Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 10.12.2009, Az.: 6 A 118/09

Planfeststellungsbeschluss zur Errichtung eines Elbehochwasserdeiches; Schutz vor Überschwemmungen und Verminderung des Hochwasserrisikos als Planrechtfertigung

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
10.12.2009
Aktenzeichen
6 A 118/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2009, 30267
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2009:1210.6A118.09.0A

Verfahrensgegenstand

Neubau des Elbedeiches in der Ortslage B.

Redaktioneller Leitsatz

Soweit der von einem Planfeststellungsbeschluss durch eine enteignungsrechtliche Vorwirkung Betroffene Ersatz bzw. eine höhere Entschädigung für sein Grundstück verlangt bzw. eine Wertminderung seines Wohngrundstücks geltend macht, ist ein finanzieller Ausgleich nicht im Rahmen des Planfeststellungsbeschlusses zu regeln.

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Lüneburg - 6. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 10. Dezember 2009
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Stelter,
die Richterin Dr. Becker,
den Richter am Verwaltungsgericht H. Ludolfs sowie
die ehrenamtlichen Richter Schrader und Schoo
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Kläger kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen einen Beschluss des Beklagten vom 20. April 2009, mit dem dieser auf Antrag der beigeladenen Stadt Bleckede einen Plan zur Errichtung eines Elbehochwasserdeiches im Bereich der Ortschaft B. festgestellt hat.

2

Bei der Ortschaft B., die zum Gemeindegebiet der Beigeladenen gehört und etwa 10 km süd-östlich der Stadt Bleckede liegt, kam es bei den Elbehochwassern in den Jahren 2002, 2003 und 2006 zu Überschwemmungen und Schäden. Ein Hochwasserdeich existiert in diesem Bereich nicht. Es sind lediglich alte Verwallungen des Realverbandes Bruchdorf vorhanden, die die landwirtschaftlich genutzten Flächen zwischen B. und der Kläranlage C. schützen sollen. Bei den Elbehochwassern wurden auch bebaute Flächen überflutet und Gebäude geschädigt. Neben der Hochwassergefahr insbesondere für die Baulichkeiten bestand zudem das Risiko, dass Wasser gefährdende Stoffe, etwa aus der Abwasserkanalisation oder aus Heizöltanks, in das Elbewasser gelangen. Man versuchte jeweils eine weitergehende Überschwemmung der Ortslage durch Aufschüttung von Sanddämmen zu verhindern. Gleiches gilt für die in der Nähe befindliche gemeindliche Kläranlage C., die bei den Elbehochwassern ebenfalls zu überfluten drohte, so dass ungereinigte Abwässer in das Elbewasser gelangt wären.

3

Da ein Deichverband für den hier fraglichen Elbeabschnitt nicht existiert, beabsichtigt die Beigeladene aus den vorgenannten Gründen im Bereich der Ortschaft B. den Bau eines neuen Hochwasserdeiches. Dieser Deich soll eine Länge von 2.393 m haben und sich beginnend am westlichen Ortseingang von B. bis hinter die Kläranlage C. erstrecken. Es wird mit Baukosten von ca. 3,2 Mio. EUR zuzüglich der Kosten für die Umsetzung des landschaftspflegerischen Begleitplans und den Kosten für den Grunderwerb gerechnet. Nach Widmung des Deiches soll dieser voraussichtlich dem Deichverband D. zur Unterhaltung übergeben werden, der bereits die bestehenden Deichanlagen vom Ilmenausperrwerk bei Winsen bis zur Stadt Bleckede pflegt.

4

Im Rahmen der Planungen standen für den Verlauf des Hochwasserdeiches sieben unterschiedliche Varianten zur Diskussion. Die Varianten 1 und 2, die direkt entlang der Ortslage B. verlaufen und nur eine Eindeichung der Ortschaft B. vorsehen, wurden verworfen, da durch diese Varianten weder die Kläranlage C. noch die östlich gelegenen landwirtschaftlich genutzten Flächen geschützt würden. Die elbnahen Varianten 5, 6 und 7, die eine Verschiebung der Deichtrasse weg von der Ortslage B. in Richtung Elbe vorsehen und so die wohnortnahen Freiflächen und zugleich die Kläranlage C. in die Deichanlage einbinden würden, wurden aufgrund der Abwägungen in der Umweltverträglichkeitsstudie ebenfalls nicht weiterverfolgt. Nach der Umweltverträglichkeitsstudie liegt das gesamte Gebiet in dem Biosphärenreservat "Niedersächsische Elbtalaue" und in diesem Biosphärenreservat befinden sich wiederum zwei Gebiete des Europäischen Schutzgebietsystems "Natura 2000", nämlich das FFH-Gebiet Nr. 74 "Elbeniederung zwischen Schnackenburg und Lauenburg", welches nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 geschützt ist, sowie das EU-Vogelschutzgebiet Nr. 37 "Niedersächsische Mittelelbe". Nach § 4 des Gesetzes über das Biosphärenreservat "Niedersächsische Elbtalaue" - NElbtBRG - (Nds. GVBl. 2002, 426) dient das Schutzgebiet u.a. auch der Erhaltung des oben genannten FFH-Gebietes und des Vogelschutzgebietes. Das Biosphärenreservat ist hierzu in die Gebietsteile A, B und C eingeteilt, wobei der Gebietsteil C die unter besonderen Schutz gestellten Landschaftsausschnitte in der naturnahen Stromlandschaft der Elbe umfasst. Die jetzt geplante Deichtrasse wird im Wesentlichen am Rand des Schutzgebietes C verlaufen. Bei einer Verschiebung der Deichtrasse in Richtung Elbe, wie es die Varianten 5, 6 und 7 vorsehen, würde die Deichanlage dagegen in Teilen mitten im Schutzgebiet C liegen. Die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach§ 34c Abs. 3 Nds. Naturschutzgesetz für einen solchen Trassenverlauf wurde von der Verwaltung des Biosphärenreservates nicht in Aussicht gestellt. Hinzu kommt, dass dann die zur Verfügung stehende Überschwemmungsfläche sich verringern würde. Einige Anwohner der Ortschaft B. forderten hingegen eine Verschiebung der Deichtrasse Richtung Elbe, um einen Verlauf des Deiches in unmittelbarer Nähe der Wohnbebauung des Ortes und eine Inanspruchnahme und Zerschneidung ihrer Grundstücke zu vermeiden.

5

Die politischen Gremien der Beigeladenen entschieden sich für die Variante 4. Diese soll die gesamte Ortslage B. schützen und auch das Klärwerk C. in die Deichanlage einbinden. Anders als bei der Variante 3 werden hierdurch auch größere Flächen der hofnahen Nutzflächen, die östlich der Ortschaft liegen, in die Deichanlage mit eingebunden. Der Nds. Umweltminister E., der sich in einem Besuch vor Ort im Sinne der Anlieger zunächst noch gegen den geplanten Trassenverlauf ausgesprochen hatte, äußerte sich nach Prüfung der Angelegenheit mit Schreiben vom 14. März 2007 dahingehend, dass eine Verschiebung der Deichtrasse Richtung Elbe unter naturschutzrechtlichen Gesichtspunkten problematisch sei, da mit der Variante 4 eine zumutbare Alternative gegeben sei.

6

Der Kläger ist in der Ortschaft B. Eigentümer der vier nebeneinander liegenden Flurstücke 3/1, 3/2, 3/3 und 98, Flur 16, Gemarkung B.. Das Flurstück 3/1 (F.) ist mit einem Wohnhaus bebaut und wird vom Kläger bewohnt. Die drei anderen Flurstücke sind nicht bebaut und haben eine Größe von 462 qm (3/2), 3.472 qm (3/3) bzw. 1.896 qm (98). Die Grundstücke liegen am westlichen Dorfrand, wobei die Flurstücke 3/3 und 98 in Teilen bereits im FFH-Gebiet und im Vogelschutzgebiet und damit innerhalb des Schutzgebietes C des Biosphärenreservates liegen. Der Planfeststellungsbeschluss sieht vor, dass der Deich über die Flurstücke 3/2, 3/3 und 98 nördlich und westlich am Wohnhaus des Klägers entlang führt. Hierzu wird eine Fläche von 180 qm des Flurstücks 3/2, von 602 qm des Flurstücks 3/3 und von 1.077 qm des Flurstücks 98 benötigt. Die Grundstücke würden für den Deichbau dann nicht benötigt, wenn die Trassenvariante 5, 6 oder 7 umgesetzt würde.

7

Der Kläger erhob im Planfeststellungsverfahren gegen den jetzt genehmigten Deichverlauf Einwendungen. Er führte mit Schreiben vom 24. September 2008 und 4. Februar 2009 aus, dass wegen der Nähe des Deiches der Wert seines Grundstückes beeinträchtigt werde. Im Übrigen verwies er auf die von seinem Nachbarn G. erhobenen Einwendungen. Dieser hatte mit Schreiben vom 8. September 2008 u.a. vorgetragen, dass der Abstand des Deiches zu seinem Wohnhaus nur 30m betragen würde und dass zur Erhaltung des Charakters des Wohngrundstückes der Deich um 5 Meter Richtung Norden verschoben werden solle. Hierdurch könne zugleich ein 30 Jahre alter Baum auf seinem Grundstück geschützt werden.

8

Durch Beschluss vom 20. April 2009, dem Kläger zugestellt am 11. Mai 2009, stellte der Beklagte den Plan "Neubau des Elbdeiches in Bleckede; Ortsteil B. " fest. Die Einwendungen des Klägers wurden zurückgewiesen. Hierzu wurde im Planfeststellungsbeschluss ausgeführt, dass eine weitere Verschiebung der Deichtrasse nach Norden in den geschützten Bereich C des Biosphärenreservates hinein naturschutzrechtlich unzulässig sei. Im Norden lägen besonders geschützte Nasswiesen und im Westen seien geschützte Auewälder vorhanden. Auf das Wohngrundstück selbst werde nicht zugegriffen. Der Deich werde in einem Abstand von ca. 20m vom Haus entfernt entrichtet. Ein etwaiger Wertverlust des Wohngrundstücks werde entschädigt. Für die zum Deichbau benötigten Flächen werde eine Entschädigung gezahlt bzw. es würden Ersatzflächen angeboten.

9

Der Kläger hat am 11. Juni 2009 Klage erhoben und hierzu sein bisheriges Vorbringen wiederholt. Er ist der Ansicht, dass mit einer Verschiebung der Deichtrasse nach Norden an den Rand seiner Flurstücke eine unzulässige Beeinträchtigung naturschutzrechtlicher Belange nicht verbunden sei, da die Trasse an dieser Stelle ohnehin teilweise im Schutzgebiet C des Biosphärenreservates verlaufe. Im Übrigen würde es für einen Hochwasserschutz ausreichen, die vorhandene Verwallung zu verstärken. Ein Deich mit der jetzt geplanten Höhe sei überdimensioniert.

10

Der Kläger beantragt,

den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten vom 20. April 2009 aufzuheben, soweit die Grundstücke des Klägers, Flurstücke 3/2, 3/3 und 98, Flur 16, Gemarkung B. betroffen sind.

11

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

12

Er ist dem Vorbringen des Klägers entgegengetreten.

13

Die Beigeladene hat keinen eigenen Antrag gestellt und sich den Ausführungen des Beklagten angeschlossen.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

15

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

16

Der angefochtene Planfeststellungsbeschluss vom 20. April 2009 leidet nicht an einem Rechtsfehler, der den Kläger in seinen Rechten verletzt und die - teilweise - Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses oder zumindest die Feststellung seiner Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit rechtfertigt.

17

Da Grundstücke des Klägers für den Deichbau in Anspruch genommen werden sollen und der Planfeststellungsbeschluss für den Kläger enteignungsrechtliche Vorwirkungen entfaltet, ist er unmittelbar Betroffener mit der Folge, dass er Anspruch auf eine umfassende gerichtliche Kontrolle des Planfeststellungsbeschlusses hat. Dieser umfassende Kontrollanspruch ermöglicht auch die Rüge der Verletzung rein objektiv-rechtlicher Vorschriften und von öffentlichen Belangen, während "einfach" Betroffene nur verlangen können, dass ihre eigenen Rechtspositionen in der Abwägung fehlerfrei behandelt und berücksichtigt werden (vgl. zu dieser Differenzierung Schütz, in: Ziekow, Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, Rz. 851 ff.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl. 2005, § 72 Rz. 38 ff.; siehe auch Nds. OVG, Beschl. v. 12.01.2005 - 7 LA 101/04 -, NordÖR 2005, 134; BVerwG, Beschl. v. 13.3.2008, - 9 VR 10.07 - NuR 2008, 495).

18

Auch der Anspruch auf umfassende gerichtliche Überprüfung setzt allerdings voraus, dass die maßgeblichen Einwendungen zumindest "in groben Zügen"- im Sinne einer Thematisierung - (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 09.10.2000 - 5 S 1883/99 - VBlBW 2001, 278 [VGH Baden-Württemberg 09.10.2000 - 5 S 1883/99]; OVG Koblenz, Urt. v. 05.06.2004 - 1 A 11787/03 -, zitiert nach [...]) bereits im Verfahren zur Planaufstellung vorgebracht wurden und somit nicht der materiellen Präklusion des § 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG unterliegen. Zudem wird der Umfang der gerichtlichen Kontrolle auch bei einem durch eine enteignungsrechtliche Vorwirkung Betroffenen durch den klägerischen Vortrag begrenzt (§ 86 VwGO). Eine weitere Einschränkung liegt schließlich darin, dass eine klägerische Rüge nur dann Erfolg haben kann, wenn zumindest die Möglichkeit besteht, dass die Inanspruchnahme des Grundstücks ohne den gerügten Mangel ganz oder teilweise entfallen wäre, der gerügte Rechtsfehler muss also kausal für die enteignende Überplanung des Grundstücks sein (BVerwG, Beschl. v. 10.07.1995 - 4 B 94/95 -; Urt. v. 18.03.1983 - 4 C 80/79, jeweils zitiert nach [...]). Diese Einschränkung folgt daraus, dass auch der enteignend Betroffene den Verstoß gegen objektiv-rechtliche Vorschriften oder Abwägungsmängel zu Lasten von Fremdbelangen nicht um ihrer selbst Willen, sondern nur im Hinblick auf sein eigenes Verschonungsinteresse geltend machen kann (BVerwG, Beschl. v. 10.10.1995 - 11 B 100.95 -, zitiert nach [...]; Schütz, in: Ziekow, Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, Rz. 859 ff., m.w.N.).

19

Bei Anwendung dieses Prüfungsmaßstabes hat der Anfechtungsantrag keinen Erfolg.

20

Rechtsgrundlage für den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten ist § 12 Abs. 1 Satz 1 Nds. Deichgesetz (NDG) i.V.m. §§ 119, 127 Nds. Wassergesetz (NWG) i.V.m. § 1 Nds. Verwaltungsverfahrensgesetz (Nds. VwVfG) i.V.m. §§ 72 ff. Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG). Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 NDG gelten für die Herstellung von Hochwasserdeichen die §§ 119 bis 129 und 132 NWG, die wiederum auf die Vorschriften über das Planfeststellungsverfahren im VwVfG verweisen. Die Bestimmungen über das förmliche Planfeststellungsverfahren gelten jedenfalls immer dann, wenn - wie hier - die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsstudie erforderlich ist. Zuständige Planfeststellungsbehörde ist nach § 12 Abs. 1 Satz 2 NDG grundsätzlich die Deichbehörde. Untere Deichbehörde ist zwar der Landkreis (vgl. § 30 NDG). Nach § 30a Satz 2 NDG kann das Fachministerium allerdings durch Verordnung die Zuständigkeit für bestimmte Aufgaben auf sich selbst oder eine andere Landesbehörde übertragen, wenn dies zur sachgerechten Erfüllung der Aufgaben erforderlich ist. Hiervon hat das Fachministerium Gebrauch gemacht und durch Zuständigkeitsverordnung vom 29.11.2004 (Nds. GVBl. 2004, 549) dem Beklagten u.a. die Aufgaben nach § 12 NDG (Planfeststellungsverfahren) und im Übrigen auch nach § 3 NDG (Widmung eines Deiches) übertragen. Der Beklagte ist daher zu Recht als Planfeststellungsbehörde tätig geworden. Formelle Verfahrensfehler, etwa Anhörungs- und Auslegungsmängel im Planfeststellungsverfahren, sind weder geltend gemacht noch ersichtlich. Vielmehr belegen die Dokumentation des Verfahrensablaufs im Planfeststellungsbeschluss (S. 11 ff.) und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge, dass die für das Verfahren maßgeblichen Bestimmungen (§§ 73 f. VwVfG) eingehalten wurden.

21

Die Beigeladene ihrerseits war und ist berechtigt, als Träger des Vorhabens (Maßnahmeträger) aufzutreten und einen entsprechenden Planfeststellungsantrag für den Neubau eines Deiches zu stellen. Ihre Zuständigkeit ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Satz 1 Nds. Gemeindeordnung. Danach sind die Gemeinden in ihrem Gebiet die ausschließlichen Träger der gesamten öffentlichen Aufgaben, soweit die Gesetze nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmen. Eine anderweitige Aufgabenzuweisung für die hier in Rede stehende Neuerrichtung eines Hochwasserdeiches ist im NDG nicht bestimmt. In § 7 Abs. 2 NDG ist lediglich die Zuständigkeit für die Erhaltung von (vorhandenen) Hochwasserdeichen geregelt und § 6 Abs. 1 NDG trifft ebenfalls nur Bestimmungen zur Deicherhaltung, nicht aber zur Herstellung von Deichen. Im Antrag auf Planfeststellung ist daher zu Recht ausgeführt, dass in Gebieten ohne Deichverbände die Gemeinden für den Hochwasserschutz verantwortlich sind. Soweit der angefochtene Planfeststellungsbeschluss auch eine Einbindung der Kläranlage C. vorsieht, liegt diese ebenfalls im Gemeindegebiet der Beigeladenen, d.h. der Deich verläuft in diesem Bereich nicht auf dem Gebiet der Samtgemeinde Elbtalaue sondern endet an der Grenze zum Landkreis Lüchow-Dannenberg. Die beabsichtige Verfahrensweise (Herstellung des Deiches durch die Beigeladene, Widmung als Hochwasserdeich durch den Beklagten, Beauftragung des H. Deichverbandes mit der Unterhaltung und der Beitragserhebung) steht somit im Einklang mit den bestehenden Rechtsvorschriften.

22

Der angefochtene Planfeststellungsbeschluss hält auch einer inhaltlichen Prüfung stand.

23

Bei der materiellen Rechtmäßigkeitskontrolle ist zu beachten, dass Gegenstand der gesetzlichen Planfeststellungsverfahren komplexe Vorhaben sind, bei denen eine Vielzahl öffentlicher und privater Interessen kollidiert. Da es sich in der Regel um konfliktträchtige Projekte handelt, deren rechtliche Beurteilung erheblich durch die Umstände des Einzelfalls geprägt wird, gibt der Gesetzgeber nur die Zielrichtung, nicht das Ergebnis der zu treffenden Planungsentscheidung vor (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.03.1998 - 4 A 7.97 -, zitiert nach [...]). Zentrales Element der Planung ist deshalb die planerische Gestaltungsfreiheit der Planungsbehörde (vgl. Ziekow, in: Ziekow, Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, Rz. 584). Diese planerische Gestaltungsfreiheit hat jedoch nicht zur Folge, dass die Behörde eine beliebige Entscheidung treffen kann. Vielmehr wird die Planungsfreiheit durch drei wesentliche, gerichtlich überprüfbare Rechtmäßigkeitsanforderungen eingeschränkt: Zunächst ist jede konkrete Planungsmaßnahme rechtfertigungsbedürftig, dass heißt sie muss den Zielen des Fachplanungsrechts entsprechen und objektiv erforderlich sein. Zudem hat die Planungsbehörde zwingend (fach-)gesetzliche Vorgaben - sog. Planungsleitsätze - zu beachten. Darüber hinaus ist maßgeblich, ob die Vorgaben des Abwägungsgebots eingehalten wurden (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.02.1978 - IV C 25.75 -, zitiert nach [...]; VGH Mannheim, Urt. v. 30.07.1985 - 5 S 2553/84 -, DVBl. 1986, 364, 365; Ziekow, in: Ziekow, Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, Rz. 585).

24

Unter Anwendung dieser Prüfungsmaßstäbe lässt der streitgegenständliche Planfeststellungsbeschluss Rechtsfehler nicht erkennen.

25

Die erforderliche Planrechtfertigung ist gegeben, da die Planung den Zielen des Fachplanungsrechts entspricht und objektiv erforderlich ist. Der streitgegenständliche Planfeststellungsbeschluss verfolgt das Ziel, die Ortschaft B. und die Kläranlage C. vor Überschwemmungen zu schützen bzw. das Hochwasserrisiko erheblich zu mindern (vgl. S. 12/13 des Planfeststellungsbeschlusses). Für dieses Ziel besteht nach Maßgabe des Nds. Deichgesetzes und des Nds. Wassergesetzes ein Bedürfnis, da es in der Vergangenheit wiederholt zu massiven Überschwemmungen gekommen ist, die Schäden nicht nur an landwirtschaftlichen Flächen, sondern auch an Gebäuden verursacht haben. Außerdem besteht das Risiko, dass bei Hochwasser aus der Kanalisation, der Kläranlage C. oder aus Heizöltanks Wasser gefährdende Stoffe in die Elbe gelangen. Derartige Gefahren sind nach der Zielsetzung des Deich- und Wassergesetzes zu verhindern bzw. zu reduzieren.

26

Soweit der Kläger meint, der Hochwasserschutz könne auch auf andere Weise gewährleistet werden, indem etwa die alte Verwallung erneuert und verstärkt würde, ist eine Verletzung von Planungsleitsätzen weder vorgetragen noch ersichtlich. Ein umfassender Schutz des gefährdeten Gebietes ist nur durch eine geschlossene Deichanlage zu erreichen, wie bereits die vergangenen Elbehochwasser verdeutlicht haben. Eine bloße Verstärkung der vorhandenen Verwallung entlang der Hofkoppeln würde nicht den anerkannten Regeln der Technik entsprechen, die Ortschaft und die Kläranlage nicht vollständig schützen und zudem nicht förderfähig sein. Der geplante Deich ist auch nicht überdimensioniert, sondern anhand der einschlägigen DIN-Normen konzipiert worden. Der Beklagte hat hierbei die Abflussmengen der Elbe berücksichtigt und ist bei der Festlegung der Höhe der Deichkrone zu Recht von dem sog. Bemessungshochwasser ausgegangen. Dieses sind keine geschätzten Werte, sondern sie basieren auf tatsächlichen Hochwasserereignissen der jüngsten Vergangenheit. Es ist ferner nicht zu beanstanden, dass bei der Höhe des Deiches auch ein möglicher Windstau berücksichtigt und entsprechender Aufschlag (Freibord) gemacht worden ist.

27

Der Planfeststellungsbeschluss beruht hinsichtlich der Inanspruchnahme der klägerischen Grundstücke auch nicht auf einem nach § 75 Abs. 1a Satz 1 VwVfG erheblichen Abwägungsmangel. Nach dieser Vorschrift sind Mängel bei der Abwägung nur erheblich, wenn sie offensichtlich auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind. Hinsichtlich der Einhaltung des Abwägungsgebots prüft das Gericht, ob überhaupt eine Abwägung stattgefunden hat, ob in die Abwägung an Belangen eingestellt wurde, was nach Lage der Dinge eingestellt werden musste, ob die Bedeutung der betroffenen Belange erkannt und der gewählte Ausgleich zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange nicht außer Verhältnis steht (BVerwG, Urteil v. 14.02.1975 - IV C 21.74 -, Nds. OVG, Urt. v. 28.08.1994 - 3 L 14/90, jeweils zitiert nach [...]). Einer uneingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung unterliegt dabei die Frage, ob ein Abwägungsausfall vorliegt und ob die Behörde entsprechend dem Grundsatz der Problembewältigung das Abwägungsmaterial vollständig ermittelt und zusammengestellt hat. Demgegenüber ist die Gewichtung der - richtig und vollzählig ermittelten - Belange als wesentliches Element der planerischen Gestaltungsfreiheit eine von der Behörde zu treffende Abwägungsentscheidung und als solche der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle entzogen. Somit wird das Abwägungsgebot nicht verletzt, wenn sich die zur Planung ermächtigte Stelle in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung des anderen entscheidet (vgl. zu den vorstehend zusammengefasst dargelegten Anforderungen an das Abwägungsgebot im Einzelnen: BVerwG, Urteil v. 14.02.1975 - IV C 21.74 - a.a.O.; Nds. OVG, Beschl. v. 21.07.1995 - 3 M 7182/94 -, VGH Mannheim, Urteil v. 30.07.1985 - 5 S 2553/84 -, jeweils zitiert nach [...]; Ziekow, in: Ziekow, Praxis des Fachplanungsrechts, 2004, Rz. 645 ff., m.w.N.).

28

Unter Anwendung dieser Maßstäbe sind vorliegend keine Abwägungsmängel zu Lasten des Klägers zu erkennen. Der Begründung des Planfeststellungsbeschlusses lässt sich entnehmen, dass eine Abwägung zwischen den verschiedenen Varianten stattgefunden hat (vgl. S. 13 ff. des Planfeststellungsbeschlusses). Der Beklagte hat die Einwendungen des Klägers zur Kenntnis genommen und in das Abwägungsmaterial eingestellt (vg. S. 46 des Planfeststellungsbeschlusses). Aus der Begründung des Planfeststellungsbeschlusses geht hervor, dass der Beklagte die von dem Kläger geltend gemachten Belange gewichtet und mit den entgegenstehenden öffentlichen Belangen abgewogen hat (vgl. S. 46/47 des Planfeststellungsbeschlusses). Die von dem Beklagten vorgenommene Gewichtung und Abwägung ist nicht zu beanstanden, denn es ist weder eine unverhältnismäßige Fehlgewichtung der einzelnen Interessen, noch eine die Grenzen des Planungsermessens überschreitende Entscheidung über das Vorziehen oder Zurückstellen der widerstreitenden Belange festzustellen.

29

Dies gilt insbesondere für die Zurückstellung der Varianten 5, 6 und 7. Einer vertiefenden Untersuchung in der Umweltverträglichkeitsstudie bedurfte es insoweit nicht. Aufgrund des vorhandenen Materials liegt auf der Hand, dass diese Trassenvarianten das Schutzgebiet C des Biosphärenreservates zerschneiden und dass FFH-Gebiet und das Vogelschutzgebiet in erheblicher Weise beeinträchtigen würde. Die Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (sog. Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie) hat zum Ziel, wildlebende Arten, deren Lebensräume und die europaweite Vernetzung dieser Lebensräume zu sichern und zu schützen. Die Vernetzung dient der Bewahrung, (Wieder-)herstellung und Entwicklung ökologischer Wechselbeziehungen sowie der Förderung natürlicher Ausbreitungs- und Wiederbesiedlungsprozesse. Die EU-Vogelschutzrichtlinie, nach der auch das EU-Vogelschutzgebiet Nr. 37 "Niedersächsische Mittelelbe" eingerichtet worden ist, hat zum Ziel, sämtliche wild lebenden Vogelarten, die in der Gemeinschaft heimisch sind, in ihren natürlichen Verbreitungsgebieten und Lebensräumen zu erhalten. Die Mitgliedstaaten haben hierzu geeignete Maßnahmen zu treffen, um die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume sowie die Belästigung der Vögel, sofern sich diese auf die Zielsetzungen dieser Richtlinie erheblich auswirken, in den ausgewiesenen Vogelschutzgebieten zu vermeiden. § 10 Abs. 1 NElbtBRG bestimmt daher, das im Gebietsteil C alle Handlungen verboten sind, die den Gebietsteil oder einzelne seiner Bestandteile zerstören, beschädigen oder verändern. Zwar kann ein hiernach unzulässiges Projekt nach § 34c Abs. 3 NNatG in Ausnahmefällen zugelassen werden. Dies setzt aber voraus, dass das Vorhaben aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses notwendig ist und eine zumutbare Alternative nicht besteht. Letzteres ist nicht der Fall, da die Deichtrasse - wie geplant - auch in der Weise am Rande des Schutzgebietes C geführt werden kann, so dass nur im geringen Umfang Flächen im Schutzgebiet C in Anspruch genommen werden müssen und eine Zerschneidung der Naturschutzflächen unterbleibt.

30

Aus denselben Gründen ist auch eine Anbindung des Deiches an die Elbuferstraße westlich von dem Flurstück 39 der Flur 13 Gemarkung B. unzulässig. Zwar könnten dann die klägerischen Flurstücke 98 und 3/2 teilweise geschont werden und der Deich würde vom Wohnhaus des Klägers einen größeren Abstand haben. Die Deichtrasse müsste dann aber im Westen durch das FFH-Gebiet und das Vogelschutzgebiet geführt werden. Die dortigen Auewälder, die unter besonderem Schutz stehen, würden zerstört und zerschnitten werden. Bei den klägerischen Flurstücken 98 und 3/2 handelt es sich hingegen um eine Streuobstwiese bzw. einen Hausgarten, die beide im Außenbereich liegen und keinen besonderen Schutz genießen. Mit einer Verschiebung der Deichtrasse nach Norden bzw. um die klägerischen Grundstücke herum würden mithin ohne Not im weit größerem Umfang in die besonders wertvollen Naturschutzflächen des Schutzgebietes C eingegriffen.

31

Keinen Abwägungsmangel stellt es dar, dass von der Errichtung einer Hochwasserschutzwand abgesehen wurde. Zwar würde eine Hochwasserschutzwand je nach Trassierung auf einer Länge von 250 bis 400m nach den Ausführungen im Planfeststellungsbeschluss weniger Beeinträchtigungen für die naturrechtlich geschützten Gebiete bedeuten. Dies würde aber zu hohen zusätzlichen Baukosten führen. Auch bezogen auf das klägerische Grundstück ist es nicht fehlerhaft, dass dort statt einer Schutzwand ein "grüner Deich" geplant ist. Im Planfeststellungsbeschluss ist zutreffend ausgeführt, dass eine Hochwasserschutzwand ohnehin nur dann eine Alternative zu einem "grünen Deich" darstellt, wenn im begrenzten Umfang Flächen für die Hochwasserschutzanlage zur Verfügung stehen oder das betreffende Gebiet unter besonderem Schutz steht (Naturschutz, Denkmalschutz, bebaute Fläche etc.). Beides ist hier nicht der Fall. Der Beklagte hat den Belangen des Klägers bereits dadurch hinreichend Rechnung getragen, indem er einen Trassenverlauf über das klägerische Flurstück 3/3 genehmigt hat, obwohl die dort benötigte Fläche bereits im FFH-Gebiet liegt. Sie ist in der Umweltverträglichkeitsstudie als geschützte nährstoffreiche Nasswiese erfasst und dient als Lebensraum u.a. für Weißstorch, Schwarzkehlchen, Schafstelze und Braunkehlchen. Durch diesen schon erheblichen Eingriff bleibt das Wohngrundstück (Flurstück 3/1) des Klägers aber unberührt. Der Deichverteidigungsweg wiederum wird nunmehr auf der Binnenberme geführt, so dass das Baugrundstück nicht über diesen Weg von oben einsehbar ist. Außerdem bestimmt der Planfeststellungsbeschluss, dass der Deichverteidigungsweg für den öffentlichen Verkehr gesperrt wird und ausschließlich Deichverteidigungs- und Unterhaltungszwecken dient.

32

Im Planfeststellungsbeschluss sind auch die Einwendungen der Anlieger, dass ihre Grundstücke für den Deich in Anspruch genommen werden, aufgegriffen worden und mit den sonstigen Interessen abgewogen worden (vgl. Bl. 15 ff. Planfeststellungsbeschluss). Zumutbare Varianten, die einen geringeren Eingriff in das private Grundeigentum verursachen, drängen sich nicht auf. Vielmehr würde eine Verschiebung der Deichtrasse nach Norden nicht nur eine größere Beeinträchtigung der naturschutzrechtlichen Belange und eine zusätzliche Verkleinerung der natürlichen Überschwemmungsflächen der Elbe mit sich bringen, sondern es müsste dann an anderer Stelle privater Grund und Boden in Anspruch genommen werden. Soweit der Kläger Ersatz bzw. eine höhere Entschädigung für sein Grundstück verlangt bzw. eine Wertminderung seines Wohngrundstücks (Flurstück 3/1) geltend macht, ist ein finanzieller Ausgleich nicht im Rahmen des Planfeststellungsbeschlusses zu regeln.

33

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird im Übrigen auf die Ausführungen im Planfeststellungsbeschluss Bezug genommen, denen das Gericht folgt.

34

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

35

Gründe für eine Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor.

36

Rechtsmittelbelehrung

37

Gegen das Urteil ist die Berufung statthaft, wenn sie von dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

38

...

Stelter
Stelter
H. Ludolfs
Dr. Becker