Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 11.09.1990, Az.: 5 A 149/88

Überzeitarbeit; Minderzeitarbeit; Bundesgrenzschutz; Besoldung; Beamtenverhältnis; Polizeiobermeister

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
11.09.1990
Aktenzeichen
5 A 149/88
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1990, 12987
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1990:0911.5A149.88.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Schleswig 30.09.1988 - 11 A 182/88
nachfolgend
BVerwG - 23.01.1991 - AZ: BVerwG 2 B 120/90

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 11. Kammer - vom 30. September 1988 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

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I.

Der im Jahre 1953 geborene Kläger steht im Range eines Polizeiobermeisters im Bundesgrenzschutz im Dienste der Beklagten. Er wird im maschinentechnischen Dienst verwendet. Als Mitglied der Besatzung eines Bootes des BGS führt er Streifenfahrten auf der Ost- und auf der Nordsee durch. Bei der Wahrnehmung seines Dienstes kommt es regelmäßig zu Überzeitarbeit.

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Mit Verfügung vom 10. Februar 1988 ordnete der Bundesgrenzschutz See für den Kläger für die Zeit vom 11. Februar 1988 bis einschließlich 26. Februar 1988 Minderzeitarbeit an. Mit Attesten vom 16. und 19. Februar 1988 meldete der Kläger sich für die Zeit vom 16. bis 26. Februar 1988 als dienstunfähig. Mit Schreiben vom 15. März 1988 beantragte er, die für den Zeitraum seiner Erkrankung angeordnete Minderzeitarbeit nicht anzurechnen und ihm diese Stunden wieder gutzuschreiben. Diesen Antrag lehnte der Bundesgrenzschutz See mit Bescheid vom 17. März 1988 ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies das Grenzschutzkommando ... durch Bescheid vom 20. Mai 1988 - zugestellt am 31. Mai 1988 - zurück und bezog sich zur Begründung auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 4. September 1985 - 7 AZR 531/82 -, nach dem der in § 17 Abs. 5 BAT vorgesehene Überstundenausgleich durch bezahlte Arbeitsbefreiung grundsätzlich auch während einer kranhheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit möglich ist, und auf den Erlaß des Bundesministers des Innern vom 1. Juni 1987 - P II 1 - 630 215/1 -, wonach die Grundsätze des Urteils des Bundesarbeitsgerichts analog auch bei Dienstunfähigkeit während des Ausgleichs bei Überzeitarbeit i.S. des § 3 Abs. 1 AZV gelten.

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Mit seiner am 29. Juni 1988 erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht: Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 4. September 1985 - 7 AZR 531/82 - zu § 17 Abs. 5 BAT sei auf das Beamtenrecht nicht übertragbar. Es müsse auch berücksichtigt werden, daß es sich hier nicht um "Mehrarbeit", sondern um "Überarbeit" handele.

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Der Kläger hat beantragt,

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die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 17. März 1988 und 20. Mai 1988 zu verpflichten, ihm 71,75 Stunden "Überzeitarbeit" wieder gutzuschreiben.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie hat entgegnet: Bei der Überzeitarbeit handele es sich nicht um eine echte Mehrarbeit i.S. von § 72 Abs. 2 BBG, sondern um eine von der Regel abweichende Verteilung der täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit, also um eine aus dienstlichen Bedürfnissen von vornherein geplante Umverteilung der regelmäßigen Arbeitszeit. Hierbei dürfe innerhalb eines Zeitraumes von drei bis sechs Monaten die durchschnittliche Höchstdauer der Wochenarbeitszeit von 40 Stunden nicht überschritten werden. Mehr- oder Minderarbeitszeit sei dementsprechend auch innerhalb dieses Zeitraumes auszugleichen (§ 3 Abs. 1 der Verordnung über die Arbeitszeit der Bundesbeamten - AZV -). Da die Überzeitarbeit bei Beamten in gleicher Weise abgegolten werde wie bei den Angestellten, sei auch die zu § 17 Abs. 5 BAT ergangene Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einschlägig. Das Arbeitszeitrecht der Beamten weise gegenüber dem Arbeitszeitrecht der Arbeitnehmer keine Besonderheiten auf, die es rechtfertigen würden, für Beamte in entsprechenden Fällen eine von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts abweichende Entscheidung zu treffen (vgl. BVerwGE 37, 21 (24 f.) [BVerwG 10.12.1970 - II C 45/68]). Bei der Dienstbefreiung aufgrund geleisteter Überzeitarbeit handele es sich nicht um Urlaub. Die Dienstbefreiung habe auch nicht einen urlaubsähnlichen Charakter. Die Dienstbefreiung diene vielmehr allein dazu, im Vorwege erbrachte Überstunden durch einen nachfolgenden Freizeitausgleich in die regelmäßige Arbeitszeit einzuordnen. Daher brauche der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer auch nicht dafür einzustehen, daß dieser seine Dienstbefreiung sinnvoll nutzen könne. § 9 der Erholungsurlaubsverordnung sei nicht entsprechend anwendbar.

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Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 30. September 1988 abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Dem Kläger stehe der geltend gemachte Anspruch auf Gewährung von "Überzeitarbeitsausgleich" nicht zu. Wegen der übereinstimmenden Zweckrichtung der Vorschriften des § 17 Abs. 5 BAT und § 72 Abs. 2 Satz 2 BBG könnten die Besonderheiten des Beamtenrechts ein von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts abweichendes Ergebnis nicht rechtfertigen. Auch bei dem Anspruch auf Dienstbefreiung zum Ausgleich geleisteter Mehrarbeiten nach § 72 Abs. 2 BBG handele es sich um einen nachfolgenden Ausgleich für vorweggenommene Dienstleistung. Dies schließe es aus, den Dienstherrn dafür einstehen zu lassen, daß der Beamte an der Nutzung seiner arbeitsfreien Zeit durch Krankheit gehindert sei. Eine entsprechende Anwendung der für den Erholungsurlaub geltenden Ausnahmeregelung des § 9 Abs. 1 Satz 1 der Erholungsurlaubsverordnung komme schon deshalb nicht in Frage, weil der nach § 72 Abs. 2 BBG zu gewährende Freizeitausgleich den Beamten grundsätzlich keinen zusätzlichen Erholungsurlaub verschaffen wolle.

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Gegen dieses ihm am 14. November 1988 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit seiner am 25. November 1988 eingelegten Berufung, zu deren Begründung er vorträgt: Er habe einen Anspruch auf den beantragten Ausgleich. Eine Rechtsgrundlage für den Fortfall des erworbenen Rechts auf Ausgleich gebe es nicht. Insbesondere ließen § 72 Abs. 2 Satz 2 BBG und § 3 Abs. 1 AZV derartige belastende Verwaltungsakte nicht zu. Die von der Beklagten wie vom Verwaltungsgericht in der Auslegung des Bundesarbeitsgerichts herangezogene Vorschrift des § 17 Abs. 5 BAT könne als rein arbeitsrechtliche Vorschrift beamtenrechtliche Rechtsgrundlagen nicht ersetzen.

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Der Kläger beantragt,

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das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem im ersten Rechtszug gestellten Antrag zu erkennen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie hält an ihrer Auffassung fest, daß dann, wenn die Dienststelle dienstplanmäßig den Zeitraum des zwingend vorgeschriebenen Ausgleichs von Überzeitarbeiten nach § 3 Abs. 1 AZV festgelegt und dem Beamten bekanntgegeben hat, der Anspruch des Beamten auf Ausgleich der geleisteten Überzeitarbeit nach § 3 Abs. 1 AZV auch dann erfüllt ist, wenn er während des Ausgleichszeitraums dienstunfähig wird. Im übrigen macht sie sich die Gründe des angefochtenen Urteils zu eigen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf ihre in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakten A und B) sowie der Personalakten des Klägers (Beiakten C) Bezug genommen.

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II.

Die rechtzeitig eingelegte Berufung des Klägers ist nicht begründet.

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Das Verwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, daß dem Kläger der geltend gemachte Anspruch auf Abgeltung der geleisteten Überzeitarbeit nicht (mehr) zusteht.

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Dem Kläger stand zwar gemäß § 72 Abs. 2 Satz 2 BBG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 AZV ein Anspruch auf Ausgleich der geleisteten Überzeitarbeit zu. Bei den von ihm geleisteten Überstunden handelte es sich um eine vorweggenommene Arbeitsleistung, die durch einen nachfolgenden Freizeitausgleich in die regelmäßige Arbeitszeit einzuordnen war. Diesen Anspruch des Klägers hat die Beklagte durch ihre Verfügung vom 10. Februar 1988 erfüllt, mit welcher sie für die Zeit vom 10. Februar 1988 bis zum 26. Februar 1988 für den Kläger Minderzeitarbeit anordnete.

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Die Erkrankung des Klägers vom 16. bis zum 26. Februar 1988 hatte keinen Einfluß auf die Wirksamkeit der von der Beklagten zuvor erteilten Anordnung der Minderzeitarbeit. Insoweit schließt sich auch der erkennende Senat der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 4. September 1985 - 7 AZR 531/82 -, BAGE 49, 273 = RiA 1986, 157 zu § 17 Abs. 5 BAT an. Entgegen der Auffassung des Klägers rechtfertigen die Besonderheiten des Beamtenrechts nicht ein von der erwähnten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts abweichendes Ergebnis. § 3 Abs. 1 AZV stimmt in seinem wesentlichen Inhalt mit § 17 Abs. 5 BATüberein, dem die beamtenrechtliche Regelung offenbar nachgebildet worden ist. Zwar weist der Kläger zutreffend darauf hin, daß die Dienstverhältnisse der Beamten und der Angestellten unterschiedlich ausgestaltet sind. Während die Pflichtenbindung, in der der Beamte im Verhältnis zum Dienstherrn steht, umfassend ist und die daraus erwachsenden Einzelverpflichtungen - mit Ausnahme solcher, die im Einzelfall zu einer das Regelmaß erheblich übersteigenden Mehrbelastung führen - durch die Dienstbezüge abgegolten werden, wird das Angestelltenverhältnis als Vertragsbeziehung bis in die Einzelheiten seiner Ausgestaltung durch den Austausch von Leistung und Gegenleistung geprägt (vgl. BVerwG, Urt. v. 12. 12. 1979 - 6 C 96.78 -, BVerwGE 59, 176 (183) [BVerwG 12.12.1979 - 6 C 96/78]). Diese grundsätzlichen Unterschiede in der rechtlichen Ausgestaltung beider Dienstverhältnisse wirken sich jedoch in dem hier streitigen Bereich nicht aus, weil es sich hier um in der Sache im wesentlichen übereinstimmende Rechtsbestimmungen handelt. Muß schon ein Angestellter das Risiko tragen, in seiner Freizeit zu erkranken, so muß einem Beamten dieses Opfer erst recht zugemutet werden.

21

Die Berücksichtigung einer während eines gewährten Freizeitausgleichs eingetretenen Erkrankung ist weder in der Arbeitszeitverordnung noch in sonstigen Rechtsvorschriften vorgesehen. § 9 der Verordnung über den Erholungsurlaub der Bundesbeamten und Richter im Urlaubsdienst sieht zwar vor, daß einem Beamten, der während seines Urlaubs durch Krankheit dienstunfähig wird und dies unverzüglich anzeigt, die Zeit der Dienstunfähigkeit nicht auf den Erholungsurlaub angerechnet wird. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um den Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens, sondern um eine Ausnahmevorschrift, die speziell auf den Zweck des Erholungsurlaubs zugeschnitten und deshalb einer erweiternden Anwendung im Rahmen des Arbeitszeitrechts nicht zugänglich ist. Sie dient dazu, den Erholungszweck des Urlaubs (§ 89 BBG) zu erhalten und zu sichern auch für den Fall, daß während des Urlaubs Umstände auftreten, welche die Erreichung dieses Zwecks in Frage stellen. Der Charakter des § 9 der Erholungsurlaubsverordnung als Ausnahmevorschrift wird auch durch den Umstand unterstrichen, daß eine entsprechende Bestimmung in anderen Vorschriften, welche die Freistellung von der Dienstleistung regeln, wie z.B. in der Verordnung über Sonderurlaub für Bundesbeamte und Richter im Bundesdienst in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1980 (BGBl I S. 2074), fehlt. Ähnlich wie z.B. eine Erkrankung während eines arbeitsfreien Wochenendes zu Lasten des Beamten geht, ist es gerechtfertigt, bei Erkrankung während des gewährten Freizeitausgleichs diesen gleichwohl als verbraucht anzusehen (so Plog-Wiedow-Beck-Lemhöfer, Komm. z. BBG, § 72 RdNr. 25 unter Hinweis auf die Urt. d. Bundesarbeitsgerichts v. 4. 9. 1985 und v. 31. 5. 1989 - 5 AZR 344/88 -, ZTR 1990, 77).

22

Der von dem Kläger behaupteten Rechtswidrigkeit der Anordnung der Überzeitarbeit war schon deshalb nicht nachzugehen, weil der sich daraus eventuell unter dem Gesichtspunkt des Schadenersatzes oder der Folgenbeseitigung ergebende Ausgleich nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist.

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Hiernach erweisen sich die angefochtenen Bescheide als rechtmäßig. Der Berufung des Klägers gegen das seine Klage abweisende Urteil des Verwaltungsgerichts war daher der Erfolg zu versagen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten auf § 167 VwGO iVm § 708 Nr. 10 ZPO.

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Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO oder des § 172 BBG iVm § 127 BRRG gegeben ist.

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Dr. Thiedemann

27

Reisner

28

Stubben