Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 10.12.2021, Az.: 2 W 183/21
Gebühr für den Versuch einer gütlichen Einigung im Rahmen der Vollziehung eines Haftbefehls zur Erzwingung der Abgabe einer Vermögensauskunft; Keine Abrechnungsfähigkeit einer weiteren ermäßigten Gebühr
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 10.12.2021
- Aktenzeichen
- 2 W 183/21
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 64761
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Lüneburg - 17.08.2021 - AZ: 5 T 28/21
Rechtsgrundlagen
- GvKostG-KV Nr. 207
- GvKostG-KV Nr. 208
- § 802a Abs. 2 Nr. 1 ZPO
Tenor:
Auf die weitere Beschwerde des Bezirksrevisors vom 10. September 2021 wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 17. August 2021 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Lüneburg zurückverwiesen. Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Die gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 GVKostG i.V.m. § 66 Abs. 4 Satz 1 GKG zulässige weitere Beschwerde ist begründet.
Der angefochtene Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vermag nicht zu überzeugen. Die Entscheidung, die sich den Ausführungen des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle in seinem Beschluss vom 13. Juli 2020 (Az.: 4 W 37/20) ohne inhaltliche Auseinandersetzung anschließt, beruht nach Auffassung des Senats auf einem unzutreffenden Verständnis der Gesetzesbegründung, zumal wesentliche Aspekte der Gesetzesgenese außer Betracht bleiben (vgl. zur Kritik an der Entscheidung des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle auch Richter/Zuhn, Gerichtsvollzieherkosten im Rahmen der Vollziehung eines Haftbefehls, DGVZ 2020, 194, 200).
In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Gebühr nach den Nr. 207 und 208 KV GvKostG auch für den Versuch einer gütlichen Einigung im Rahmen der Vollziehung eines Haftbefehls zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft von einem Gerichtsvollzieher in Rechnung gestellt werden darf (verneinend: LG Osnabrück, Beschluss vom 16. Februar 2021, Az.: 9 T 18/21, zitiert nach juris = DGVZ 2021, 94ff.; Richter/Zuhn, Gerichtsvollzieherkosten im Rahmen der Vollziehung eines Haftbefehls, DGVZ 2020, 194ff.; NK-GK/Kawell, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl., KV GvKostG Nr. 207-208 Rn. 19; Eggers, in: Schröder-Kay/Gerlach/Eggers, Das Kostenwesen der Gerichtsvollzieher, 14. Auflage, Nrn 207, 208 II Rn. 26; bejahend: OLG Celle (4. Zivilsenat), Beschluss vom 13. Juli 2020, Az.: 4 W 37/20 = DGVZ 2020, 208; LG Krefeld DGVZ 2021, 93f. und nachfolgend OLG Düsseldorf, Az.: I-10 W 90/20; Mroß, Gebühr für Gütliche Erledigung bei Vollziehung eines Haftbefehls, DGVZ 2020, 118f.; ders. Anmerkung zu LG Osnabrück, a.a.O., DGVZ 2021, 96; Forbiger, in: Hartmann/Touissant, Kostenrecht, 50. Auflage, GvKostG KV 208 Rn. 3 unter Hinweis auf LG Kassel DGVZ 2019, 44).
Der Senat schließt sich für den vorliegenden Fall der zuerst genannten Ansicht an.
Im Einzelnen gilt Folgendes:
1. Gemäß § 802a Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist der Gerichtsvollzieher befugt, aufgrund eines entsprechenden Vollstreckungsauftrages und der Übergabe der vollstreckbaren Ausfertigung eine gütliche Erledigung der Sache (§ 802b ZPO) zu versuchen. Da es insoweit an einem Gebührentatbestand fehlte, hat der Gesetzgeber zunächst die Nr. 207 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtsvollzieherkostengesetz eingeführt, wonach der Gerichtsvollzieher, der "isoliert" mit dem Versuch einer gütlichen Erledigung beauftragt wird, eine Gebühr in Höhe von 12,50 € erheben kann (siehe BT-Drucksache 16/10069, Seite 48). Klargestellt wurde aber in der Anmerkung zu Nr. 207 auch, dass diese Gebühr nicht entsteht, wenn der Gerichtsvollzieher gleichzeitig mit einer Maßnahme beauftragt ist, die auf die Einholung einer Vermögensauskunft des Schuldners (§ 802a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 802c ZPO) "und" die Pfändung und Verwertung körperlicher Sachen (§ 802a Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO) gerichtet ist.
2. Da die Formulierung "und" allerdings dahingehend missverstanden werden konnte, dass die Gebühr nur dann nicht entsteht, wenn der gleichzeitig erteilte Auftrag sowohl auf die Einholung einer Vermögensauskunft als auch (zusätzlich) auf eine Pfändung und Verwertung gerichtet war, hat sich der Gesetzgeber später veranlasst gesehen, die Regelung in Nr. 207 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtsvollzieherkostengesetz dahingehend zu ändern, dass das Wort "und" durch das Wort "oder" ersetzt wird. Damit wollte er klarstellen, dass die gleichzeitige Beauftragung mit nur einer der in § 802a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder Nr. 4 ZPO genannten Maßnahmen genügt, damit die Gebühr gemäß Nr. 207 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtsvollzieherkostengesetz nicht entsteht (siehe BT-Drucksache 18/7560, Seite 51).
3. Überdies war ferner Streit darüber entstanden, ob von einer gleichzeitigen Beauftragung im vorgenannten Sinne (Auftrag für eine Maßnahme nach § 802a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder Nr. 4 ZPO) auch dann gesprochen werden kann, wenn der Auftrag nur für den Fall erteilt wurde, dass der Auftrag, den Versuch einer gütlichen Erledigung zu unternehmen, scheitere (sog. bedingter Auftrag). Dies hat den Gesetzgeber dazu veranlasst, die Regelung in § 3 Gerichtsvollzieherkostengesetz erneut zu ändern und durch eine Ergänzung von § 3 Abs. 2 Gerichtsvollzieherkostengesetz klarzustellen, dass der Gerichtsvollzieher auch dann als gleichzeitig beauftragt gilt, wenn der Auftrag in der Weise mit einem Auftrag auf Vornahme einer Amtshandlung verbunden ist, dass diese Amtshandlung nur im Falle des Scheiterns vorgenommen werden soll (siehe BT-Drucksache 18/7560, Seite 50).
4. Später hat sich der Gesetzgeber zu einer weiteren Änderung des Kostenverzeichnisses zum Gerichtsvollzieherkostengesetz veranlasst gesehen. Die Regelung, wonach die Gebühr für den Versuch einer gütlichen Erledigung nur bei einem isolierten Auftrag anfällt, ist ihm als unbillig erschienen. Diese Regelung lasse nämlich unberücksichtigt, dass der Versuch einer gütlichen Erledigung der Sache zum Teil mit einem erheblichen Arbeitsaufwand des Gerichtsvollziehers verbunden sei und grundsätzlich unabhängig davon, ob der Gerichtsvollzieher ausschließlich mit dem Versuch einer gütlichen Erledigung beauftragt worden sei oder ob der Auftrag gleichzeitig noch auf die Einholung einer Vermögensauskunft oder die Vornahme einer Pfändung gerichtet sei (so BT-Drucksache 18/9698 Seite 25). Der Versuch einer gütlichen Erledigung solle daher "stets" eine Gebühr auslösen, d. h. bei einer isolierten Beauftragung solle es bei einer Gebühr in Höhe von 16 € bleiben, während für "die übrigen Fälle" eine Gebührenhöhe in Höhe von 8 € angemessen sei (Nr. 208 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtsvollzieherkostengesetz).
5. Dies zugrunde gelegt unterscheidet der Gesetzgeber also zwei verschiedene Gebührentatbestände: Entweder ist der Gerichtsvollzieher isoliert mit dem Versuch einer gütlichen Erledigung beauftragt. Dann erhält er die volle Gebühr in Höhe von 16 € (Nr. 207 KV GvKostG). Oder er ist beauftragt, eine Vermögensauskunft des Schuldners einzuholen oder eine Pfändung und Verwertung körperlicher Sachen zu betreiben. Dann erhält er nur eine reduzierte Gebühr in Höhe von 8 € (Nr. 208 KV GvKostG).
Soweit es die Aufträge zur Einholung einer Vermögensauskunft oder der Vornahme einer Pfändung betrifft, kann der Gerichtsvollzieher also auch dann eine (reduzierte) Gebühr abrechnen, wenn er nur diesen Auftrag erhalten hat, d.h. wenn es an einem gleichzeitigen (ausdrücklich erteilten) Auftrag hinsichtlich des Versuchs einer gütlichen Erledigung fehlt. Ob damit von einer Auftragsfiktion gesprochen werden kann (so NK-GK/Kawell, gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl., KV GvKostG Nr. 207-208 Rn. 1 unter Hinweis auf OLG Oldenburg DGVZ 2019,86), bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung.
Die Genese der streitgegenständlichen Vorschriften spricht nach Auffassung des Senats gegen die Abrechnungsfähigkeit einer weiteren ermäßigten Gebühr auf der Grundlage von Nr. 207 KV GvKostG.
Denn wie der gesamte Kontext der vorstehend wiedergegebenen Gesetzesbegründungen deutlich macht, sind mit den "übrigen Fällen" (s.o.) nur die zuvor erörterten Fälle eines Auftrags zur Einholung einer Vermögensauskunft oder der Vornahme einer Pfändung gemeint. Der Gesetzgeber geht vom Anfall einer Gebühr gemäß Nr. 207 des Kostenverzeichnisses also nur bei den zuvor genannten Aufträgen aus (vgl. auch NK-GK/Kawell, a.a.O. Rn. 12, wonach die Gleichzeitigkeit (nur) auf das Verhältnis gütliche Erledigung zur Pfändung bzw. gütliche Erledigung zur Vermögensauskunft abhebt). Der (eigenständige) Verhaftungsauftrag ist vom Gesetzgeber im Rahmen des Nr. 207 gerade nicht in den Blick genommen worden oder sollte Gegenstand einer gesetzlichen Regelung sein.
Dies zeigt auch die Regelung in Nr. 208 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtsvollzieherkostengesetz, der ausdrücklich nur von einer Maßnahme nach § 802a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder Nr. 4 ZPO gerichteten Amtshandlung spricht und § 802g ZPO gerade nicht erwähnt. Wenn es also an einem isolierten Auftrag zur Vornahme einer gütlichen Erledigung fehlt, ist nach der gesetzlichen Regelung die Abrechnung einer reduzierten Gebühr auf der Grundlage von Nr. 208 des Kostenverzeichnisses nur bei den dort genannten Aufträgen möglich. Den zusätzlichen Verhaftungsauftrag hatte der Gesetzgeber bei Einführung der Nr. 207 des Kostenverzeichnisses gerade nicht im Blick, sodass die Gesetzgebungsgeschichte dagegen spricht, auch bei Durchführung eines Verhaftungsauftrages nach Durchführung des erfolglosen Auftrages zur Einholung einer Vermögensauskunft zum zweiten Mal eine reduzierte Gebühr in Ansatz zu bringen.
Es mag zwar sein, dass die Vollziehung eines Haftbefehls gemäß § 3 Absatz 1 Satz 4 Gerichtsvollzieherkostengesetz einen besonderen Auftrag darstellt. Rechtsgrundlage für den Gebührenanspruch ist aber nicht § 3 Abs. 1 Satz 4 GvKostG, sondern die Nr. 207 bzw. Nr. 208 KV GvKostG.
Auch nach Auffassung des Senats ist insoweit zu berücksichtigen, dass sich das Verfahren zur Abnahme der Vermögensauskunft nach der Verhaftung fortsetzt. Unternimmt der Gerichtsvollzieher in Ausübung des Verhaftungsauftrages den Versuch zu einer gütlichen Erledigung, stellt sich dies als eine Tätigkeit im fortgesetzten Verfahren zur Abnahme der Vermögensauskunft dar (vgl. NK-GK/Kawell, a.a.O. Rn. 19). Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 GvKostG wird eine Gebühr bei Durchführung desselben Auftrages nach derselben Nummer des Kostenverzeichnisses aber nur einmal erhoben. Wenn aber der Auftrag zur Abnahme der Vermögensauskunft fortbesteht, liegen die Voraussetzungen von § 10 Abs. 1 Satz 1 Gerichtsvollzieherkostengesetz vor, wonach bei Durchführung desselben Auftrags eine Gebühr nach derselben Nr. des Kostenverzeichnisses nur einmal erhoben wird. Innerhalb des fortbestehenden Auftrags kann die Gebühr nach Nr. 207 des Kostenverzeichnisses nur einmal erhoben werden, selbst wenn zur Durchführung des (fortbestehenden) Auftrags zur Einholung der Vermögensauskunft dieselbe Amtshandlung mehrfach zu erledigen ist (siehe auch NK-GK/Kawell, a.a.O.).
Nichts Anderes folgt aus § 3 Abs. 4 Satz 3 des Gerichtsvollzieherkostengesetzes. Gemäß § 3 Abs. 4 Satz 3 Gerichtsvollzieherkostengesetz ist Satz 2 entsprechend anzuwenden, wenn der Schuldner zu dem Termin zur Abnahme der Vermögensauskunft nicht erscheint oder die Abgabe der Vermögensauskunft ohne Grund verweigert und der Gläubiger innerhalb des in Satz 2 genannten Zeitraums einen Auftrag zur Vollziehung eines Haftbefehls erteilt. Durch diese Vorschrift hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass der Auftrag auf Abnahme der Vermögensauskunft unter den in Satz 3 genannten Voraussetzungen nicht als durchgeführt gilt. Infolgedessen liegt ein neuer Auftrag zur Abnahme der Vermögensauskunft erst dann vor, wenn ein Verhaftungsauftrag nach Ablauf der Frist erteilt wird, der insoweit gesondert Gebühren und Auslagen entstehen lässt (siehe NK-GK/Kawell, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl., § 3 GvKostG Rn. 52).
Nach alledem war der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Lüneburg zurückzuverweisen. Denn die weitere Beschwerde ist ein rechtsbeschwerdeähnliches Rechtsmittel, d.h. das Rechtsmittel kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht, wobei die revisionsrechtlichen Vorschriften der §§ 546 und 547 ZPO entsprechend gelten. Das gemäß § 66 Abs. 4 Satz 3 GKG zuständige Oberlandesgericht prüft die Entscheidung mithin nur auf Rechtsfehler nach (siehe OLG Koblenz, Beschluss vom 16. Juli 2010 - 1 Ws 189/10 -, Rn. 15, juris; siehe ferner NK-GK/Volpert, Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage, § 66 GKG Rn. 119).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 5 Abs. 2 Satz 2 GvKostG in Verbindung mit § 66 Abs. 8 GKG.