Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.01.2005, Az.: 8 ME 181/04
Abrechnungsbetrug; Approbation; Arzt; Prognose; Rechtsschutzbedürfnis; Ruhen; Ruhensanordnung; Sofortvollzug; Untersuchungshaft; Wiederherstellung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 19.01.2005
- Aktenzeichen
- 8 ME 181/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 51018
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 01.07.2004 - AZ: 5 B 976/04
Rechtsgrundlagen
- § 6 Abs 1 Nr 1 BÄO
- Art 12 GG
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem sein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt worden ist, ist begründet.
Für den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruches gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Ruhens seiner Approbation besteht weiterhin ein Rechtsschutzbedürfnis. Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt nur, wenn der beantragte Rechtsschutz dem Antragsteller keine rechtlichen oder tatsächlichen Vorteile bringen kann. Bei Gewährung des beantragten vorläufigen Rechtsschutzes darf der Antragsteller vorläufig weiterhin bzw. wieder als Arzt tätig sein, d.h. der beantragte Rechtsschutz ist für ihn rechtlich vorteilhaft. Dieser rechtliche Vorteil für den Antragsteller entfällt nicht dadurch, dass er sich zur Zeit in Untersuchungshaft befindet und Berufsunfähigkeitsrente beantragt hat. Aus den dem Senat vorliegenden - teilweise widersprüchlichen - ärztlichen Gutachten lässt sich nicht entnehmen, dass der Antragsteller gesundheitsbedingt zur Ausübung einer ärztlichen Tätigkeit nicht mehr in der Lage ist. Da die Haftdauer des Antragstellers nicht feststeht, kann auch nicht angenommen werden, dass er unabhängig vom Ausgang dieses Verfahrens bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bereits bedingt durch die Haft einer ärztlichen Tätigkeit nicht mehr nachgehen und daher die streitige Approbation ohnehin nicht nutzen kann. Im Übrigen hat er sich darauf berufen, dass er eine private Krankentagegeldversicherung unterhält, deren Leistungen vom Fortbestand der streitigen Approbation abhängig sind.
Der demnach zulässige Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist auch begründet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. zum Folgenden Beschl. v. 12.3.2004 - 1 BvR 540/04 -, NVwZ-RR 2004, 545 ff., m. w. N.) sind Eingriffe in die Berufsfreiheit durch die Anordnung des Ruhens der Approbation unter Anordnung der sofortigen Vollziehung nur unter strengen Voraussetzungen zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft. Überwiegende öffentliche Belange können es ausnahmsweise rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Wegen der gesteigerten Eingriffsintensität beim Sofortvollzug einer Anordnung des Ruhens der Approbation sind hierfür jedoch nur solche Gründe ausreichend, die im angemessenen Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehen und ein Zuwarten bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptverfahrens ausschließen. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt von einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls und insbesondere davon ab, ob eine weitere Berufstätigkeit konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lässt.
Auf die demnach grundsätzlich erforderliche Feststellung, dass eine zukünftige ärztliche Tätigkeit des Arztes mit einer solchen Gefahr verbunden ist, kann vorliegend nicht deshalb ausnahmsweise verzichtet werden, weil der Antragsteller gegenwärtig nicht ärztlich tätig ist. Denn die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Anordnung des Sofortvollzuges bezieht sich auf den Zeitraum bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung über den angefochtenen Bescheid im Hauptsacheverfahren. Es ist aber nach den vorhergehenden Ausführungen nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller in diesem Zeitraum wieder eine ärztliche Tätigkeit aufnimmt.
Ob ein vorläufiges Berufsverbot zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter erforderlich ist, hängt entscheidend von der Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter ab. Je bedeutsamer die Rechtsgüter sind, die durch das vorläufige Berufsverbot geschützt werden sollen, desto geringer sind die Anforderungen, die an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts zu stellen sind. Dabei genießen die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit allerhöchsten Rang (vgl. Senatsbeschl. v. 16.3.2004 - 8 ME 164/03 -, NJW 2004, 1750, m. w. N.). Der Senat hat daher die sofortige Vollziehung der Anordnung des Ruhens der ärztlichen Approbation dann für erforderlich erachtet, wenn in tatsächlicher Hinsicht hinreichende konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein Arzt bei der Ausführung seines Berufs Straftaten gegen das Leben und die Gesundheit von Patienten begangen hat und nicht auszuschließen ist, dass dies in Zukunft wieder geschieht (vgl. Senatsbeschl. v. 16.3.2004, a. a. O.). Auf eine konkrete Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit von Patienten des Antragstellers ist die hier streitige Ruhensanordnung jedoch nicht gestützt worden. Aus dem Tatvorwurf, der Gegenstand des Strafverfahrens vor dem Amtsgericht - Schöffengericht -C. ist, lässt sich eine konkrete Gefahr für Leben oder Gesundheit von Patienten des Antragstellers ebenfalls nicht entnehmen.
Inwieweit der stattdessen dem Antragsteller vorgehaltene Abrechnungsbetrug nach den strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts überhaupt noch geeignet ist, als Begründung für konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter herangezogen zu werden, kann vorliegend dahinstehen. Es fehlen jedenfalls hinreichend konkrete Anhaltspunkte für die notwendige Prognose, dass der Antragsteller bei einer Wiederaufnahme seiner ärztlichen Tätigkeit durch falsches Abrechnungsverhalten seine Berufspflichten und damit zugleich ein wichtiges Gemeinschaftsgut verletzen wird. Eine Wiederaufnahme der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als D. ist ihm allerdings nach den ärztlichen Gutachten gesundheitlich ohnehin unmöglich. Von daher fällt es schon schwer zu beurteilen, in welcher Form genau der Antragsteller zukünftig noch einmal ärztlich tätig werden wird und ob er dabei Gelegenheit erhält, eigenständig gegenüber Sozialleistungsträgern oder Patienten falsche Abrechnungen zu erstellen. Vor allem aber sind seit dem letzten Betrugsvorwurf mehr als fünf Jahre vergangen. Aus der Zeit von 1999 bis zum Jahresende 2003, in der er nach seinen Angaben einer vertragsärztlichen Tätigkeit in Hildesheim nachgegangen ist, sind keine Verstöße gegen Berufspflichten, insbesondere durch unzutreffende Abrechnungen, bekannt geworden. Daher kann nicht festgestellt werden, dass ohne Anordnung des Sofortvollzugs der Ruhensanordnung die konkrete Gefahr für ein wichtiges Gemeinschaftsgut durch erneuten Abrechnungsbetrug seitens des Antragstellers besteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 53 Abs. 3 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG. Gemäß Ziffer 16.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (DVBl. 2004, 1525 ff.) bemisst sich der Wert im Hauptsacheverfahren bei einem Streit um eine Approbation nach dem Jahresbetrag des erzielten oder erwarteten Verdienstes, beträgt jedoch mindestens 30.000,-- EUR. Der demnach für ein Hauptsacheverfahren zu Grunde zu legende Mindestbetrag von 30.000,--EUR ist gemäß Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für das vorläufige Rechtsschutzverfahren halbiert worden.