Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 10.04.2002, Az.: 4 LB 53/02
Alkoholkrankheit; Eignung; Hilfe zur Erziehung; Jugendhilfe; Jugendhilfeträger; Kindeswohl; Maßnahme; Pflegeerlaubnis; Pflegefamilie; Pflegeperson; Rückfallgefahr; Vollzeitpflege
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 10.04.2002
- Aktenzeichen
- 4 LB 53/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 43979
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BVerwG - 07.11.2002 - AZ: BVerwG 5 B 221.02; 5 PKH 193.02
Rechtsgrundlagen
- § 27 Abs 1 SGB 8
- § 33 SGB 8
- § 39 SGB 8
- § 44 SGB 8
- § 27 Abs 2 SGB 8
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe darf die notwendige und von der personensorgeberechtigten, alkoholkranken Mutter für ihr Kind gewünschte Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege bei einer bestimmten Pflegeperson nicht ausnahmslos mit der Begründung ablehnen, diese Maßnahme sei ungeeignet, weil sie dem fachlichen Grundsatz widerspreche, dass ein Kind, das im Elternhaus die Probleme des Alkoholismus erlebt habe, nicht in eine Pflegefamilie mit Alkoholstrukturen hineingegeben werden dürfe, unabhängig davon, wie hoch im konkreten Einzelfall die Rückfallgefahr bei der Pflegeperson einzuschätzen sei. Die der Pflegeperson nach eingehender Prüfung ihrer persönlichen und häuslichen Verhältnisse erteilte Pflegeerlaubnis hat Indizwirkung dahin, dass das Wohl des Kindes in dieser Pflegefamilie gewährleistet und diese Hilfe für seine Entwicklung geeignet ist.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten für ihre Tochter Sina die Gewährung von Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege durch die Beigeladenen gemäß §§ 27, 33, 39 SGB VIII.
Die am 20. Dezember 1960 geborene Klägerin ist allein personensorgeberechtigt für ihre am 9. April 1995 geborene Tochter Sina. Wegen eines Alkoholproblems, das schon vor der Geburt von Sina bestand, war die Klägerin krankheitsbedingt nicht in der Lage, sich um ihre Tochter zu kümmern. Von Dezember 1995 bis Juli 1999 absolvierte sie mehrere Langzeittherapien und qualifizierte Entgiftungen ohne Erfolg.
Die am 2. Juni 1956 geborene Beigeladene zu 2) lernte eigenen Angaben zufolge die Klägerin anlässlich einer stationären Entgiftungsmaßnahme im Diakonie-Krankenhaus G. im Februar/März 1998 kennen und kümmerte sich in der Folgezeit mit zunehmender Intensität um Sina. In der Zeit vom 6. April 1998 bis zum 28. Juli 1998 wurde Sina von Frau v. L. gemäß § 20 SGB VIII mit acht Stunden wöchentlich betreut. Am 25. und 26. Juli 1998 nahmen die Beigeladenen Sina für ein Wochenende bei sich auf. Während einer stationären Therapie der Klägerin in Bad E., die vom 24. September 1998 bis zum 30. Januar 1999 dauerte, lebte Sina bei den Beigeladenen, wobei die Krankenkasse in dieser Zeit eine finanzielle Unterstützung für die Beigeladene zu 2) als Haushaltshilfe gewährte. In der Zeit ab dem 1. Februar 1999 bis zum 6. Juni 1999 befand sich Sina wieder in dem Haushalt ihrer Mutter; für die Betreuung und Versorgung von Sina wurde gemäß § 20 SGB VIII eine Hilfe durch die Beigeladene zu 2) mit acht Stunden wöchentlich finanziert. Bei zwei krankheitsbedingten Rückfällen der Klägerin im April 1999 und am 10. Juni 1999 nahmen die Beigeladenen Sina jeweils erneut auf. Anlässlich einer Fallkonferenz im Sozialen Dienst der Beklagten am 20. Juli 1999 wurde vereinbart, die Einwilligung der Klägerin für eine sofortige Unterbringung ihrer Tochter Sina in einer Clearing-Stelle mit dem Ziel der anschließenden dauerhaften Unterbringung in einer Pflegefamilie gemäß § 33 SGB VIII einzuholen. Nach einem Vermerk der Beklagten vom 3. August 1999 bestanden aufgrund der Weigerung der Klägerin, eine entsprechende Zustimmung zu erteilen, uneinheitliche Vorstellungen über die Frage, ob Sina bei den Beigeladenen bleiben sollte. Tatsächlich lebt Sina seit Sommer 1999 - mit kurzen Unterbrechungen - durchgängig bei den Beigeladenen.
Am 9. August 1999 beantragte die Klägerin bei der Beklagten, ihr für ihre Tochter Sina Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege durch die Beigeladenen nach den §§ 27, 33 ff. SGB VIII zu gewähren. Zur Begründung führte sie aus, dass die Beigeladenen ihre Bereitschaft erklärt hätten, Sina bis zur Volljährigkeit zu behalten, womit sie einverstanden sei. Mit einem weiteren Schriftsatz vom 14. Oktober 1999 beantragte die Klägerin bei der Beklagten, die diesen Antrag zuständigkeitshalber an den Landkreis O. weiterleitete, den Beigeladenen eine Pflegeerlaubnis nach § 44 SGB VIII für die Betreuung und Gewährung von Unterkunft für Sina zu erteilen. Der Landkreis O. erteilte den Beigeladenen nach einem Gespräch, das am 24. Januar 2000 stattfand, sowie einem am 2. März 2000 durchgeführten Hausbesuch mit Datum vom selben Tage eine Pflegeerlaubnis gemäß § 44 SGB VIII für Sina. Nach einem Vermerk über den Hausbesuch unterrichtete eine Mitarbeiterin des Kreisjugendamtes die Beigeladenen darüber, dass der Erteilung einer Pflegeerlaubnis für Sina nichts im Wege stehe, gegen die von der Klägerin bei der Beklagten beantragte Hilfe zur Erziehung aber Bedenken bestünden und diesem Antrag vom Kreisjugendamt nicht stattgegeben werden würde.
Mit Bescheid vom 16. Mai 2000 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Hilfe zur Erziehung für ihre Tochter in Form der Vollzeitpflege durch die Beigeladenen ab. Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus: Die beantragte Hilfe zur Erziehung sei für das Wohl von Sina notwendig; die Vollzeitpflege sei auch die geeignete Form der Hilfe. Die Unterbringung von Sina bei den Beigeladenen sei jedoch nicht zur Deckung des konkreten Bedarfs des Kindes geeignet. Das Wunsch- und Wahlrecht der Klägerin sei bei der Auswahl der konkreten Pflegefamilie eingeschränkt. Aufgrund der Alkoholerkrankung der Beigeladenen zu 2) und der Tatsache, dass sie "trockene" Alkoholikerin sei, biete die Unterbringung von Sina bei den Beigeladenen für die kommenden Jahre keine verlässliche Perspektive. Gegen eine dauerhafte Perspektive sprächen auch das Lebensalter des Beigeladenen zu 1), der am 13. April 1938 geboren worden sei, sowie die Berufsunfähigkeit der Beigeladenen zu 2).
In ihrem Widerspruch gegen diesen Bescheid betonte die Klägerin, dass es ihr ausdrücklicher Wunsch sei, dass ihre Tochter Sina bei den Beigeladenen untergebracht werde; Sina fühle sich bei den Beigeladenen, bei denen sie bereits seit Mai 1998 mit lediglich kurzen Unterbrechungen in der ersten Zeit durchgängig lebe, sehr wohl.
Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2001 zurück und führte u.a. aus: Die Unterbringung von Sina bei den Beigeladenen sei nicht geeignet, ihren konkreten erzieherischen Bedarf zu decken. Da Sina die seit vielen Jahren bestehende Alkoholerkrankung ihrer Mutter erlebt habe, benötige sie dringend eine tragfähige dauerhafte Perspektive in einer anderen Familie; eine solche Perspektive könne ihr bei den Beigeladenen aber nicht gegeben werden. In der Fachliteratur werde der Grundsatz vertreten, dass ein Kind, das aus einer Suchtfamilie komme, nicht wieder in einer Suchtfamilie untergebracht werden solle. Selbst wenn die Beigeladene zu 2) ihre Alkoholkrankheit zum Ruhen gebracht habe, müsse in jedem Fall vermieden werden, dass sich typische, aus einer Alkoholkrankheit resultierende Übertragungsmuster zum Nachteil von Sina wiederholten. Da es sich bei der Unterbringung von Sina bei den Beigeladenen in der Vergangenheit lediglich jeweils um kurzfristige Betreuungen in Notsituationen gehandelt habe, könne hieraus ein Rückschluss auf die Eignung als Pflegstelle nicht abgeleitet werden. Gleiches gelte auch für die Pflegeerlaubnis gemäß § 44 SGB VIII, die von anderen Voraussetzungen abhängig sei. Da hier die Pflegeerlaubnis gemäß § 44 SGB VIII erteilt worden sei, bedeutete die Ablehnung des Antrages auf Gewährung von Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege aber nicht, dass Sina die Pflegeeltern verlassen müsse.
Die Klägerin hat am 16. Februar 2001 unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens Klage erhoben. Ergänzend hat sie im Wesentlichen geltend gemacht: Sina fühle sich bei den Beigeladenen ausgesprochen wohl und habe gute Fortschritte in ihrer Entwicklung gemacht. Dies könne von der Mitarbeiterin des Deutschen Kinderschutzbundes e.V. in O. bestätigt werden. Die Unterbringung von Sina bei den Beigeladenen decke ihren konkreten erzieherischen Bedarf und sei eine geeignete Maßnahme im Sinne von §§ 27, 33 SGB VIII. Die Beigeladene zu 2) sei lediglich für einen relativ kurzen Zeitraum Alkoholikerin gewesen. Wie sich aus der Stellungnahme des Caritasverbandes vom 24. Januar 2001 ergebe, habe sie seit dem 13. Februar 1998 ihre Alkoholabstinenz konstant aufrechterhalten können und in Einzel- und Gruppentherapien ihre Suchtproblematik gut aufgearbeitet. Es sei auch nicht gerechtfertigt, auf die Berufsunfähigkeit der Beigeladenen zu 2) abzustellen, denn diese beruhe darauf, dass sie sich mehreren Unterleibsoperationen habe unterziehen müssen und daher nicht mehr in ihren ursprünglichen Beruf als Verkäuferin arbeiten könne. Auch der Hinweis der Beklagten auf das Lebensalter des Beigeladenen zu 1) sei nicht tragfähig. Die Beigeladenen könnten Sina eine dauerhafte Perspektive bieten. Von Bedeutung sei auch, dass der Landkreis O. den Beigeladenen eine entsprechende Pflegeerlaubnis gemäß § 44 SGB VIII erteilt habe. Vorher habe er die persönliche Eignung der Beigeladenen geprüft. Frau W., die zuständige Sachbearbeiterin der Beklagten, habe die Beigeladenen ausdrücklich gefragt, ob sie bereit seien, Sina bis zur Volljährigkeit bei sich zu behalten. Die Unterbringung von Sina bei den Beigeladenen entspreche nicht nur ihrem, der Klägerin, Wunsch, sondern auch dem Wunsch der Beigeladenen.
Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,
die Beklage unter Aufhebung ihres Bescheides vom 16. Mai 2000 und deren Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2001 zu verpflichten, ihr die beantragte Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27, 33 SGB VIII für die Unterbringung ihres Kindes Sina bei den Beigeladenen für den Zeitraum vom 9. August 1999 bis zum 17. Januar 2001 zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat über ihr bisheriges Vorbringen hinaus im Wesentlichen ergänzend vorgetragen: Die Klägerin habe Sina eigenmächtig bei den Beigeladenen untergebracht. Da Sinas Wohl nicht gefährdet gewesen sei, sei die zuständige Sachbearbeiterin hiermit einverstanden gewesen. Mit der Erteilung der Pflegeerlaubnis gemäß § 44 SGB VIII durch den Landkreis O. sei die Eignung der Beigeladenen als Pflegepersonen gemäß § 33 SGB VIII für die Gewährung erzieherischer Hilfen aber nicht festgestellt worden. Der Klägerin sei vom Landkreis O. ausdrücklich mitgeteilt worden, dass zwar die Pflegeerlaubnis erteilt werde, eine Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege bei den Beigeladenen aber ausscheide. Herr Dr. W., Bundesfamilienministerium, habe ihr, der Beklagten, in einem Telefongespräch auf Anfrage hin zum Verhältnis einer Pflegeerlaubnis nach § 44 SGB VIII zur Gewährung von Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege mitgeteilt: Die Hilfe zur Erziehung müsse immer geeignet sein, den Hilfebedarf des Kindes auch tatsächlich zu decken; die von den Sorgeberechtigten gewählte Alternative müsse zur Deckung des konkreten Bedarfs geeignet sein. Eine Pflegeerlaubnis nach § 44 SGB VIII sei hingegen bereits zu erteilen, wenn keine tatsächlichen Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung vorlägen.
Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt. Die Beigeladene zu 2) hat sich im Verfahren wie folgt geäußert: Sie hätten Sina im Mai 1998 in Kenntnis und mit Unterstützung der zuständigen Sozialarbeiterin des Jugendamtes der Beklagten, Frau W., erstmals zu sich genommen. Auf Anfrage von Frau W. sei Sina von ihnen auch während der Zeiten betreut worden, in denen die Klägerin an einer ambulanten Therapie teilgenommen habe. Im Sommer 1999 hätten sie Sina dann langfristig in ihre Familie aufgenommen. Die Pflegeerlaubnis nach § 44 SGB VIII sei ihnen nach Gesprächen mit den Jugendämtern der Beklagten und des Landkreises O. erteilt worden.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 25. September 2001 die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, der Klägerin für die Zeit vom 9. August 1999 bis zum 17. Januar 2001 die begehrte Hilfe zur Erziehung für ihre Tochter Sina in Form der Vollzeitpflege bei den Beigeladenen zu gewähren. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt: Der geltend gemachte Anspruch beruhe auf §§ 27, 33 SGB VIII. Die Vollzeitpflege durch die Beigeladenen sei die geeignete und notwendige Hilfeart. Von der den Beigeladenen mit Bescheid des Landkreises O. vom 2. März 2000 erteilten Pflegeerlaubnis gemäß § 44 SGB VIII gehe eine Indizwirkung für die Annahme der konkreten Eignung auch im Sinne von § 33 SGB VIII aus. Die Pflegeerlaubnis nach § 44 SGB VIII werde nicht generell und abstrakt für eine bestimmte Pflegeperson als solche, sondern immer nur für die Betreuung und Unterkunftsgewährung eines bestimmten Kindes durch eine bestimmte Pflegeperson ereilt und sei daher in zweifacher Hinsicht personenbezogen. Der Landkreis O. habe nach sorgfältiger Prüfung (Gespräch mit den Beigeladenen und Hausbesuch) diesen die beantragte Pflegeerlaubnis für die Aufnahme und Betreuung von Sina erteilt. Zwar sei der Beklagten darin zuzustimmen, dass allein eine abstrakte Prüfung der Eignung der Pflegestelle für die Gewährung einer Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII nicht ausreiche. Die notwendige individuelle Prüfung sei hier jedoch schon bei der Erteilung der Pflegeerlaubnis nach § 44 SGB VIII vorgenommen worden. Aber selbst wenn man, der Auffassung der Beklagten folgend, trotz der den Beigeladenen erteilten Pflegeerlaubnis eine Prüfung der individuellen Eignung als Pflegefamilie verlangte, führte dies nicht zu einem Ausschluss des geltend gemachten Anspruchs, denn die von der Beklagten erhobenen Bedenken und Einwände gegen die individuelle Eignung der Beigeladenen seien nicht hinreichend konkretisiert bzw. substantiiert worden. Das Gericht könne nicht nachvollziehen, warum bei der Beigeladenen zu 2) allein wegen ihrer Berufsunfähigkeit aufgrund mehrerer Unterleibsoperationen die Eignung als Pflegemutter in Frage gestellt sein solle. Ebenso stelle das Lebensalter des Beigeladene zu 1) für sich gesehen nicht seine Eignung als Pflegeperson in Frage. Schließlich könne auch die Tatsache, dass die Beigeladene zu 2) "trockene" Alkoholikerin sei, nicht per se gegen ihre individuelle Eignung sprechen. Nach ihrem Vorbringen und der vom Caritasverband abgegebenen günstigen Prognose vom 24. Januar 2001 seien keine konkreten Hinweise für einen Rückfall der Beigeladenen zu 2) ersichtlich. Sie sei vielmehr gerade aufgrund der von ihr bewältigten Alkoholabhängigkeit für die Betreuung der Tochter der Klägerin aufgrund der eigenen Erlebnisse in der Vergangenheit als individuell geeignet anzusehen. Da sich die Klägerin mehrfach für einen Verbleib von Sina bei den Beigeladenen ausgesprochen habe und an der individuellen Eignung der Beigeladenen keine Zweifel bestünden, sei den Wünschen und Vorstellungen der personensorgeberechtigten Klägerin zu entsprechen.
Auf den Antrag der Beklagen hat der Senat mit Beschluss vom 1. Februar 2002 gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen.
Die Beklagte trägt zur Begründung der Berufung vor: Die Klägerin habe eigenmächtig ein Pflegeverhältnis begründet und Sina ohne ihre Kenntnis bei den Beigeladenen untergebracht. Ihre Mitarbeiterin im Jugendamt habe erstmals im Juni 1998 hiervon erfahren und die Unterbringung nicht befürwortet. Die Unterbringung von Sina bei den Beigeladenen sei nicht eine geeignete Maßnahme im Sinne von § 27, 33 SGB VIII. Sina habe die Probleme des Alkoholismus bei ihrer Mutter erlebt. Da die Beigeladene zu 2) ebenfalls unstreitig Alkoholikerin sei, bestehe bei ihr jederzeit die Gefahr eines Rückfalles (= abstrakte Gefährdung). Eine erneute Unterbringung von Sina in einer Alkoholikerfamilie widerspreche den fachlichen Standards. Aus der vom Landkreis O. erteilten Pflegeerlaubnis könnten keine Rückschlüsse auf die Geeignetheit der Maßnahme im Sinne von §§ 27, 33 SGB VIII gezogen werden. Die Pflegeerlaubnis sei möglicherweise oder sogar wahrscheinlich zu Unrecht erteilt worden. Das Verwaltungsgericht habe die Bedeutung und die Voraussetzungen für die Erteilung der Pflegeerlaubnis gemäß § 44 SGB VIII einerseits und die Gewährung von Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege gemäß §§ 27, 33 SGB VIII andererseits verkannt. Eine Pflegeerlaubnis gemäß § 44 SGB VIII habe nicht eine Indizwirkung für Ansprüche auf Gewährung von Hilfe zur Erziehung, denn bei der Pflegeerlaubnis gehe es nur um eine Missbrauchsaufsicht, während die Gewährung von Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege gemäß §§ 27, 33 SGB VIII darüber hinaus u.a. die individuelle Eignung der Pflegeperson voraussetze. Im Übrigen sei die Unterbringung von Sina bei den Beigeladenen ohne Absprache mit dem Jugendamt als Leistungsträger erfolgt, was nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Folge habe, dass eine Finanzierung dieser Unterbringung aus Jugendhilfemitteln nicht in Betracht komme. Zwar dürfe die Unterbringung von Sina bei den Beigeladenen aufgrund der erteilten Pflegeerlaubnis aufrechterhalten bleiben; förderungswürdig sei die Unterbringung gemäß §§ 27, 33 SGV VIII aber nicht.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichts: Bei der Unterbringung von Sina in der Familie der Beigeladenen habe es sich nicht um eine "Selbstbeschaffungsmaßnahme" gehandelt. Am 25. und 26. Juli 1998, einem Wochenende, habe akuter Handlungsbedarf bestanden; sie habe aber die zuständige Sachbearbeiterin der Beklagten, Frau W., anschließend sogleich am 27. Juli 1998 hierüber informiert. Später sei Sina bei den Beigeladenen immer in Absprache und sogar auf Anraten der zuständigen Sachbearbeiterin, die von Anfang an die Verhältnisse der Beigeladenen und die Alkoholproblematik der Beigeladenen zu 2) gekannt habe, untergebracht worden. Die Beigeladenen seien von der zuständigen Sachbearbeiterin gedrängt worden, Sina auf Dauer bei sich aufzunehmen. Die Eignung der Beigeladenen, die von der Beklagten vor der dauerhaften Unterbringung von Sina bei den Beigeladenen nie in Frage gestellt worden sei, sei zweifellos gegeben. Die Beklagte habe weder Alternativen benannt noch auf eine Änderung der Situation hingewirkt. Sina habe sich bei den Beigeladenen in den letzten 3 1/2 Jahren sehr positiv entwickelt, was auch von der Mitarbeiterin des Deutschen Kinderschutzbundes bestätigt worden sei. Die von der Beklagen vorgebrachten Gründe gegen die Eignung der Beigeladenen seien nicht einmal ansatzweise konkretisiert.
Der Beigeladene zu 1) hat sich nicht geäußert.
Die Beigeladene zu 2) beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor: Sina sei bei ihr und dem Beigeladenen zu 1) mit Wissen und Wollen der Beklagten untergebracht worden. Die Beklage habe zu keiner Zeit bestritten, dass das Kindeswohl von Sina bei ihnen gewährleistet sei. Sie habe auch niemals Alternativen angeboten. Der Beklagen gehe es letztlich nur darum, nicht wirtschaftliche Jugendhilfe zahlen zu müssen. Die Unterbringung von Sina bei ihnen sei eine geeignet Maßnahme der Vollzeitpflege. Die Befürchtung der Beklagten, bei ihr, der Beigeladenen zu 2), bestehe aufgrund ihrer Alkoholerkrankung eine Rückfallgefahr, sei, wie sich aus dem ärztlichen Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. med. A. vom 5. März 2002 ergebe, nicht nachvollziehbar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und des Landkreises O. verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die Klägerin hat gegen die Beklagte in dem hier maßgeblichen Zeitraum vom 9. August 1999 bis zum 17. Januar 2001 einen Anspruch auf Gewährung der begehrten Hilfe zur Erziehung für ihre Tochter Sina in Form der Vollzeitpflege bei den Beigeladenen gemäß §§ 27 Abs. 1, 33, 39 SGB VIII.
Nach § 27 Abs. 1 SGB VIII hat ein Personensorgeberechtigter bei der Erziehung eines Kindes oder eines Jugendlichen Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. Hilfe zur Erziehung wird insbesondere nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 SGB VIII gewährt (§ 27 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege soll gemäß § 33 Satz 1 SGB VIII entsprechend dem Alter und Entwicklungsstand des Kindes oder des Jugendlichen und seinen persönlichen Bindungen sowie den Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie Kindern und Jugendlichen in einer anderen Familie eine zeitlich befristete Erziehungshilfe oder eine auf Dauer angelegte Lebensform bieten. In § 39 SGB VIII ist geregelt, dass u.a. bei Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII dem Personensorgeberechtigten als "Annex" (BVerwG, Urt. v. 12.9.1996, 5 C 31.95, FEVS 47, S. 433 ff.) ein Anspruch auf Leistungen zum Unterhalt des Kindes zusteht.
Der Klägerin steht gegen die Beklagte für den hier maßgeblichen Zeitraum vom 9. August 1999 (Tag der Antragstellung) bis zum 17. Januar 2001 (Erlass des Widerspruchsbescheides) ein Anspruch auf Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege ihrer Tochter Sina durch die Beigeladenen gemäß §§ 27, 33 SGB VIII einschließlich der Leistungen für den Unterhalt des Kindes gemäß § 39 SGB VIII zu. Es bedarf keiner näheren Erläuterung, dass Sina in dem maßgeblichen Zeitraum der Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege bedurfte, weil die Klägerin aufgrund der mit ihrer Alkoholerkrankung verbundenen Probleme nicht in der Lage war, sich um ihre Tochter zu kümmern. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Sowohl in dem Bescheid der Beklagten vom 16. Mai 2000 als auch in deren Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2001 wird festgestellt, dass für Sina die Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII in einer Pflegefamilie die geeignete und notwendige Hilfeart ist.
Entgegen der Auffassung der Beklagten war die konkret geleistete Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege durch die Beigeladenen die für Sinas Entwicklung geeignete Hilfe im Sinne von § 27 Abs. 1 SGB VIII. Ob die Hilfe im Einzelfall "geeignet" im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist, unterliegt einer vollen gerichtlichen Kontrolle (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 8. November 2001, 2 S 1198/99, NDV-RD 2002, S. 12 ff. [VGH Baden-Württemberg 08.11.2001 - 2 S 1198/99] m.w.N.). Aber selbst wenn dieser Auffassung nicht gefolgt und dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe bei der Entscheidung über Art, Umfang und zeitliche Dauer der Hilfe im Rahmen der dafür erforderlichen (sozial-) pädagogischen Wertungen und Prognosen ein gerichtlich nicht voll überprüfbarer Beurteilungsspielraum eingeräumt wird (so: Wiesner, Mörsberger, Oberloskamp, Struck, SGB VIII, Kommentar, 2. Aufl., 2000, vor § 11 Rdnr. 109), ist das betreffende Jugendamt verpflichtet, nachvollziehbar darzulegen, aus welchen Gründen es die vom Leistungsberechtigten gewünschte Leistung als nicht geeignet ansieht und auf welche wissenschaftlichen Erkenntnisse oder fachlichen Lehrmeinungen es diese Auffassung bzw. prognostische Einschätzung über den künftigen Hilfeverlauf stützt (ebenda Rdnr. 110).
Danach steht zur Überzeugung des Senats fest, dass in dem maßgeblichen Zeitraum vom 9. August 1999 bis zum 17. Januar 2001 die von den Beigeladenen geleistete Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege die für die Entwicklung von Sina geeignete Hilfe im Sinne von § 27 Abs. 1, 33 SGB VIII war. Nach unbestrittenem Vorbringen der Klägerin hat Sina, seit sie bei den Beigeladenen lebt, in ihrer Entwicklung sehr große Fortschritte gemacht. Sie ist dabei über einen langen Zeitraum von einer Mitarbeiterin des Deutschen Kinderschutzbundes e.V. in O., in dessen Räumen Sina jeweils ihren Vater getroffen hat, begleitet worden. Es sind keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass es während des Aufenthaltes von Sina bei den Beigeladenen seit Sommer 1999 zu Vorfällen gekommen ist, die Anlass zu der Sorge geben könnten, das Wohl von Sina sei dort nicht gewährleistet. Auch die Beklagte hat nicht ansatzweise Tatsachen vorgetragen, die konkrete Zweifel an der Geeignetheit der Vollzeitpflege durch die Beigeladenen hervorrufen könnten. Sämtliche dem Senat bekannten Umstände sprechen dafür, dass es sich bei der Vollzeitpflege von Sina durch die Beigeladenen um die für ihre Entwicklung geeignete Jugendhilfemaßnahme handelt. Die dagegen von der Beklagten erhobenen Einwände überzeugen nicht. Allein die pauschale Behauptung, dass die Maßnahme ungeeignet sei, weil sie dem fachlichen Grundsatz widerspreche, dass ein Kind, das in seiner Herkunftsfamilie die Probleme des Alkoholismus erlebt habe, nicht erneut in eine Pflegefamilie mit Alkoholikerstrukturen hineingegeben werden dürfe, unabhängig davon, wie hoch die Rückfallgefahr im konkreten Fall einzuschätzen sei, rechtfertigt eine andere Einschätzung nicht. Der Senat unterstellt dabei, dass dieser Grundsatz in der Fachliteratur (nach dem Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 17. Januar 2001 z.B. im "Ratgeber für Pflegekinder von Irmela Wiemann, S. 49, Auflage aus 1992") vertreten wird. Für den Senat ist nachvollziehbar, dass ein Kind, das bereits in frühem Kindesalter im Elternhaus die Probleme und Folgen des Alkoholismus und die damit verbundenen Suchtstrukturen erleben musste und diesen ausgesetzt war, grundsätzlich nicht in eine Pflegefamilie mit Alkoholikerstrukturen hineingegeben werden sollte. Dieser fachliche Grundsatz kann jedoch nicht ausnahmslos gelten. Aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falles ist, obwohl sowohl die Klägerin als auch die Beigeladene zu 2) unstrittig von der Suchtproblematik des Alkoholismus betroffen waren (und sind), die gewährte Vollzeitpflege durch die Beigeladenen die für die Entwicklung von Sina geeignete Hilfemaßnahme gewesen. Der Senat hat im Nachhinein zu überprüfen, ob die Prognoseentscheidung der Beklagten im August 1999 bezüglich der Geeignetheit dieser Maßnahme richtig war. Im August 1999 lag die von der Beigeladenen zu 2) durchgeführte stationäre Entgiftungsmaßnahme im Diakonie-Krankenhaus G., die im Februar/März 1998 erfolgte, bereits über ein Jahr zurück. Die Beigeladene zu 2) hat der Beklagten schon vor Antragstellung (und später auch dem Landkreis O.) offenbart, dass sie unter Alkoholproblemen gelitten habe. Sie hat aber auch damals schon darauf hingewiesen, dass sie aus eigenem Willen eine Therapie angefangen und sich im Jahre 1998 einer stationären Entgiftung unterzogen habe. Anschließend hat sie für neun Monate beim Caritasverband in O. bis Mitte 1999 an einer ambulanten Therapie teilgenommen; seither ist sie nach ihren Angaben "trocken" und nach dem Schreiben ihrer Therapeutin beim Caritasverband vom 24. Januar 2001 "stabil alkoholabstinent". Zur Unterstützung ihrer Abstinenz hat sie sich einer Selbsthilfegruppe angeschlossen. Die Beigeladene zu 2) hat die Alkoholprobleme, die bei ihr früher bestanden haben, also offensichtlich in den Griff bekommen. Der Senat berücksichtigt bei der Überprüfung der Prognoseentscheidung der Beklagten auch die spätere tatsächliche Entwicklung. Aus heutiger Sicht lässt sich feststellen, dass die Beigeladene zu 2) seit 1998 einen Rückfall nicht erlitten hat. Dies wird durch das von der Beigeladenen zu 2) vorgelegte ärztliche Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. med. A. vom 5. März 2002 bestätigt. Hierin heißt es: "Frau G. befindet sich in meiner ständigen ambulanten Behandlung. Seit 1998 fanden sich keine Hinweise auf einen Alkoholmissbrauch. Regelmäßig durchgeführte Blutuntersuchungen ergaben keine pathologischen Befunde." Es ist daher für den Senat nicht nachvollziehbar, in welcher Weise konkret die Entwicklung von Sina in dem hier maßgeblichen Zeitraum in der Pflegefamilie gefährdet gewesen sein sollte. Bei der hier gegebenen Sachlage brauchte der Senat der schriftsätzlichen Anregung der Beklagten, ein Gutachten über die Eignung der Beigeladenen für die Vollzeitpflege von Sina einzuholen, nicht nachzukommen. Konkrete Anhaltspunkte oder Vorfälle in der Vergangenheit, die gegen die Eignung der Beigeladenen sprechen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Allein die "abstrakte" Gefahr eines Rückfalls reicht nicht, um der Beigeladenen zu 2) die Eignung als Pflegeperson abzusprechen. Auch der Hinweis der Beklagten auf das Lebensalter des Beigeladenen zu 1) und die Berufsunfähigkeit der Beigeladenen zu 2) lässt nicht den Schluss zu, dass die Hilfemaßnahme ungeeignet ist. Die Beigeladene zu 2) hat darauf hingewiesen, dass sie aufgrund einer Unterleibsoperation ihren Beruf als Verkäuferin nicht mehr ausüben kann. Es ist jedoch nicht erkennbar, dass hiermit auch Einschränkungen bei der Leistung der Vollzeitpflege verbunden sein könnten. Gleiches gilt für den pauschalen Hinweis auf das Lebensalter des Beigeladenen zu 1).
Unabhängig hiervon spricht für die Geeignetheit der Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege durch die Beigeladenen in dem maßgeblichen Zeitraum gemäß §§ 27 Abs. 1, 33 SGB VIII aber auch die am 2. März 2000 vom Landkreis O. den Beigeladenen erteilte Pflegeerlaubnis gemäß § 44 SGB VIII. Ebenso wie das Verwaltungsgericht vertritt auch der Senat die Auffassung, dass von der den Beigeladenen erteilten Pflegeerlaubnis nach § 44 SGB VIII eine "Indizwirkung" für die Eignung der von den Beigeladenen gewährten Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege für Sina ausgeht. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Pflegeerlaubnis gemäß § 44 SGB VIII einerseits und der Gewährung von Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege gemäß §§ 27, 33 SGB VIII andererseits sind zwar nicht deckungsgleich; sie sind aber auch nicht voneinander unabhängig, sondern im Hinblick auf die konkrete Hilfemaßnahme einheitlich zu beurteilen. Zum Verhältnis einer Pflegeerlaubnis gemäß § 28 des Gesetzes für Jugendwohlfahrt (JWG) in der Fassung vom 25. April 1977 (BGBl. I S. 633) und der Gewährung von Hilfe zur Erziehung hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 9. Juni 1983 (5 C 63.82, NDV 1983, S. 279 f.) folgendes entschieden:
"... Auf der Grundlage dessen ist der Klägerin wirtschaftliche Hilfe nach § 6 Abs. 2 JWG schon deshalb zu gewähren, weil der Beklagte ihr nach § 4 Nr. 1 JWG - Schutz der Pflegekinder gemäß den §§ 27 bis 36 - erzieherische Hilfe gewährt hat; denn er hat den Eheleuten H., die die Klägerin zum Zwecke der Erziehung und Betreuung in ihren Haushalt aufgenommen hatten, nach den §§ 28 f. JWG, die im mit "Schutz der Pflegekinder" überschriebenen Abschnitt IV des Gesetzes stehen, eine Erlaubnis zur Aufnahme der Klägerin als Pflegekind erteilt ....
Das ist ein typischer Fall der Gewährung von Hilfe zur Erziehung, die im hier nicht umstrittenen Bedarfsfall die Gewährung von wirtschaftlicher Jugendhilfe zur Folge hat (vgl. BVerwGE 64, 224 (227/228); vgl. auch Giese, FamRZ 1983, 239 (241); ferner Zeitler, NDV 1979, 152 (153). ....."
Diese Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist zwar zu § 28 JWG ergangen. Die Grundsätze sind aber auch auf das Verhältnis der Pflegeerlaubnis gemäß § 44 SGB VIII, der den § 28 JWG abgelöst hat, zur Gewährung von Hilfe zur Erziehung übertragbar. Die inhaltliche Verknüpfung zwischen der Pflegeerlaubnis und der Gewährung von Hilfe zur Erziehung besteht nach wie vor. Zwar sind die Vorschriften über die Pflegeerlaubnis gemäß § 28 JWG einerseits und der Pflegeerlaubnis gemäß § 44 SGB VIII andererseits nicht deckungsgleich. So ist beispielsweise gegenüber der Regelung des § 28 JWG der Anwendungsbereich des Erlaubnisvorbehaltes in § 44 SGB VIII stark eingeschränkt worden (vgl. Hauck, SGB VIII, Kommentar, Stand: 26. Lieferung, August 2001, K § 44 Rdnr. 2). Die Erteilung der Pflegeerlaubnis nach § 28 JWG setzte aber auch seinerzeit aufgrund der Regelung in § 29 Abs. 1 JWG (Voraussetzung für Erlaubnis und Widerruf) voraus, dass in der Pflegestelle das leibliche, geistige und seelische Wohl des Pflegekindes gewährleistet war. Nach § 44 Abs. 2 SGB VIII ist die Pflegeerlaubnis zu versagen, wenn das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen in der Pflegestelle nicht gewährleistet ist. Trotz der dem Wortlaut nach unterschiedlichen Formulierung sind die Voraussetzungen für die Erlaubniserteilung insoweit inhaltlich gleich geblieben. Sie und der Versagungsgrund sind jeweils "die Kehrseite derselben Medaille". Die Funktion des Jugendamtes bei der Erteilung einer Pflegeerlaubnis ist nach § 44 SGB VIII nicht auf eine "Missbrauchsaufsicht" beschränkt (vgl. hierzu: Jans, Happe, Sauerbier, Kinder- und Jugendhilferecht, Kommentar, Stand: Juni 2001, Erl. § 44 Art. 1 KJHG Rdnr. 1). Der zuständige Jugendhilfeträger hat bei Erteilung der Pflegeerlaubnis vielmehr nach wie vor zu prüfen, ob u.a. die persönliche Eignung der Pflegeperson im Einzelfall nach der Art der Pflegestelle, den individuellen Bedürfnissen und dem Entwicklungsstand des aufzunehmenden Minderjährigen gegeben ist (vgl. Hauck, SGB VIII, Kommentar, Stand: 26. Lieferung August 2001, K § 44 Rdnr. 20; a. A. Wiesner, Mörsberger, Oberloskamp, Struck, SGB VIII, Kommentar, 2. Aufl. 2000, § 44 Rdnr. 34). Dies bedeutet, dass die Pflegeperson insbesondere über ausreichende erzieherische Fähigkeiten verfügen, emotional stabil, verantwortungsbewusst, fähig zu emotionaler Zuwendung sowie körperlich und geistig gesund sein muss (so Hauck, a.a.O.). Der Landkreis O. hat hier vor Erteilung der Pflegeerlaubnis gemäß § 44 SGB VIII an den Beigeladenen eine entsprechende Prüfung auch vorgenommen. Das Kreisjugendamt erhielt von der Beklagten deren Unterlagen und führte am 24. Januar 2000 ein Gespräch mit den Beigeladenen; am 2. März 2000 erfolgte ein Hausbesuch bei den Beigeladenen. Der Landkreis O. hat das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung der Pflegeerlaubnis gemäß § 44 SGB VIII somit eingehend geprüft und bejaht. Er hat die Pflegeerlaubnis auch nicht später widerrufen, es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die den Beigeladenen erteilte Pflegeerlaubnis etwa nichtig sein könnte. Die Schlussfolgerung, dass die Erlaubnisprüfung nicht mit der Gewährung von Hilfe zur Erziehung, also mit einem Leistungsangebot der Jugendhilfe verknüpft sei, ist abzulehnen (so Hauck, a.a.O., K § 44 Rdnr. 19). Aufgrund des beschriebenen Prüfungsmaßstabes hat die Erteilung einer Pflegeerlaubnis gemäß § 44 SGB VIII Indizwirkung für die Prüfung der Voraussetzungen der Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege gemäß §§ 27, 33 SGB VIII. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 28 JWG (Urt. v. 9.6.1983, 5 C 63.82, NDV 1983, 279), nach der die Erteilung der Pflegeerlaubnis "ein typischer Fall der Gewährung von Hilfe zur Erziehung" ist, die die Gewährung von wirtschaftlicher Jugendhilfe zur Folge hat, hat demnach weiterhin Bestand. Zwar bedeutet dies nicht, dass die Erteilung der Pflegeerlaubnis gemäß § 44 SGB VIII (quasi automatisch) zu einem Anspruch auf Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27, 33, 39 SGB VIII führt. Wird im Einzelfall aber - wie hier - nach eingehender Prüfung der persönlichen und häuslichen Verhältnisse der Pflegepersonen eine Pflegeerlaubnis erteilt, so ist dies als wichtiges Indiz bei der Prüfung der Voraussetzungen der Hilfe zur Erziehung im Hinblick auf die Geeignetheit der Maßnahme zu werten. Diese Indizwirkung wird hier nicht widerlegt. Insoweit wird auf die - selbständig tragenden - Erwägungen zur Geeignetheit der von der Klägerin gewünschten Hilfe verwiesen.
Der Einwand der Beklagten, die Klägerin habe ohne ihre Kenntnis die Unterbringung von Sina bei den Beigeladenen eigenmächtig veranlasst und dies habe zur Folge, dass der geltend gemachte Anspruch ausgeschlossen sei, ist unabhängig davon, ob diese Behauptung zutrifft, nicht entscheidungserheblich. Die von der Beklagten hierzu angeführte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. September 2000 (5 C 29/99, BVerwGE 112, 98 = NDV-RD 2001, S. 85 ff.) ist hier nicht einschlägig.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in der genannten Entscheidung ausgeführt, dass Leistungen der Jugendhilfe grundsätzlich eine vorherige Antragstellung gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe voraussetzten; eine Selbstbeschaffung ohne seine Zustimmung verpflichte ihn grundsätzlich nicht zur Übernahme der Kosten. Mit dem jugendhilferechtlichen Ziel partnerschaftlicher Hilfe unter Achtung familialer Autonomie (BT-Drs. 11/5948 v. 1. Dezember 1989, S. 42) und dem kooperativen pädagogischen Entscheidungsprozess bei der Entscheidung über die Notwendigkeit und Geeignetheit der Jugendhilfe wäre es unvereinbar, wenn sich die Funktion des Jugendamtes auf die eines bloßen Kostenträgers beschränkte, der erst nachträglich nach Durchführung einer selbstbeschafften Hilfemaßnahme in die kostenmäßige Abwicklung des Hilfefalles eingeschaltet werde (ebenda). Hier begehrt der Klägerin Leistungen der Jugendhilfe erst ab dem Zeitpunkt der Antragstellung (9. August 1999) - und nicht etwa auch rückwirkend ab einem früheren Beginn der Maßnahme - . In diesem Fall ist die Selbstbeschaffung einer Leistung der Jugendhilfe zulässig, wenn der Träger der Jugendhilfe die Voraussetzungen für die Gewährung erzieherischer Hilfe verneint und mit Rücksicht darauf ein auf die Erziehung des Kindes oder des Jugendlichen gerichtetes Tätigwerden von vornherein ablehnt (BVerwG, Urt. v. 12. September 1996, 5 C 31/95, FEVS 47, 433 m. w. N.; Jans, Happe, Sauerbier, Kinder- und Jugendhilferecht, Kommentar, a.a.O., Erl. § 5 Art. 1 KJHG, Rdnr. 9; Wiesner, Mörsberger, Oberloskamp, Struck, SGB VIII, Kommentar, a.a.O., § 5 Rdnr. 21). Stellt sich - wie hier - heraus, dass die Leistung zu Unrecht verweigert worden ist, ist sie rückwirkend ab Antragstellung und Selbstbeschaffung zu gewähren.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.