Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 18.08.2004, Az.: 4 B 142/04

Beurteilungsspielraum; Prüfung; Prüfungsentscheidung; Prüfungsfragen; Versetzung

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
18.08.2004
Aktenzeichen
4 B 142/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 50699
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Gründe

1

Die Antragsteller begehren, den Antragsgegner durch einstweilige Anordnung zu verpflichten, ihren Sohn A. B. bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, mit der sie dessen Versetzung anstreben, im Schuljahr 2004/2005 vorläufig am Unterricht der Klasse 10 teilnehmen zu lassen.

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Der Antrag hat keinen Erfolg.

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Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die Anwendung der Vorschrift setzt neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) voraus, dass der Rechtsschutzsuchende mit Wahrscheinlichkeit einen Anspruch auf die begehrte Regelung hat (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).

4

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, weil die Antragsteller den erforderlichen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht haben. Es ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass sie in einem Hauptsacheverfahren die Versetzung ihres Sohnes A. in die 10. Klasse erreichen werden.

5

Die Versetzungsentscheidung ergeht auf der Grundlage eines pädagogischen Fachurteils der Klassenkonferenz, ob eine erfolgreiche Mitarbeit des Schülers oder der Schülerin in dem nächsthöheren Schuljahrgang erwartet werden kann (§ 59 Abs. 4 Satz 1 NSchG). Sie ist gerichtlich lediglich dahingehend überprüfbar, ob die Klassenkonferenz Verfahrensfehler begangen oder anzuwendendes Recht verkannt hat, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzt hat, sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen, oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist. Rechtsgrundlage der Entscheidung über die Nichtversetzung des Klägers sind die §§ 59 Abs. 4, 60 Abs. 1 Nr. 2 NSchG in Verbindung mit der Verordnung über die Durchlässigkeit sowie über Versetzungen und Überweisungen an den allgemeinbildenden Schulen - Durchlässigkeits- und Versetzungsverordnung -. Gem. § 2 Abs. 2 Durchlässigkeits- und Versetzungsverordnung ist eine Schülerin oder ein Schüler zu versetzen, wenn die Leistungen in allen Pflicht- und Wahlpflichtfächern mindestens mit „ausreichend“ bewertet worden sind. Nicht ausreichende Leistungen können nach Maßgabe der §§ 4 und 5 Durchlässigkeits- und Versetzungsverordnung ausgeglichen werden.

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Diese Vorschriften hat die Klassenkonferenz zutreffend angewandt. Der Sohn der Antragsteller hat in den Fächern Chemie, Französisch und Musik jeweils die Note „mangelhaft“ erhalten, so dass die Voraussetzungen für eine Versetzung nicht erfüllt sind. Ein Ausgleich dieser Noten nach §§ 2 Abs. 2, 4 und 5 Durchlässigkeits- und Versetzungsverordnung kommt nicht in Betracht, da die Tatbestandsvoraussetzungen für die Anwendung der Ausgleichsregelung nicht vorliegen. Die Klassenkonferenz ist damit rechtlich daran gehindert gewesen, A. B. aufgrund einer Prognoseentscheidung in die 10. Klasse des Gymnasiums zu versetzen.

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Auch die Notengebung, die der Entscheidung der Klassenkonferenz zugrunde liegt, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

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Bei der rechtlichen Überprüfung von Zeugnisnoten ist zu berücksichtigen, dass Prüfungsentscheidungen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsrechts nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung unterliegen. Dies folgt aus der Eigenart einer Prüfungsentscheidung als einem höchstpersönlichen Fachurteil über die Qualität einer Prüfungsleistung. Das Gericht darf daher die angefochtene Prüfungsentscheidung nicht durch eine eigene Beurteilung der Prüfungsleistung ersetzen. Vielmehr ist eine derartige Entscheidung - jedenfalls im Hinblick auf die prüfungsspezifischen Wertungen - nur daraufhin überprüfbar, ob der Prüfer die rechtlichen Grenzen seines Beurteilungsspielraumes überschritten hat. Letzteres ist insbesondere dann der Fall, wenn das vorgeschriebene Prüfungsverfahren nicht eingehalten worden ist, der Prüfer von falschen Tatsachen ausgegangen ist, er allgemein anerkannte Bewertungsmaßstäbe nicht beachtet hat, sich von unsachlichen Erwägungen hat leiten lassen oder seine Bewertung unter keinem erdenklichen wissenschaftlichen oder pädagogischen Gesichtspunkt gerechtfertigt sein kann und daher willkürlich ist. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn es sich nicht um prüfungsspezifische Wertungen sondern um Fachfragen handelt, die einer fachwissenschaftlichen Erörterung zugänglich sind. Fachliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Prüfer und Prüfling sind der gerichtlichen Kontrolle nicht entzogen. Vielmehr hat das Gericht aufgrund hinreichend substantiierter Einwände des Prüflings notfalls mit sachverständiger Hilfe darüber zu befinden, ob die von dem Prüfer als falsch bewertete Lösung im Gegenteil richtig oder jedenfalls vertretbar ist (vgl. zum Vorstehenden: BVerfG, Beschlüsse vom 14.4.1991 - 1 BvR 419/81 u. 213/83 -, BVerfGE 84, 34 und - 1 BvR 1529/84 u. 138/87 -, BVerfGE 84, 59; BVerwG, Urteil vom 21.10.1993 - BVerwG 6 C 12.92 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 320 und Urteil vom 16.3.1994 - BVerwG 6 C 5.93 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 329). Diese Rechtsprechung ist auch auf Leistungsbewertungen von Schülern anzuwenden.

9

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe greifen die Einwände der Antragsteller gegen die im Fach Chemie vergebene Note „mangelhaft“ nicht durch. Der Antragsgegner hat schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, wie diese Note unter Berücksichtigung der schriftlichen und mündlichen Leistungen des Sohnes der Antragsteller zustande gekommen ist. So seien sowohl beide Klausuren als auch die mündlichen Leistungen von A. mit mangelhaft bewertet worden.

10

Soweit sich die Antragsteller gegen die Bewertung der zweiten Klausur wenden, greifen ihre Einwände nicht durch. Die Antragsteller machen insbesondere geltend, dass die 7. Aufgabe dieser Klausur für Schüler der Klasse 9 zu schwierig gewesen sei und insgesamt zuviel Mathematik und zuwenig Chemie geprüft worden sei.

11

Ob eine Prüfungsfrage geeignet ist, das Fachwissen und die fachliche Qualifikation eines Kandidaten in rechtlich zulässiger Weise zu erfragen, beurteilt sich u.a. danach, ob sie objektiv lösbar ist, ob mit der Prüfungsaufgabe von dem Prüfling, ausgehend vom Prüfungswissen, fachlich nichts Unmögliches verlangt wird und ob sie sich auch im Rahmen der Prüfungsordnungen hält. Eine Prüfungsfrage muss außerdem verständlich und in sich widerspruchsfrei sein (BVerwG, Urteil vom 9.8.1996 - BVerwG 6 C 3.95 -, DVBl. 1996, 1381). Daran gemessen ist die Aufgabenstellung der zweiten Chemieklausur nicht zu beanstanden. Wie der Antragsgegner zutreffend dargelegt hat, sind die Aufgaben den Themenbereichen entnommen worden, die nach den Rahmenrichtlinien des Nds. Kultusministeriums für den Unterricht im Fach Chemie für das Gymnasium im Schuljahrgang 9 vorgesehen sind. Diese Themenbereiche sind nach der auf den Angaben der Fachlehrerin beruhenden Stellungnahme des Antragsgegners in einem Zeitraum von sechs bis acht Wochen vor der Klausur im Unterricht behandelt worden. Der Antragsgegner hat auch zu Recht darauf hingewiesen, dass chemisches Rechnen zum Fach Chemie gehört. Eine mathematische Verknüpfung mit chemischen Inhalten findet sich lediglich bei der Aufgabe 7, die der Sohn der Antragsteller gar nicht gelöst hat. Dass mit dieser Aufgabe von ihm fachlich Unmögliches verlangt worden ist, kann allerdings nicht festgestellt werden. Der Antragsgegner hat dazu umfassend und für die Kammer plausibel ausgeführt, dass der mathematische Anteil der Aufgabe Stoff der unteren Klassen gewesen sei. Den Schülern sei zudem die Gleichung der Reaktion zwischen Natrium und Wasser bekannt gewesen, die molaren Massen seien dem Periodensystem zu entnehmen und der Begriff der Dichte sei Stoff der 8. Klasse und immer wieder aufgegriffen worden. Dem sind die Antragsteller mit ihrem Vorbringen, die Aufgabe sei nicht ausführlich experimentell erarbeitet und erübt worden und es handele sich nicht um eine einfache stöchometrische Berechnung, nicht hinreichend substantiiert entgegen getreten. Sonstige Bewertungsfehler sind nicht ersichtlich.

12

Auch die Bewertung der mündlichen Leistung ist nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner hat vorgetragen, dass die Quantität der freiwilligen Beteiligung von A. wechselhaft gewesen sei. Qualitativ sei er nur vereinzelt in der Lage gewesen, dem Unterricht angemessene Beiträge beizusteuern. Er habe entweder schon Gesagtes wiederholt oder den Eindruck erweckt, den Gesamtzusammenhang des Besprochenen nicht erfasst zu haben. Fachliche Beiträge auf Ansprache seien nicht erfolgt. In experimentellen Phasen habe ihm deutlich der Überblick über die zu leistenden Schritte gefehlt. Das Vorbringen der Antragsteller, ihr Sohn habe sich durchschnittlich drei- bis viermal pro Stunde gemeldet, besagt nichts über die Qualität seiner Beiträge und ist daher nicht geeignet, die fachliche Bewertung seiner mündlichen Leistungen anzugreifen.

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Auch die Note im Fach Französisch kann rechtlich nicht beanstandet werden. Der Antragsgegner hat unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Fachlehrkraft schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass die schriftlichen und mündlichen Leistungen von A. insgesamt als mangelhaft zu bewerten gewesen sind und dass dies auch dann gelten würde, wenn die hier streitige Klausur mit der Note „ausreichend“ statt mit „mangelhaft“ benotet worden wäre. So habe die Leistung des Sohnes der Antragsteller im ersten Schulhalbjahr noch mit ausreichend bewertet werden können. Im Verlauf des zweiten Schulhalbjahres habe er jedoch keine der Klasse 9 entsprechenden Leistungen mehr erbringen können. Er habe siebenmal die Hausaufgaben nicht angefertigt, ein Vokabeltest und ein Grammatiktest seien im negativen Bereich gewesen und in den schriftlichen Klassenarbeiten habe er die Noten 5, 5- und 5 erhalten. Die mündlichen Beiträge seien bis auf einige Lesebeiträge trotz mehrfacher persönlicher Ansprache mangelhaft gewesen und hätten sich zumeist auf Ein-Wort-Sätze beschränkt. Selbst wenn die Lehrkraft in der streitigen Klausur eine richtige Grammatikform zu Unrecht als falsch bewertet hätte und deshalb diese Klausur mit der Note 4 zu benoten gewesen wäre, verblieben zwei weitere mit der Note 5 bewertete schriftliche Arbeiten sowie die mangelhaften mündlichen Leistungen. Substantiierte Einwände haben die Antragsteller dagegen nicht erhoben. Ein etwaiger Bewertungsfehler würde sich daher nicht auf die Gesamtnote auswirken, so dass er unerheblich wäre.

14

Gegen die Benotung im Fach Musik bestehen ebenfalls keine rechtlichen Bedenken. Der Antragsgegner hat unter Einbeziehung der Stellungnahme des Fachlehrers nachvollziehbar dargelegt, wie die Note mangelhaft zustande gekommen ist. So ist die schriftliche Klausur von A. mit mangelhaft bewertet worden. Eine mündliche Mitarbeit sei nahezu nicht erfolgt. Auf Nachfragen seien entweder keine oder unkorrekte Antworten gekommen. Der Fachlehrer habe nach einem Anruf der Antragstellerin zu 2. das Leistungsvermögen von A. noch einmal besonders getestet und im theoretischen Bereich nur mangelhafte oder ungenügende Kenntnisse feststellen können. Erst gegen Ende des Schulhalbjahres habe A. versucht, sich im Unterricht ein wenig mehr zu beteiligen, dieses Bemühen habe aber nicht für eine Benotung mit ausreichend ausgereicht. Soweit die Antragsteller darauf verweisen, dass ihr Sohn eine sechsjährige Klavierausbildung mit anschließendem Trompetenunterricht absolviert habe, seit einigen Jahren Schlagzeugunterricht erhalte und an der Kreismusikschule klassisch ausgebildet werde und im Symphonieorchester mitwirke, ist dieses Vorbringen nicht geeignet, einen Bewertungsmangel aufzuzeigen. Es liegt auf der Hand, dass im Musikunterricht nur die dort erbrachten Leistungen gewertet werden können. Dass diese fehlerhaft bewertet worden sind, haben die Antragsteller aber nicht substantiiert vorgetragen.

15

Soweit sich die Antragsteller gegen die Überweisung ihres Sohnes A. in die 10. Klasse der Realschule wenden, sind Rechtsfehler ebenfalls nicht ersichtlich. Rechtsgrundlage sind die §§ 59 Abs. 4 Satz 3, 60 Abs. 1 Nr. 2 NSchG i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 1 Durchlässigkeits- und Versetzungsverordnung. Gem. § 59 Abs. 4 Satz 3 NSchG soll eine Schülerin oder ein Schüler, die oder der zweimal nacheinander oder in zwei nacheinander folgenden Schuljahrgängen nicht versetzt worden ist, an die Schule einer anderen geeigneten Schulform überwiesen werden. Nach § 17 i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 1 Durchlässigkeits- und Versetzungsverordnung wird, wer nach zweijährigem Besuch desselben Schuljahrgangs oder in zwei aufeinander folgenden Schuljahrgängen nicht versetzt worden ist, durch Beschluss der Klassenkonferenz an die Realschule verwiesen. Die Klassenkonferenz kann mit einer Zweidrittelmehrheit der stimmberechtigten Mitglieder Ausnahmen von Satz 1 beschließen. Da der Sohn der Antragsteller die 9. Klasse des Gymnasiums bereits einmal wiederholt hat, liegen die Voraussetzungen für eine Überweisung an die Realschule bei ihm vor. Dass die Klassenkonferenz von der ihr zustehenden Möglichkeit, von einer Überweisung abzusehen, im Falle des Sohnes der Antragsteller keinen Gebrauch gemacht hat, kann rechtlich nicht beanstandet werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Überweisung nach § 59 Abs. 4 Satz 3 NSchG im Regelfall auszusprechen ist und diese nicht im Ermessen der Klassenkonferenz liegt. Dass bei dem Sohn der Antragsteller ein Ausnahmefall vorliegt, der es hätte gebieten können, von einer Überweisung an die Realschule abzusehen, ist nicht ersichtlich.

16

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.