Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 18.12.2003, Az.: 5 A 391/02

Altenpflege; Altenpflegehelfer; Altenpflegehelferin; Zuverlässigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
18.12.2003
Aktenzeichen
5 A 391/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48319
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zur Würdigung strafrechtlicher Verurteilungen bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit nach § 2 Nds. APBG

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

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Die Klägerin begehrt die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung Altenpflegehelferin.

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Die am 06.05.1971 geborene Klägerin legte am 08.07.2002 die Prüfung zur Altenpflegehelferin in der Berufsfachschule der Diakonie Wolfsburg ab . Bereits vor dem Ablegen der Prüfung wurde – offenbar durch die Schule – ein Antrag auf die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung Altenpflegehelferin gestellt. Im Laufe dieses Verwaltungsverfahrens übersandte die Schule der Beklagten „vorab“ ein Führungszeugnis der Klägerin sowie einen Nachweis über Drogenabstinenz vom 15.03.2001. Aus dem Führungszeugnis und den von der Beklagten bei der Staatsanwaltschaft angeforderten Akten ergab sich, dass die Klägerin rechtskräftig im Jahre 1992 wegen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz sowie im Jahre 1995 wegen Betruges verurteilt worden war. Außerdem wurde die Klägerin wegen unerlaubten Handelns mit Heroin in der Zeit von Mitte Dezember 1997 bis zum 05. Februar 1998 durch Urteil der 10. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Braunschweig vom 07. Juli 1999 (D. /98) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungsfrist ist abgelaufen. Die Klägerin hatte in dem genannten Zeitraum einem befreundetem heroinsüchtigen Ehepaar „fast täglich“ 1,5 bis 2 g Heroin verkauft. In dem Strafverfahren hatte die Klägerin vorgetragen, dass sie sich sofort nach der Verurteilung von der Drogenszene völlig getrennt und u.a. durch eine Arbeit als Kassiererin in einem Penny-Markt die Änderung ihres Lebenswandels bewiesen habe.

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Nach Einsicht in die Akten über das Verfahren wegen Heroinhandels teilte die Beklagte der Klägerin mit Anhörungsschreiben vom 23.07.2002 mit, dass aufgrund dieser Verurteilung Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit im Hinblick auf das Führen der Berufsbezeichnung Altenpflegehelferin bestünden, und führte ergänzend an, dass es ihr wegen der Verurteilung nach § 25 Jugendarbeitsschutzgesetz untersagt sei, Jugendliche zu beschäftigen sowie im Rahmen eines Arbeitsrechtsverhältnisses zu beaufsichtigen, auszubilden etc. . Mit anwaltlichem Schreiben vom 02.08.2002 trug die Klägerin vor, die Verurteilung allein reiche für Zweifel an der Zuverlässigkeit nicht aus und das Verbot nach § 25 Jugendarbeitsschutzgesetz betreffe nur die Arbeit mit Jugendlichen, nicht die mit alten Menschen. Sie habe die Ausbildung ohne Zwischenfälle absolviert. Außerdem habe sie die Tat immer bestritten und sei selbst nicht heroinsüchtig. Die Tat sei im Zusammenhang mit einem heroinsüchtigen Freund zu sehen, zu dem sie keinen Kontakt mehr habe. Im Übrigen sei die Bewährungsfrist abgelaufen.

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Mit Bescheid vom 23.08.2002 lehnte die Beklagte die Erteilung der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Altenpflegerin“ ab und erklärte, die Unzuverlässigkeit der Klägerin ergebe sich aus der Bestrafung nach dem BtMG, die Bewährungsfrist sei insoweit nicht ausschlaggebend. Im Übrigen sei die Klägerin auch wegen Betruges und Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz verurteilt worden.

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Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 17.09.2002 Widerspruch ein.

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Unter dem 25.10.2002 erließ die Beklagte einen Bescheid, in dem sie den Ausgangsbescheid vom 23.08.2002 wegen offensichtlicher Unrichtigkeit dahingehend berichtigte, dass der Klägerin die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Altenpflegehelferin“ versagt werde und außerdem den Widerspruch zurückwies. Bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit von Bewerberinnen seien solche Tatsachen zu berücksichtigen, die mit dem Beruf zusammenhängen und die einen Schluss auf die Ausübung des Berufs in der Zukunft zulassen. Hier falle die Verurteilung nach dem BtMG ins Gewicht, da die Klägerin in ihrem Beruf mit alten, kranken und abhängigen Menschen arbeiten und Zugang zu Medikamenten haben werde. Im Übrigen bestehe in ihrem Beruf ein ganz erheblicher Einblick in die finanziellen Verhältnisse der Betreuten. Die Klägerin könne in angemessener Zeit einen Neuantrag stellen.

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Dagegen hat die Klägerin am 29.11.2002 Klage erhoben. Sie weist zur Begründung ergänzend darauf hin, dass die letzte Tat im Jahre 1998 stattgefunden habe, und dass sich während der Ausbildung keinerlei Vorfälle trotz diverser Gelegenheiten ergeben hätten. Im Übrigen habe das Arbeitsamt die Ausbildung genehmigt. Sie könne nicht auf den Zeitpunkt der Tilgung der Straftaten im Jahre 2001 verwiesen werden.

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Die Klägerin beantragt,

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die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin die beantragte Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung Altenpflegehelferin zu erteilen und den Bescheid der Beklagten vom 23. August 2002 i.d.F. des Bescheides vom 25.10.2002 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie wiederholt und vertieft die Gründe von Bescheid und Widerspruchsbescheid.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen, in dem die Strafverfahrensakten auszugsweise enthalten sind.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung Altenpflegerin nach §§ 1, 2 des Gesetzes über die Berufe in der Altenpflege (Altenpflege - Berufegesetz - APBG – vom 20.06.1996, Nds. GVBl., 276).

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Gemäß § 1 APBG dürfen die Berufsbezeichnung Altenpflegehelferin nur Personen führen, denen die Erlaubnis dazu erteilt worden ist. Gemäß § 2 ABGG erhält die Erlaubnis nach § 1 auf Antrag, wer

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nach den schulrechtlichen Vorschriften des Landes die Abschlussprüfung für den jeweiligen Beruf bestanden hat,

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die zur Ausübung des Berufs erforderliche Zuverlässigkeit besitzt und

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zur Ausübung des Berufs gesundheitlich geeignet ist.

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An der gesundheitlichen Eignung der Klägerin zur Ausübung ihres Berufes bestehen offenbar keine Zweifel. Die Klägerin hat ausweislich des Zeugnisses der Berufsfachschule die notwendigen schulrechtlichen Voraussetzungen erfüllt, also die Prüfung zur Altenpflegehelferin bestanden.

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Allerdings steht nach den dem Gericht vorliegenden Sachverhalt nicht fest, dass sie auch die zur Ausübung des Berufs erforderliche Zuverlässigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Ziff. 2 APBG besitzt.

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Anders als z.B. § 5 Waffengesetz mit seiner Bezugnahme auf rechtskräftige Verurteilungen und § 35 Abs. 3 Gewerbeordnung, der ein Abweichen von strafrechtlichen Verurteilungen zum Nachteil des Gewerbetreibenden grundsätzlich untersagt, knüpft § 2 APBG lediglich an den Begriff der Unzuverlässigkeit an. Wegen derzeit noch fehlender Rechtsprechung zu dieser relativ neuen Gesetzesmaterie ist zur Definition dieses Unzuverlässigkeitsbegriffs auf themenverwandte Bereiche zurückzugreifen, da der Begriff der Zuverlässigkeit im Rahmen einer Regelung der Berufsausübung immer berufsspezifisch zu sehen ist. Im Zusammenhang mit der ärztlichen Approbation ist die Unzuverlässigkeit anzunehmen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, der Arzt oder Zahnarzt werde in Zukunft die berufsspezifischen Vorschriften und Pflichten nicht beachten, wobei sich der Zuverlässigkeitsmaßstab nach dem Rang der dem Arzt anvertrauten Rechtsgüter, nämlich Leben und Gesundheit der Patienten, bestimmt (OVG NRW, Beschl. vom 15.01.2003, 13 A 2774/01 – juris). Im Rahmen der Prüfung einer Zuverlässigkeit zum Betrieb von Altenheimen wird ausgeführt: „Der Begriff der Zuverlässigkeit ist im Hinblick auf den Schutzzweck des Heimgesetzes zu bestimmen, der darin besteht, die Interessen und Bedürfnisse, der alten/älteren Heimbewohner zu wahren. ... Dem entspricht es, dass an die persönliche Zuverlässigkeit des Heimbetreibers besondere Anforderungen zu stellen sind. Er muss die Gewähr dafür bieten, dass die Abhängigkeit, die typischerweise aus einem Heimaufenthalt resultiert, nicht ausgenutzt wird“ (OVG Bremen, Beschl. vom 12.03.2002, 1 B 23/02 – juris). Im vorliegenden Fall des geltend gemachten Anspruchs auf die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung Altenpflegehelferin ist insbesondere auf die Ausführungen zum Heimgesetz abzustellen. Selbst wenn eine Altenpflegehelferin nicht unbedingt in einem Pflegeheim arbeitet, sondern durchaus auch ambulant tätig werden kann, ändert dies nichts an der spezifischen Struktur des von ihr betreuten Personenkreises, nämlich dessen Abhängigkeit von der pflegenden Person.

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Nach diesen Grundsätzen ist derzeit nicht von der Zuverlässigkeit der Klägerin i. S. d. § 2 APBG auszugehen, weil sie derzeit nicht die Gewähr dafür bietet, die Rechtsgüter, die ihr in ihrem Beruf anvertraut sind, in ausreichendem Maße zu achten und die durch das Pflegeverhältnis entstehenden Abhängigkeiten nicht auszunutzen.

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Zwar führt die Klägerin zu Recht aus, dass sie sich während der Ausbildungszeit keine Verstöße zurechnen lassen muss, sie hat auch ihre Behauptung, nicht drogenabhängig zu sein, glaubhaft gemacht. Jedoch können bei der Beurteilung ihrer Zuverlässigkeit die strafrechtlichen Verurteilungen nicht außer Acht gelassen werden. Es ist in diesem Zusammenhang zulässig und notwendig, auf Tatsachen in der Person des Bewerbers, die in der Vergangenheit liegen, zurückzugreifen, wenn diese geeignet sind, eine Prognose über die Berufsausübung in der Zukunft zu stützen. Dabei ist die Art der der Verurteilung zu Grunde liegenden Delikte, aber auch die seit der Begehung vergangene Zeit zu berücksichtigen.

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Vorliegend hat die Beklagte zu Recht im Wesentlichen auf die Verurteilung nach dem BtMG, aber auch auf die dem vorangegangenen zwei weiteren Verurteilungen abgestellt.

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Soweit die Klägerin demgegenüber vorträgt, sie habe die Tat stets bestritten, kann dies gegenüber der rechtskräftigen, in der Rechtsmittelinstanz überprüften, Verurteilung nicht durchgreifen. Selbst wenn das APBG keine ausdrückliche Bindung des Gerichts an die Feststellungen strafrichterlicher Urteile regelt, wie dies z.B. im Waffengesetz geschehen ist, kann es nicht Aufgabe der Verwaltungsbehörde im Verfahren nach § 2 APBG sein, diese Feststellungen im Einzelnen zu überprüfen. Insoweit ist die Verpflichtung der Beklagten darauf begrenzt, den der strafrechtlichen Verurteilung zu Grunde gelegten Sachverhalt und das Vorbringen der Antragsteller im Hinblick auf die Spezifika der Berufsausübung zu würdigen. Da die Antragsteller das Vorliegen der Voraussetzungen für den Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung darlegen müssen, reicht es insoweit aus, wenn sich aus den Verurteilungen (als Tatsachen) erhebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen ergeben. So liegt es hier. Das der Verurteilung zu Grunde liegende Delikt des Handelns mit Heroin, der Abgabe dieses Stoffes an Abhängige, ist in besonderem Maße geeignet, Zweifel an der Zuverlässigkeit der Klägerin zur Ausübung ihres Berufes, dem Umgang mit alten, von der Pflegeperson abhängigen Menschen, zu wecken. Den Vortrag, sie habe das Heroin an das befreundete Ehepaar uneigennützig abgegeben, konnte sie bereits im Strafverfahren nicht glaubhaft machen. Auf eine Bereicherungsabsicht kommt es letztlich auch nicht an, denn in ihrem Beruf ist auch der Umgang mit drogenabhängigen Menschen nicht unwahrscheinlich und es obliegt dem Pflegepersonal in besonderem Maße, den sachgerechten Umgang mit Medikamenten, also auch Drogen, zu überwachen.

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Dem Vortrag der Klägerin, sie habe sich von ihrem damaligen heroinsüchtigen Freund seit langem getrennt und habe u.a. als Kassiererin im Penny-Markt ihre Zuverlässigkeit bewiesen, kann demgegenüber keine ausschlaggebende Bedeutung zukommen, denn dieser Vortrag war bereits Gegenstand des strafrechtlichen Revisionsverfahrens und der Strafaussetzung zur Bewährung. Wegen der Besonderheiten im Zusammenhang mit der Abhängigkeit des von Altenpflegehelferinnen betreuten Personenkreises reicht die Bewährungszeit alleine nicht aus, um dem Urteil den Charakter einer Tatsache zu nehmen, die Zweifel an der Zuverlässigkeit der Klägerin begründet. Auch wenn die Klägerin als Altenpflegehelferin nach § 3 Abs. 2 APBG nicht, wie die Altenpflegerin, selbständig und verantwortlich die Betreuung und Pflege von Menschen in Einrichtungen der Altenpflege und im häuslichen Bereich übernimmt, sondern lediglich unter Anleitung einer Fachkraft arbeiten soll (ebenso die Regelungen des Bundesgesetzes vom 17.11.2000, BGBl. Seite 1513, dort § 10), ändert dies nichts daran, dass die Klägerin in einer besonderen Verantwortung gegenüber den von ihr betreuten alten Menschen steht. Angesichts der personellen Situation im Bereich der Altenpflege ist nämlich davon auszugehen, dass die Klägerin zumindest bei der Pflege im häuslichen Bereich abhängige Menschen betreuen wird, ohne dabei unter ständiger Aufsicht einer Altenpflegerin zu stehen.

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Insbesondere im Hinblick auf den seit dieser Tat verstrichenen Zeitraum ist neben der Straftat des Handels mit Heroin zu berücksichtigen, dass die Klägerin bereits vorher im Abstand von mehreren Jahren (1992 und 1994) wegen Betruges und Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz verurteilt werden musste.

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Die von der Klägerin vorgetragene Beteiligung des Arbeitsamtes an ihrer Ausbildung zu einem Beruf, für den ihr jetzt die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung versagt wird, stellt sich zwar als widersprüchliches Verhalten von Behörden dar, kann aber nur eine Kritik an der Förderpraxis des Arbeitsamtes begründen, nicht aber Auswirkungen auf die Beurteilung der Zuverlässigkeit der Klägerin haben.

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Deshalb ist derzeit in einer Gesamtwürdigung auf der Grundlage der Verurteilungen davon auszugehen, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Klägerin die notwendige Zuverlässigkeit nicht besitzt.

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Ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass sich im Falle des Berufs der Altenpflegehelferin, die – wie bereits dargelegt – grundsätzlich unter Aufsicht einer weiteren Fachkraft arbeiten soll, als sachgerechte Anknüpfung für eine Neu - Beurteilung der Zuverlässigkeit trotz vorangegangener Verurteilungen die Fünf-Jahres-Frist anbietet, die sich zum einen aus § 25 Arbeitsschutzgesetz, dem Verbot des Umgangs mit abhängigen Jugendlichen, ergibt, aber auch aus § 36 Abs. 1 Ziff. 3 Bundeszentralregistergesetz, wonach Verurteilungen nach Ablauf von fünf Jahren in der Regel in ein Führungszeugnis nicht mehr aufgenommen werden. Nach Verstreichen dieses Zeitraumes sollte die Entscheidung über die Zuverlässigkeit überprüft werden.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.