Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 12.01.2005, Az.: 7 LA 101/04

Klassifizierung von Straßen anhand der überwiegenden Verkehrsbedeutung; Definition des Begriffs "Landesstraße"; Maßgeblichkeit der tatsächlichen Verkehrsbeziehungen für die Klassifizierung einer Straße; Zuständigkeit der Gemeinde für die Planung einer überörtlichen Straße

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
12.01.2005
Aktenzeichen
7 LA 101/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 10016
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2005:0112.7LA101.04.0A

Fundstellen

  • NordÖR 2005, 134-135 (Volltext mit amtl. LS)
  • NuR 2006, 204 (amtl. Leitsatz)

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Für die Frage, ob eine Straße im Rahmen der straßenplanungsrechtlichen Zuordnung als gemeindliche Verbindungs- bzw. Ortsentlastungsstraße oder als Landesstraße einzustufen ist, kommt es im niedersächsischen Straßenrecht entscheidend auf die überwiegend bestehenden tatsächlichen Verkehrsbeziehungen an.

  2. 2.

    Zu den Gemeindestraßen gehören auch Straßen im Außenbereich, die vorwiegend den nachbarlichen Verkehr der Gemeinden oder Ortsteile untereinander oder den Verkehr mit anderen öffentlichen Verkehrswegen vermitteln. Der Charakter einer solchen Gemeindeverbindungsstraße wird nicht dadurch entscheidend verändert, dass der gemeindeverbindende Verkehr auch Teilstücke höher klassifizierter Straßen benutzt. Ebenso wenig bedeutet der Umstand, dass der Verkehr nach Benutzung der geplanten Trasse in höher klassifizierte Straßen einmünden wird, dass auch die geplante Straße höher einzustufen wäre.

  3. 3.

    Ein Grundstückseigentümer hat nur dann einen Anspruch auf gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Planfeststellungsbeschlusses, wenn dieser eine enteignende Vorwirkung hat, d.h. wenn das betreffende Grundstück in Ausführung des planfestgestellten Vorhabens in Anspruch genommen werden soll. Wirkt das Planfeststellungsverfahren hingegen nur mittelbar durch die mit ihr verbundene Situationsveränderung in der Umgebung des Planvorhabens auf seine Rechtsposition ein, bestimmt der betreffende Planfeststellungsbeschluss lediglich die Schranken des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG.

Gründe

1

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 3 VwGO sind nicht gegeben.

2

1.

Mit dem Zulassungsantrag werden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht dargelegt.

3

a)

Die Kläger rügen, der Beklagte habe als Planfeststellungsbehörde das Vorhaben einer Verbindungsstraße von der Kreisstraße 210 bis zur Kreisstraße 242 fehlerhaft als gemeindliche Verbindungs- bzw. Ortsentlastungsstraße und nicht als Landesstraße eingestuft. Sie wenden sich damit gegen die Zuständigkeit des Beklagten für die Planfeststellung des Vorhabens. Ernstliche Zweifel bestehen insoweit jedoch nicht.

4

Gemäß § 38 Abs. 6 Satz 1 NStrG in der hier anzuwendenden Fassung ist Planfeststellungsbehörde für Landesstraßen die Bezirksregierung, im Übrigen der Landkreis oder die kreisfreie Stadt. Wie eine Straße einzustufen ist, ergibt sich nach § 3 Abs. 1 NStrG aus ihrer überwiegenden Verkehrsbedeutung. Danach sind Landesstraßen solche Straßen, die innerhalb des Landesgebietes untereinander oder zusammen mit den Bundesfernstraßen ein Verkehrsnetz bilden und überwiegend einem über das Gebiet benachbarter Landkreise und kreisfreier Städte hinausgehenden Verkehr, insbesondere dem Durchgangsverkehr, dienen oder zu dienen bestimmt sind (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 NStrG). Das Gesetz knüpft damit vornehmlich an die tatsächlichen Gegebenheiten hinsichtlich der räumlichen Verkehrsbeziehungen an. Daneben hat der Gesetzgeber mit der Anfügung der Worte "oder zu dienen bestimmt sind" durch Art. I Nr. 2 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Straßengesetzes vom 29. Juli 1980 (GVBl. S. 283) die Absicht verfolgt, auch die Zweckbestimmung einer Straße nach funktionalen Zielsetzungen für die Einstufung maßgeblich sein zu lassen (vgl. dazu OVG Lüneburg, Urt. v. 15.10.1980 - 12 OVG A 181/80 -, Nds. Rpfl. 1981, 129; Urt. v. 14.2.1994 - 12 L 7201/91 -, DVBl. 1994, 1203; Wendrich, NStrG, 4. Aufl., A 1, § 3 Rn. 2). Gemessen an diesen Voraussetzungen ist die geplante Verbindung nicht als Landesstraße mit der Folge der im Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses fehlenden Zuständigkeit des Beklagten einzustufen.

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Wie der Planfeststellungsbeschluss des Beklagten vom 1. Juni 2001 näher ausführt, dient die geplante Trasse vor allem der Entlastung der Orte Hage und Lütetsburg sowohl vom Durchgangsverkehr als auch vom örtlichen Verkehr und ist sie als kommunale Entlastungsstraße konzipiert (PFB S. 18). Selbst wenn die geplante Verbindungsstraße als Kreisstraße anzusehen wäre, folgte daraus nicht die Unzuständigkeit des Beklagten. Der Umstand, dass sie in erheblichem Umfang Verkehr aufnehmen soll und wird, der bisher die durch die Ortslagen von Hage und Lütetsburg verlaufende Landesstraße benutzt, zwingt nicht zu der Annahme, dass die neue Verbindungsstraße als Landesstraße einzuordnen ist. Im innerörtlichen und ortsnahen Bereich überschneiden sich vielfach die Verkehrsfunktionen von Straßen. Für die Frage der straßenplanungsrechtlichen Zuordnung kommt es entscheidend auf die überwiegend bestehenden tatsächlichen Verkehrsbeziehungen an. Der "Verkehrsuntersuchung Hage" der Planungsgemeinschaft Dr.-Ing. D. E. vom November 1999, auf die der Planfeststellungsbeschluss insoweit abhebt, ist zu entnehmen, dass es sich bei den Verkehrsströmen im Zuge der Landesstraße 6 im Wesentlichen um zwischengemeindliche und regionale Verkehrsbeziehungen handelt. Von dem im Westabschnitt der Landesstraße 6 festgestellten Verkehr kommt rund die Hälfte der Fahrten aus dem Raum Hage; weiträumige Fahrten wurden hingegen nur in sehr geringem Umfang ermittelt. Die bei weitem stärkste Zielnennung ist die Stadt Norden mit 87 % der Fahrten (vgl. insbesondere S. 6 f. der Verkehrsuntersuchung). Diese auf Verkehrszählungen und Befragungen beruhenden Erkenntnisse stellen die Kläger nicht einmal ansatzweise in Frage. Der Senat hat auch sonst keinen Grund, an der Aussagekraft und Zuverlässigkeit der Untersuchung zu zweifeln.

6

Dass der Verkehr nach Benutzung der geplanten Trasse in höher klassifizierte Straßen einmünden wird, bedeutet nicht, dass auch die geplante Straße höher einzustufen wäre. Zu den Gemeindestraßen gehören auch Straßen im Außenbereich, die vorwiegend den nachbarlichen Verkehr der Gemeinden oder Ortsteile untereinander oder den Verkehr mit anderen öffentlichen Verkehrswegen vermitteln (§ 3 Abs. 1 Nr. 3, § 47 NStrG). Der Charakter einer Gemeindeverbindungsstraße wird nicht dadurch entscheidend verändert, dass der gemeindeverbindende Verkehr auch Teilstücke höher klassifizierter Straßen benutzt. Es ist nicht erforderlich, dass der Verkehr durchgehend von einem Ort zum anderen über ein und dieselbe Straßenkategorie verlaufen muss. Wesentlich ist vielmehr, welche konkrete Verkehrsbedeutung tatsächlich das betreffende Verbindungsstück hat (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 15.10.1980, aaO, S. 131 f.). Deshalb kommt es weder darauf an, dass die geplante Straße nicht nur an die K 242, sondern nach deren Fertigstellung auch an die Ortsumgehung Norden angebunden werden soll, noch darauf, ob eine Teilstrecke der bisherigen Landesstraße 6 westlich der geplanten Ortsumgehung Norden eingezogen oder im Stadtgebiet von Norden zu einer Kreisstraße herabgestuft werden soll.

7

Dass die Landesstraße 6 zwischen Hage und dem Anschluss an die K 242 nach Vollendung der geplanten Verbindungsstraße an Bedeutung verlieren wird, ist naheliegend und sogar beabsichtigt. Die Vorstellung, dass die neue Straße damit die Funktion einer Landesstraße übernehme, geht jedoch fehl. Wie dargelegt kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächlichen Verkehrsbeziehungen an, die eine derartige Einstufung nach den getroffenen Feststellungen des Verkehrsgutachters und der darauf aufbauenden Prognose nicht rechtfertigen. Unter diesen Umständen kann dahinstehen, ob das von den Klägern erwähnte Verkehrsgutachten zum Baugebiet "Breiter Weg" erstmals die Umgestaltung der Hager Hauptstraße bzw. der dortigen Landesstraße 6 darstellt. Für die Beurteilung der Frage der Zuständigkeit des Beklagten ergeben sich daraus jedenfalls keine weiterführenden und den Klägern günstigen Gesichtspunkte. Ebenso wenig ist erkennbar, inwiefern die Kläger durch die insoweit angeblich unvollständige Auslegung der Planfeststellungsunterlagen in ihren Rechten berührt sein und deshalb mit ihrem Aufhebungsantrag durchdringen könnten.

8

b)

Da durchgreifende Zweifel an der Zuständigkeit des Beklagten somit nicht bestehen, bedarf keiner näheren Erörterung, ob die Kläger - wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - überhaupt einen Anspruch darauf haben, dass der Planfeststellungsbeschluss in jeder Hinsicht, also unabhängig von einer Betroffenheit in eigenen Rechten und Belangen, auf seine Rechtmäßigkeit überprüft wird. Ein solcher Anspruch besteht, wenn ein Planfeststellungsbeschluss enteignende Vorwirkung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 GG entfaltet. Daran fehlt es indes, wenn eine Planung nur mittelbar ohne Grundstücksinanspruchnahme durch die mit ihr verbundene Situationsveränderung in der Umgebung des Planvorhabens auf eine Rechtsposition Dritter einwirkt. In diesem Fall bestimmt der Planfeststellungsbeschluss lediglich die Schranken des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. nur aus neuerer Zeit BVerwG, Urt. v. 7.7.2004 - 9 A 21.03 -, NVwZ 2004, 1358). So verhält es sich aber hier, denn Grundeigentum der Kläger wird in Ausführung des planfestgestellten Vorhabens nicht in Anspruch genommen. Unter diesen Umständen liegt es nahe, den Klägern eine Rügebefugnis nur zuzubilligen, sofern der geltend gemachte Zuständigkeitsmangel das Recht der Kläger auf gerechte Abwägung ihrer Belange betrifft (vgl. Senat, Beschl. v. 16. 12. 1993 - 7 M 2914/93 -). Derartige Abwägungsmängel hat das Verwaltungsgericht jedoch nach näherer Prüfung verneint. Mit dem Zulassungsantrag wird nichts vorgetragen, was diese Beurteilung des Verwaltungsgerichts zweifelhaft erscheinen lassen könnte.

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2.

Die Rechtssache weist besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) nicht auf. Die Kläger meinen solche in dem "Grundproblem der Klassifizierung von Straßen" und in der Frage erkennen zu können, "inwieweit der subjektive Faktor der Zweckbestimmung der gerichtlichen Überprüfung unterliegt." Die für die Einstufung von Straßen erheblichen Maßstäbe sind indes dem Niedersächsischen Straßengesetz nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Gesetzeszweck mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen. Besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art werden auch nicht durch die Frage ausgelöst, welche tatsächliche Verkehrsbedeutung die geplante Verbindungsstraße hat. Auf den nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses geschlossenen Vertrag zwischen der Beigeladenen und dem Land Niedersachsen über die Übernahme der Straßenbaulast kommt es nach den vorstehenden Erwägungen nicht an.

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3.

Die Frage, ob dieser Vertrag wirksam und rechtmäßig ist und welche Bedeutung er gegebenenfalls für das vorliegende Verfahren hat, ist mithin auch nicht geeignet, dieser Rechtssache eine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zu vermitteln.