Landgericht Göttingen
Beschl. v. 11.09.2006, Az.: 10 T 64/06
Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners sowie auf Erteilung der Restschuldbefreiung und Stundung der Verfahrenskosten in einem Verbraucherinsolvenzverfahren; Anforderungen an einen wirksam gestellten Antrag der Gläubigerin auf Versagung der Restschuldbefreiung; Erfordernis des schriftlichen Vorbringens der Gründe für die Versagung der Restschuldbefreiung des Schuldners
Bibliographie
- Gericht
- LG Göttingen
- Datum
- 11.09.2006
- Aktenzeichen
- 10 T 64/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 33321
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGGOETT:2006:0911.10T64.06.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Göttingen - 29.05.2006 - AZ: IK 195/04
Rechtsgrundlagen
- § 6 Abs. 1 InsO
- § 289 Abs. 2 InsO
- § 290 Abs. 1 InsO
Fundstellen
- NZI 2007, 121-123 (Volltext mit red. LS)
- NZI 2007, VII Heft 1 (amtl. Leitsatz)
- NZI 2008, 33
- NZI (Beilage) 2007, 36 (amtl. Leitsatz)
- ZInsO 2007, 784 (red. Leitsatz)
- ZInsO 2007, 1054-1056 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Das Vermögen xxx
Tenor:
- 1.
Dem Schuldner wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt.
- 2.
Ihm wird Rechtsanwältin F., zur Vertretung in diesem Verfahren beigeordnet.
- 3.
Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners wird der angefochtene Beschluss aufgehoben.
Das Amtsgericht wird angewiesen, von den in dem angefochtenen Beschluss geäußerten Bedenken gegen die Ankündigung der Restschuldbefreiung Abstand zu nehmen.
Gründe
Der Schuldner stellte am 23.07.2004 den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen, ferner auf Erteilung der Restschuldbefreiung und Stundung der Verfahrenskosten. Mit Beschluss vom 02.08.2004 hat das Amtsgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet, dem Schuldner Stundung bewilligt und den Rechtsanwalt G. zum Treuhänder bestellt.
Mit Beschluss vom 05.01.2005 hat das Amtsgericht für die Beendigung des Verfahrens das schriftliche Verfahren angeordnet und bestimmt, dass Einwendungen gegen die Ankündigung der Restschuldbefreiung bis zum 28.02.2005 schriftlich erhoben werden könnten.
Die oben genannte Gläubigerin hat daraufhin mit Schreiben vom 31.01.2005 beantragt, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen. Hierzu hat die Gläubigerin ausgeführt, dass titulierte Forderungen gegen den Schuldner in Höhe von insgesamt 13.899,30 DM zuzüglich Zinsen seit dem 25.08.1995 bestünden. Diese Forderung habe der Schuldner in dem Verzeichnis über die Gläubiger und Forderungen nicht angegeben. Da die letzte Zwangsvollstreckung wegen dieser Forderungen am 20.08.2001 versucht worden sei, müsse dem Schuldner bekannt gewesen sein, dass noch offene Forderungen gegen ihn bestünden.
Am 07.03.2005 hat das Amtsgericht den Schlusstermin im schriftlichen Verfahren abgehalten und festgestellt, dass seitens der Gläubiger kein Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung gestellt worden sei. Mit Beschluss vom selben Tag hat das Amtsgericht dem Schuldner daraufhin die Erteilung der Restschuldbefreiung angekündigt. Nachdem das Amtsgericht den Irrtum bemerkt hatte, hat es den Beschluss vom 07.03.2005 aufgehoben und nochmals für die Beendigung des Verfahrens das schriftliche Verfahren angeordnet. Erneut hat das Amtsgericht bestimmt, dass Einwendungen der Gläubiger gegen die Ankündigung der Restschuldbefreiung bis zum 20.10.2005 schriftlich erhoben werden könnten. Die Gläubigerin hat daraufhin mit Schreiben vom 13.10.2005 auf ihren zuvor gestellten Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung Bezug genommen. Im Übrigen hat die Gläubigerin ihre Forderungen vorsorglich angemeldet und erklärt, dass sie für die Anmeldung ihrer Forderung keinerlei Kosten zahlen werde. Nachdem das Amtsgericht mit der Gläubigerin geklärt hatte, dass es sich bei ihrem Schreiben um eine unbedingte Forderungsanmeldung handelte, hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 28.02.2006 den Beschluss vom 23.08.2005 erneut aufgehoben und nochmals für die Beendigung des Verfahrens das schriftliche Verfahren angeordnet. In diesem Beschluss vom 28.02.2005 hat das Amtsgericht den Gläubigern die Möglichkeit gegeben, Einwendungen gegen die Ankündigung der Restschuldbefreiung bis zum 20.04.2006 schriftlich geltend zu machen.
Dieser Beschluss ist der Gläubigerin am 06.03.2006 zugestellt worden. Innerhalb der im Beschluss genannten Frist bis zum 20.04.2006 hat die Gläubigerin ihren Antrag, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen, nicht wiederholt. Am 25.04.2006 hat das Amtsgericht - Rechtspfleger - vermerkt, dass seitens der Gläubigerin ein Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung vorliege und hat insoweit auf das Schreiben der Gläubigerin vom 31.01.2005 Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 29.05.2006 hat das Amtsgericht dem Schuldner die Restschuldbefreiung versagt und die bewilligte Stundung widerrufen. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, die Nichtangabe der Forderung stelle einen besonders schweren Verstoß gegen die erforderliche Sorgfalt dar. Die Forderung sei seit 1995 tituliert und belaufe sich auf 7.293,79 EUR. Damit stelle sie einen Anteil von fast 20% der Gesamtverschuldung des Schuldners dar. Im Übrigen sei auch die Anzahl der übrigen Gläubiger überschaubar, auch liege die letzte Vollstreckungsmaßnahme der Gläubigerin knapp drei Jahre vor Stellung des Insolvenzantrags. Im Hinblick darauf sei die Nichtangabe der Forderung in den Forderungs- und Gläubigerverzeichnissen grob fahrlässig.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Schuldner mit der sofortigen Beschwerde. Er trägt vor, die unterlassene Angabe der Forderung sei weder vorsätzlich noch grob fahrlässig erfolgt. Er, der Schuldner sei 1990 nach Berlin verzogen und habe seine Kontoverbindung mit der oben genannten Gläubigerin gelöst. Zu diesem Zeitpunkt sei sein Konto überzogen gewesen, hierüber habe es ein Gespräch mit dem Sachbearbeiter der Gläubigerin gegeben. Nach der Erinnerung des Schuldners sei es so gewesen, dass er Ansprüche aus einer Lebensversicherung an die Gläubigerin abgetreten habe und hiermit alles habe geregelt sein sollen. Später, insbesondere ab dem Jahr 1995 habe der Schuldner den Überblick über seine Vermögensverhältnisse verloren. Eine Ursache dafür sei gewesen, dass der Schuldner im Jahr 1998 an Krebs erkrankt sei. Er sei von Juni 1998 bis Februar 2000 überwiegend in stationärer Behandlung gewesen, insbesondere habe er Chemotherapien erhalten. Um seine finanziellen Belange habe er sich in dieser Zeit nicht gekümmert, sondern sei allein mit seiner Krankheit und seiner Gesundung beschäftigt gewesen. Bei Antragstellung habe er überhaupt keine Erinnerung mehr an eine etwaige offene Forderung der Gläubigerin gehabt.
Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde des Schuldners nicht abgeholfen und die Sache der Beschwerdekammer des Landgerichts zur Entscheidung vorgelegt.
Die sofortige Beschwerde des Schuldners ist gemäß §§ 6 Abs. 1, 289 Abs. 2 InsO zulässig, sie ist auch begründet. Die Entscheidung des Amtsgerichts ist fehlerhaft. Aufgrund des vorliegenden Antrags der Gläubigerin und des sich aus den Akten ergebenden Sachverhalts ist dem Schuldner die Restschuldbefreiung nicht zu versagen.
Hier mangelt es in erster Linie bereits an einem wirksam gestellten Antrag der Gläubigerin auf Versagung der Restschuldbefreiung.
Gemäß § 290 Abs. 1 InsO ist der Antrag des Gläubigers, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen, im Schlusstermin zu stellen. Hier hat das Amtsgericht einen solchen mündlichen Schlusstermin nicht abgehalten, sondern für die Beendigung des Verfahrens das schriftliche Verfahren angeordnet. In diesem Fall müssen die Gläubiger den Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung innerhalb der insoweit bestimmten Frist stellen. Das hat hier die Gläubigerin indes nicht getan, denn das Gericht hatte in dem Beschluss vom 28.02.2006 die Frist für die Erhebung der Einwendungen gegen die Restschuldbefreiung bis zum 20.04.2006 bestimmt. Innerhalb dieser Frist ist jedoch ein entsprechender Antrag der Gläubigerin nicht bei Gericht eingegangen. Der Antrag der Gläubigerin auf Versagung der Restschuldbefreiung vom 31.01.2005 war nicht mehr wirksam. Diesen Antrag hatte die Gläubigerin auf den ersten Beschluss des Amtsgerichts vom 05.01.2005 gestellt. Damals war der Antrag der Gläubigerin auch rechtzeitig, denn in diesem Beschluss war die Frist für die Einwendungen gegen die Erteilung der Restschuldbefreiung bestimmt worden bis zum 28.02.2005. Aufgrund eines Irrtums des Amtsgerichts musste jedoch das Verfahren wiederholt werden. Dies ist durch Beschluss vom 23.08.2005 erfolgt, in dem das Amtsgericht erneut für die Beendigung des Verfahrens das schriftliche Verfahren angeordnet hat und erneut eine Frist bestimmt hat, innerhalb derer die Gläubiger Einwendungen gegen die Erteilung der Restschuldbefreiung erheben konnten. Diese Frist war in dem Beschluss vom 23.08.2005 festgesetzt worden bis zum 20.10.2005. Tatsächlich hat auch die Gläubigerin innerhalb dieser Frist nochmals auf ihren Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung Bezug genommen beziehungsweise mit Schreiben vom 13.10.2005 diesen Antrag wiederholt. Gleichwohl war auch dieser Antrag nicht mehr wirksam, um dem Schuldner nunmehr die Restschuldbefreiung zu versagen. Tatsächlich hat nämlich das Amtsgericht aufgrund eines erneuten Irrtums den Beschluss vom 23.08.2005 wiederum aufheben müssen, und zwar mit Beschluss vom 28.02.2006. Dieser Beschluss enthält eine neue Fristsetzung für die Gläubiger, um ihre Einwendungen gegen die Ankündigung der Restschuldbefreiung vorzubringen. Diese Frist war bis zum 20.04.2006 bestimmt worden. Bis dahin mussten die Gläubiger Gründe für die Versagung der Restschuldbefreiung des Schuldners schriftlich vorbringen. Das hat indes die Gläubigerin nicht getan. Der Beschluss vom 28.02.2006 ist der Gläubigerin am 06.03.2006 zugestellt worden. Bis zum 20.04.2006 hat die Gläubigerin weder die Versagung der Restschuldbefreiung erneut beantrag, noch hat sie in sonstiger Weise auf ihren vorigen Antrag Bezug genommen. Das wäre jedoch hier für die Wirksamkeit des Antrags erforderlich gewesen, denn die Fristen, die das Amtsgericht in den Beschlüssen vom 05.01.2005 und 23.08.2005 gesetzt hatte, waren hinfällig. Maßgeblich für einen wirksamen Versagungsantrag war allein der Beschluss vom 28.02.2006. Die in diesem Beschluss bestimmte Frist bis zum 20.04.2006 war wirksam. Die Gläubigerin musste ihren Antrag innerhalb dieser Frist nochmals stellen beziehungsweise wiederholen.
Dabei spielt es auch keine Rolle, dass die beiden vorhergehenden Beschlüsse aufgrund von Fehlern des Amtsgerichts aufgehoben worden waren und demzufolge mit dem Beschluss vom 28.02.2006 eine neue Frist für die Erhebung der Einwendungen bestimmt worden war. Dieses irrtümliche beziehungsweise fehlerhafte Verhalten des Amtsgerichts kann sich nicht zum Nachteil des Schuldners auswirken. Vielmehr müssen insoweit die gesetzlichen Vorschriften eingehalten werden. Darüber hinaus war der Gläubigerin der erneute Beschluss vom 28.02.2006 und die darin erfolgte Fristbestimmung zum 20.04.2006 bekannt. Wenn die Gläubigerin ihre Rechte wahren wollte, musste sie erneut den Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung stellen. Mangels eines wirksamen Antrags der Gläubigerin durfte das Amtsgericht dem Schuldner deshalb die Restschuldbefreiung nicht versagen.
Darüber hinaus liegt hier auch der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen, wenn dies von einem Insolvenzgläubiger beantragt worden ist und wenn der Schuldner in den nach § 305 Abs. 1 Nr. 5 InsO vorzulegenden Verzeichnissen seines Vermögens und seines Einkommens, seiner Gläubiger und der gegen ihn gerichteten Forderungen vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hat. Zwar hat der Schuldner hier in den mit seinem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgelegten Verzeichnissen über seine Gläubiger und die gegen ihn gerichteten Forderungen die Forderung der oben genannten Gläubigerin nicht angegeben. Gleichwohl lässt sich hier nicht feststellen, dass dieses Unterlassen des Schuldners vorsätzlich oder grob fahrlässig erfolgt ist. Zwar ist angesichts der Höhe der Forderung der Verstoß des Schuldners als wesentlich einzustufen. Gleichwohl sind hier die besonderen Umstände, die der Schuldner unwidersprochen dargelegt hat, zu berücksichtigen. Die Forderung der Gläubigerin ist im Jahre 1995 tituliert worden. In der Folgezeit hat der Schuldner den Überblick über seine finanziellen Verhältnisse vollständig verloren. Ursächlich dafür war eine schwere Krebserkrankung des Schuldners, die mehrere Chemotherapien und langfristige stationäre Krankenhausaufenthalte des Schuldners zur Folge hatte. Im Hinblick auf diese besondere Situation hat der Schuldner vorgetragen, dass er sich um seine finanziellen Belange innerhalb einer Zeit von mehr als zwei Jahren nicht habe kümmern können. Zwar hat die Gläubigerin im Jahr 2001 noch einen Vollstreckungsversuch wegen der Forderungen unternommen, dieser Versuch lag jedoch zu der Zeit, als der Schuldner den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellte, bereits drei Jahre zurück. Unstreitig hatte die Gläubigerin seit diesem letzten Vollstreckungsversuch keinen Kontakt mehr zum Schuldner wegen der Forderungen aufgenommen, das heißt, es waren insoweit weder Gespräche noch sonstige Korrespondenz geführt worden. Wenn jedoch der Schuldner während eines Zeitraums von drei Jahren vor der Antragstellung keine Gespräche oder sonstige Kontakte zur Gläubigerin wegen der Forderung hatte und der Gläubiger darüber hinaus auch in der Zeit davor wegen seiner schweren Erkrankung den Überblick über die gegen ihn gerichteten Forderungen verloren hatte, lässt sich nicht feststellen, dass der Schuldner im Zeitpunkt der Antragstellung vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat, als er die Angabe dieser Forderungen in seinen Verzeichnissen unterließ. Damit liegt weder der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO vor, noch besteht ein Grund, dem Schuldner die Stundung der Kosten zu widerrufen.
Das Gericht hat davon abgesehen, dem Schuldner in diesem Beschluss die Restschuldbefreiung anzukündigen. Gemäß § 291 Abs. 2 InsO ist in dem Beschluss, in dem die Restschuldbefreiung angekündigt wird, der Treuhänder zu bestimmen. Dass ist dem Gericht hier nicht möglich, weil nicht bekannt ist, nach welchen Kriterien das Amtsgericht den Treuhänder auswählt. Insbesondere ist nicht bekannt, ob der bisher im Verfahren tätige Treuhänder beibehalten bleiben soll. Das Amtsgericht wird deshalb unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen erneut entscheiden müssen, dabei dem Schuldner die Restschuldbefreiung ankündigen und einen Treuhänder zu bestimmen haben.