Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 22.12.2021, Az.: 16 U 572/21

Ausreichende Darlegung von Anhaltspunkten durch den Kläger betreffend die unzulässige Implementierung von Abschalteinrichtungen in der Motorsteuerungssoftware in dem von ihm erworbenen Fahrzeug; Drohende Beschränkung oder Versagung der Betriebszulassung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
22.12.2021
Aktenzeichen
16 U 572/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 72194
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hildesheim - 02.07.2021 - AZ: 5 O 145/21

Tenor:

  1. 1.

    Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf bis zu 30.000 € festgesetzt.

  2. 2.

    Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim vom 2. Juli 2021 durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

  3. 3.

    Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme und zur evtl. Rücknahme der Berufung aus Kostengründen innerhalb einer Frist von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

Die Rechtssache dürfte keine grundsätzliche Bedeutung haben, eine Entscheidung des Berufungsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dürfte nicht erforderlich und eine mündliche Verhandlung nicht geboten sein. Nach vorläufiger Beurteilung hat die Berufung des Klägers darüber hinaus auch offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg:

Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht als unzulässig abgewiesen, da der erstinstanzlich in der Hauptsache gestellte Feststellungsantrag unzulässig war, denn es fehlte gem. § 256 Abs. 1 ZPO das erforderliche Feststellungsinteresse.

Die im Berufungsverfahren erfolgte Klageänderung (Umstellung auf Leistungsklage) kann jedoch der Berufung auch nicht zum Erfolg verhelfen, da sich dem Vorbringen des Klägers die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Schadensersatz gegen die Beklagte nicht schlüssig entnehmen lassen. Es fehlt bereits an der substantiierten Darlegung einer im EG-Typengenehmigungsverfahren verschwiegenen, unzulässigen Abschalteinrichtung, wie sie sämtliche in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen - insbesondere eine Forderung aus §§ 826, 31 BGB - voraussetzen, im Übrigen aber auch an den Voraussetzungen einer Verwerflichkeit des Handelns der Beklagten.

Im Einzelnen:

1. Zwar kommt, wenn unter Täuschung im EG-Typengenehmigungsverfahren bewusst eine unzulässige Motorsteuerungssoftware verbaut wird, eine deliktische Haftung des Herstellers nach §§ 826, 31 BGB grundsätzlich in Betracht (vgl. BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -; jeweils vom 30. Juli 2020 - VI ZR 354/19 -; - VI ZR 367/19 -; - VI ZR 397/19 -; - VI ZR 5/20 - und vom 19. Januar 2021 - VI ZR 8/20 -; vgl. ferner: OLG Celle, Urteile vom 20. November 2019 - 7 U 244/18 - Rn. 26 ff. und vom 22. Januar 2020 - 7 U 445/18 -; jeweils juris).

Auch macht der Kläger im Grundsatz zu Recht geltend, im Hinblick auf das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung seien nach der Rechtsprechung des für das Kaufrecht zuständigen VIII. Zivilsenats des BGH keine zu hohen Anforderungen an die Substanz des Klägervortrags zu stellen, sondern der Tatrichter sei dazu berufen, den Sachverhalt, etwa durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, aufzuklären.

Insofern hat der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in seinem Beschluss vom 28. Januar 2020 (Az.: VIII ZR 57/19, juris Rn. 7) ausgeführt, dass ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs bereits dann schlüssig und erheblich sei, wenn die Partei Tatsachen vortrage, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich seien, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten sei nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung seien. Das gelte insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen habe. Das Gericht müsse nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorlägen. Seien diese Anforderungen erfüllt, sei es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten.

Trotz dieser vergleichsweise geringen Anforderungen an die Vortrags- und Substantiierungslast der Klagepartei ist das Bestehen einer unzulässigen Abschaltvorrichtung aber dann zu verneinen, wenn das Kraftfahrt-Bundesamt (im Folgenden KBA) den streitgegenständlichen betroffenen Motortyp bereits (nachträglich) überprüft hat und hierbei zu dem Ergebnis gelangt ist, dass keine unzulässigen Abschalteinrichtungen vorliegen und darüber hinaus auch keine anderweitigen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass im betroffenen Fahrzeug gleichwohl eine unzulässige, im EG-Typengenehmigungsverfahren verschwiegene und auch bei der nachträglichen Prüfung unentdeckt gebliebene Abschalteinrichtung vorhanden ist, aufgrund der in der - näheren oder ferneren - Zukunft eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung gem. § 5 Abs. 1 FZV drohen könnte. Denn eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung scheidet aus, wenn der beklagte Hersteller im Typengenehmigungsverfahren gegenüber dem KBA alle erforderlichen Angaben wahrheitsgemäß und vollständig gemacht und das KBA auf dieser Grundlage die Typengenehmigung in bewusster Billigung der vorhandenen Abschalteinrichtungen erteilt hat. Dann ist zum einen wegen der sog. Tatbestandswirkung des Verwaltungsaktes im Zivilprozess von einer wirksamen Genehmigung auszugehen, sodass es schon an dem vom VIII. Zivilsenat des BGH angenommenen Grundmangel fehlt; zum anderen scheidet bei einer solchen Konstellation mangels Täuschung des KBA bzw. Erschleichung der Typengenehmigung eine deliktische Handlung des Herstellers von vornherein aus, die als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung angesehen werden könnte (vgl. OLG Celle, Urteile vom 13. November 2019 - 7 U 367/18 -, juris; vom 18. Dezember 2019 - 7 U 511/18 -, juris und vom 15. Juli 2020 - 7 U 1541/19 -, n.v.).

2. Gemessen an diesen Voraussetzungen fehlt es an einer ausreichenden Darlegung von Anhaltspunkten durch den Kläger, in dem von ihm erworbenen Fahrzeug seien unzulässige Abschalteinrichtungen in der Motorsteuerungssoftware implementiert, aufgrund der die Beschränkung oder Versagung der Betriebszulassung drohe. Insbesondere besteht auch kein Anlass für eine weitere Sachverhaltsaufklärung.

a) Zwar hat der Kläger das Vorhandensein verschiedener Abschalteinrichtungen im streitgegenständlichen Fahrzeug behauptet. Diese Behauptung ist allerdings durch die Untersuchungen des KBA als widerlegt anzusehen, die in dem von der Beklagten als Anlage B1 (Anlagenheftung) vorgelegten Bericht der Untersuchungskommission "Volkswagen" veröffentlicht sind.

Hieraus ergibt sich, dass danach der streitgegenständliche Motortyp EA 288 2.0 TDI 110 kW auf die Ausstattung mit unzulässigen Abschalteinrichtungen hin untersucht wurde, solche aber nicht festgestellt werden konnten.

Gleiches belegt auch die Twitternachricht des Bundesministeriums für Verkehr und Infrastruktur vom 12. September 2019 (Anlage B2, Anlagenheftung), mit der ebenfalls bestätigt wird, dass anlässlich einer bereits im Jahr 2016 erfolgten Untersuchung des Motortyps EA 288 keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt wurden. Dies bezog sich dabei insbesondere auch auf die von dem Kläger angesprochene Fahrzykluserkennung, die danach Gegenstand der Untersuchungen des KBA war.

Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die Feststellungen des KBA aus dem Jahr 2016 in Bezug auf den streitgegenständlichen Motortyp überholt wären. Vielmehr bestätigt die von der Beklagten als Anlage B3, B5 bis B7 (Anlagenheftung) vorgelegte Auskünfte des KBA vom 12. Oktober 2020, 8. Oktober 2020, 13. November 2020 und 15. Dezember 2020 in vergleichbaren Rechtsstreiten, dass das KBA auch weiterhin an seiner Beurteilung festhält, bei Fahrzeugen mit dem Motortyp EA 288 seien keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt worden.

Dies deckt sich schließlich auch mit den Erkenntnissen des Senats in entsprechenden Parallelverfahren, in denen amtliche Auskünfte des KBA in Bezug den Dieselmotor EA 288 eingeholt worden sind. So heißt es beispielsweise in einer Auskunft des KBA, die dem OLG Celle im Verfahren 7 U 180/19 am 9. März 2021 zu einem VW Tiguan erteilt worden ist:

"Das KBA führte insgesamt sehr umfassende Untersuchungen an Fahrzeugen mit Motoren der Reihe des Entwicklungsauftrages (EA) 288 durch.

Im Fokus der Untersuchungen des KBA standen die Analyse des Abgasnachbehandlungssystems und seiner Komponenten sowie der Software der Motorsteuerung. . . .

Es wurde bei keinem Fahrzeug, welches ein Aggregat des EA 288 aufweist und durch das KBA untersucht wurde, eine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt. . . .

Die Funktion "Umschaltlogik" in der Motorsteuerung der Aggregate des EA 288 wird seitens des KBA nicht als unzulässige Abschalteinrichtung beurteilt. Der bloße Verbau einer Fahrkurvenerkennung ist nicht unzulässig, solange die Funktion nicht als Abschalteinrichtung gemäß Art. 3 Abs. 10 der Verordnung (EG) 715/2007 genutzt wird. Prüfungen im KBA zeigen, dass auch bei Deaktivierung der Funktion die Grenzwerte in den Prüfverfahren zur Untersuchung der Auspuffemissionen nicht überschritten werden, sodass es sich nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt.

Unter dem technisch nicht definierten umgangssprachlichen Begriff "Thermofenster" versteht man die außenlufttemperaturgeführte Korrektur der Abgasrückführungs-Rate (AGR-Rate) des Motorengrundkennfeldes. Eine Reduzierung dieser Rate führt in der Regel zu erhöhten Stickoxid- (NOx-) Emissionen des Motors bei zu niedrigen oder hohen Außentemperaturen. Die Korrektur kann aus Gründen des Motorschutzes gerechtfertigt sein, wenn dadurch u. a. übermäßige temperaturbedingte Ablagerungen oder Kondensation vermieden werden, die zur Beschädigung des Motors inklusive einzelner Bauteile führen. Eine Unzulässigkeit einer entsprechenden Funktion wurde von dem KBA in Bezug auf die EA 288 Aggregate nicht festgestellt." (Hervorhebungen durch den Senat)

b) Unter diesen Voraussetzungen ist daher nicht nachvollziehbar, dass für das streitgegenständliche Fahrzeug mit dem Motor EA 288 etwas anders gelten und das dem KBA Anlass zu einer inhaltlich abweichenden Auskunft und Beurteilung geben sollte. Entsprechendes hat auch der Kläger nicht aufgezeigt.

aa) Soweit er in diesem Zusammenhang auf die von ihm als Anlage K11 (Bl. 158 d.A.) vorgelegte "Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinie & Freigabevorgaben EA 288" Bezug nimmt, kommt es auf diese schon deswegen nicht an, weil sie sich offensichtlich nur auf Fahrzeuge bezieht, die - anders als das Klägerfahrzeug - mit einer sog. NSK-Technologie ausgerüstet sind, also über einen sich im Fahrbetrieb regenerierenden NOx-Speicherkatalysator verfügen und für die nach dem Bericht der Untersuchungskommission "Volkswagen" ohnehin abweichende Feststellungen gelten.

bb) Der Kläger hat darüber hinaus auch nichts von Substanz für das Vorhandensein einer unzulässigen Zykluserkennung dargetan. Hier verkennt der Kläger, dass die Beurteilung dieser Rechtsfrage im Rahmen des maßgeblichen Prüfungsverfahrens, ob unzulässige Abschalteinrichtungen vorliegen, dem KBA als der für die Bundesrepublik Deutschland zuständigen Fachbehörde obliegt.

Zwar mag das KBA im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens möglicherweise zunächst "arglos" gewesen sein, weil vor Bekanntwerden des "Dieselabgas-Skandals" das erforderlichen Bewusstsein für die Problematik "unzulässiger Abschalteinrichtungen" noch nicht in so ausgeprägter Form wie nunmehr vorhanden war. Soweit das KBA allerdings nach Bekanntwerden des Diesel-Abgasskandals und der im Rahmen einer komplexen tatsächlichen wie rechtlichen anlassbezogenen Überprüfung - wie hier im Rahmen des Berichts der Untersuchungskommission "Volkswagen" - zu der Überzeugung gelangt ist, dass keine unzulässigen Abschalteinrichtungen im streitgegenständlichen Fahrzeug zum Einsatz kämen, ist davon auszugehen, dass das KBA diese Bewertung unter Berücksichtigung der maßgeblichen Gesetzesnormen, insbesondere der Bestimmungen von Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2008 und Art. 3 Nr. 9 VO (EG) 692/2008 getroffen und damit insbesondere auch die Erfüllung der Offenlegungspflichten der Beklagten zu den im Fahrzeug ggf. vorhandenen, potentiell als unzulässige Abschalteinrichtungen in Betracht kommenden technischen Funktionen überprüft hat.

cc) Ein entsprechendes Indiz für das Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen trotz einer Überprüfung durch das KBA begründet sich schließlich auch nicht aus der von dem Kläger behaupteten Manipulation des Onboard-Diagnose-Systems. Denn seine Schlussfolgerungen, dass das Nichtaufleuchten der Hinweislampe am Armaturenbrett auf eine bewusste Unterdrückung von Warnhinweisen für eine nicht ordnungsgemäße Abgasreinigung spreche, erweisen sich nicht als tragfähig. Da das Diagnosesystem mit der elektronischen Steuerung des Motor- und Abgassystems verknüpft ist und daher keine Betriebszustände als fehlerhaft anzeigt, die von der Motorsteuerung vorgegeben werden, liegt es auf der Hand, dass ein Unterbleiben eines "Alarm-Schlagens" des OBD-Systems unter diesen Voraussetzungen kein Indiz für eine Software-Manipulation ist.

dd) Soweit der Kläger eine Batteriemanipulation vorträgt, behauptet er nicht einmal, dass diese sich auf die Abgasreinigung auswirke. Das Nichtaufladen der Batterie im Prüfzyklus solle lediglich zu einem geringeren Kraftstoffverbrauch gegenüber dem Fahrbetrieb dienen. Eine unzulässige Abschalteinrichtung ergibt sich aus dem Vortrag des Klägers insoweit gerade nicht.

ee) Gleichermaßen hilft dem Kläger auch der Umstand nicht weiter, dass für eine geringe Anzahl von Fahrzeugen der Beklagten mit einem Motor des Typs EA 288 - nämlich beispielsweise einen VW T6 EA 288 Euro 6 - unstreitig ein verpflichtender Rückruf durch das KBA angeordnet wurde. Denn dieser Rückruf erfolgte, wie dem Senat aus anderen Verfahren bekannt ist, nicht wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen, sondern wegen technischer Konformitätsabweichungen während der Regeneration des Diesel-Partikelfilters und zur Sicherstellung eines für die Ki-Familie des streitgegenständlichen Fahrzeugs repräsentativen Ki-Werts (vgl. Oberlandesgericht Celle, Beschluss v. 23. April 2021 - 7 U 851/20).

3. Was die temperaturgesteuerte Abgasrückführung betrifft, ist noch Folgendes zu bemerken:

Insoweit ist bereits fraglich, ob ein im Fahrzeug vorhandenes Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist.

Denn insoweit führt ein sog. Thermofenster zwar dazu, dass die volle Abgasrückführung nach Vornahme des Updates lediglich in bestimmten Temperaturbereichen stattfindet. Indes ist der Einsatz von Thermofenstern in Dieselmotoren bislang üblich und wird von den Herstellern allgemein als Stand der Technik angesehen.

An dieser Beurteilung ändert auch die Entscheidung des EuGH vom 17. Dezember 2020 in der Rechtssache C-693/18 nichts. Danach ist zwar der Einbau einer Abschalteinrichtung, die die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringert, nur dann als gerechtfertigt anzusehen, wenn sie den Motor vor plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden schützen soll, nicht hingegen, um den Motor lediglich vor Verschmutzung und Verschleiß zu bewahren. Dass nach der Rechtsprechung des EuGH vom 17. Dezember 2020 die Zulässigkeit der sog. Thermofenster nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen für zulässig erachtet wird, führt aber lediglich dazu, dass die nationalen Behörden und Gerichte zu prüfen haben, ob und inwiefern dies zukünftig Berücksichtigung finden muss. Denn die Beklagte musste in Bezug auf die Auslegung und Befolgung des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 gegenüber sich selbst nicht strenger sein, als es die zuständigen Behörden ihr gegenüber waren. Geht mithin nicht einmal die Zulassungsbehörde von der Erforderlichkeit der Einhaltung der vom EuGH aufgestellten Anforderungen aus, kann ein entsprechendes Wissen von der Beklagten, das für den Vorwurf einer sittenwidrigen Schädigung denknotwendig ist, erst recht nicht verlangt werden.

Selbst wenn aber eine temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung in Form eines Thermofensters als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren wäre, genügte der darin liegende Gesetzesverstoß des Fahrzeug- und Motorherstellers jedenfalls nicht, dessen Gesamtverhalten als sittenwidrig zu qualifizieren (vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20 -, juris Rn. 26). Der Aspekt der Gesetzkonformität ist nämlich von der Frage eines sittenwidrigen Handelns strikt zu trennen. Dies gilt dabei sogar dann, wenn dieser Verstoß seitens des Herstellers aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung getroffen und mit der Entwicklung und dem Einsatz der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt worden sein sollte (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19 -, juris Rn. 13). Denn die Applikation einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ist nicht mit der Verwendung einer Prüfstandserkennungssoftware zu vergleichen, da letztere unmittelbar auf eine Täuschung der Typengenehmigungsbehörde abzielt und einer unmittelbaren arglistigen Täuschung des Fahrzeugerwerbers in der Bewertung gleichsteht, während der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems nicht von Vornherein durch Arglist geprägt ist (BGH, Beschluss vom 9. März 2021 aaO Rn. 27).

Aus diesem Grund setzte eine deliktische Haftung der Beklagten als Fahrzeug- und Motorherstellerin gem. §§ 826, 31 BGB voraus, dass diese die Motorsteuerung des streitgegenständlichen Fahrzeugtyps vorsätzlich mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen und die Genehmigungsbehörde, d.h. das KBA hierüber arglistig getäuscht hätte (vgl. BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 aaO und Urteile jeweils vom 30. Juli 2020 - VI ZR 354/19 -, - VI ZR 367/19 -, - VI ZR 397/19 -).

Folglich wäre der Vorwurf sittenwidrigen Verhaltens nur dann gerechtfertigt, wenn zu einem Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Dafür müssten sich die betreffenden Personen bei der Entwicklung bzw. Installation des Thermofensters darüber bewusst gewesen sein, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen haben (vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2021 aaO Rn. 28).

Greifbare Anhaltspunkte, die auf ein solches Vorstellungsbild hindeuten könnten - beispielsweise, dass die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren erforderliche Angaben verschwiegen, insbesondere verschleiert hätte, dass die Abgasrückführungsrate in dem streitgegenständlichen Fahrzeugtyp durch die Außentemperatur mitbestimmt wird - hat der Kläger jedoch weder erstinstanzlich, noch im Rahmen seiner Berufungsbegründung vorgetragen. Ihn trifft aber die Darlegungs- und Beweislast für solche Umstände, aus denen sich die Verwerflichkeit des Handelns der Mitarbeiter der Beklagten begründen soll (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 aaO Rn. 19). Vor diesem Hintergrund kann sich der Kläger auch nicht mit Recht darauf berufen, dass die Beklagte sich im Rahmen einer sekundären Darlegungslast dazu entlasten müsste, keine unzureichenden oder fehlerhaften Informationen gegenüber Genehmigungsbehörde bezüglich der Eigenschaften und Funktionsweise der von ihr verwendeten Motorsteuerungssoftware abgegeben zu haben. Sich zu den Einzelheiten der von ihr erfolgten Angaben im Typengenehmigungsverfahren zu erklären, obläge der Beklagten erst dann, wenn der Kläger seinerseits hinreichende Anhaltspunkte für unzureichende oder unrichtige Angaben vorgetragen hätte. Eben hieran fehlt es vorliegend jedoch. Im Übrigen hat die Beklagte ihre Angaben gegenüber dem KBA im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens näher dargelegt und dafür auch Beweis angeboten, ohne dass der Kläger dem in erheblicher Weise entgegengetreten wäre.

4. Schadensersatzsprüche im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Fahrzeugerwerb auf anderer Grundlage als § 826 BGB kommen für den Kläger schon von Vorherein nicht in Betracht.

Insbesondere haftet die Beklagte wegen der fehlenden Stoffgleichheit zwischen einer etwaigen Vermögenseinbuße des Klägers und den denkbaren Vermögensvorteilen der Beklagten nicht nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB (BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20 -, juris Rn. 24).

Auch eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV scheidet aus, weil die vorgenannten Bestimmungen der EG-FGV nicht den Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezwecken und damit nicht dessen Interesse dienen (vgl. BGH, aaO Rn. 11).

5. Mangels Anspruchsgrundlage stehen dem Kläger somit weder der von ihm erstinstanzlich geltend gemachten Feststellungsanspruch - für die im Übrigen bereits das erforderliche Feststellungsinteresse fehlt - noch der im Berufungsverfahren geltend gemachte Zahlungsanspruch zu. Dementsprechend befindet sich die Beklagte auch nicht in Annahmeverzug.

Nach alledem hat die Berufung des Klägers keine Aussicht auf Erfolg. Er sollte deshalb erwägen, seine Berufung zurückzunehmen.