker eingeschränkt werden als im allgemeinen Wohngebiet, wo die der Versorgung des Gebietes dienenden Läden etc. zulässig sind. Wie weit dies mit der Zweckbestimmung eines Mischgebietes vereinbar ist, kann der Senat aber wegen der aufgezeigten Mängel offen lassen.
6. Die Rüge des Antragstellers, die Festsetzung eines Mischgebietes verbiete sich auch deshalb, weil eine Wohnnutzung in der Nachbarschaft des Grundstücks des Antragstellers geeignet sei, Konflikte hervorzurufen, greift nicht durch. Der Antragsteller geht davon aus, dass der Famila Markt auf seinem Grundstück mit ca. 2400 qm Verkaufsfläche ein nach § 11 Abs. 3 BauNVO so störendes Vorhaben sei, dass daneben keine Wohnbebauung abstrakt zulässig sei. Die Versuche der Antragsgegnerin, Auswirkungen des Famila Marktes im Sinne des § 11 Abs. 3 BauNVO zu leugnen, gehen schon im Hinblick auf die Größe des Objektes und die Ermangelung atypischer Besonderheiten fehl. Allerdings dürfte die Rüge des Antragstellers im Sinne eines dolosen Verhaltens zurückzuweisen sein, weil er sich seine Zulassung im Mischgebiet (BauNVO 1968) sehenden Auges erstritten hat und nun nicht geltend machen kann, sein Vorhaben sprenge den Rahmen eines Mischgebietes.
Sonstiger Langtext
Beschluss
Der Streitwert für das Normenkontrollverfahren wird auf 100.000,-- ¤ (= 195.600,-- DM) festgesetzt.