Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 05.12.2003, Az.: 4 A 175/02

Legasthenie

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
05.12.2003
Aktenzeichen
4 A 175/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48317
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Es besteht kein Anspruch auf Leistungen gem. § 35a Abs. 1 BSHG, wenn ein Legastheniker eine kostenpflichtige Privatschule besucht, die den notwendigen Legasthenieförderunterricht kostenlos anbietet.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens; das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

1

Der Kläger begehrt von der Beklagten Eingliederungshilfeleistungen.

2

Der 12jährige Kläger wurde 1997 eingeschult und fiel dort bald durch „Hibbeligkeit“, rapiden Abbau nach der 4. Stunde, Konzentrationsstörungen und Clownereien auf; auch die Hausaufgabensituation war dramatisch. Die behandelnde Fachärztin für Kinder- und Jugendlichenpsychiatrie bescheinigte mit Gutachten vom 8.3.2000 das Vorliegen einer einfachen Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung in Verbindung mit einer Lese-Rechtschreibschwäche bei hoher bis weit überdurchschnittlicher Intelligenz. Der Kläger wurde danach mit Ritalin behandelt und erhielt ab 1.9.2000 in der PTE (Pädagogisch Therapeutische Einrichtung) G. eine LRS/ADS-Therapie, für die monatliche Kosten in Höhe von 275,00 DM entstanden. Mit Bescheid vom 31.10.2000 gewährte die Beklagte auf den Antrag des Klägers vom 9.9.2000 ab 1.10.2000 bis 28.2.2001 Jugendhilfeleistungen gemäß § 35 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB VIII in Form einer ambulanten Eingliederungshilfe aufgrund der diagnostizierten Legasthenie in Höhe von 225,00 DM monatlich. Mit Bescheid vom 16.2.2001 erhöhte die Beklagte die Leistungen auf 240,00 DM monatlich und mit Bescheid vom 30.5.2001 verlängerte sie die Leistungsgewährung bis 30.9.2001. Die PTE G. teilte der Beklagten mit Schreiben vom 28.6.2001 (Bl. 32) mit, dass der Kläger bis Ende Juni dort an der Therapie teilgenommen habe. Nach den Sommerferien werde er eine kostenpflichtige Privatschule in H. besuchen, wo seine individuelle Förderung gewährleistet sei, die aus hiesiger Sicht weiterhin erforderlich sei.

3

Mit Bescheid vom 27.7.2001 stellte die Beklagte die Leistungsgewährung mit Ablauf des 30.6.2001 ein. Mit Schreiben vom 14.12.2001) teilte das I. -Gymnasium H. der Beklagten mit, dass der Kläger dort am LRS-Förderunterricht teilnehme und dies aus verschiedenen Gründen auch für erforderlich sei. Die Mutter des Klägers teilte der Beklagten mit Schreiben vom 15.12.2001 lediglich eine neue Bankverbindung mit. Der Besuch des I. -Gymnasiums kostet monatlich 375,00 Euro; für die Legastheniebetreuung entstehen nach Mitteilung der Schule vom 4.4.2003 keine zusätzlichen Kosten. Mit Bescheid vom 4.1.2002 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Gewährung von Eingliederungshilfe in ambulanter Form gem. § 35 a SGB VIII ab, da es sich bei dem Förderunterricht um eine unterstützende Maßnahme der Schule handele, die nicht in den Bereich einer Eingliederungshilfe falle. Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers vom 9.1.2002 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.4.2002 (zugestellt am 22.4.2002) zurück.

4

Zur Begründung seiner daraufhin am 21.5.2002 erhobenen Klage trägt der Kläger vor: Er benötige nach wie vor eine Legasthenie-Therapie, dies ergebe sich aus dem letzten Bericht der PTE und aus dem Schreiben des I. -Gymnasiums vom 14.12.2001. Er besuche die kostenpflichtige Privatschule seit dem Sommer 2001, weil sein Scheitern in der „normalen“ Orientierungsstufe absehbar gewesen sei. Die Weiterzahlung seiner weiteren Teilnahme an einer Legasthenie-Therapie durch die Beklagte wäre daher nur konsequent.

5

Der Kläger beantragt,

6

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 4.1.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.4.2002 zu verpflichten, die Kosten des Legasthenieförderunterrichts in Höhe von 122,71 Euro (=240,00 DM) im Monat zu übernehmen.

7

Die Beklagte beantragt,

8

die Klage abzuweisen.

9

Sie hält ihren Bescheid aus den in den angefochtenen Bescheiden bereits genannten Gründen für rechtmäßig.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten, der in seinen wesentlichen Teilen Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Klage ist unbegründet.

12

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Übernahme eines Teils seines Schulgeldes in Höhe von 122,71 Euro. Die dies aussprechenden Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

13

Als Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers kommt nur § 35a SGB VIII in Betracht, wonach Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe haben, wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Aufgabe und Ziel der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie die Art der Leistungen richtet sich nach § 39 Abs. 3 und 4 Satz 1, §§ 40 und 41 BSHG, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden (§ 35a Abs. 3 SGB VIII). Im vorliegenden Fall ist es nicht notwendig darüber zu entscheiden, ob der Kläger im entscheidungserheblichen Zeitraum seelisch behindert war oder von einer solchen Behinderung bedroht war, was zwischen den Beteiligten auch streitig ist. Denn die Übernahme oder Erstattung von Kosten für eine Maßnahme setzt immer voraus, dass die für erforderlich gehaltene und tatsächlich durchgeführte Maßnahme tatsächlich etwas kostet.

14

Der dem Kläger in der Privatschule erteilte und von ihm für notwendig und ausreichend erachtete Förderunterricht verursacht im Gegensatz zu dem Schulbesuch selbst aber keine zusätzlichen Kosten, er ist mit dem Schulgeld mitbezahlt. Das vom Kläger für den Schulbesuch geschuldete Entgelt ist auch nicht wegen seines Förderbedarfs höher als dasjenige von Schülern ohne speziellen Förderbedarf. Mithin kann die Übernahme oder Erstattung von Kosten für diesen „kostenlosen“ Förderunterricht auch keine Maßnahme der Eingliederungshilfe sein. Eine Beteiligung des Beklagten an dem Schulgeld oder die Übernahme käme nur dann in Betracht, wenn der Besuch der kostenpflichtigen Privatschule selbst als im Einzelfall erforderliche Eingliederungshilfe angesehen werden müsste. Dies macht der Kläger jedoch nicht geltend. Hierfür liegen auch, außer der nicht weiter belegten Annahme des Klägers, sein Scheitern in einer normalen Orientierungsstufe sei absehbar gewesen, keine Anhaltspunkte vor. Aus dem Abschlussbericht der PTE-G. vom 28.6.2001 ergibt sich dies nicht, dort wird lediglich eine weitere individuelle Förderung für notwendig erachtet und auch nur dieses ist dem Schreiben des I. -Gymnasiums vom 14.12.2001 zu entnehmen.

15

Die kostenrechtlichen Nebenentscheidungen ergeben sich aus einer Anwendung der Regelungen in §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2, 167 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO.