Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 04.01.2005, Az.: 7 ME 240/04

Zur Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung vor Errichtung und der Betrieb einer Legehennenanlage; Verwendung von im Verwaltungsverfahren erstellten Sachverständigengutachten im Gerichtsverfahren

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
04.01.2005
Aktenzeichen
7 ME 240/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 28883
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2005:0104.7ME240.04.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 15.09.2004 - AZ: 4 B 3984/04

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 7. Senat -
am 18. November 2004
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 4. Kammer - vom 15. September 2004 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 15.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Die Beschwerde ist unbegründet.

2

Die noch von dem nach § 67 Abs. 1 VwGO zur Vertretung befugten früheren Bevollmächtigten des Antragstellers dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO), rechtfertigen eine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses nicht.

3

Das Verwaltungsgericht hat entschieden, dass das Interesse des Beigeladenen an der sofortigen Ausnutzung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, die der Antragsgegner ihm unter dem 21. Juni 2004 für die Errichtung und den Betrieb einer Anlage zum Halten von Legehennen erteilt hat und deren sofortige Vollziehung am 26. Juli 2004 angeordnet worden ist, das Interesse des Antragstellers an einem Aufschub überwiegt, weil sich bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung absehen lasse, dass der Rechtsbehelf des Antragstellers keinen Erfolg haben werde. Diese im Einzelnen begründete Beurteilung wird durch das Beschwerdevorbringen des Antragstellers nicht erschüttert.

4

Die von dem Antragsteller vermisste Umweltverträglichkeitsprüfung hat der Antragsgegner auf Grund der nach § 3c Abs. 1 UVPG durchgeführten Vorprüfung als nicht erforderlich angesehen. Angesichts der hier gegebenen Umstände ist nicht erkennbar, warum diese Beurteilung fehlerhaft sein könnte. Davon abgesehen kann sich der Antragsteller - wie das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend erkannt hat - insoweit nicht auf eine verfahrensrechtlich geschützte und selbstständig durchsetzbare Rechtsposition unabhängig von seiner materiell-rechtlichen Betroffenheit berufen (vgl. dazu z.B. BVerwG, Urt. v. 25.1.1996 - 4 C 5.95 -, BVerwGE 100, 238, 252) [BVerwG 25.01.1996 - 4 C 5/95]. Dass die angefochtenen Genehmigung unter Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften erteilt worden ist und den Antragsteller in eigenen Rechten verletzt, hat das Verwaltungsgericht indes ohne Rechtsfehler verneint. Auch das Beschwerdevorbringen bietet keinen Anhalt für eine andere Beurteilung.

5

Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, nach dem derzeit erkennbaren Sachstand sei mit hinreichender Sicherheit davon auszugehen, dass die Errichtung und der Betrieb der Legehennenanlage voraussichtlich keine schädlichen Umwelteinwirkungen für den Antragsteller hervorrufen werde, ist nicht zu beanstanden. Dabei durfte sich das Verwaltungsgericht auf das im Genehmigungsverfahren vorgelegte immissionsschutzrechtliche Gutachten des Dipl. Ing. E. vom 16. März 2004 stützen, das zu dem Ergebnis kommt, dass die Genehmigungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG auch unter Berücksichtigung der Vorbelastung durch die vorhandene Stallanlage erfüllt sind. Die Bedenken des Antragstellers hinsichtlich der Heranziehung dieses Gutachtens sind unbegründet. Ein Tatsachengericht kann sich grundsätzlich ohne Verstoß gegen seine Aufklärungspflicht auf eine gutachterliche Stellungnahme stützen, die im Verwaltungsverfahren vorgelegt worden ist. Die Einholung zusätzlicher Sachverständigengutachten oder gutachtlicher Stellungnahmen liegt nach § 98 VwGO i.V.m. § 404 Abs. 1, § 412 Abs. 1 ZPO im Ermessen des Gerichts. Dieses Ermessen wird nur dann verfahrensfehlerhaft ausgeübt, wenn das Gericht von der Einholung weiterer Gutachten absieht, obwohl die Notwendigkeit einer weiteren Beweiserhebung sich ihm hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.3.1992 - 4 B 39.92 -, NVwZ 1993, 268). So liegt es hier nicht.

6

Die Darlegungen in dem genannten Gutachten sind nachvollziehbar und plausibel. Substantiierte Einwendungen gegen die der gutachtlichen Bewertung zu Grunde liegenden Feststellungen bringt der Antragsteller auch nicht vor. Angesichts des hier gegebenen Abstandes zwischen dem Wohnhaus des Antragstellers und der geplanten Anlage von ca. 580 m, der damit - wie das Verwaltungsgericht näher ausgeführt hat - weit über dem nach der TA Luft und nach der einschlägigen VDI-Richtlinie erforderlichen Mindestabstand liegt, können nachteilige Wirkungen für den Antragsteller mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden. Das Verwaltungsgericht hat ferner zutreffend darauf hingewiesen, dass das Wohnhaus westlich der geplanten Anlage und damit nicht in der Hauptwindrichtung liegt. In dem immissionsschutzrechtlichen Gutachten wird dazu ausgeführt, dass nur in 12,5 % der Jahresstunden Ostwinde unter ungünstigsten Umständen Gerüche der Stallanlage in Richtung auf das Wohnhaus des Antragstellers heranführen können (Gutachten Bl. 21). Dort wird ferner festgestellt, dass die Ableitung der Geruchsstoffe nicht durch Wald oder sonstige natürliche Gegebenheiten behindert wird, also hier optimale Strömungsbedingungen gegeben sind (Bl. 7 des Gutachtens). Der Einwand des Antragstellers, dass das Gutachten seine spezifische Situation nicht erfasst habe, ist deshalb unbegründet.

7

Hinsichtlich der partikelförmigen Stoffe, die sich aus Stäuben und Mikroorganismen zusammensetzen, kommt das Gutachten zu der Feststellung, dass gesicherte Erkenntnisse über die Wirkung derartiger so genannter Bioaerosole auf Mensch und Umwelt bisher nicht vorliegen. Zwar könnten im direkten Umfeld von Ställen signifikant erhöhte Bioaerosolkonzentrationen in der Luft auftreten, sie unterlägen aber einem starken Konzentrationsabbau in der Atmosphäre, sodass in einem Abstand von 200 m von der Anlage keine Konzentrationen mehr messbar seien (Bl. 18 f. des Gutachtens). Diese Ausführungen decken sich mit Erkenntnissen, die das beschließende Gericht in anderen Verfahren gewonnen hat. Anhaltspunkte dafür, dass von Tierställen durch Luftübertragung vermittelte Krankheitserreger, wie insbesondere Mikroorganismen, Stäube und Endotoxine, ausgehen, die die menschliche Gesundheit ernsthaft zu gefährden im Stande sind, liegen jedenfalls bei den hier in Rede stehenden Abständen nicht vor. Vielmehr entspricht es dem derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass schädliche Wirkungen von Luftverunreinigungen durch Stallluft in einer Entfernung von 180 m außerhalb der Hauptwindrichtung nicht nachgewiesen sind (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 6.12.2001 - 1 MA 3356/01 -, NVwZ-RR 2002, 731 m.w.N.).

8

Soweit der Antragsteller auf eine bereits eingetretene Beeinträchtigung seiner Gesundheit durch die vorhandene Anlage verweist, ist ein ursächlicher Zusammenhang nicht belegt. Im Übrigen ist Gegenstand dieses Verfahrens nicht der vorhandene und (bestandskräftig) genehmigte Legehennenstall, sondern allein die ca. 300 m weiter östlich geplante Stallanlage. Insoweit ist jedoch nicht einmal ansatzweise erkennbar, dass durch diese neue Anlage eine Verschlechterung der bestehenden Situation eintreten kann.

9

Die Kosten der erfolglosen Beschwerde trägt der Antragsteller nach § 154 Abs. 2 VwGO. Darin sind die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen nach § 162 Abs. 3 VwGO billigerweise einzubeziehen, weil er die Zurückweisung der Beschwerde beantragt und sich damit nach § 154 Abs. 3 VwGO einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat.

10

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 15.000,00 Euro festgesetzt.

Die Streitwertentscheidung beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 und § 47 Abs. 1 GKG. In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nimmt der Senat regelmäßig und auch hier eine Reduzierung des Streitwerts nicht vor.

Kalz
Peschau
Bremer