Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 03.12.2021, Az.: 3 W 19/21

Einwand der fehlenden Fälligkeit der Abwicklervergütung nach Beendigung der Abwicklung im Bürgenregress

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
03.12.2021
Aktenzeichen
3 W 19/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 48920
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2021:1203.3W19.21.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 23.07.2021 - AZ: 4 O 7/21

Fundstellen

  • BRAK-Mitt 2022, 102
  • FA 2022, 26-27

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Sind Vorschussansprüche des Abwicklers einer Kanzlei im Wege des Forderungsübergangs auf die als Bürgin haftende Rechtsanwaltskammer übergegangen, ist zu überlegen, ob der ausgeschiedene Rechtsanwalt im Regressprozess der Rechtsanwaltskammer nach Beendigung der Abwicklung bis zur Erstellung einer Schlussabrechnung die fehlende Fälligkeit der Abwicklervergütung entgegenhalten kann.

  2. 2.

    Im Verfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe bedarf es zu dieser Frage wegen der mit ihr verbundenen rechtlichen Schwierigkeiten keiner Entscheidung, da andernfalls das Hauptsacheverfahren in das summarische Prozesskostenverfahren verlagert würde.

Tenor:

Der Beschluss des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 23. Juli 2021 wird auf die sofortige Beschwerde des Beklagten vom 3. September 2021 abgeändert und dem Beklagten Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren bewilligt.

Ihm wird Rechtsanwalt M. in H. zur Vertretung in diesem Verfahren beigeordnet.

Gründe

I.

Der Beklagte begehrt Prozesskostenhilfe für die Rechtsverteidigung gegen eine Klage auf Rückzahlung von Abwicklervergütung nach gesetzlichem Forderungsübergang.

Der Beklagte war zugelassener Rechtsanwalt und Mitglied der Klägerin. Mit Schreiben vom 09. November 2017 verzichtete der Beklagte auf die Zulassung.

Da zu diesem Zeitpunkt die von dem Beklagten bearbeiteten Mandate noch nicht vollständig abgeschlossen waren, wurde am 30. November 2017 durch die Klägerin im Einvernehmen mit dem Beklagten Rechtsanwalt G.-G. K. aus H. zunächst bis zum 30. Mai 2018 als Abwickler bestellt (Anl. K 2, gesondert geheftet).

In der Folge wurde die Abwicklung mehrfach verlängert (Anl. K 3 - K 5, gesondert geheftet), bis sie letztendlich zum 30. November 2019 abgeschlossen wurde.

Mit Bescheid vom 12. Januar 2018 (Anl. K 8, gesondert geheftet) setzte die Klägerin auf Antrag des Abwicklers vom 02. Januar 2018 (Anl. K 7, gesondert geheftet) die Vergütung für die Abwicklung der Kanzlei des Beklagten für die Zeit vom 28. November 2017 bis zum 31. Dezember 2017 vorläufig auf 4.352 € netto, mithin 5.178 € brutto, fest, nachdem sich der Beklagte und der Abwickler nicht auf eine Vergütung hatten einigen können.

Mit weiteren Bescheiden zwischen dem 07. Februar 2018 und dem 20 November 2019 setzte die Klägerin auf die jeweiligen Anträge des Abwicklers die Vergütung für die Folgezeiten wiederum vorläufig fest. Wegen der Einzelheiten wird auf die jeweiligen Bescheide (Anl. K 10, K 12, K 14, K 18 - K 29, B 1 gesondert geheftet), Bezug genommen.

Den Vergütungsfestsetzungen lag jeweils der Grundsatzbeschluss des Präsidiums der Klägerin vom 20. Januar 2016 zugrunde, wonach sich die festzusetzende Abwicklervergütung auf 40 € netto je Stunde, begrenzt auf 2.900 € netto im Monat, beläuft. Hierbei handelt es sich um das hälftige monatliche Einkommen junger Rechtsanwälte im Bezirk der Klägerin.

Die Klägerin verauslagte die Abwicklerkosten, soweit vom Abwickler erzielte Erlöse nicht zur Deckung der Kosten ausreichten, in Höhe von insgesamt 8.627,57 € brutto. Auf die Aufstellung auf S. 3 der Klagschrift vom 10. Januar 2021 (Bl. 12 d. A.) wird Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 10. September 2020 (Anl. K 15, gesondert geheftet) forderte die Klägerin den Beklagten zur Zahlung der verauslagten Abwicklervergütung auf, woraufhin der Beklagte die Forderung mit Schreiben vom 11. September 2020 (Anl. K 16) dem Grunde nach anerkannte.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 8.327,57 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Oktober 2020 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat vorgetragen, der Abwickler habe für ein Mandat G.-A. gegen A. im zivilgerichtlichen Verfahren Gebührenansprüche in Höhe von 5.657,79 € brutto und im sozialgerichtlichen Verfahren Gebührenansprüche von 714 € brutto vereinnahmt bzw. vereinnahmen können. Für ein Mandat H. gegen V. Versicherungen habe der Abwickler aus einer zivilgerichtlichen Tätigkeit 4.383,90 € brutto vereinnahmt bzw. vereinnahmen können. Ebenso habe der Abwickler aus einem Berufungsverfahren der Mandantin U. jedenfalls die Verfahrensgebühr in Höhe von 3.047,35 € vereinnahmt bzw. vereinnahmen können. Am 12. November 2019 habe das für die Abwicklung eingerichtete Treuhandkonto ein Guthaben in Höhe von 3.457,58 € ausgewiesen.

Durch Beschluss vom 23. Juli 2021 (Bl. 78a ff. d. A.) hat das Landgericht Hannover den Prozesskostenhilfeantrag des Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Einwendungen des Beklagten gegen die schlüssig vorgetragenen Ansprüche der Klägerin seien unerheblich.

Soweit der Beklagte behauptet habe, am 12. November 2019 habe sich ein Guthaben in Höhe von 3.457,58 € ergeben, komme es hierauf nicht an, da der betreffende Zeitraum nicht streitgegenständlich sei.

Soweit der Beklagte behauptet habe, der Abwickler habe Gebühren vereinnahmt oder vereinnahmen können, sei dies ebenfalls unerheblich, da der Abwickler die Gebühren nicht für die Klägerin, sondern den Beklagten einziehe und die Klägerin sich auf die Angaben des Abwicklers verlassen dürfe.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Beklagten vom 03. September 2021 (Bl. 123 f. d. A.). Er ist der Ansicht, der Klägerin komme hinsichtlich der Abrechnungen des Abwicklers und dessen Geschäftsführung eine Prüfpflicht zu.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Dem Beklagten war Prozesskostenhilfe zu bewilligen, da die Rechtsverteidigung des Beklagten hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 114 Abs. 1 ZPO, dessen übrige Voraussetzungen ebenfalls vorliegen, bietet.

Es ist bereits zweifelhaft, ob die Klägerin die mit der Klage verfolgten Ansprüche schlüssig vorgetragen hat (hierzu unter 1.)), was vorliegend für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausreichend ist (hierzu unter 2.)).

1. a) Zwar war die Klägerin durch den unstreitigen Verzicht des Beklagten auf die Zulassung als Rechtsanwalt in analoger Anwendung des § 55 Abs. 1 BRAO (vgl. Weyland/Brüggemann, 10. Aufl. 2020, BRAO § 59h Rn. 28) berechtigt, für die von dem Beklagten betriebene Rechtsanwaltskanzlei einen Abwickler zu bestellen.

Dem von der Klägerin bestellten Abwickler steht ein Vergütungsanspruch gegen den Beklagten aus § 55 Abs. 3 BRAO in der bis zum 31. Juli 2021 geltenden Fassung (a.F.) in Verbindung mit § 53 Abs. 10 S. 4 BRAO a.F. zu, den die Klägerin gem. § 53 Abs. 10 S. 5 BRAO a.F. zulässigerweise nach Scheitern einer Einigung zwischen Beklagtem und Abwickler festgesetzt hat und für den sie nach § 53 Abs. 10 S. 7 BRAO a.F. wie eine Bürgin haftet.

Indem die Klägerin die von dem Abwickler nach § 53 Abs. 10 S. 6 BRAO a.F. geltend gemachten, aus dem Vergütungsanspruch erwachsenen Vorschussansprüche unstreitig in Höhe von 8.627,57 € ausgeglichen hat, sind die entsprechenden Forderungen des Abwicklers gem. § 774 Abs. 1 BGB auf sie mit der Folge übergegangen, dass sie diese grundsätzlich gegen den Beklagten geltend machen kann.

b) Es ist jedoch zweifelhaft, ob diese Vorschusszahlungen, die auf einer vorläufigen Vergütungsfestsetzung durch die Klägerin beruhen, nach Beendigung der Abwicklung (hier: am 30. November 2019) - im Bürgenregress nach § 774 BGB - noch geltend gemacht werden können.

Denn ähnlich wie in dem Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandanten kommen auch im Verhältnis zwischen Abwickler und ausgeschiedenem Rechtsanwalt Vorschussansprüche lediglich bis zur Beendigung der Abwicklung in Betracht. Der Vorschussanspruch des Rechtsanwalts erlischt, sobald der Vergütungsanspruch fällig geworden ist. Dies ist mit der Beendigung der Angelegenheit der Fall, § 8 Abs. 1 S. 1 RVG (vgl. BGH, Urteil vom 13. April 2006, IX ZR 158/05, Rn. 25, juris). Gleiches gilt für den Vergütungsanspruch des Abwicklers; dieser wird mit dem Ende der Abwicklung fällig (BGH, Urteil vom 23. Juni 2005, IX ZR 139/04, Rn. 18, juris). Nach Beendigung bedarf es einer Schlussabrechnung, in der die gezahlten Vorschüsse auf die Gesamtvergütung verrechnet werden, § 10 Abs. 2 S. 1 RVG. Dieser die Schlüssigkeit des Vergütungsanspruchs betreffende Aspekt wird über §§ 412, 404 BGB (analog) voraussichtlich auch im Bürgenregress zu berücksichtigen sein. Denn die Fälligkeit der Vergütung dürfte im Zeitpunkt des gesetzlichen Forderungsübergangs auf die Klägerin im Schuldverhältnis zwischen Abwickler und Beklagtem angelegt gewesen und wird deshalb gem. § 404 BGB zu beachten sein (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 19. Oktober 2005, XII ZR 224/03, Rn 27, juris).

Auf den Hinweis des Senats, ob und bejahendenfalls mit welchem Ergebnis der Abwickler eine solche Schlussabrechnung - auch im Hinblick auf ein etwaiges Guthaben auf dem vom Abwickler eingerichteten Treuhandkonto - durchgeführt und eine Schlussabrechnung erstellt hat, hat die Klägerin nur vorgetragen, dass sie sich derzeit nicht in der Lage sehe, die abschließende Vergütungsabrechnung vorzulegen.

2. Im Ergebnis kann die Frage, ob die Klägerin im Wege des Bürgenregresses noch Ansprüche aus vorläufiger Vergütungsfestsetzung geltend machen kann, obwohl die Abwicklung der Kanzlei des Beklagten beendet ist, und bejahendenfalls, welchen Vortrag die Klägerin im Hinblick auf die Verrechnung etwaiger auf das vom Abwickler eingerichtete Treuhandkonto zu halten hätte, dahingestellt bleiben, auch wenn der Senat dazu tendiert, dass bei beendeter Abwicklung zunächst eine Schlussabrechnung zu erfolgen hat.

Denn das Erfordernis der hinreichenden Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 Abs. 1 ZPO darf nicht dazu führen, dass die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung vom Hauptsacheverfahren in das summarische Prozesskostenhilfeverfahren verlagert wird (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 22. Februar 2011 - 1 BvR 409/09, Rn. 24, juris). Deshalb hat die beabsichtigte Rechtsverfolgung in der Regel schon dann hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn die Entscheidung von der Beantwortung schwieriger Rechts- und Tatfragen abhängt (BVerfG, Beschluss vom 13. März 1990 - 2 BvR 94/88 -, BVerfGE 81, 347-362 Rn. 28 ff.; BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2012 - XII ZB 190/12, Rn. 6, juris).

Vorliegend ist keine höchst- oder obergerichtliche Rechtsprechung zu der aufgeworfenen Fragestellung ersichtlich. Eine Recherche in den einschlägigen Datenbanken ergibt auch keine unterinstanzliche Rechtsprechung zu der Thematik. Die Rechtsfrage gestaltet sich auch insofern als schwierig, als dass wegen der besonderen Stellung der Klägerin als öffentlich-rechtliche Körperschaft, die die Abwicklervergütung, für die sie als Bürgin haftet, selbst festsetzt und zwischen ihr und dem Abwickler durch die Bestellung ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis entsteht (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2003 - AnwZ (B) 62/02 -, BGHZ 156, 362-370 Rn. 19) nicht ohne weiteres auf die allgemeine Rechtsprechung zum Bürgenregress zurückgegriffen werden kann. Es erscheint daher sachgerecht, dem Beklagten auch ohne abschließende Klärung der Rechtslage Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

III.

Das erfolgreiche Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nach § 127 Abs. 4 ZPO im Beschwerdeverfahren nicht statt.