Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 05.09.1990, Az.: 17 L 12/89
Anspruch auf Feststellung eines Mitbestimmungsrechts an einer korrigierenden Rückgruppierung; Voraussetzungen für die Eingruppierung in eine bestimmte Vergütungsgruppe; Anforderung an ein Mitbestimmungsrecht
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 05.09.1990
- Aktenzeichen
- 17 L 12/89
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1990, 17117
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1990:0905.17L12.89.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Stade - 02.06.1989 - AZ: 11 A 1/89
Rechtsgrundlagen
- § 92 Nr. 1 BPersVG
- § 75 Abs. 1 Nr. 2 BPersVG
- § 79 Abs. 1 BPersVG
Verfahrensgegenstand
Mitbestimmungspflichtige Maßnahme
In dem Rechtsstreit
hat der 17. Senat - Fachsenat für Personalvertretungssachen des Bundes - des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein
auf die mündliche Anhörung vom 5. September 1990
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Dembowski sowie
die ehrenamtlichen Richter Postamtsrat Kibies, Verwaltungsdirektor Klitzsch, Postdirektor Königschulte und Angestellter Reimann
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Beteiligten gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts Stade - Kammer für Personalvertretungssachen des Bundes - vom 2. Juni 1989 wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Antragsteller erstrebt die Feststellung seines Mitbestimmungsrechts an einer korrigierenden Rückgruppierung.
Im Gerätedepot ... sind zahlreiche Mitarbeiter aufgrund von Verträgen, in denen auf den MTB ... sowie die ihn ergänzenden Tarifverträge verwiesen wird, als Facharbeiter/Handwerker vorwiegend mit Instandsetzungsarbeiten an Spezialfahrzeugen oder Waffen beschäftigt. Sie waren bis zum Herbst 1988 in die Lohngruppe I bzw. II a eingereiht.
Nachdem der Bundesrechnungshof diese Einreihungen beanstandet und um Überprüfung gebeten hatte, teilte die Standortverwaltung ... als personalbearbeitende Dienststelle 44 Arbeitern im Gerätedepot ... mit Schreiben vom 18. August 1988 mit, bei der Überprüfung der Einreihung sei festgestellt worden, daß die von den Arbeitern auszuübenden Tätigkeiten auch unter Anrechnung der Bewährungszeit nur den tariflichen Merkmalen der Lohngruppe II Fallgruppe 4 entsprächen. Die bisherige höhere Einreihung beruhe auf einer falschen tariflichen Bewertung der Tätigkeiten und sei deshalb einseitig zu korrigieren. Ab 1. Oktober 1988 werde die Entlohnung nach Lohngruppe II erfolgen; die auszuübende Tätigkeit ändere sich nicht.
Nachdem der Antragsteller vergeblich ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 75 Abs. 1 Nr. 2 BPersVG beansprucht hatte, hat er das Beschlußverfahren eingeleitet und beantragt
festzustellen, daß die mit Wirkung zum 1. Oktober 1988 erfolgte Herabstufung von 44 Handwerkern des Gerätedepots ... aus den Lohngruppen I und II a in die Lohngruppe II Fallgruppe 4 AT des Lohngruppenverzeichnisses zum MTB II gemäß § 75 BPersVG der Mitbestimmung des Antragstellers unterlag und infolge nicht erfolgter Zustimmung des Personalrats mangelhaft ist.
Der Beteiligte hat beantragt,
den Antrag abzulehnen,
und erwidert: Eine mitbestimmungspflichtige Rückgruppierung liege nur vor, wenn zugleich eine (andere) Tätigkeit mit den Tätigkeitsmerkmalen einer niedrigeren Lohn- und Vergütungsgruppe zugewiesen würde. Das sei hier nicht der Fall.
Mit Beschluß vom 2. Juni 1989 hat das Verwaltungsgericht dem Antrag des Antragstellers stattgegeben, im wesentlichen aus folgenden Gründen:
Nach § 75 Abs. 1 Nr. 2 habe der Personalrat mitzubestimmen bei "Übertragung einer höher oder niedriger zu bewertenden Tätigkeit, Höher- oder Rückgruppierung, Eingruppierung". Hier liege eine Rückgruppierung vor. Auch wenn dem Arbeitgeber kein Ermessensspielraum zustehe bei einer korrigierenden Einreihung des Arbeitnehmers in Vergütungsgruppen, schalte ein solcher reiner Normenvollzug die Mitbestimmungsrechte nicht aus. Die Mitbestimmung bestehe auch bei rein normvollziehenden Maßnahmen als zusätzliche Kontrolle der Richtigkeit. Die Auffassung des BAG, nur eine gleichzeitige Änderung der Tätigkeit des Arbeitnehmers löse die Mitbestimmungspflicht aus, sei mit dem Wortlaut und Sinn des § 75 Abs. 1 Nr. 2 BPersVG nicht vereinbar.
Gegen den ihm am 27. Juni 1989 zugestellten Beschluß richtet sich die am 17. Juli 1989 eingelegte und gleichzeitig begründete Beschwerde des Beteiligten, mit der er sein erstinstanzliches Vorbringen vertieft und unter Berufung auf die Rechtsprechung des BAG insbesondere geltend macht: Die bloße Korrektur einer ungerechtfertigten Bereicherung sei nicht mitbestimmungspflichtig, da sie die tarifliche und vertragliche Stellung des Arbeitnehmers nicht berühre. Ein vertraglicher Anspruch auf die bisher gezahlte zu hohe Entlohnung habe den Arbeitern hier nicht zugestanden; deshalb habe es hier auch weder einer Änderungskündigung noch einer Vertragsänderung bedurft. Ob die Korrektur der Einreihung rechtmäßig sei, könne ausschließlich der betroffene Arbeitnehmer vor dem Arbeitsgericht klären lassen.
Der Beteiligte beantragt,
den angefochtenen Beschluß zu ändern und den Antrag des Antragstellers abzulehnen.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er verteidigt den angefochtenen Beschluß, macht geltend, daß die früheren Einreihungen Inhalt der Arbeitsverträge geworden seien, und bestreitet, daß diese Einreihungen tarifwidrig waren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag des Antragstellers zu Recht stattgegeben. Gemäß § 75 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 92 Nr. 1 BPersVG hätte der Antragsteller an den Rückgruppierungen beteiligt werden müssen.
Nach § 75 Abs. 1 Nr. 2 BPersVG hat der Personalrat mitzubestimmen bei der Übertragung einer höher oder niedriger zu bewertenden Tätigkeit, Höher- oder Rückgruppierung und Eingruppierung. Die Begriffe der Höher- bzw. Rückgruppierung sind dabei dem Tarifrecht entnommen und grundsätzlich in demselben Sinne und mit demselben Inhalt anzuwenden, der ihnen im Tarifrecht zukommt. Danach besteht die Höher- bzw. Rückgruppierung in der Zuordnung zu einer höheren Vergütungs- oder Lohngruppe nach der jeweils in Betracht kommenden Vergütungsordnung bzw. dem Lohngruppenverzeichnis, die durch die übertragene Tätigkeit bestimmt wird. Da der für die Vergütung entscheidende Akt die Festlegung der auszuübenden Tätigkeit ist, hatte die Rechtsprechung bereits unter der Geltung des PersVG 1955 auch schon die Übertragung einer höher oder niedriger zu bewertenden Tätigkeit der Mitbestimmung unterworfen (vgl. BVerwGE 15, 212, 215 [BVerwG 14.12.1962 - VII P 3/62] = PersV 1963, 206; BVerwGE 35, 164 = PersV 1970, 277). § 75 Abs. 1 Nr. 2 BPersVG trägt dem dadurch Rechnung, daß die Übertragung einer höher oder niedriger zu bewertenden Tätigkeit als Regelfall jetzt an erster Stelle steht; die weiterhin daneben aufgeführte isolierte "Höher- oder Rückgruppierung" ist als Auffangtatbestand für die Fälle bedeutsam, die nicht bereits von dem ersteren Begriff erfaßt werden (BVerwGE 54, 92, 97 [BVerwG 03.06.1977 - VII P 8/75] = PersV 1978, 245).
Zu diesen Fällen gehören nach ständiger Rechtsprechung aber insbesondere die korrigierende Höher- oder Rückgruppierung, bei der eine nach der ausgeübten Tätigkeit bisher zu niedrige oder zu hohe Eingruppierung bzw. Einreihung berichtigt wird (BVerwG a. zuletzt a.O.; Beschl. v. 4.8.1988 - 6 P 1.86 -, PersR 1988, 296). Dabei ist es für das Mitbestimmungsrecht im Falle der Rückgruppierung unerheblich, ob der Arbeitnehmer nach seinem Arbeitsvertrag Anspruch auf Beschäftigung und Vergütung nach einer bestimmten Vergütungs- oder Lohngruppe hat. Ist das der Fall, so kann ihm dieser Anspruch allerdings nur durch eine einvernehmlich oder mittels Änderungskündigung bewirkte Änderung des Arbeitsvertrages wieder entzogen werden. Ist eine Änderungskündigung erforderlich, so greift zusätzlich auch das Beteiligungsrecht nach § 79 Abs. 1 BPersVG ein (BAG, Urt. v. 3.11.1977 - 2 AZR 277/76 -, DB 1978, 1135; Lorenzen/Haas/Schmitt, § 75 RN 45; Fischer/Goeres, § 75 RN 29 m. Nachw.). Beide Beteiligungsrechte stehen jedoch unabhängig nebeneinander; insbesondere setzt das Mitbestimmungsrecht an der Rückgruppierung gemäß § 75 Abs. 1 Nr. 2 BPersVG nicht voraus, daß aufgrund einer Änderungskündigung zugleich ein Mitwirkungsfall nach § 79 BPersVG gegeben ist. Die korrigierende Rückgruppierung unterliegt vielmehr auch dann der Mitbestimmung, wenn dem Arbeitnehmer eine ihm einzelvertraglich nicht zustehende tarifliche Vergütung entzogen werden soll und es dazu einer Änderungskündigung nicht bedarf. Seine bisher entgegenstehende Rechtsprechung hat der 4. Senat des BAG (Urt. v. 21.4.1982 - 4 AZR 671/79 -, PB 1983, 193; 29.1.1986 - 4 AZR 279, 84 - AP Nr. 17 zu § 75 BPersVG; 18.5.1988 - 4 AZR 751/87 -, BAGE 58, 269, 282 [BAG 18.05.1988 - 4 AZR 751/87]; ebenso Grabendorff/Windscheid/Ilbertz/Widmaier, BPersVG, 6. Aufl., § 75 RN 20) nunmehr ausdrücklich aufgegeben (Urt. v. 30.5.1990 - 4 AZR 74/90 -). Das für sie angeführte Argument, hier gehe es nur um die Korrektur einer ungerechtfertigten Bereicherung (§ 812 BGB), durch die die tarifliche und vertragliche Position des Arbeitnehmers nicht berührt werde, überzeugte deshalb nicht, weil - entsprechend dem Fall der korrigierenden Höhergruppierung - auch hier die normvollziehende Feststellung, daß dem Arbeitnehmer eine niedrigere Vergütung als bisher angenommen zusteht, der Richtigkeitskontrolle seitens des Personalrats bedarf (Dietz/Richardi, BPersVG, 2. Aufl. § 75 RN 42 ff; Fischer/Goeres, a.a.O. RN 30). Die Feststellung des Arbeitgebers, daß die Tätigkeit des Arbeitnehmers nicht oder nicht mehr den Tätigkeitsmerkmalen der Vergütungsgruppe entspricht, in die der Arbeitnehmer eingruppiert ist, sondern den Tätigkeitsmerkmalen einer niedrigeren, ist danach stets eine mitbestimmungspflichtige Rückgruppierung. Darauf, aus welchem Anlaß diese Feststellung getroffen wird, kommt es nicht an; dies gilt insbesondere für die Korrektur einer nach Ansicht des Arbeitgebers fehlerhaften Eingruppierung (BAG, Beschl. v. 20.3.1990 - 1 ABR 70/89 -, PersR 1990, 238). Für diese Auffassung spricht auch, daß die Fragen, ob der Arbeitnehmer nach seinem Arbeitsvertrag Anspruch auf Beschäftigung und Vergütung nach einer bestimmten Vergütungsgruppe hat und ob seine bisherige Eingruppierung richtig oder falsch ist, arbeitsrechtlicher Natur sind und nicht in die Zuständigkeit der besonderen Spruchkörper für Personalvertretungssachen fallen; von ihrer Beantwortung kann deshalb der Bestand des Mitbestimmungsrechts nicht abhängen. Der Einwand des Beteiligten, bei dieser Lösung könne sich der Personalrat selbst einer von den Arbeitsgerichten als sachlich zutreffend erkannten Korrektur widersetzen, greift nicht durch. Denn in einem solchen Falle wird eine verantwortungsbewußte Personalvertretung auch der zwangsläufigen Rückgruppierung ihre Zustimmung nicht versagen können.
Die Beschwerde war danach zurückzuweisen.
Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind.
Kibies
Klitzsch
Reimann
Königschulte