Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 05.12.2003, Az.: 4 A 148/03

Bedarf; Bundessozialhilfegesetz; Eigenbedarf; Einkommen; Einkommensanrechnung; Einkommensberechnung; Einkommensgrenze; Existenzminimum; Grenze; Grundsicherung; Hilfe; Pflege; Sozialhilfe

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
05.12.2003
Aktenzeichen
4 A 148/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48513
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Im Rahmen der Ermittlung eines Anspruches nach dem GSiG sind auch bei gleichzeitigem Bezug von Sozialhilfeleistungen in Form der Hilfe zur Pflege nicht die Einkommensgrenzen nach §§ 79 ff. BSHG zu berücksichtigen.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann eine vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

1

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG).

2

Die am 31. August 1919 geborene Klägerin und ihr am 26. Mai 1922 geborener Ehemann leben seit dem 7. Juni 2002 bzw. seit dem 6. Oktober 1999 im Seniorenwohnsitz Waldkurhaus D. in E.. Die ungedeckten Heimkosten werden von der Beklagten im Rahmen der Hilfe zum Pflege (Pflegestufe II für beide Personen seit dem 20. Juni 2002) übernommen. Die Klägerin verfügt bis auf anrechnungsfreie Kindererziehungsleistungen nur über geringfügige Zinseinkünfte. Der Ehemann verfügt über eine Altersrente und eine Betriebsrente.

3

Am 26. November 2002 beantragten die Klägerin und ihr Ehemann Grundsicherungsleistungen. Diese Anträge lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 15. Januar 2003 ab, weil das Einkommen höher sei als der nach § 3 Abs. 1 GSiG zu ermittelnde Bedarf. Dabei berücksichtigte die Beklagte das den GSiG-Bedarf des Ehemannes übersteigende Einkommen bei der Klägerin. Hiergegen legte nur die Klägerin am 14. Februar 2003 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass ihre Zinseinkünfte zu hoch angesetzt seien und das Einkommen ihres Ehemannes auch nicht teilweise bei ihrem Anspruch auf Grundsicherungsleistungen berücksichtigt werden dürfe, weil das Einkommen ihres Ehemannes schon nicht ausreiche, um die Kosten des Heimes zu decken. Diesen Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 7. Mai 2003 zurück. In der Berechnung sah sie von einer Berücksichtigung der Zinseinkünfte ab und ergänzte im Übrigen ihre Berechnung, so dass sich der monatliche Gesamteinkommensüberschuss zwar verringerte, jedoch nicht zu einer Leistungsgewährung führte; wegen der Einzelheiten wird auf die Berechnung im Widerspruchsbescheid verwiesen.

4

Hiergegen hat die Klägerin am 23. Mai 2003 den Verwaltungsrechtsweg beschritten. Zur Begründung wiederholt sie ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren und führt ergänzend aus, dass wegen der ihr und ihrem Ehemann gewährten Hilfe zur Pflege die für die Hilfe in besonderen Lebenslagen vorgesehenen Einkommensgrenzen der §§ 79 ff. BSHG anzuwenden seien, so dass im vorliegenden Fall sowohl die Anrechnung ihres eigenen Einkommens als auch von Einkommen ihres Ehemannes unzulässig sei. Die entsprechende Anwendung dieser Vorschriften sei auch in § 3 Abs. 2 GSiG vorgesehen und es gäbe keine Gründe, die einer Anwendung im vorliegenden Fall entgegenstehen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 15. Januar 2003 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 7. Mai 2003 zu verpflichten, ihr Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ohne Anrechnung eigenen Einkommens und des Einkommens ihres Ehemannes zu gewähren.

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Die Beklagte beantragt,

8

die Klage abzuweisen.

9

Zur Begründung führt sie unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid im Wesentlichen aus, dass aufgrund der Systematik und des Zwecks des GSiG die Anwendung der §§ 79 ff. BSHG grundsätzlich nicht möglich sei und die Anrechnung von Einkommen in § 2 Sätze 1 und 2 GSiG spezialgesetzlich geregelt sei.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Diese Unterlagen sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

12

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Leistungen nach dem GSiG. Die Berechnung der Beklagten im ablehnenden Bescheid vom 15. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Mai 2003 ist nicht zu beanstanden. Dieses ist zwischen den Beteiligten bis auf die Berücksichtigung des Einkommens des Ehemannes bei der Berechnung des Anspruchs der Klägerin auch nicht streitig.

13

Auch die von der Beklagten vorgenommene Berücksichtigung des den eigenen Bedarf nach § 3 Abs. 1 GSiG übersteigenden Einkommens des Ehemannes bei der Klägerin ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

14

Im Rahmen der Anwendung des § 3 Abs. 2 des Gesetzes über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG) kommt eine entsprechende Anwendung der §§ 79 bis 87 BSHG grundsätzlich nicht in Betracht, da diese Vorschriften den Einsatz von Einkommen der – mit der Grundsicherung nicht vergleichbaren – Hilfe in besonderen Lebenslagen regeln (vgl. auch Schoch in LPK-GSiG, § 3 Rnr. 77 f.). Somit läuft die in § 3 Abs. 2 GSiG enthaltene entsprechende Verweisung auf die Vorschriften der §§ 76 bis 88 BSHG in Teilbereichen schon mangels einer vergleichbaren Situation leer. Den Gesetzesmaterialien ist auch nicht zu entnehmen, dass bei Personen, die wie hier Sozialhilfe als Hilfe in besonderen Lebenslagen in Form der Hilfe zur Pflege erhalten, nunmehr auch im Rahmen der Grundsicherungsleistungen die besondere Einkommensgrenze des § 81 BSHG anzuwenden sein soll. Hierzu wird nämlich nur ausgeführt:

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„Das Gesetz verzichtet auf eine eigenständige Definition von Einkommen und Vermögen und verweist insoweit auf die entsprechenden Regelungen des Bundessozialhilfegesetzes. Dies ist zum einen deswegen sinnvoll, weil das nach den Maßstäben der Sozialhilfe bemessene sozioökonomische Existenzminimum letztlich auch den Sockel definiert, auf den die Grundsicherung aufbaut und den es als der Sozialhilfe vorgelagertes System nicht unterschreiten darf. Zum anderen handelt es sich bei der Ermittlung von Einkommen und Vermögen um ein zwar nicht einfaches, aber in der kommunalen Praxis bekanntes und angewandtes System, dessen Zweifelsfragen auch in der Rechtsprechung und der Literatur weitgehend abgeklärt sind.“ (Bundestags-Drucksache 14/5150, S. 50).

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Damit verweist der Gesetzgeber auf die Sozialhilfe in Form der Hilfe zum Lebensunterhalt, denn nur dort und nicht im Rahmen der Hilfe in besonderen Lebenslagen geht es um die Deckung des sozioökonomischen Existenzminimums. Im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt gibt es jedoch keine zu beachtenden Einkommensgrenzen. Das Grundsicherungsgesetz dient nach § 1 GSiG auch nur zur Sicherung des Lebensunterhaltes (vgl. auch BT-Drucksache 14/5150, S. 49) und berücksichtigt nicht besondere Bedarfslagen, nicht einmal Zusatzkosten, die sich z.B. bei der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt innerhalb von Anstalten ergeben. Denn selbst für den letztgenannten Fall der stationären Unterbringung werden nur Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe der durchschnittlichen angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für die Warmmiete eines Einpersonenhaushaltes im Bereich der zuständigen Behörde zugrunde gelegt.

17

Zur Berechnung des Anspruchs auf Grundsicherungsleistungen bei nicht getrennt lebenden Ehegatten hat der Gesetzgeber ausdrücklich ausgeführt:

18

„Außer dem eigenen Einkommen und Vermögen der antragsberechtigten Person ist nur noch dasjenige des nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Partners einer eheähnlichen Gemeinschaft zu berücksichtigen. Bei der Ermittlung des Anspruches ist in diesem Fall der den nach Maßgabe des § 3 Abs. 1 zu ermittelnde Eigenbedarf überschießende Betrag in die Berechnung einzustellen.“ (BT-Drucksache 14/5150, S. 49)

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Somit werden bei der Berechnung der Grundsicherungsleistungen weder besondere Bedarfspositionen des herangezogenen Ehegatten noch irgendwelche Einkommensgrenzen berücksichtigt.

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Soweit die Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Schriftsatz vom 26. Juni 2003 verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine solche Auslegung der Vorschriften des GSiG äußert, kann das erkennende Gericht diese nicht teilen, denn es ist nicht ersichtlich, dass dadurch der existenznotwendige Bedarf der Klägerin gefährdet wäre, dass ihr Leistungen nach dem GSiG versagt würden. Eine hinreichende Absicherung über das Bundessozialhilfegesetz steht in jedem Fall zur Verfügung. Durch das GSiG wird ein neues Leistungssystem eigener Art geschaffen, durch das einerseits der in § 1 GSiG genannte Personenkreis begünstigt werden soll, wenn er nicht in der Lage ist, den in § 3 Abs. 1 GSiG aufgeführten Grundbedarf aus eigenen Mitteln zu decken, andererseits beschränkt auf die sich dann ergebenden Leistungsansprüche ein Rückgriff auf nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtige grundsätzlich ausgeschlossen sein soll. Damit ist es nicht vereinbar, Maßstäbe aus dem Bereich der Hilfe in besonderen Lebenslage anzuwenden.

21

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.