Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 17.12.2003, Az.: 6 A 83/03

Abschiebungskosten; Ausreisekosten; Verpflichtungserklärung; Verpflichtungszeitraum

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
17.12.2003
Aktenzeichen
6 A 83/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48328
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine Verpflichtung, die nach den Vorgaben des bundeseinheitlichen Formulars zu §§ 82 bis 84 AuslG nur für einen bestimmten Zeitraum abgegeben worden ist, erstreckt sich nicht auf die Kosten der Abschiebung, die nach dem Ende des Verpflichtungszeitraums anfallen.

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 20. Juni 2002 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheids vom 03. Februar 2003 wird aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann eine vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Der Wert des Streitgegenstands wird auf 2519,21 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

1

Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zur Erstattung von Abschiebungskosten.

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Unter dem 15.12.2000 unterzeichnete die Klägerin die auf dem amtlichen Formular der Bundesrepublik Deutschland geschriebene „Verpflichtungserklärung“, in der es u.a. heißt:

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„Ich, die Unterzeichnende ...

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verpflichte mich gegenüber der Ausländerbehörde/ Auslandsvertretung, für

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(Name etc. des Ausländers und Verwandtschaftsbeziehung mit der Antragstellerin)

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vom 20.12.2000 – 2003.2001

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nach § 84 des Ausländergesetztes die Kosten für den Lebensunterhalt und nach §§ 82 und 83 des Ausländergesetzes die Kosten für die Ausreise o.g. Ausländers zu tragen.“

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Der in der Verpflichtungserklärung genannte Ausländer erhielt daraufhin für die Zeit vom 29.12.2000 bis zum 29.02.2001 ein Visum zur Einreise ins Hoheitsgebiet der sog. Schengen-Staaten. Er reiste Anfang Januar 2001 nach Deutschland ein und wenige Tage später illegal nach Dänemark weiter, von wo er am 15.06.2001 nach Deutschland rücküberstellt wurde. Seinen daraufhin gestellten Asylantrag lehnte das Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 10.08.2001 ab. Gleichzeitig stellte das Bundesamt fest, dass Abschiebungshindernisse nach §§ 51 Abs. 1 und 53 AuslG nicht gegeben seien und forderte den Kläger zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Unanfechtbarkeit der ablehnenden Entscheidung auf. Für den Fall, dass dieser Anordnung nicht fristgerecht nachgekommen werde, drohte es die Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina an. Die dagegen erhobene Klage wies das VG Braunschweig mit Urteil vom 08.11.2001 (Az.: 7 A 318/01) ab.

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Am 04.03.2002 wurde der Ausländer von Deutschland aus in sein Heimatland abgeschoben.

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Mit Leistungsbescheid vom 20.06.2002 forderte die Beklagte die Klägerin auf, die im Bescheid näher spezifizierten Kosten der Abschiebung in Höhe von insgesamt 2519,21 Euro zu zahlen.

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Den dagegen von der Klägerin eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 03.02.2003, zugestellt am 05.02.2003, zurück.

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Mit der am 05.03.2003 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Interesse weiter.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 20. Juni 2002 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheids vom 03. Februar 2003 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Die Beklagte ist der Auffassung, der Verpflichtung der Klägerin stehe die zeitliche Begrenzung ihrer Verpflichtung nicht entgegen, da auch insoweit zwischen Kosten für den Lebensunterhalt und solchen für die Abschiebung unterschieden werden müsse. Abschiebungskosten könnten ihrer Natur nach erst anfallen, wenn eine Ausreiseverpflichtung entstanden sei. Dies aber sei regelmäßig erst nach Ablauf des Zeitraumes der Fall, für den die Lebensunterhaltskosten übernommen würden, was die Klägerin auch erkannt habe bzw. hätte erkennen können.

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Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage, über die das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet. Der Leistungsbescheid der Beklagten vom 20. Juni 2002 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheids vom 03. Februar 2003 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

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Die Beklagte meint zu Unrecht, sie könne ihren nach § 82 Abs. 2 AuslG erlassenen Leistungsbescheid auf die Verpflichtungserklärung der Klägerin vom 15.12.2000 stützen. Zwar trifft es zu, dass nach § 82 Abs. 2 AuslG neben dem Ausländer für die Kosten der Abschiebung auch derjenige haftet, der sich gegenüber der Ausländerbehörde oder der Auslandsvertretung verpflichtet hat, für die Ausreisekosten des Ausländers aufzukommen.

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Der Inanspruchnahme der Klägerin steht jedoch entgegen, dass sie sich zur Übernahme von Abschiebungskosten nur bis zum 20.03.2001 (die Kammer bewertet die Tatsache, dass im Original der Punkt zwischen „20“ und „03“ fehlt, als ein offenkundiges Schreibversehen) verpflichtet hat; für die am 04.03.2002 angefallenen Abschiebekosten ist die Klägerin eine Verpflichtung nicht eingegangen. Dies ergibt sich aus dem klaren Wortlaut der Verpflichtungserklärung, die insoweit nicht weiter auslegungsfähig ist. Die zeitliche Beschränkung bis zum 20.03.2001 ist nicht allein auf die Kosten des Lebensunterhalts bezogen, sondern erstreckt sich auch auf die Haftung für die Kosten der Abschiebung. Die Gestaltung des Formulars, das den Verpflichtungszeitraum gleichermaßen sowohl gegenüber den Kosten für den Lebensunterhalt nach § 84 AuslG als auch gegenüber den Abschiebungskosten nach §§ 82 und 83 AuslG deutlich absetzt, unterstreicht dies.

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Der Beklagten, die sich in diesem Zusammenhang auch auf den Erlass des Niedersächsischen Innenministerium vom 28.08.2001 (Az.: 45.22-12231/3-20) zur Geltendmachung von Abschiebungskosten sowie auch auf die vom VG Hamburg – Einzelrichter der 7. Kammer - im Gerichtsbescheid vom 24.09.2003 (7 VG 1147/2003) vertretene Ansicht stützen kann, ist einzuräumen, dass es aus der Sicht der zuständigen Ausländerbehörde (anders als aus der Sicht der Verpflichteten) nicht selten keinen vernünftigen Sinn macht, die Verpflichtung zur Übernahme von Abschiebungskosten auf einen bestimmten Zeitraum zu beschränken, der sich regelmäßig an der Dauer des nach der vorgelegten Verpflichtungserklärung ausgestellten Visums orientiert. Die von ihr gewünschte Unterscheidung zwischen dem Zeitraum der Haftung für den Lebensunterhalt und der Haftung für die Abschiebungskosten hätte sicherlich auch bei der Fassung bzw. beim Ausfüllen des amtlichen Formulars berücksichtigt werden können (vgl. dazu auch BVerwG, Urt. vom 24.11.1998 – 1 C 33/97, BVerwGE 108, 1 ff). Das ist im vorliegenden Fall jedoch nicht geschehen und kann der Verpflichtungserklärung auch nicht durch (scheinbare) „Auslegung“ untergeschoben werden, zumal die Klägerin ihrerseits ein berechtigtes Interesse daran hat, auf den Wortlaut der wahrscheinlich von einer Amtsperson ausgefüllten Erklärung vertrauen zu dürfen.

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Der Beklagten kann auch der Hinweis auf den weiteren Wortlaut des von der Klägerin unterzeichneten Formulars nicht weiter helfen, wonach die Klägerin auch über die Dauer ihrer Haftung unterrichtet worden ist. Damit ist nichts über eine vom Wortlaut der Erklärung abweichende Haftungsdauer ausgesagt.

24

Ob der Inanspruchnahme der Klägerin zudem entgegengehalten werden kann, dass der Ausländer – wie von der Klägerin behauptet – auf ihre Kosten Ende Juli 2001 in sein Heimatland gefahren ist, braucht bei dieser Sachlage nicht aufgeklärt und entschieden zu werden. Nicht erheblich ist auch, ob es für die Geltendmachung des Anspruchs aus der Verpflichtungserklärung auf einen Ursachenzusammenhang zwischen dem Ziel der Verpflichtungserklärung und der tatsächlichen Abschiebung ankommt, der insbesondere durch das Asylverfahren unterbrochen worden sein könnte (vgl. dazu etwa Bay. VGH, Urt. vom 03.03.1998 – 12 B 96.3002, zit. nach juris; Urt. vom 17.07.1997 – 12 B 96.1165, InfAuslR 1998, 45 ff).

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Der Klage ist mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit sowie zur Abwendungsbefugnis ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

26

Die Kammer lässt gemäß §§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO die Berufung zu. Die entschiedene Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung. Es geht um die nicht durch Besonderheiten des Einzelfalls geprägte Auslegung eines in nicht wenigen Fällen bundesweit benutzten Formulars, dem die Behördenpraxis nicht zuletzt auch nach dem Inhalt des von der Beklagten herangezogenen Erlasses des Niedersächsischen Innenministerium vom 28.08.2001 (Az.: 45.22-12231/3-20) eine Bedeutung beimisst, die ihr nach der Auffassung der Kammer nicht zukommen kann.