Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 10.04.2002, Az.: 4 LB 3480/01

Anspruch; Anstalt; Aufenthalt; Ausschlussfrist; Ausschlussfristwahrung; Ausschluß; Beginn; Bezifferung; Erstattung; Erstattungsanspruch; Fristwahrung; Geltendmachen; Geltendmachung; konkludente Geltendmachung; Kostenerstattung; Kostenerstattungsanspruch; Rückerstattungsanspruch; sachliche Zuständigkeit; Sozialhilfe; Sozialhilfeträger; Träger; Verjährung; Verjährungsbeginn; Zeitpunkt; Zuständigkeit; örtlicher Sozialhilfeträger; örtlicher Träger; überörtlicher Sozialhilfeträger; überörtlicher Träger

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
10.04.2002
Aktenzeichen
4 LB 3480/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 43975
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 04.09.2000 - AZ: 7 A 8366/98

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Auf die Erstattungsregeln der §§ 103 ff. BSHG und die sie ergänzenden Bestimmungen der §§ 8, 5 a Nds. AG-BSHG finden die Ausschluss- und Verjährungsvorschriften der §§ 111 und 113 SGB X Anwendung.

2. §§ 111 und 113 SGB X sind in der Fassung des Art. 10 Nr. 8 des 4. Euro-Einführungsgesetzes vom 21.12.2000 (BGBl. I S. 1983) auf die Erstattungsverfahren anzuwenden, die am 01.06.2000 noch nicht abschließend entschieden waren.

3. Für die Wahrung der Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X (F. 2000) genügt es, dass der Erstattungsanspruch konkludent geltend gemacht wird, sofern der Rechtssicherungswille deutlich erkennbar ist. Die zu erstattenden Leistungen, die für die Entstehung des Erstattungsanspruchs maßgeblichen Umstände und der Leistungszeitraum müssen deutlich gemacht werden; einer Bezifferung des Erstattungsanspruchs bedarf es nicht (Anschluss an BVerwG, Urt. v. 4.3.1993 - BVerwG 5 C 6.91 -, BVerwGE 92, 167 und BSG, Urt. v. 23.02.1999 - B 1 KR 14/97 R, FEVS Bd. 51, 112).

4. Zu den Anforderungen an die "Geltendmachung" des Erstattungsanspruchs im Rahmen laufender Verhandlungen zwischen dem vorleistenden örtlichen und dem erstattungspflichtigen überörtlichen Sozialhilfeträger wegen der Erteilung von Kostenanerkenntnissen für aufeinanderfolgende Zeiträume.

5. Die Verjährungsregelung des § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X (F. 2000) ist auf den für das Sozialhilferecht typischen Erstattungsstreit zwischen dem vorleistenden örtlichen Träger der Sozialhilfe und dem erstattungspflichtigen überörtlichen Sozialhilfeträger, der aufgrund der Struktur der Zuständigkeitsregelungen eine Entscheidung über eine eigene Leistungspflicht gegenüber dem Hilfeempfänger nicht trifft, nicht anwendbar (ähnlich zu § 111 Satz 2 SGB X F. 2000: BayVGH, Beschl. v. 22.08.2001 - 12 B 99.889 -, FEVS Bd. 53, 165). Für den Beginn der Verjährung eines Erstattungsanspruchs zwischen diesen Trägern ist deshalb weiterhin wie in § 113 Abs. 1 SGB X a. F. auf den Zeitpunkt des "Entstehens" des Erstattungsanspruchs abzustellen.

Tatbestand:

1

Der Kläger begehrt die Erstattung von Kosten, die er für die Betreuung des im Jahr 1938 geborenen und inzwischen verstorbenen Herrn D. Sch. in einem Heim in der Zeit vom 08.02.1993 (Aufnahme des Hilfeempfängers in den Alten- und Pflegebereich) bis zum 29.05.1996 aufgewendet hat.

2

Der Hilfeempfänger hatte nach einem amtsärztlichen Gutachten vom 26.08.1986 aufgrund seiner geistig-seelischen Behinderung besondere soziale Schwierigkeiten. Er wurde von dem Kläger ab dem 09.09.1986 stationär im ... untergebracht. Hinsichtlich der weiteren Erkenntnisse über den Hilfeempfänger wird auf die Berichte des Heimes vom ... sowie auf die amtsärztlichen Gutachten vom ... und weiterhin auf das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen vom ... Bezug genommen.

3

Der Beklagte gab unter dem 04.02.1987 ein Grundanerkenntnis für die Zeit vom 09.09.1986, befristet bis zum 31.12.1990, ab. Mit Schreiben vom 21.01.1991 beantragte der Kläger die Verlängerung des Grundanerkenntnisses.

4

Nach einer Erinnerung des Klägers von Mitte Oktober 1991 und mindestens einer weiteren Erinnerung vom 22.01.1993 (Beiakte A Bl. 22), in der der Kläger ausdrücklich auf die Kosten der erbrachten Vorleistungen hinwies, gab der Beklagte mit Schreiben vom 22.03.1993 ein Grundanerkenntnis für das Jahr 1991 ab (betr. Hilfe in besonderen Lebenslagen gemäß § 39 Abs. 1 BSHG i.V.m. § 2 VO zu § 47 BSHG; Zuständigkeit des Beklagten gemäß § 100 Abs. 1 Nr. 1 BSHG).

5

Am 08.02.1993 verlegten die ... den Hilfeempfänger in ihren Alten- und Pflegeheimbereich. Mit Schreiben vom 28.05.1993 an den Kläger (Beiakte B Bl. 65) machte die Einrichtung für die Zeit ab dem 8.2.1993 Heimpflegekosten in Höhe von 136,00 DM pro Tag zuzüglich eines monatlichen Barbetrags geltend.

6

Mit Schreiben vom 10.06.1993 (Beiakte A Bl. 72) an den Beklagten beantragte der Kläger die Erteilung eines Grundanerkenntnisses auch für die Zeit ab 01.01.1992. Der Kläger erinnerte in der Folge mehrmals an seinen Antrag. In dem Erinnerungsschreiben vom 10.08.1993 (Beiakte A Bl. 34) wies der Kläger auch darauf hin, dass wegen "der negativen Veränderung des Gesundheitszustandes" des Hilfeempfängers ab dem 08.02.1993 anders als zuvor Hilfe zur Pflege gemäß § 68 BSHG zu gewähren sei. Mit Schreiben vom 11.10.1993 lehnte der Beklagte die Abgabe eines Grundanerkenntnisses über den 31.12.1991 hinaus für den Hilfeempfänger, Herrn Sch., ab.

7

Gegen diese Entscheidung wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 03.02.1994, eingegangen bei dem Beklagten am 11.02.1994 (Beiakte A Bl. 37). Er wiederholte darin seine Bewertung des Hilfebedarfs des Herrn Sch. und begründete sie ergänzend durch Beifügung der neuen amtsärztlichen Stellungnahme vom 28.12.1993. Daraufhin verlängerte der Beklagte mit Schreiben vom 12.03.1996 sein Grundanerkenntnis bis einschließlich 07.02.1993. Für die Zeit danach verneinte er seine Zuständigkeit: Aus den amtsärztlichen Gutachten gehe einerseits hervor, dass das Ziel der Eingliederungshilfe bei dem Hilfeempfänger nicht zu erreichen sei, aus den Stellungnahmen ergebe sich aber andererseits auch nicht, dass der Hilfeempfänger in erheblichen oder höherem Maße der Hilfe bei den Verrichtungen des täglichen Lebens bedürfe. Pflegebedürftigkeit liege deshalb nicht vor. Die Leistungen des Altenheimbereichs seien deshalb Hilfe zum Lebensunterhalt, für die der Kläger zuständig sei.

8

Die AOK Niedersachsen als Pflegekasse bestätigte mit Schreiben vom 30.05.1996 (Beiakte A Bl. 74) das Vorliegen der Pflegebedürftigkeit - Pflegestufe 2 - des Hilfeempfängers. Für die Zeit vom 30.05.1996 an gab der Beklagte - zunächst mit Schreiben vom 17.09.1996 - nunmehr wieder ein Grundanerkenntnis ab und erkannte an, dass dem Hilfeempfänger gem. § 68 BSHG Hilfe in besonderen Lebenslagen geleistet werde. Für die Zeit vom 08.02.1993 bis zum 29.05.1996 verneinte er mit Schreiben vom 21.05.1997 an den Kläger jedoch nach wie vor seine Zuständigkeit.

9

Der Kläger hat am 22.12.1998 Klage erhoben und vorgetragen: Der Beklagte habe sein Grundanerkenntnis für den streitigen Zeitraum zu Unrecht versagt. Nach dem amtsärztlichen Gutachten vom 13.03.1995 habe der Hilfeempfänger, Herr Sch., Hilfe zur Pflege benötigt. Er, der Kläger, habe hinsichtlich der entstandenen Kosten vorgeleistet und deshalb einen Anspruch auf Kostenerstattung nach den §§ 43 SGB I i.V.m. 102 SGB X und § 8 i.V.m. § 5 a Nds. AG-BSHG. Er habe auch alle Fristen des SGB X eingehalten. Mit Schreiben vom 10.06.1993 habe er den Beklagten von der weiteren Hilfegewährung ab 08.02.1993 unterrichtet. Das Fehlen einer Mitteilung nach § 8 Abs. 3 Nds. AG-BSHG sei für die Kostenerstattung nicht schädlich. Außerdem habe der Beklagte Kenntnis von der Unterbringung des Hilfeempfängers gehabt. Eine Verjährung sei ebenfalls nicht eingetreten, denn die Zahlung an die Einrichtung sei endgültig erst im August 1994 erfolgt. Eine Berufung des Beklagten auf Verjährung verstoße gegen Treu und Glauben.

10

Der Kläger hat beantragt,

11

den Beklagten zu verpflichten, ihm, dem Kläger, die Heimpflegekosten und die Nebenkosten für den Zeitraum vom 08.02.1993 bis zum 29.05.1996 für den Hilfefall D. Sch. ... in Höhe von 87.696,00 DM zu erstatten.

12

Der Beklagte hat beantragt,

13

die Klage abzuweisen.

14

Er hat erwidert: Ein Anspruch auf Kostenerstattung aus § 102 SGB X sei ausgeschlossen, weil der Kläger die Ausschlussfrist des § 111 SGB X versäumt habe. Das von dem Kläger genannte Schreiben vom 10.06.1993 enthalte lediglich den Antrag auf Verlängerung des Anerkenntnisses der sachlichen Zuständigkeit. Auch wenn ein Kostenerstattungsanspruch nicht an eine besondere Form gebunden sei, müsse deutlich erkennbar werden, dass ein Erstattungsanspruch geltend gemacht werde. Im Übrigen greife zumindest für den Zeitraum vom 08.02.1993 bis 31.12.1993 die Einrede der Verjährung durch. In der Sache sei die ab 08.02.1993 gewährte Hilfe für Herrn Sch. lediglich Hilfe zum Lebensunterhalt gewesen, die in der sachlichen Zuständigkeit des Klägers liege.

15

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 04.09.2000 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:

16

Es könne offen bleiben, ob dem Hilfeempfänger, Herrn Sch., auch schon in der Zeit vom 08.02.1993 bis 29.05.1996 stationäre Hilfe zur Pflege gewährt worden sei oder "nur" Hilfe zum Lebensunterhalt. Ebenso brauche nicht entschieden zu werden, ob ein etwaiger ursprünglicher Anspruch aus § 8 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 5 a Abs. 1 Nds. AG-BSHG oder aus Art. I § 43 SGB I i.V.m. Art. I § 102 SGB X herzuleiten wäre. Auf diese Fragen komme es nicht (mehr) an. Auch die vom Beklagten aufgeworfene Frage, ob nicht zumindest ein Teil der Ansprüche verjährt sei, sei nicht entscheidungserheblich. Das Kostenerstattungsbegehren des Klägers scheitere nämlich bereits an Art. I § 111 SGB X.

17

Nach dieser Vorschrift, die für alle Erstattungsansprüche von Sozialleistungsträgern untereinander gelte, sei ein Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte diesen Anspruch nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend mache. Diese Frist habe der Kläger versäumt. Der letzte Tag, an dem die hier streitige Leistung erbracht worden sei, sei der 29.05.1996 gewesen. Spätestens bis zum 29.05.1997 hätte damit der Kläger einen Anspruch beim Beklagten geltend machen müssen. Einen Erstattungsanspruch habe der Kläger jedoch erstmals mit Klageerhebung am 22.12.1998 angemeldet. ...

18

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der von dem Senat mit Beschluss vom 22.10.2001 - 4 L 3693/00 - zugelassenen Berufung. Er trägt vor: Aus seinem Schriftwechsel mit dem Beklagten ergebe sich hinreichend deutlich, dass und für welche Zeiträume er eine Kostenerstattung begehrt habe bzw. begehre. Die Kosten für das Jahr 1993 hätten endgültig erst festgestanden, nachdem die Pflegesatzvereinbarung vom 19.07.1994 (GA Bl. 145) für das Jahr 1993 abgeschlossen worden sei. Deshalb komme das Laufen einer Verjährungsfrist auch erst ab diesem Zeitpunkt in Betracht mit der Folge, dass der Erstattungsanspruch rechtzeitig geltend gemacht worden sei.

19

Der Kläger beantragt,

20

das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und den Beklagten zu verpflichten, die in der Zeit vom 08.02.1993 bis zum 29.05.1996 in Höhe von 87.696,00 DM entstandenen Sozialhilfeaufwendungen zu erstatten.

21

Der Beklagte beantragt,

22

die Berufung zurückzuweisen.

23

Er trägt vor:

24

Bei den Herrn Sch. in der Zeit vom 08.02.1993 bis zum 29.05.1996 gewährten Leistungen habe es sich nicht um Hilfe zur Pflege (§§ 68 ff. BSHG), sondern um Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 11 ff. BSHG) gehandelt, für deren Gewährung der Kläger sachlich zuständig gewesen sei. Eine Gesamtschau des Feststellungsbogens der Einrichtung vom 14.05.1993 und der amtsärztlichen Stellungnahmen vom 28.12.1993 und 13.03.1995 sowie der Entscheidung der Pflegekasse ergebe, dass sich der Zustand des Herrn Sch. in dieser Zeit verschlechtert habe und gemäß dem Bescheid der Pflegekasse ab dem 30.05.1996 die Voraussetzungen für die Gewährung von Hilfe zur Pflege vorgelegen hätten - für die Zeit vor dem 30.05.1996 sei das nicht ersichtlich.

25

Jedenfalls sei für die Zeit vom 08.12. bis zum 31.12.1993 ein Kostenersatzanspruch gemäß § 113 SGB X verjährt. Da Adressat der zu gewährenden Hilfe nicht die Einrichtung, sondern der Hilfeempfänger sei, komme es für den Beginn der Verjährung nicht auf den Zeitpunkt des Abschlusses einer Pflegesatzvereinbarung, sondern auf den Zeitpunkt an, in dem die Hilfe dem Hilfebedürftigen tatsächlich gewährt worden sei.

26

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

27

Die Berufung des Klägers ist (nur) insoweit begründet, als er die Verpflichtung des Beklagten zur Erstattung der für die Zeit vom 1. Januar 1994 bis zum 29. Mai 1996 für Herrn Sch.  gewährten Heimpflegekosten und Nebenkosten begehrt. Denn Herrn Sch. ist in dieser Zeit durchgehend Hilfe in besonderen Lebenslagen gewährt worden, für die der Beklagte zuständig war (A), der Kläger ist insoweit für den Beklagten in Vorleistung getreten und hat das Erstattungsverlangen fristgerecht geltend gemacht (B) und der Erstattungsanspruch ist nur hinsichtlich des vor dem genannten Zeitraum liegenden Zeitabschnitts verjährt (C).

A.

28

Dem Hilfeempfänger, Herrn Sch., ist bis zum 07.02.10993 unstreitig Hilfe in besonderen Lebenslagen in Form stationärer Eingliederungshilfe insbesondere zur Überwindung seiner besonderen sozialen Schwierigkeiten gewährt worden. Für die Zeit ab dem 30.05.1996 hat er - wiederum unstreitig - Hilfe zur Pflege gemäß § 68 BSHG in der stationären Einrichtung erhalten. Für beide Hilfearten ist gemäß § 100 Abs. 1 Nr. 1 BSHG die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe, also des Beklagten, gegeben.

29

In der Zwischenzeit vom 08.02.1993 (Zeitpunkt der Aufnahme des Hilfeempfängers in den Alten- und Pflegebereich der Einrichtung) bis zum 29.05.1996 war entgegen der Meinung des Beklagten nicht lediglich in den Zuständigkeitsbereich des Klägers als örtlichem Träger der Sozialhilfe fallende Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren. Vielmehr war auch für diesen Zeitraum ebenso wie für die vorausgegangene und die anschließende Zeit Hilfe in besonderen Lebenslagen zu leisten. Das ergibt sich aus den vorliegenden Berichten der Einrichtung und den Stellungnahmen des Gesundheitsamtes zu der Entwicklung des seelischen und körperlichen Zustandes des Hilfeempfängers. [wird ausgeführt]

30

Eine Gesamtschau dieser Beurteilungen macht zur Überzeugung des Senats deutlich, dass bei dem Hilfeempfänger ein allmählicher Wandel des Hilfebedarfs eingetreten ist von zunächst der Eingliederungshilfe zum Zweck der Milderung der besonderen sozialen Schwierigkeiten und Ermöglichung der Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft hin zu einer Hilfe mit Schwerpunkt im pflegerischen Bereich. Der Übergang zwischen den beiden notwendigen Arten der Hilfe war offenbar fließend. Die Berichte bieten an keiner Stelle begründeten Anlass zu der Annahme, Herrn Sch. sei zu irgendeinem Zeitpunkt ein Leben allein unter Sicherung des notwendigen Lebensunterhaltes und ohne weitergehende Betreuung möglich gewesen. Herr Sch. bedurfte durchgehend intensiver Betreuung, sei es anfänglich wegen der fortbestehenden Verwahrlosungsgefahr, sei es später wegen des fortschreitenden geistigen Verfalls.

31

Zusammenfassend ist deshalb festzustellen, dass auch in dem Zeitraum von der Aufnahme des Herrn Sch. in den Alten- und Pflegebereich der Einrichtung am 08.02.1993 bis zum 29.05.1996 durchgehend die Zuständigkeit des Beklagten als überörtlichem Träger für die Hilfegewährung bestand.

B.

32

Aufgrund der Art der zu gewährenden Hilfen ergibt sich bei rückblickender Betrachtung, dass der Kläger als örtlicher Träger der Sozialhilfe grundsätzlich für den Beklagten als überörtlichen Träger der Sozialhilfe zunächst aufgrund einer Heranziehung nach § 4 Abs. 2 Nds. AG-BSHG (F. 1992, GVB. S. 316) i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 (betrifft Eingliederungshilfe nach § 39 BSHG) oder § 4 Abs. 1 Nr. 2 (betreffend Hilfe zur Pflege nach § 68 BSHG in Einrichtungen der Altenhilfe) HeranziehungsVO-BSHG (VO v. 18.8.1986, GVBl. S. 296 - F. 1986 -) tätig zu werden hatte. Die spätere Änderung der HeranziehungsVO (VO v. 14.04.1994, GVBl. S. 205 - F. 1994 -) hat daran in der Sache nichts geändert.

33

Da hier indessen Streit über die richtige Art der Hilfe und damit darüber bestand, ob der örtliche oder der überörtliche Träger der Sozialhilfe die erforderliche Hilfe zu erbringen hatte, hatte schon aufgrund der für diesen Fall speziellen Regelung des § 8 Abs. 1 Satz 1 Nds. AG-BSHG (F. 1987, F. 1992) der Kläger als örtlicher Träger zunächst bis zur Klärung der sachlichen Zuständigkeit einzutreten.

34

Nach § 8 Abs. 3 Satz 3 Nds. AG-BSHG (F. 1992) gilt für die Erstattung der von dem örtlichen Träger der Sozialhilfe aufgewendeten Kosten durch den zuständigen Träger der § 5 a NdsAG-BSHG (F. 1992) entsprechend. Danach hat der überörtliche Träger die vom örtlichen Träger getätigten Aufwendungen - ohne die Verwaltungskosten - zu erstatten.

35

Im Fall des Streits über die sachliche Zuständigkeit hat der zunächst eintretende örtliche Träger den zuständigen (überörtlichen) Träger unverzüglich über seine Maßnahmen zu unterrichten (§ 8 Abs. 1 Satz 3 Nds. AG-BSHG F. 1987, § 8 Abs. 3 Satz 1 Nds. AG-BSHG F. 1992). Zweck einer solchen Mitteilungspflicht ist es, dem (eventuell) kostenpflichtigen Träger eine zeitnahe Prüfung der tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen der Hilfegewährung und des Kostenerstattungsanspruchs zu ermöglichen. Ob der Kläger hier mit der Mitteilung vom 10.08.1993 der Pflicht zur "unverzüglichen" Unterrichtung genügt hat - er hat selbst von der Verlegung des Herrn Sch. in den Alten- und Pflegebereich zum 08.02.1993 erst durch das Schreiben der Einrichtung vom 28.05.1993 erfahren -, kann dahingestellt bleiben. Denn aus § 8 Nds. AG-BSHG ergibt sich nicht, dass eine Verletzung der Mitteilungspflicht neben dem allgemeinen Risiko der Unaufklärbarkeit der "wahren" Zuständigkeit einen Verlust des Anspruchs auf Kostenerstattung aus allein diesem formalen Grund nach sich ziehen soll.

36

Die Erstattungsregelung des § 8 i.V.m. § 5 a Nds. AG-BSHG (F. 1992) ergänzt gemäß § 113 BSHG die Erstattungsregelungen der §§ 103 ff. BSHG und enthält - wie jene Regelungen - nur die materiell-rechtliche Grundlage für das Erstattungsverlangen, aber nicht verfahrensrechtliche Regelungen. Insoweit finden nicht die Regelungen des Allgemeinen Verwaltungsfahrensrechts Anwendung, sondern die des Verfahrens nach dem Sozialgesetzbuch (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 NVwVfG, § 2 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG). Da weder das BSHG noch das Nds. AG-BSHG eine besondere Regelung über Ausschlussfristen hinsichtlich der Geltendmachung von Erstattungsforderungen oder über die Verjährung enthalten, sind hier gemäß § 37 Satz 1 SGB I die Vorschriften des § 111 SGB X (Ausschlussfrist) und § 113 SGB X (Verjährung) anwendbar (v. Wulfen, SGB X, 4. Aufl. 2001, Anm. 19 vor § 102).

37

§ 111 SGB X ist in der Fassung des Art. 10 Nr. 8 des 4. Euro-Einführungsgesetzes vom 21.12.2000 (BGBl. I S. 1983) anzuwenden. Nach Art. 68 Abs. 1 des 4. Euro-Einführungsgesetzes ist sein Art. 10  am 01.01.2001 in Kraft getreten, so dass nach der Übergangsregelung des § 120 Abs. 2 SGB X n. F. der § 111 Satz 2 SGB X in der vom 01.01.2001 an geltenden Fassung auf die Erstattungsverfahren anzuwenden ist, die - wie hier - am 01.06.2000 noch nicht abschließend entschieden waren.

38

Nach § 111 Satz 1 SGB X ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. Gemäß § 111 Satz 2 SGB X n. F.  beginnt der Lauf der Frist frühestens mit dem Zeitpunkt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat.

39

In welcher Form der Erstattungsanspruch "geltend gemacht" werden muss, ist nicht näher geregelt. Deshalb genügt eine konkludente Geltendmachung (BVerwG, Urt. v. 4.3.1993 - BVerwG 5 C 6.91 -, BVerwGE 92, 167 = NVwZ-RR 1994, 28 = FEVS Bd. 43, 453 = DVBl. 1994, 432 <LS>). Allerdings muss der Wille, zumindest rechtssichernd tätig zu werden, einer bestimmten Handlung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles deutlich erkennbar zugrunde liegen, soll sie ausdrücklich oder konkludent als Geltendmachung der Erstattungsforderung gewertet werden. Aus dem Erstattungsbegehren muss auch ausreichend deutlich werden, welche Leistungen zu erstatten sind - eine Bezifferung ist nicht notwendig -. Es müssen zumindest die Umstände, die im Einzelfall für die Entstehung des Erstattungsanspruchs maßgeblich sind, und der Zeitraum, für den die Sozialleistung erbracht wurde, hinreichend konkret mitgeteilt werden (BSG, Urt. v. 23.02.1999 - B 1 KR 14/97 R -, FEVS Bd. 51, 112). Gemessen an diesen Anforderungen hat der Kläger das Erstattungsverlangen fristgerecht und hinreichend deutlich gegenüber dem Beklagten geltend gemacht.

40

Dem Beklagten war der Hilfefall bereits vor dem 08.02.1993 bekannt. Denn er hat schon für die davor liegende Zeit Grundanerkenntnisse für eine Gewährung von stationärer Eingliederungshilfe (§§ 39 ff. BSHG) an den Hilfeempfänger abgegeben. So hat er mit Schreiben vom 22.03.1993 ein Grundanerkenntnis für das Jahr 1991 erklärt. An diese Entscheidung hatte der Kläger u.a. mit Schreiben vom 22.01.1993 (Beiakte A Bl. 22) ausdrücklich unter Hinweis auf die Kosten der erbrachten Vorleistungen erinnert. Mit Schreiben vom 10.06.1993 (Beiakte B Bl. 72) hat der Kläger auch für die Zeit ab 01.01.1992 die Erteilung eines Grundanerkenntnisses bei dem Beklagten beantragt. In dem Schreiben vom 10.08.1993 (Beiakte A Bl. 34), mit dem der Kläger den Beklagten an die erbetene Entscheidung erinnert hat, hat er auch darauf hingewiesen, dass wegen "der negativen Veränderung des Gesundheitszustandes" des Hilfeempfängers ab dem 08.02.1993 anders als zuvor Hilfe zur Pflege gemäß § 68 BSHG zu gewähren sei. Der Kläger hat diese Bewertung des Hilfebedarfs mit Schreiben vom 03.02.1994, eingegangen bei dem Beklagten am 11.02.1994 (Beiakte A Bl. 37) wiederholt und unter Beifügung einer neuen amtsärztlichen Stellungnahme ergänzend begründet. Dem Beklagten war somit bereits ab August 1993 bekannt, dass sich jedenfalls nach Einschätzung der betreuenden Einrichtung und des Klägers die Art der nach wie vor in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten fallenden Hilfe geändert hatte und in welcher Form der Kläger dem Hilfeempfänger Leistungen gewährte.

41

Mit dem Antrag auf Erteilung des Grundanerkenntnisses für auch die Zeit ab dem 08.02.1993 und dem danach zwischen den Beteiligten gerade wegen der sozialhilferechtlichen Einordnung der dem Hilfeempfänger zu gewährenden Hilfe geführten Schriftwechsel hat der Kläger auch das Begehren auf Kostenerstattung hinreichend deutlich gemacht. Materiell-rechtlich setzt der Kostenerstattungsanspruch nicht die vorhergehende Erteilung eines Grundanerkenntnisses nach § 4 Abs. 1 HeranziehungsVO-BSHG a. F. bzw. § 3 HeranziehungsVO-BSHG n. F. voraus, sondern nur das Vorliegen der Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nds. AG-BSHG (Streit über die sachliche Zuständigkeit) in Verbindung mit § 5 a Nds. AG-BSHG (Senat, Beschl. v. 23.11.1998 - 4 L 1145/98 -, V. n. b.). Inhalt des Grundanerkenntnisses ist eine deklaratorische Feststellung der sachlichen Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers und je nach Einzelfall eine Regelung des Inhalts der zu gewährenden Hilfe. Dass der örtliche Träger der Sozialhilfe, wenn er Hilfe tatsächlich gewährt und mit dem überörtlichen Träger über die Erteilung eines Grundanerkenntnisses und damit die Anerkennung von dessen Zuständigkeit streitet, damit auch zumindest konkludent kundtut, dass er bei Zuständigkeit des überörtlichen Trägers von diesem eine Erstattung der aufgewendeten und nicht anderweitig gedeckten Kosten begehrt, kann im Verhältnis der beteiligten Behörden zueinander als Regelfall angesehen werden. Jedenfalls gilt das im vorliegenden Fall, in dem dem Hilfeempfänger die erforderliche Hilfe tatsächlich bereits geleistet worden war und zwischen den Beteiligten überhaupt nur noch über die Frage der Verpflichtung zur Kostentragung gestritten wurde.

42

Der Kläger hat danach den Erstattungsanspruch für die Zeit ab dem 08.02.1993 im August 1993 hinreichend deutlich und damit fristgerecht sowohl im Sinn des § 111 Satz 1 SGB X als auch - erst recht - entsprechend dem Wortlaut des § 111 Satz 2 SGB X gegenüber dem Beklagten geltend gemacht. Auf die Frage, ob § 111 Satz 2 SGB X überhaupt auf Fälle der vorliegenden Art anzuwenden ist (vgl. dazu BayVGH, Beschl. v. 22.08.2001 - 12 B 99.889 -, FEVS Bd. 53, 165), kommt es deshalb in diesem Zusammenhang nicht an.

C.

43

Die Erstattungsforderung des Klägers ist aber hinsichtlich aller Entgelte für Leistungen, die in der Zeit vom 08.02.1993 bis zum 31.12.1993 einschließlich durch die Einrichtung an den Hilfeempfänger, Herrn Sch., erbracht worden sind, verjährt.

44

Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 03.07.2000 gegenüber dem Erstattungsbegehren des Klägers, soweit es die Entgelte für die dem Hilfeempfänger in der Zeit vom 08.02.1993 bis zum 31.12.1993 einschließlich gewährte Hilfe betrifft, die Einrede der Verjährung erhoben. Diese Einrede war im Zeitpunkt ihrer Erhebung begründet. Gemäß § 113 Abs. 1 SGB X in der bis zum 31.12.2000 gültig gewesenen Fassung verjähren Erstattungsansprüche in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind.

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Soweit der Beginn der Verjährungsfrist vom "Entstehen" eines Anspruchs abhängt, ist darunter in der Regel der Zeitpunkt zu verstehen, an welchem der Anspruch erstmalig geltend gemacht und notfalls im Wege der Klage durchgesetzt werden kann (BGH, Urt. v. 17.2.1971 - VIII ZR 4/70 -, BGHZ 55, 340 <341>). Nicht erforderlich ist, dass der Anspruch bereits beziffert und Gegenstand einer Leistungsklage sein kann. Um die Verjährung in Lauf zu setzen, genügt vielmehr die Möglichkeit, eine die Verjährung unterbrechende Feststellungsklage zu erheben (BGH, Urt. v. 18.12.1980 - VII ZR 41/80 -, BGHZ 79, 176 <177>). Erstattungsansprüche nach §§ 8 Abs. 3 Satz 2, 5 a Nds. AG-BSHG "entstehen" mangels anderweitiger Regelung mithin jeweils in dem Moment, in dem der örtliche Träger der Sozialhilfe anstelle des überörtlichen Trägers für diesen tätig wird und damit die rechtlichen Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs erfüllt sind. Bei den Ansprüchen auf Gewährung von Eingliederungshilfe (§ 39 BSHG) und auf Gewährung von Hilfe zur Pflege (§§ 68 ff. BSHG) handelt es sich um Ansprüche des Hilfebedürftigen selbst und nicht des Trägers der Einrichtung, in der der Hilfebedürftige betreut wird. Die Hilfegewährung erfolgt durch den jeweils zuständigen Träger der Sozialhilfe in Form einer Sachleistung. Die Sachleistung besteht in der von dem Träger der Sozialhilfe finanzierten Betreuung des Hilfebedürftigen durch die Einrichtung. Es kommt deshalb nicht darauf an, wann der vorleistenden Träger der Sozialhilfe die von der Einrichtung in Rechnung gestellten Hilfeleistungen tatsächlich ganz oder teilweise bezahlt oder wann mit der Einrichtung eine Pflegesatzvereinbarung zustande kommt und damit endgültig feststeht, welches Entgelt der Einrichtung zusteht (vgl. Pickel, SGB X, § 111 Rdnr. 32). Diese Betrachtungsweise stimmt auch damit überein, dass - wie oben ausgeführt - es für die "Geltendmachung" des Erstattungsanspruchs im Sinne von § 111 Satz 1 SGB X auf eine Bezifferung nicht ankommt.

46

Die im Laufe des Jahres 1993 entstandenen Erstattungsansprüche sind gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X a.F. nach vier Jahren ab Ablauf des Jahres 1993, also mit dem 31.12.1997 verjährt. Eine Hemmung der Verjährung gemäß § 113 Abs. 2 SGB X i.V.m. §§ 202 ff. BGB a.F. oder eine Unterbrechung der Verjährung gemäß § 113 Abs. 2 SGB X i.V.m. §§ 208 ff. BGB a.F., insbesondere durch gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs vor Ablauf der Verjährungsfrist (§ 209 BGB a.F.), ist nicht erfolgt.

47

Allerdings ist § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X - ebenso wie der oben bereits erwähnte § 111 Satz 2 SGB X - durch Art. 10 Nr. 8 des 4. Euro-Einführungsgesetzes vom 21.12.2000 (BGBl I. S. 1983) geändert worden. Nach Art. 68 Abs. 1 des 4. Euro-Einführungsgesetzes ist sein Art. 10 ab 01.01.2001 in Kraft getreten, so dass nach der Übergangsregelung des § 120 Abs. 2 SGB X n. F. der § 113 Abs. 1 SGB X in der vom 01.101.2001 an geltenden Fassung auf die Erstattungsverfahren anzuwenden ist, die - wie hier - am 01.06.2000 noch nicht abschließend entschieden waren.

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Einem Ausschluss der Verjährung durch die gesetzliche Neuregelung steht hier aber - erstens - entgegen, dass nach dem in Art. 169 Abs. 2 EGBGB zum Ausdruck kommenden allgemeinen Rechtsgedanken eine Neuregelung von Verjährungsfristen stets nur auf bei Inkrafttreten der Neuregelung noch nicht verjährte Ansprüche Anwendung findet.

49

Einem Ausschluss der Verjährung durch die gesetzliche Neuregelung steht hier - zweitens - entgegen, dass § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X n. F. aufgrund seines Regelungsinhalts auf Fälle der vorliegenden Art nicht anwendbar ist.

50

Nach § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X n. F. verjähren Erstattungsansprüche in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über dessen Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat (§ 113 Abs. 1 Satz 2 SGB X n. F. ist hier nicht einschlägig). Der Wortlaut des Satzes könnte es nahe legen, in Fällen der vorliegenden Art den "erstattungsberechtigten Leistungsträger" mit dem örtlichen Träger der Sozialhilfe und den "erstattungspflichtigen Leistungsträger" mit dem überörtlichen Träger gleichzusetzen. Das würde im vorliegenden Fall dazu führen, dass gerechnet ab der endgültigen Weigerung des Beklagten mit dem Schreiben vom 12.03.1996, einen Erstattungsanspruch des Klägers für die Zeit ab dem 08.02.1993 anzuerkennen, die Verjährung bei Klageerhebung im Dezember 1998 noch nicht eingetreten und der Lauf der Verjährungsfrist durch die Klageerhebung unterbrochen wäre. Ein solches Verständnis des § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X n. F. widerspräche aber dem vom Gesetzgeber gewollten Inhalt der Neuregelung des § 113 Abs. 1 SGB X n. F..

51

Im dritten Kapitel, zweiten Abschnitt des SGB X (§§ 102 bis 114) werden die Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander geregelt. § 113 SGB X (Verjährung) steht somit im einem systematischen Zusammenhang mit § 111 SGB X (Ausschlussfrist). Der Beginn der Frist wird in § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X und - ergänzend zu § 111 Satz 1 SGB X - in § 111 Satz 2 SGB X n. F. teilweise wortgleich bestimmt, nämlich unter Bezugnahme auf einen Zeitpunkt, "in dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine/dessen Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat". Diese Wortgleichheit weist auf die Entstehungsgeschichte der Neufassung beider Paragraphen und den Sinn der Neufassung.

52

In der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf des 4. Euro-Einführungsgesetzes (BT-Drs. 14/4375) heißt es zu § 111 SGB X (BT-Drs. S. 60):

53

"§ 111 Satz 1 SGB X entspricht unverändert dem geltenden Recht.

54

Durch die Neufassung des § 111 Satz 2 SGB X wird klargestellt, welcher Zeitpunkt für den Beginn der Frist zum Ausschluss des Erstattungsanspruchs des Erstattungsberechtigten gegenüber dem zur Erstattung verpflichteten Sozialleistungsträger maßgebend ist. Damit wird der ursprünglichen Intention Rechnung getragen, dass Erstattungsansprüche auch Leistungen des Erstattungsberechtigten und -verpflichteten für Zeiträume erfassen können, deren Ende länger als zwölf Monate zurückliegt. In solchen Fällen auf die möglicherweise mehrere Jahre zurückliegende Entstehung des Erstattungsanspruchs abzustellen, ist nicht sachgerecht, weil der erstattungsberechtigte Träger in solchen Fällen keine Möglichkeit hätte, seinen Erstattungsanspruch fristgerecht geltend zu machen.

55

So wurde einer ehemaligen Arbeitslosenhilfeempfängerin - nachdem dieser Leistungsbezug schon über ein Jahr abgeschlossen war - durch einen Träger der Unfallversicherung rückwirkend Versichertenrente für die Zeit des Bezugs der Arbeitslosenhilfe bewilligt. Obwohl dem Arbeitsamt der Anspruch auf Versichertenrente erst aufgrund der übersandten Durchschrift des Bewilligungsbescheides bekannt wurde, hat das BSG den daraufhin geltend gemachten Erstattungsanspruch der BA wegen der erbrachten Arbeitslosenhilfe aufgrund der Jahresfrist des § 111 SGB X als ausgeschlossen angesehen. Entsprechend hat das BSG im Verhältnis Kranken/Rentenversicherung einerseits und Unfallversicherung andererseits entschieden."

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Daraus wird deutlich, dass die verwendete Gesetzesformulierung auf eine ganz bestimmte Fallkonstellation abstellt, dass nämlich im Einzelfall verschiedene miteinander konkurrierende Leistungsträger zu unterschiedlichen Zeitpunkten Entscheidungen über ihre Leistungspflicht gegenüber dem Leistungsberechtigten treffen; für die übrigen Fälle verbleibt es bei der allgemeinen Regelung des § 111 Satz 1 SGB X n. F..

57

Die Neufassung der Verjährung in § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X n. F. knüpft unmittelbar an die Neufassung des § 111 Satz 2 SGB X  n. F. an. In der Begründung zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drs. 14/4375 S. 60) heißt es dazu: "Die Änderung des § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist eine Folgeänderung zur Neufassung des § 111 Satz 2 SGB X, um die Verjährungsfrist mit der Ausschlussfrist des § 111 SGB X kompatibel zu gestalten...". Die unmittelbare Übernahme des Wortlauts des § 111 Satz 2 2. Halbs. SGB X n. F. in § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X n. F. verdeutlicht, dass auch bei der Formulierung dieser Verjährungsregelung nur der bereits erwähnte und im Sozialversicherungsrecht nicht seltene Fall erfasst worden ist, dass verschiedene Leistungsträger zu verschiedenen Zeitpunkten Entscheidungen über ihre Leistungspflicht gegenüber dem Leistungsberechtigten treffen und sich dann Erstattungsansprüche des einen Leistungsträgers gegen den anderen Leistungsträger ergeben. Für den vorliegenden, für das Sozialhilferecht typischen Fall des Erstattungsstreits zwischen den örtlichen und dem überörtlichen Träger der Sozialhilfe passt diese Regelung ersichtlich nicht. Denn in diesem Fall hat der Kläger als örtlicher Träger der Sozialhilfe eine Entscheidung über die Leistungsgewährung gegenüber dem Hilfeempfänger getroffen. Eine Entscheidung des Beklagten als überörtlichem Träger der Sozialhilfe über eine eigene Leistungspflicht gegenüber dem Hilfeempfänger erfolgt nicht und kann gemäß der aus dem BSHG und dem einschlägigen Landesrecht folgenden Strukturen der Zuständigkeiten des örtlichen Trägers einerseits und des überörtlichen Trägers andererseits auch nicht erfolgen. Auf Fälle der vorliegenden Art ist deshalb § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X n. F. bei Verständnis des Wortlauts entsprechend dem Regelungswillen des Gesetzgebers nicht anwendbar (vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fall bei Anwendung des § 111 SGB X n. F. BayVGH, Beschl. v. 22.08.2000 - 12 B 99.889 -, FEVS Bd. 53, 165).

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Daraus folgt aber nicht, dass es für Fälle der vorliegenden Art eine Verjährungsfrist nicht gäbe. § 113 Abs. 1 SGB X n. F. ist vielmehr zu entnehmen, dass der Gesetzgeber grundsätzlich an der vierjährigen Verjährungsfrist für Erstattungsansprüche festhalten wollte. Da lediglich die Bestimmung des Beginns der Verjährungsfrist durch das "Herüberziehen" der Definition des Zeitpunkts aus § 111 Satz 2 SGB X n. F. für Fälle der vorliegenden Art nicht passt, ist § 113 Abs. 1 Satz 1 seinem Sinn entsprechend dahin auszulegen, dass in Fällen der vorliegenden Art, in denen der auf Erstattung in Anspruch genommene Leistungsträger eine Entscheidung über seine Leistungspflicht gegenüber dem Leistungsempfänger nicht trifft, weiterhin wie in § 113 Abs. 1 SGB X a. F. auf den Zeitpunkt des "Entstehens" des Erstattungsanspruchs abzustellen ist. Danach ist hier - wie oben ausgeführt - der Erstattungsanspruch des Klägers auf Erstattung verjährt hinsichtlich aller Entgelte für Leistungen, die bis einschließlich 31.12.1993 an den Hilfeempfänger erbracht worden sind. Ausgeschlossen ist somit eine Erstattung von Aufwendungen für alle Leistungen, die ihren Ursprung im Jahr 1993 hatten. Darauf, wann eine Pflegesatzvereinbarung für das Jahr 1993 abgeschlossen worden ist, wann die Einrichtung die dem Hilfeempfänger im Jahr 1993 gewährte Betreuung in Rechnung gestellt hat und wann hierauf vorläufige oder endgültige Zahlungen erfolgt sind, kommt es nicht an.

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Zusammengefasst ist somit das Erstattungsbegehren des Klägers (nur) für den Zeitraum vom 01.01.1994 bis zum 29.05.1996 einschließlich begründet.

60

Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, wobei der Senat Anhaltspunkte für die Kostenaufteilung der von dem Kläger mit Schriftsatz vom 08.04.20002 übermittelten überschlägigen Kostenberechnung entnimmt.