Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 25.08.2004, Az.: 1 A 253/02
Dienstherr; Drittschadensliquidation; Feststellung; grobe Fahrlässigkeit; Schadensersatz; Schadensersatzanspruch; Schließanlage; Schlüssel; Sorgfaltspflicht; Subordination
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 25.08.2004
- Aktenzeichen
- 1 A 253/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 51071
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OVG - 10.03.2005 - AZ: 5 LA 327/04
Rechtsgrundlagen
- § 43 VwGO
- § 86 Abs 1 BG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Der Schulträger hat keinen unmittelbaren Anspruch auf Schadensersatz gegen einen Lehrer.
2. Für Ersatzansprüche des Schulträgers steht die Drittschadensliquidation zur Verfügung.
3. Eine Haftung des Lehrers entfällt, wenn ihm nur (normale) Fahrlässigkeit angelastet werden kann.
Tatbestand:
Die Beigeladene ist als Landesbeamtin Lehrerin an der Realschule in B.. Der Kläger ist der Schulträger dieser Schule. Er begehrt die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, gegenüber der Beigeladenen wegen des Verlustes eines Schulschlüssels einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 735,- EUR im Wege der sogenannten Drittschadensliquidation geltend zu machen.
Die Beigeladene fuhr am 29. Mai 2001 unmittelbar im Anschluss an ihren Unterricht in der Realschule in B. nach C. zu einem Arztbesuch. Ihren PKW stellte sie nach dem Polizeibericht gegen 10.35 Uhr im Parkhaus des City-Centers ab. Zwei Taschen mit Schulunterlagen und dem Schulschlüssel ließ sie im nicht einsehbaren Kofferraum des Pkw zurück. Den PKW selbst schloss sie ab. Als sie gegen 12.00 Uhr zum PKW zurückkehrte, war die Fahrertür aufgehebelt worden und der Täter hatte durch Vorziehen der Rückbank die zwei Taschen mit Schulschlüssel entwendet.
Da der Schlüssel zunächst nicht wiedergegeben bzw. nicht wiedergefunden wurde, ließ der Kläger von der Schließanlage mit 10 Flur- und Funktionsraumtüren, für die der gestohlene Schlüssel bestimmt war, 4 Schlösser von Funktionsräumen austauschen. Für den Austausch wurde von einer Fachfirma mit Rechnung vom 21. September 2001 ein Betrag von 1.438,40 DM (entspricht 735,44 EUR) gefordert.
Mit Schreiben vom 13. November 2001 forderte der Kläger die Beklagte auf, die ihm entstandenen Kosten für den Austausch der Schlösser gegenüber der Beigeladenen im Wege der Drittschadensliquidation geltend zu machen. Er vertrat die Auffassung, dass die Beigeladene grob fahrlässig gehandelt habe.
Mit Schreiben vom 19. Juni 2002 lehnte die Beklagte die Drittschadensliquidation ab, da sie eine grob fahrlässige Pflichtverletzung der Beigeladenen verneinte. Im Übrigen wies sie darauf hin, dass nach zwei Erlassen des Niedersächsischen Kultusministeriums vom 25. Mai 1981 und 20. Oktober 1999 die Haftung der Lehrer bei Verlusten von Schulschlüsseln auf den Ersatz eines Schlüssels und eines Schlosses zu beschränken sei.
Am 2. September 2002 hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt im Wesentlichen vor: Die Beklagte sei nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation, aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Schulverhältnisses und aus dem schulrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis verpflichtet, den ihm aus dem Verlust des Schulschlüssels entstandenen Schaden gegenüber der Beigeladenen geltend zu machen. Diese habe grob fahrlässig gehandelt, als sie die Schulschlüssel einer teuren Schließanlage im Kofferraum ihres PKW unbeaufsichtigt zurückgelassen habe. Die in den beiden Erlassen des Kultusministeriums vorgesehene Haftungsbeschränkung auf einen Schlüssel und ein Schloss sei rechtlich weder geboten noch zulässig, zumal die Beigeladene eine sogenannte Schlüsselversicherung habe.
Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, gegenüber der Beigeladenen eine Schadenssumme von 735,- EUR wegen des Verlustes eines Schulschlüssels der Realschule B. am 29. Mai 2001 zur Zahlung an ihn geltend zu machen,
hilfsweise,
die Beklagte zu verpflichten, diesen Schadensersatzanspruch geltend zu machen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erwidert, dass die Feststellungsklage unzulässig sein dürfte, da der Kläger direkt Leistungsklage gegen die Beigeladene hätte erheben können. Darüber hinaus sei die Klage nicht begründet, da die Beigeladene nicht grob fahrlässig gehandelt habe. Im Übrigen komme die Geltendmachung der vollen Schadenssumme gegenüber der Beigeladenen nach den Erlassen des Niedersächsischen Kultusministeriums aus Fürsorgegründen nicht in Betracht.
Die Beigeladene, die keinen eigenen Antrag stellt, legt dar, dass ihr ein grob fahrlässiges Verhalten nicht vorzuwerfen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Klägers und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die mit dem Hauptantrag verfolgte Feststellungsklage ist zulässig. Zwar kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO), was hier - wie mit dem Hilfsantrag auch geschehen - möglich wäre. Es ist in der Rechtsprechung aber anerkannt, dass der Grundsatz der Subsidiarität von Feststellungsklage und allgemeiner Leistungsklage jedoch dann nicht gilt, wenn trotz einer möglichen Leistungsklage die Feststellungsklage gegen eine juristische Person des öffentlichen Rechts gewählt wird, da davon ausgegangen werden kann, dass diese bei einer entsprechenden gerichtlichen Feststellung dieser Feststellung Rechnung trägt (vgl. kritisch hierzu Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 43 Rn 28 m.w.N.). Dieser Auffassung schließt sich das Gericht an.
Die vom Kläger begehrte Feststellung ist aber nicht begründet.
Der Kläger hat zwar entgegen der Auffassung der Beklagten grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass diese als Dienstherr gegen Lehrer einen Schadensersatzanspruch nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation geltend macht, wenn diese dem Kläger als Schulträger durch eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Dienstpflichtverletzung einen Schaden zufügen. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Der Kläger als Schulträger und Eigentümer des in Verlust geratenen Schlüssels ist nicht berechtigt, gegen die Beigeladene als Landesbedienstete selbständig Schadensersatzansprüche durchzusetzen, weil es insoweit an einem Subordinationsverhältnis fehlt (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 14.1.1986 - 2 A 89/84 -, ZBR 1987, 21). Dies führt jedoch nicht dazu, dass die Beigeladene von jeder Haftung freigestellt wird. Vielmehr kommen die Rechtsgrundsätze zum Tragen, die im bürgerlichen Recht zum Begriff der sogenannten Drittschadensliquidation entwickelt worden sind (vgl. BVerwG, Beschl. v. 8.12.1994 - 2 B 101/94 -, ZBR 1995, 107; VG Braunschweig, Gerichtsbescheid v. 31.8.1978 - 7 VG A 193/86 -; VG Braunschweig, Urt. v. 27.8.1991 - 6 A 61073/91 -; Kümmel, NBG, Stand: Juni 2004, § 86 NBG Rn 13). Hiernach besteht dem Grunde nach ein Anspruch des Schulträgers gegen das Land Niedersachsen als Dienstherrn oder Arbeitgeber eines Lehrers, dass dieser gegen den Lehrer Schadensersatzansprüche gemäß § 86 NBG geltend macht. Dieser Anspruch ergibt sich aus dem besonderen Gemeinschaftsverhältnis, in welchem der Schulträger und das Land Niedersachsen bei der Einrichtung und Unterhaltung öffentlicher Schulen stehen.
Das Feststellungsbegehren des Klägers kann aber keinen Erfolg haben, weil die weiteren Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 NBG in der Person der Beigeladenen nicht erfüllt sind. Nach § 86 Abs. 1 Satz 1 NBG hat ein Beamter, der vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihm obliegenden Pflichten verletzt, dem Dienstherrn, dessen Aufgaben er wahrgenommen hat, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.
Hier ist zwar durch das Verhalten der Beigeladenen adäquat kausal dem Kläger ein Schaden entstanden. Die Beigeladene hat den ihr anvertrauten Schulschlüssel unbeaufsichtigt im Kofferraum ihres PKW belassen, so dass er von dort gestohlen werden konnte und der Kläger zur Sicherung des Schulgebäudes gezwungen war, Schlösser und Schlüssel zum Teil auszutauschen. Die Beigeladene hat ihre Dienstpflicht, die ihr vom Schulträger anvertrauten Schlüssel sorgsam aufzubewahren, aber nicht grob fahrlässig verletzt.
Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss oder wer die einfachsten, ganz naheliegenden Überlegungen nicht anstellt (vgl. BVerwG, Urteil vom 3.2.1972 - VI C 22.68 -, Buchholz 232 § 78 BBG Nr. 18). Ausgehend von dem im Tatbestand geschilderten Geschehensablauf kann hier von einem grob fahrlässigem Verhalten der Beigeladenen nicht gesprochen werden. Zwar bestand aufgrund des Wertes des Schulschlüssels bzw. des mit einem Verlust verbundenen Kostenaufwandes durch Erneuerung der Schließanlage für die Beigeladene eine gesteigerte Sorgfaltspflicht bei der Aufbewahrung des Schlüssels. Dadurch, dass die Beigeladene den Schulschlüssel nicht mitgenommen, sondern in einer Tasche im nicht einsehbaren Kofferraum im verschlossenen PKW belassen hat, hat sie aber noch nicht einfachste, ganz naheliegende Überlegungen unterlassen oder Sicherungspflichten nicht beachtet, die jedem in der konkreten Situation einleuchten mussten. Es ist zwar allgemein bekannt, dass PKW-Einbrüche zugenommen haben und deshalb Gegenstände von besonderem Wert nicht über längere Zeit unbeaufsichtigt im PKW belassen werden sollen. Hier ist aber zu berücksichtigen, dass der PKW in einem öffentlichen Parkhaus, das in unregelmäßigen Abständen kontrolliert wird, in unmittelbarer Nähe eines Zuganges abgestellt worden ist und nicht an einer völlig abgelegenen Stelle, an der selten Passanten vorbeikommen. Darüber hinaus hat sich die Beigeladene nur relativ kurze Zeit vom PKW entfernt. Des Weiteren fällt zu Gunsten der Beigeladenen ins Gewicht, dass sie ihre beiden Schultaschen, in der sich auch der Schlüssel befand, nicht offen sichtbar im PKW hat liegen lassen, sondern diese sich seit dem Verlassen des Schulgeländes im Kofferraum befanden, der von außen nicht einsehbar war, und der PKW im Übrigen im Parkhaus von ihr ordnungsgemäß verschlossen worden war. Angesichts dieser Situation musste es sich der Beigeladenen nicht aufdrängen, den Schlüssel mitzunehmen, da äußerlich keinerlei Anreiz zum Einbruch in den PKW bestand.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Gründe, gegen das Urteil die Berufung gemäß § 124 a VwGO i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO zuzulassen, liegen nicht vor.