Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 17.12.2003, Az.: 2 A 12/02

allgemeines Wohngebiet ; Außenbereich; Bauvorbescheid; Belästigung; Gebot der Rücksichtnahme; Hundegebell; Hundezucht; Lärm; Nachbarschutz; Privilegierung; TA Lärm; Zwingeranlage

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
17.12.2003
Aktenzeichen
2 A 12/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48096
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Bauvorbescheid des Beklagten vom 10.01.2000 sowie der Bescheid des Beklagten vom 22.05.2000 in der Gestalt, die er durch die Nachtragsgenehmigung vom 13.06.2001 erhalten hat, und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 05.12.2001 werden aufgehoben.

Der Beklagte und der Beigeladene tragen die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu je 1/2. Sie tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Hinsichtlich der Kostenentscheidung ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte und der Beigeladene können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 9.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

1

Der Kläger wendet sich gegen den Betrieb einer Hundezuchtzwingeranlage.

2

Die Familie des Beigeladenen züchtet seit vielen Jahren Schäferhunde. Sie wohnt in I., wo sie nach wie vor einige der Hunde hält. Unter dem 17.10.1999 stellte der Beigeladene eine Bauvoranfrage zu der Errichtung einer Zwingeranlage für ca. 20 Hunde auf einem 9.996 qm großen Teilstück des im Außenbereich südöstlich von J. gelegenen Grundstücks Flurstück K., Flur L., Gemarkung J.. Dort beabsichtige er zukünftig seine Hundezucht zu betreiben. Mit Bauvorbescheid vom 10.01.2000 stellte der Beklagte fest, gegen das Vorhaben bestünden ortsplanerisch keine Bedenken. Das Vorhaben sei entsprechend den eingereichten Bauvorlagen gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 4 Nr. 4 BauGB zulässig.

3

Unter dem 22.05.2000 erteilte der Beklagte dem Beigeladenen die Genehmigung zur Errichtung einer Zuchtzwingeranlage und zur Aufstellung von zwei Containern zur Lagerung von Futtermitteln. Nach der Bau- und Betriebsbeschreibung können in dem Gebäude bis zu 20 Hunde in separaten Zwingerboxen untergebracht werden. Jeder Box ist ein getrennter Auslauf zugeordnet. Das in der Folgezeit nach den Bauvorlagen errichtete Gebäude besteht aus einem 115 mm starken Kalksandsteinmauerwerk mit Estrichboden und Trapezblecheindeckung. Die Ausläufe sind mit Maschendrahtzaun eingefasst. Daneben gibt es zwei Wurfzwinger. Das Grundstück wird durch einen Wirtschaftsweg, den M. erschlossen. Östlich grenzt das Grundstück von Frau N., die zwei Schäferhunde besitzt, an. Die weiteren benachbarten Flurstücke werden landwirtschaftlich genutzt.

4

Im September 2000 wurde die Zwingeranlage in J. in Betrieb genommen. Spätestens seit diesem Zeitpunkt wird die Zucht von der ganztägig als Steuerberater-Fachgehilfin tätigen Tochter des Beigeladenen, O., betrieben. Gemeinsam mit ihrer Schwester ist sie inzwischen Eigentümerin des ehemaligen Teilstücks, das heute die Flurstücksbezeichnung P. trägt. Sie züchtet die Schäferhunde unter dem Namen „Q..

5

Der Kläger ist Eigentümer eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks am südlichen Rand von J.. Das Grundstück befindet sich in einer Entfernung von ca. 380 m zur Zwingeranlage an der Grenze zum Außenbereich. Es liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans R., der hier als Art der baulichen Nutzung „Allgemeines Wohngebiet“ (WA) festsetzt. Bauvorbescheid und Baugenehmigung wurden ihm nicht bekannt gegeben.

6

Mit einem von einer Frau S. formulierten Beschwerdeschreiben vom 04.10.2000, eingegangen bei dem Beklagten am 10.10.2000, wandten sich insgesamt 37 Eigentümer von Grundstücken überwiegend am T. und am U. gegen die Baugenehmigung für die Zwingeranlage und den Betrieb einer Hundepension. Sie trugen vor, die Hunde in der Anlage bellten von morgens 04:30 Uhr bis spät in die Nacht. Vor 23:00 Uhr sei kaum mit Ruhe zu rechnen. Viele Anwohner könnten bei schönem Wetter ihre Fenster nach Süden nicht mehr öffnen, da der Lärm zu einem wahren Ärgernis geworden sei. Zu den Unterzeichnern der dem Schreiben beigefügten Unterschriftenliste gehörte auch der Kläger. Am 15.01.2001 legte er formell Widerspruch gegen „die Baugenehmigung sowie sämtliche damit im Zusammenhang erteilte Genehmigungen zum Bau von Gebäuden, Nutzungsänderungen von Gebäuden bzw. Nutzungsgenehmigungen“ zu Gunsten der Familie des Beigeladenen ein. Zur Begründung führte er an, seit dem Spätherbst 2000 werde er durch Hundegebell belästigt. Die Hunde bellten tagsüber mehrfach in der Woche über einen längeren Zeitraum. Häufig bellten sie fünf bis neun Stunden und länger nahezu ohne Unterbrechung. Auch nachts dauere das Hundegebell einige Minuten bis teilweise drei Stunden. Dadurch würden nicht nur die Anwohner am T., sondern auch die Bewohner von V. und U. erheblich gestört. Der Kläger legte Aufzeichnungen verschiedener Anwohner zu Tageszeiten, Dauer und Intensität des Hundegebells vor („Lärm-Tagebücher“).

7

Der Beklagte holte ein schalltechnisches Gutachten zu der Immissionsbelastung der Grundstücke am Ortsrand von W. durch Hundegebell ein. Insoweit wird auf das Gutachten des Ingenieurbüros X. vom 1.2.2001 und die auf Einwendungen der Anwohner eingehende ergänzende Stellungnahme vom 30.03.2001 verwiesen.

8

Der Beklagte griff Empfehlungen der Gutachter auf und ergänzte die Baugenehmigung mit Bescheid vom 13.06.2001 (Nachtragsgenehmigung) um folgende Auflagen: „In der Nachtzeit von 22:00 bis 06:00 Uhr sind die Fenster und Schlupftüren der Zwingeranlage geschlossen zu halten, die Tiere dürfen sich nachts nicht im Freibereich aufhalten. In der Tageszeit darf nur jede zweite Schlupftür geöffnet sein, so dass sich nur etwa 50 % der Tiere gleichzeitig im Freibereich aufhalten können. Der Bereich zwischen dem Trapezblech und der Außenwand der Zwingeranlage ist schalltechnisch abzudichten.“. Der Beigeladene legte gegen die beiden letztgenannten Auflagen Widerspruch ein. Gleichwohl beachtete er die Regelung für die Tageszeit und dichtete das Dach ab. In der mündlichen Verhandlung vom 17.12.2003 hat er den Widerspruch zurückgenommen.

9

Am 27.03.2001 fasste der Rat der Gemeinde J. einen Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplanes Y., der das Grundstück der Töchter des Beigeladenen und das Grundstück von Frau N. erfasste. Der Beschluss wurde am 20.03.2001 bekannt gemacht. Ebenfalls am 27.03.2001 beschloss die Gemeinde J. eine Veränderungssperre hinsichtlich des Plangebietes (vgl. Amtsbl. d. Bekl. Nr. 8/2001, S. 324). Die Veränderungssperre wurde nicht verlängert.

10

Der Beigeladene errichtete auf dem Baugrundstück einen eingezäunten Hundeübungsplatz, auf dem Hundeschulungen durchgeführt werden sollen. Außerdem plant er, die Hundezwingeranlage teilweise als Hundepension zu nutzen. Insoweit wird auf die Parallelverfahren 2 A 516/01, 2 A 8 und 9/02 verwiesen.

11

Der Widerspruch des Klägers wurde von der Bezirksregierung Braunschweig durch Widerspruchsbescheid vom 05.12.2001 zurückgewiesen.

12

Mit Beschluss vom 21.02.2002 lehnte die erkennende Kammer einen Antrag des Klägers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bauvorbescheid und die Baugenehmigung ab (Az.: 2 B 574/01).

13

Der Kläger hat am 14.01.2002 Klage erhoben und sich zunächst nur gegen die Baugenehmigung gewandt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, die Baugenehmigung verletze das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme. Die Geräuschimmissionen durch das Hundegebell führten zu einer unzumutbaren Belästigung und einer erheblichen Einschränkung der Nutzungsmöglichkeiten seines Grundstücks. Die Hunde in der Anlage der Tochter des Beigeladenen bellten tagsüber und nachts häufig über mehrere Stunden. Das Bellen sei insbesondere deshalb lästig, weil diese Tiergeräusche nicht als monoton wahrgenommen würden und deshalb auch nicht verdrängt werden könnten. Das Gebell vieler Hunde schaukele sich nicht nur auf, es setze auch völlig unvermittelt ein. Insbesondere nachts lasse das überraschend auftretende Bellen ihn und die anderen Anwohner aufschrecken. Ihr Puls werde in die Höhe getrieben, so dass sie zunächst nicht wieder einschlafen könnten. Art und Umfang des Gebells wird von dem Kläger mit weiteren Aufzeichnungen dokumentiert. Insoweit wird auf die von dem Kläger eingereichten Unterlagen Bezug genommen. Die besondere Lästigkeit der Immissionen sei bei der Güterabwägung zu berücksichtigen. Eine unkritische Anwendung der TA-Lärm sei insofern nicht zulässig. Diese Verwaltungsvorschrift sei für technisch bedingten Lärm geschaffen worden. Das Hundegebell könne jedoch nicht einfach an- oder abgeschaltet werden. Die Abwägung müsse auch beachten, dass die Wohnbebauung am Ortsrand zuerst da gewesen sei. Bei der Ansiedlung habe er davon ausgehen dürfen, dass die Nutzung des angrenzenden Außenbereichs nur durch die Landwirtschaft, nicht aber durch Betriebe mit erheblichen Lärmimmissionen erfolge. Das von dem Beklagten eingeholte schalltechnische Gutachten vom 01.02.2001 nebst ergänzender Stellungnahme leide an erheblichen Mängeln. Insbesondere sei die Grundannahme unrichtig, dass Hunde nur maximal 5 Stunden am Tag und 9 Minuten pro Stunde in der Nacht bellten. Das sei wissenschaftlich nicht zu belegen, was auch der vom Gericht beauftragte Gutachter der Tierärztlichen Hochschule Hannover bestätigt habe.

14

Schließlich macht der Kläger geltend, das Bauvorhaben sei nicht gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB wegen seiner nachteiligen Wirkungen auf die Umgebung privilegiert. Denn der Beigeladene habe eine nachhaltig betriebene Hundezucht, die auch Gewinn abwerfen könne, nicht dargelegt. Seine Berechnungen seien nicht schlüssig. Sie seien nur für das Gericht angefertigt worden und entbehrten einer realistischen Grundlage. Insbesondere seien einerseits die Erlöse aus dem Verkauf von Welpen zu hoch veranschlagt und andererseits verschiedene Aufwendungen, etwa für Fahrtkosten, Hundefutter und tierärztliche Untersuchungen zu gering angesetzt worden. Der „Wirtschaftsplan 2004“ belege mithin ebenso wenig die Privilegierung wie andere von dem Beigeladenen beigebrachte Unterlagen. Die Hundezucht sei nur ein kostspieliges Familienhobby.

15

In der mündlichen Verhandlung vom 17.12.2003 hat der Kläger seine Anfechtungsklage um den Bauvorbescheid vom 10.01.2000 erweitert.

16

Er beantragt nunmehr,

17

den Bauvorbescheid vom 10.01.2000 sowie den Bescheid des Beklagten vom 22.05.2000 in der Gestalt, die er durch die Nachtragsgenehmigung vom 13.06.2001 erhalten hat, beides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2001 aufzuheben.

18

Der Beklagte beantragt,

19

die Klage abzuweisen.

20

Er tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen. Das schalltechnische Gutachten vom 01.02.2001 bilde eine rechtlich tragfähige Grundlage für die Baugenehmigung. Die ermittelten Immissionswerte enthielten Zuschläge für die Ton- und Informationshaltigkeit sowie für die Impulshaltigkeit der Geräusche. Außerdem sei ein Zuschlag für Tageszeiten mit erhöhter Empfindlichkeit vorgenommen worden. Bei den Schallmessungen sei die ungünstigste Situation, nämlich der Aufenthalt der Hunde im Freien bei einem bewusst hervorgerufenen Bellen angenommen worden. Auch gehe das Gutachten rechnerisch von einer vollständigen Auslastung der Zwingeranlage aus. Es berücksichtige deshalb insgesamt hinreichend die Besonderheiten des Hundegebells im Vergleich zu Geräuschen von Maschinen. Ferner werde die besondere Situation des Grundstücks im Außenbereich in die Bewertung einbezogen. Der Beklagte hat eine Stellungnahme des Dipl.-Ing. Z. vom 28.05.2003 zu dem tierärztlichen Gutachten des Gerichts zu den Akten gereicht.

21

Der Beigeladene beantragt,

22

die Klage abzuweisen und die Klageänderung als unzulässig zu verwerfen.

23

Er stützt sich ebenfalls auf das Lärmgutachten vom 01.02.2001, das die Immissionsbelastung zutreffend als gering bewerte. Es komme hinzu, dass er die darin geforderte Abdichtung des Trapezblechdaches vorgenommen habe. Deswegen sei von noch geringeren Dezibelwerten auszugehen. Eine zusätzliche Abdichtung (Innendecke) werde er bis Ende 2005 durchführen. Der Kläger habe wegen der Lage seines Grundstücks am Außenbereich gerade nicht von einer dauerhaft gleichbleibenden Nutzung des Außenbereichs für die Landwirtschaft ausgehen dürfen. Vielmehr habe er jederzeit mit einer anderen Nutzung rechnen müssen. Die Lage am Außenbereich führe zu höheren zulässigen Immissionsrichtwerten als bei einem Grundstück innerhalb eines Wohngebietes. Die Lärmprotokolle des Klägers und anderer Anwohner seien nicht aussagekräftig. Es sei ausgeschlossen, dass die Hunde in dem geschilderten Umfang grundlos stundenlang bellten. Nicht selten seien sie allerdings von Spaziergängern, zu denen auch Anwohner gehörten, zum Bellen angestachelt worden. Das Wohngebiet sei außerdem durch das Gebell zahlreicher Hunde auf einzelnen Grundstücken vorbelastet. Hierzu gehörten auch die beiden Schäferhunde der Nachbarin N.. Das tierärztliche Gutachten äußere sich nur allgemein und mache keine verwertbaren Angaben zu seiner Zwingeranlage. Dem Gutachter fehle auch die notwendige Qualifikation.

24

Entgegen der Ansicht des Klägers sei das Bauvorhaben sehr wohl nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegiert. Seine Familie betreibe die Hundezucht schon seit 1975. Welpen und Zuchthunde würden unter dem anerkannten Namen AA. verkauft. Mit dem Verkauf sei ein ausreichender Erlös zu erzielen. Nach dem Wirtschaftsplan 2004, den er dem Gericht übergeben habe, beliefe sich der Gewinn bei 80 Welpen auf 19.500,00 € und bei 100 Welpen auf 27.950,00 €. Er wirtschafte nicht zuletzt deshalb günstig, weil er und seine Ehefrau der berufstätigen Tochter AB. im Betrieb zur Seite stünden. Die Tochter betreibe die Hundezucht ernsthaft und nachhaltig. Es handele sich nicht lediglich um ein Hobby. Insofern hat der Beigeladene weitere Unterlagen eingereicht.

25

Das Gericht hat Beweis erhoben zu dem Verhalten von Hunden in einer Zuchtzwingeranlage und in einer Hundepension durch die Einholung eines veterinärärztlichen Gutachtens. Auf das Gutachten von Prof. Dr. AC., Institut für Tierschutz und Verhalten der Tierärztlichen Hochschule Hannover, vom 13.05.2003 wird Bezug genommen. In der mündlichen Verhandlung vom 17.12.2003 hat das Gericht Prof. Dr. AD. zu seinem Gutachten ergänzend gehört. Ferner ist der Verfasser des Lärmgutachtens der Beklagten vom 01.02.2001, Dipl.-Ing. AE. als sachverständiger Zeuge vernommen worden. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

26

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und sämtliche Verwaltungsvorgänge des Beklagten zu den Anlagen des Beigeladenen sowie auf die beigezogenen Gerichtsakten in den Parallelverfahren 2 A 516/01, 2 A 8/02, 2 A 9/02 und 2 A 13/02 sowie auf die Gerichtsakten in den abgeschlossenen einstweiligen Rechtsschutzverfahren 2 B 391/01 und 2 B 574/01 verwiesen. Sämtliche Unterlagen und Akten waren Gegenstand (auch) dieses Verfahrens.

Entscheidungsgründe

27

Die Klage ist zulässig.

28

Das Gericht wertet die Einbeziehung des Bauvorbescheids vom 10.01.2000 als sachdienliche Klageänderung i. S. des § 91 Abs. 1 VwGO. Der Bauvorbescheid i.S.d. § 74 Abs. 1 NBauO nimmt die Baugenehmigung teilweise vorweg (Nds. OVG, Urt. v. 05.03.1982 - 1 A 85/81 -, NJW 1981, 1772 [BVerfG 14.07.1981 - 1 BvL 28/77]; Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, Komm., 7. Aufl., § 74, Rn. 6, 11 f.: „abgesplitterter Teil“). Im Hinblick auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.02.1995 (4 C 23/94 - BRS 57 Nr. 206) geht die Kammer davon aus, dass sich der Bauvorbescheid vom 10.01.2000 mit der Erteilung der Baugenehmigung vom 22.05.2000 nicht erledigt hat. Eine entsprechende landesrechtliche Regelung gibt es in Niedersachsen nicht (vgl. Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, a.a.O., § 74, Rn. 25). Durch die Entscheidung des Gerichts über die im Bauvorbescheid vom 10.01.2000 getroffene bauplanerische Feststellung kann mithin ein weiterer Rechtsstreit vermieden werden.

29

Der Bauvorbescheid vom 10.01.2000 und die Baugenehmigung vom 22.05.2000 sind gegenüber dem Kläger nicht bestandskräftig geworden. Denn der Kläger erhob bereits mit dem „Beschwerde“-Schreiben vom 10.10.2000, das er sich durch seine Unterschrift in der beigefügten Liste zu eigen machte, gemäß § 68 Abs. 1 VwGO Widerspruch. Der Bauvorbescheid war dem Kläger nicht zugestellt worden. Ungeachtet der deshalb geltenden Jahresfrist der §§ 70 Abs. 2, 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO musste er so rechtzeitig Widerspruch einlegen, wie ihm dies auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Bauherrn möglich war. Nachdem der Zuchtbetrieb im September 2000 aufgenommen worden war, wandte sich der Kläger unverzüglich mit der von Frau S. formulierten „Beschwerde“ gegen das Bauvorhaben. Damit erhob er gegen beide Bescheide rechtzeitig Widerspruch.

30

Die Klage ist auch begründet.

31

Der Bauvorbescheid des Beklagten vom 10.01.2000 sowie die Baugenehmigung des Beklagten vom 22.05.2000 in der Fassung der Nachtragsgenehmigung vom 13.06.2001 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 05.12.2001 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

32

Der Bauvorbescheid vom 10.01.2000 ist rechtswidrig, weil er zu Unrecht eine Privilegierung des Bauvorhabens Hundezuchtzwingeranlage gem. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB annimmt und dieses als „ortsplanerisch unbedenklich“ feststellt. Die Rechtswidrigkeit des Bauvorbescheids hat die Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung zur Folge.

33

Die von dem Beklagten genehmigte Hundezuchtzwingeranlage des Beigeladenen verletzt das nachbarschützende baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme. Denn durch den Betrieb der Zwingeranlage werden schädliche Umwelteinwirkungen i. S. des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB hervorgerufen, weshalb die Zwingeranlage als sonstiges Vorhaben i.S. des § 35 Abs. 2 BauGB öffentliche Belange beeinträchtigt.

34

Die Hundezuchtzwingeranlage des Beigeladenen ist nicht als Standort gebundenes Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegiert. Danach ist ein Vorhaben im Außenbereich zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen, die ausreichende Erschließung gesichert ist und wenn es u.a. wegen seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung nur im Außenbereich ausgeführt werden soll. Die Zwingeranlage darf wegen der nach dem Schalltechnischen Gutachten des Ingenieurbüros AF. vom 01.02.2001 auch in größerer Entfernung deutlich wahrnehmbaren Lautäußerungen der maximal 20 Hunde nicht innerhalb der geschlossenen Ortslage von Hillerse betrieben werden.

35

Sie „soll“ allerdings auch nicht an dem vorgesehenen Standort im Außenbereich verwirklicht werden. Die tatbestandliche Weite des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB ist durch erhöhte Anforderungen an die im Gesetz umschriebenen Privilegierungsvoraussetzungen auszugleichen, da sich nur so das gesetzgeberische Ziel erreichen lässt, den Außenbereich in der ihm vornehmlich zukommenden Funktion zu schützen, der Land- und Forstwirtschaft sowie der Erholung der Allgemeinheit zu dienen. Das Tatbestandsmerkmal des ‚Sollens’ verlangt eine Wertung dahin, ob das Vorhaben hier und so sachgerecht nur im Außenbereich untergebracht werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.7.1994 - 4 C 20/93 - BVerwGE 96, 95). Die Durchführung des Vorhabens im Außenbereich muss durch seine besondere Eigenart erforderlich sein (vgl. BVerwG, B. v. 6.9.1999 - 4 B 74/99 - BRS 63 Nr. 109). Auch Zwingeranlagen für Zuchthunde können daher nur dann bevorrechtigt zugelassen werden, wenn ihr Betrieb nicht der Verwirklichung individueller Freizeitinteressen dient. Der Außenbereich ist für die Pflege eines Hobbys nicht vorgesehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.07.1991 - 4 B 109/01 -, NVwZ 1992, 172). Im Außenbereich „erforderlich“ ist eine Zuchtzwingeranlage nur, wenn - abgesehen von eventuellen öffentlichen Interessen - billigenswerte private, auch wirtschaftliche Interessen das Vorhaben erfordern (vgl. allg. BVerwG, B. v. 27.6.1983 - 4 B 2101/82 -, BRS 40 Nr. 74). Das kann in der Regel nur bei einer als „Betrieb“ geführten Zucht der Fall sein (vgl. ähnlich § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB). Der Bauherr einer Zwingeranlage muss daher nachweisen, dass er oder ein Dritter (etwa ein Pächter) einen nachhaltigen, am Kriterium der Wirtschaftlichkeit orientierten Betrieb von einem wirtschaftlich bedeutsamen Umfang plant bzw. bereits aufrechterhält. Dazu ist die Vorlage eines nachprüfbaren Konzeptes erforderlich, das eine ernsthafte, auf Dauer bestimmte und „lebensfähige“ Planung verdeutlichen muss. Dabei hat die Absicht der Gewinnerzielung eine gewichtige, aber nur indizielle Bedeutung. Neben bloßen betriebswirtschaftlichen Zahlen kann das Gericht auch weitere Gesichtspunkte heranziehen (vgl. OVG Rheinl-Pfalz, Urt. v. 27.06.2002 - 1 A 11344/01 -, Juris; OVG Saarland, Urt. v. 24.11.1992 - 2 R 51/91 -, Juris sowie allg. zu „Gewinnerzielung“ und „Nachhaltigkeit“ BVerwG, Urt. v. 11.04.1986, - 4 C 67/82 -, BRS 46 Nr. 75; BVerwG, B. v. 1.4.1971 - 4 B 215/69 - , BRS 24 Nr. 60).

36

Die Erteilung der Baugenehmigung ist bei einer Nachbarklage der für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebliche Zeitpunkt (BVerwG, B. v. 23.04.1998 - 4 B 40/98 - BRS 60 Nr. 178). Hier ist also hinsichtlich des nachbarschützenden Bauplanungsrechts auf den 10.01.2000 (Erlass des Bauvorbescheids) und abzustellen. Da nachträgliche Änderungen zugunsten des Bauherrn zu berücksichtigen sind (BVerwG, B. v. 23.04.1998, a.a.O.), bezieht die Kammer hinsichtlich der Privilegierung des Vorhabens den gesamten Tatsachenvortrag des Beigeladenen in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren in die Prüfung ein. Ansonsten müsste eine Bevorrechtigung gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB nach der Bauvoranfrage, die keinerlei Grundlage für eine Privilegierung bot, von vornherein abgelehnt werden.

37

Der Nachweis einer im Sinne der o.g. Grundsätze privilegierten Hundezucht ist dem Beigeladenen nicht gelungen. Ein nachprüfbares, schlüssiges Konzept hat er nicht vorgelegt. Vielmehr hat er durch die Kopien von Kaufverträgen lediglich bewiesen, dass von Januar bis Juli 2003 zehn Schäferhund-Welpen à 600,00 €, ein Welpe à 550,- € und ein Welpe à 450,- € verkauft worden sind. Weitere aussagekräftige Unterlagen liegen dem Gericht nicht vor. Die Schreiben zu dem Schadensfall vom 27.06.1997 hinsichtlich eines Schäferhundrüden führen nicht weiter, da eine Veräußerung von Zuchthündinnen nicht konkret geplant ist (vgl. etwa Angaben im Schriftsatz v. 01.09.2003). Da die Hundezucht in J. bereits seit September 2000 und damit seit mehr als drei Jahren betrieben wird, hätte der Beigeladene substantiierte Angaben zu den Verkaufserlösen aus den Jahren 2000 bis 2002 einerseits und zu der Kostenbelastung andererseits machen können.

38

Zu den Veräußerungen im Jahr 2003 hat er uneinheitlich vorgetragen. So hatte er in der mündlichen Verhandlung vom 19.02.2003 geäußert, jährlich 20, maximal 30 Welpen zu verkaufen (nicht protokolliert, s. gerichtl. Vfg. v. 10.07.2003). Im Schriftsatz vom 23.05.2003 ist von jährlich 84 Welpen die Rede. Trotz gerichtlichen Hinweises in der Verfügung vom 10.07.2003 hat er nicht konkret vorgetragen. Im Schriftsatz vom 01.09.2003 hat er ausgeführt, mit weiteren 20 bis 24 zu verkaufenden Welpen im Jahr 2003 zu rechnen (zzgl. der o.g. 12 belegten Verkäufe).

39

Geht man angesichts dieser unterschiedlichen Angaben einmal zugunsten des Beigeladenen von einer Verdopplung der nachgewiesenen Zahl veräußerter Welpen im Jahre 2003 aus, so kann er aus dem Verkauf von 24 Welpen einen Erlös von 14.400,00 € jährlich erzielen. Dem stehen schon nach seinem Wirtschaftsplan 2004 feste Kosten in Höhe von 11.350,00 € entgegen. Im Wirtschaftsplan 2004 sind allerdings beispielsweise die Kfz-Kosten mit 650,- € erheblich zu niedrig angesetzt. Denn der Beigeladene, seine Ehefrau oder seine Tochter müssen schon für eine Minimal-Betreuung täglich mehrfach die Fahrstrecke von ca. 7 km zwischen J. und I. zurücklegen. Wenn die variablen Kosten für Deckgelder, Hundefutter, Ahnentafeln und Tierarzt hinzugenommen werden, wird deutlich, dass 24 veräußerte Welpen oder auch eine etwas höhere Zahl den Betrieb keineswegs auf Dauer tragen können.

40

Eine artgemäße Pflege und verhaltensgerechte Betreuung von Hunden erfordert indessen in der Regel die dauernde Anwesenheit der Aufsichtspersonen (VGH Rh.-Pf., Urt. v. 27.06.2001 a.a.O.). Danach ist zweifelhaft, ob die Familie des Beigeladenen den notwendigen Personaleinsatz zukünftig bei einem ausgeweiteten Betrieb überhaupt gewährleisten kann. Dass nach der tierschutzrechtlichen Zuchterlaubnis vom 14.04.2002 in der Familie des Beigeladenen drei sachkundige Betreuungspersonen zur Verfügung stehen, besagt hinsichtlich des Zeitaufwandes nichts. Die Tochter AB. ist beispielsweise voll berufstätig und kann nur eingeschränkt mitwirken. Voraussichtlich wäre also bei den für 2004 geplanten 12 Zuchthündinnen und der Veräußerung von 80 bis 100 Welpen weiteres Personal einzustellen, was die festen Kosten nach dem Wirtschaftsplan 2004 zusätzlich erhöhen würde.

41

Der Auszug aus dem Einkommensteuerbescheid der Tochter O. für das Jahr 2000 ist für sich genommen nicht verwertbar. Er belegt lediglich Einkünfte aus einem Gewerbebetrieb - nach Erläuterung des Beigeladenen aus der Hundezucht - in Höhe von 5.182,00 DM. Weitere Unterlagen, insbesondere die das Gewerbe betreffenden Belege für die Steuererklärung der Tochter, bleibt er schuldig.

42

Dem Beigeladenen ist der Nachweis eines privilegierten Betriebes auch dann nicht gelungen, wenn die gleichzeitig vorgesehene Hundepension berücksichtigt wird. Dass sieben Zwinger 350 Tage im Jahr mit Pensionshunden belegt werden, ist völlig unrealistisch. Der Wirtschaftsplan 2004 mit Einnahmen aus der Hundepension in Höhe von 24.500,00 € kann deshalb auch insofern nicht als tragfähige Grundlage für eine Zukunftsplanung angesehen werden. Eine derart hohe Nachfrage nach der Unterbringung von Hunden in J. und Umgebung, die auch außerhalb der Urlaubszeit bestehen müsste, hat der Kläger nicht ansatzweise nachgewiesen oder auch nur nachvollziehbar dargelegt. Auch unter Einbeziehung des Hundeübungsplatzes, der weitere Einkünfte bringt (s. Anl. z. SS. d. Beigel. v. 13.10.2003) , trägt sich ein Gesamtbetrieb „Zwingeranlage/Pension/Übungsplatz“ nach den Darlegungen des Beigeladenen auf Dauer nicht. In diesem Zusammenhang berücksichtigt die Kammer, dass auch Betriebe privilegiert sein können, die in der Anfangszeit keinen Gewinn abwerfen (s. VGH Ba.-Wü., Urt. v. 9.12.1983 - 5 S 1599/83 -). Abgesehen von den übrigen wirtschaftlichen Unzulänglichkeiten hat der Beigeladene das Gericht indessen nicht einmal davon zu überzeugen vermocht, dass die Hundezucht überhaupt mit der Absicht einen Gewinn zu erzielen betrieben wird.

43

Ferner sah sich der Beigeladene in der mündlichen Verhandlung wirtschaftlich außerstande, die Hundeboxen weiter gegen Lärm zu dämmen (s.u.). Auf wiederholte Nachfrage des Gerichts war er dazu er erst bis Ende 2005 bereit. Wenn schon diese Maßnahme den Betrieb finanziell überfordert, dann kann der Wirtschaftsplan 2004 nicht realistisch sein.

44

Dass die AG. schon seit 1975 Schäferhunde züchtet ist nicht belegt. Das Gericht berücksichtigt jedoch die Erfahrung der Familie als Züchter. Dieser Gesichtspunkt spricht ebenso für eine Privilegierung wie ihre Investitionen in J. und ihr Bestreben, die Hundezucht und -pension auch gegen den Widerstand der Anwohner durchzusetzen. Andererseits fällt ins Gewicht: Wenn die Tochter des Beigeladenen tatsächlich in den vergangenen Jahren einen professionell geführten Betrieb mit einem (zukünftig) jährlichen Gewinn von 20.000,00 bis 30.000,00 € im Außenbereich aufgebaut hat, hätte der Beigeladene auch schlüssig und konkret vorgetragen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die zögerlich, erst auf Nachfragen gegebenen Informationen sowie die lückenhaften und teilweise widersprüchlichen Angaben gegen eine ernsthafte und lebensfähige Planung sprechen.

45

Andere billigenswerte Gründe, warum die Zuchtanlage an dem vorgesehenen Standort im Außenbereich betrieben werden sollte, sind nicht erkennbar.

46

Die Zuchtzwingeranlage ist danach ein sonstiges Vorhaben i. S. des § 35 Abs. 2 BauGB. Sonstige Vorhaben können dann nach dieser Vorschrift im Einzelfall zugelassen werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist. Im Gegensatz zu § 35 Abs. 1 BauGB, der lediglich verlangt, dass öffentliche Belange nicht entgegenstehen dürfen, ist ein Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB bereits unzulässig, wenn eine Beeinträchtigung eines öffentlichen Belangs vorliegt. Anders als bei einem privilegierten Vorhaben hat der Kläger hier also nicht eine gewisse Beeinträchtigung seiner rechtlich geschützten Interessen hinzunehmen, weil eine nachhaltig betriebene Zuchtzwingeranlage nach den Vorstellungen des Gesetzgebers nur im Außenbereich verwirklicht werden soll. Eine Gewichtung der beiderseitigen Interessen findet nicht statt. Erforderlich ist nur eine Abwägung mit dem Ziel festzustellen, ob und in wie weit öffentliche Belange beeinträchtigt sind (Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Komm., Losblattsamml., Stand: 01.05.2003, § 35 Rn. 60, 76).

47

Die Hundezucht beeinträchtigt öffentliche Belange, indem sie das Gebot der Rücksichtnahme verletzt. Das Gebot, auf schutzwürdige individuelle Interessen Rücksicht zu nehmen, wird zwar in § 35 Abs. 3 BauGB nicht ausdrücklich erwähnt. Eine gesetzliche Ausformung dieses Gebots stellt jedoch das Erfordernis dar, gemäß § 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB schädliche Umwelteinwirkungen zu vermeiden (BVerwG, Urt. v. 25.02.1977 - 4 C 22/75 -, BRS 32 Nr. 155). Die Reichweite des Gebots der Rücksichtnahme richtet sich nach der Schutzwürdigkeit des Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und danach, was im konkreten Fall billigerweise beiden Seiten zumutbar oder unzumutbar ist. Bei Lärm wird die Zumutbarkeitsschwelle überschritten, wenn die Belästigung i. S. der §§ 3 Abs. 1, 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG erheblich ist. Ob Immissionen erheblich sind, ist in einer wertenden Betrachtung aller maßgebenden Umstände der konkreten Situation zu würdigen (BVerwG, Urt. v. 25.02.1977, a.a.O., vgl. a. BayVGH, Urt. v. 08.09.1998 - 27 B 96.1407 - BRS 60 Nr. 93). Für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalls kommt es also bei der Abwägung darauf an, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist. Dabei muss demjenigen, der sein eigenes Grundstück in einer sonst zulässigen Weise baulich nutzen will, insofern ein Vorrang zugestanden werden, als er berechtigte Interessen nicht schon deshalb zurückzustellen braucht, um gleichwertige fremde Interessen zu schonen. Das gilt noch verstärkt, wenn sich bei einem Vergleich der beiderseitigen Interessen derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, sich zusätzlich darauf berufen kann, dass das Gesetz durch die Zuerkennung einer Privilegierung seine Interessen grundsätzlich höher bewertet wissen will, als es für die Interessen derer zutrifft, auf die Rücksicht genommen werden soll (BVerwG, Urt. v. 25.02.1977, a.a.O.).

48

Der Schutzanspruch des Klägers ist nach diesen Grundsätzen nicht nur wegen der Bewertung der Zuchtzwingeranlage als sonstiges Vorhaben stärker ausgeprägt; zu seinen Gunsten ist auch in Betracht zu ziehen, dass die Wohnbebauung am T. im Baugebiet R. lange vor der Errichtung der Zwingeranlage bestanden hat. Wenngleich der Kläger nicht damit rechnen durfte, dass die Nutzung des Außenbereichs unverändert bleibt bzw. keine emittierenden Nutzungen hinzutreten, so kann er gegenüber einem hinzutretenden sonstigen Vorhaben i.S.d. § 35 Abs. 2 BauGB jedenfalls eine größere Schutzwürdigkeit für sich in Anspruch nehmen.

49

Danach orientiert sich das Gericht nicht - wie es hier bei einer Privilegierung geboten gewesen wäre - an den Immissionsrichtwerten der 6. AVV zum BImSchG (TA-Lärm) für Dorf- oder Mischgebiete (vgl. BVerwG, B. v. 18.12.1990 - 4 N 6/88 - BRS 50 Nr. 25). Die Kammer geht von den Richtwerten für ein Allgemeines Wohngebiet (Ziff. 6.1 d) d. TA Lärm) aus.

50

Diese Immissionsrichtwerte können indessen nur als grobe Orientierung dienen. Denn die TA Lärm dient dem Schutz vor maschinell erzeugtem Lärm von Anlagen i.S.d. 2. Teils des BImSchG (vgl. Ziff. 1 der TA Lärm, s.a. Hinweis des Gutachters Dipl.-Ing. AH. zur Anwendbarkeit der TA Lärm, Schallgutachten v. 01.02.2001, S. 9). Den Besonderheiten des als sehr lästig empfundenen Hundegebells wird die TA Lärm trotz ihrer Prüfverfahren für Ausnahmesituationen (vgl. Sonderfallprüfung Ziff. 3.2.2 sowie Ziff. 6.3, 6.5, 7) nicht hinreichend gerecht. Lautäußerungen von Hunden setzen unvermittelt ein. Gerade bei der Zwingerhaltung mehrerer Hunde bellen diese typischerweise öfter und anhaltender als einzeln gehaltene Hunde auf verschiedenen Grundstücken. Hunde bellen sich dort gegenseitig an. Eine Lärmpotenzierung hinsichtlich der Dauer der Geräuscheinwirkung wird auch durch ein Mitbellen erreicht. Betroffen sind vor allem die besonders schutzbedürftigen Abend-, Nacht- und frühen Morgenstunden (vgl. zu diesen allgemeinen Erkenntnissen das tierärztliche Gutachten des Prof. Dr. AD. v. 13.05.2003 sowie Nds. OVG, Urt. v. 30.09.1992 - 6 L 129/90-, NVwZ-RR 1993, 398; VGH Ba.-Wü., B. v. 13.03.2003 - 5 S 2771/02 -, NVwZ-RR 2003, 724).

51

Aufgrund einer wertenden Betrachtung und Abwägung nach den zuvor dargestellten Grundsätzen ist die Kammer der Überzeugung, dass das Gebell der Schäferhunde in der Zuchtanlage den Kläger erheblich belästigt und nicht mehr zumutbar ist.

52

Insofern kann zunächst nicht angenommen werden, dass die Richtwerte der TA-Lärm für Allgemeine Wohngebiete regelmäßig eingehalten werden (tags, d. h. von 06:00 bis 22:00 Uhr - 55 dB(A), sowie nachts, d. h. von 22:00 bis 06:00 Uhr - 40 dB(A), Ziff. 6.1, 6.4 der TA-Lärm). Zu diesem Ergebnis gelangt zwar das Schalltechnische Gutachten des Ingenieurbüros AI. vom 01.02.2001 (s. a. ergänz. Stellungn. vom 30.03.2001 ). Auch hat der Beigeladene durch die Abdichtung zwischen Mauer und Trapezdach eine weitere Schalldämmung bewirkt. Diese Maßnahme genügt aber nicht, den erforderlichen und auch dem Beigeladenen zumutbaren Schutz für den Kläger herzustellen.

53

Denn das schalltechnische Gutachten geht von einer falschen Grundannahme aus. Die Immissionsrichtwerte der TA-Lärm werden danach nämlich nur dann eingehalten, wenn die Einwirkzeit tagsüber maximal 5 Stunden beträgt und die Einwirkzeit in der lautesten Nachtstunde 18 Minuten (nach Abdichten des Trapezdachs) nicht überschreitet, wobei alle 5 Sekunden ein Bellgeräusch auftreten muss (vgl. Gutachten v. 01.02.2001, S. 12 u. 14, Stellungnahme v. 30.03.2001, S. 4 f., Stellungnahme v. 28.05.2003, Bl. 107 GA 2 A 13/02, S. 2). Nach dem vom Gericht eingeholten Gutachten des Prof. Dr. AD. von der Tierärztlichen Hochschule Hannover (Institut für Tierschutz und Verhalten) entbehrt diese Annahme einer wissenschaftlichen Grundlage. Das Bellverhalten von Hunden ist „multifaktoriell bedingt“. Es richtet sich nach der jeweiligen Situation, nach der Individualität des Hundes, der Reaktion des Lautempfängers, äußeren Einflüssen und dem sozialen Umfeld. Bei Zwingeranlagen ist wegen der räumlichen und sozialen Restriktion von einer gegenüber der Individualhaltung erhöhten Vokalisation auszugehen. Es kann nicht von vornherein angenommen werden, Lautäußerungen von Hunden könnten tagsüber 5 Stunden und in der Nachtzeit 9 Minuten pro Stunde nicht überschreiten (Gutachten v. 13.05.2003, insbes. S. 3). Der Gutachter hat seine Äußerungen in der mündlichen Verhandlung vom 17.12.2003 überzeugend erläutert. Er hat dort verdeutlicht, dass sich eine präzise Voraussage und Einschätzung der Immissionssituation der Hundezwingeranlage des Beigeladenen nicht machen lasse (s. Sitzungsprotokoll). An der Sachkunde des erfahrenen Wissenschaftlers zu zweifeln, besteht für das Gericht kein Anlass.

54

Die Einwände des Beigeladenen gegen das Gutachten vom 13.05.2003 greifen nicht durch, da der Gutachter ein zwar kurzes, aber gleichwohl nachvollziehbares und widerspruchsfreies Gutachten vorgelegt hat. Dass er allgemeine Ausführungen auf den Seiten 1 und 2 seines Gutachtens vorangestellt hat und schriftlich nicht auf Einzelheiten der Zwingeranlage in J. eingegangen ist, steht der Verwertbarkeit seiner Aussagen zum Bellverhalten von Hunden in Zwingern und Hundepensionen nicht entgegen, zumal er in der mündlichen Verhandlung ergänzend gehört worden ist. Dass ein tierärztlicher Gutachter selbst Hunde in einer Anlage vergleichbarer Größe züchtet, ist nicht notwendig.

55

Für das Gericht ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht ersichtlich, warum gerade in der Anlage des Beigeladenen die Schäferhunde nur in dem von Dipl.-Ing. Z. für die Einhaltung der Richtwerte eins WA-Gebiets angenommenen Umfang bellen sollten. Die Anlage ist mit bis zu 20 Hunden belegt. Immerhin halten sich dort tagsüber bis zu 10 Hunde gleichzeitig im Freien auf. Die Hunde des Beigeladenen werden durch die Schäferhunde von Frau N. angestachelt. Deren Schäferhunde reagieren auf Vorkommnisse auf dem Wirtschaftsweg, der u.a. von Spaziergängern benutzt wird. Der Beigeladene oder seine Familienangehörigen tauschen ferner immer wieder Hunde zwischen J. und I. aus, was zusätzlich Unruhe in die Anlage trägt. Sie sorgen auch nicht durch eine intensive Betreuung dafür, dass Lautäußerungen vermieden werden. Nach den Aussagen des Gutachters Prof. Dr. AD. in der mündlichen Verhandlung vom 17.12.2003 besteht nämlich ein Zusammenhang zwischen dem Umfang der Betreuung und Lautäußerungen. Das gilt vor allem für die Nachtzeit, wenn eine visuelle Kommunikation der Hunde nicht möglich ist und deswegen vermehrt Lautäußerungen zur Verständigung eingesetzt werden (Gutachten v. 13.05.2003). Nachts ist die Anlage in J. jedoch regelmäßig nicht mit einem Betreuer besetzt.

56

Außerdem haben der Kläger und andere Anwohner in zahlreichen Aufzeichnungen (Protokollen) dokumentiert, dass sie durch Hundegebell länger als 5 Stunden bzw. 18 Minuten gestört werden. Das Gericht kann nicht überprüfen, ob in jedem einzelnen Fall nennenswerte Dezibelwerte erreicht wurden. Einzelne Protokolle mögen auch falsch oder übertrieben sein. Private Schallmessungen lässt das Gericht außer Betracht. Diverse Hunde von Eigentümern im Südosten von J. können in den Protokollen fälschlich als Zwinger-Hunde erfasst worden sein (s. die u.a. in dem Verf. 2 A 8/02 von der Gemeinde W. überreichte Auflistung der Hundebesitzer v. 21.07.2003). Eine „Vorbelastung“ des Grundstücks des Klägers wegen schon vorhandener Hunde hat die Kammer bei der Abwägung berücksichtigt. Angesichts der zahlreichen, mit Einzelheiten unterfütterten Darstellungen in den Protokollen ist die Kammer davon überzeugt, dass es (unzumutbar) häufig zu einer Überschreitung der genannten Belldauer und damit zu einer nicht mehr hinnehmbaren Störung der Grundstücke der Anwohner am T. sowie in benachbarten Straßen kommt. Für das Jahr 2003 hat der Kläger erhebliche Lärmbelästigungen beispielsweise durch die Anlagen zu dem in der mündlichen Verhandlung überreichten Schriftsatz vom 17.12.2003 belegt. Verschiedene „Ordnungswidrigkeiten“ weisen hier auf eine Belldauer von mehr als 5 Stunden hin. Auch Lärmprotokolle und ähnliche Aufzeichnungen im Anhang zur Klagebegründung vom 26.04.2002 oder in den Verwaltungsvorgängen Zwingeranlage und Hundeübungsplatz, BA A zu 2 A 13/02 sowie BA A zu 2 A 9/02, und zur Begründung des einstweiligen Rechtsschutzantrags (2 B 574/01) belegen eine längere Einwirkzeit als 5 Stunden/18 Minuten und eine besondere Lästigkeit der Immissionen. Eine Veränderung von Herbst 2000 bis heute ist nicht festzustellen, so dass aus dem Vorstehenden auf die im entscheidungserheblichen Zeitpunkt (s.o.) zu erwartende Lärmbelästigung zu schließen ist.

57

Das Gericht geht auch deshalb davon aus, dass die Lärmprotokolle jedenfalls im Kern ihrer Aussagen berücksichtigungsfähig sind, weil der Beigeladene den Aufzeichnungen noch nicht einmal für wenigstens einen dargestellten Tag substantiiert entgegengetreten ist. Obwohl die Anlage seit mehr als drei Jahren betrieben wird, hat er kein einziges von ihm selbst erstelltes Lärmprotokoll vorgelegt. Es wäre ein Leichtes gewesen, das Bellverhalten der Hunde an einigen Tagen aufzuzeichnen.

58

Abschließend ist auch an dieser Stelle anzumerken, dass der Beigeladene das Dach der Zwingeranlage nicht zeitnah mit einer durchgehenden Unterdecke aus Gipskartonplatten und einer 40 mm dicken Mineralwollmatte dämmt. Dipl.-Ing. Z. hatte die Dämmung in der ergänzenden Stellungnahme vom 30.03.2001 (S. 6) empfohlen und eine Lärmreduktion um etwa 8 dB (A) errechnet. Ferner sah sich der Beigeladene nicht in der Lage, längere Ruhezeiten einzuhalten, wie ebenfalls von Dipl.-Ing. Z. in der ergänzenden Stellungnahme empfohlen (Stellungnahme v. 30.03.2001, S. 6). Diese Maßnahmen hätten womöglich zu einer anderen Bewertung der Geräuscheinwirkung geführt.

59

Nach alledem steht fest, dass Lautäußerungen der Schäferhunde die Nutzung des klägerischen Grundstücks in einer geschützte Nachbarrechte des Klägers aus § 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB verletzenden Weise beeinträchtigen, weshalb der Klage stattzugeben ist.

60

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Beigeladene hat nach § 154 Abs. 3 VwGO die Hälfte der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708, 711 ZPO.

61

Gründe, die Berufung gem. § 124a Satz 1 VwGO zuzulassen, liegen nicht vor.

62

Der Streitwert ist gem. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG in Anlehnung an den Streitwertkatalog der Bausenate des Nds.OVG (Nds.VBl. 2002, 192) zu Nachbarklagen festgesetzt worden (s. zu Ziff. 8 a)).