Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 01.09.2003, Az.: 1 K 85/02

Abziehbarkeit der entrichteten Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer; Voraussetzungen für eine Einfuhr "für sein Unternehmen"

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
01.09.2003
Aktenzeichen
1 K 85/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 26707
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2003:0901.1K85.02.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 23.09.2004 - AZ: V R 58/03

Fundstelle

  • EFG 2004, 1663-1664

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Zu den Voraussetzungen eines Erlasses nach § 227 AO.

  2. 2.

    Der Unternehmer kann die entrichtete Einfuhrumsatzsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG für Gegenstände, die für sein Unternehmen eingeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen.

  3. 3.

    Während das Tatbestandsmerkmal "für sein Unternehmen" in § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG nur der Abgrenzung dient, ob der Leistungsempfänger die bezogene Leistung im Rahmen seiner unternehmerischen Tätigkeit einsetzt, ist es in§ 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG auch für die Bestimmung des Unternehmers maßgebend, dem die Abzugsberechtigung zusteht. Die sich daraus ergebenden sachlichen Unterschiede für die Vorsteuerabzugsberechtigung sind vom Gesetzgeber gewollt. Möglicherweise sich ergebende Härten können daher nicht im Wege einer Billigkeitsmaßnahme korrigiert werden.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob Umsatzsteuer und darauf entfallende Zinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen sind, weil die Klägerin gezahlte Einfuhrumsatzsteuer nicht als Vorsteuer abziehen kann.

2

Die Klägerin betrieb ein Unternehmen, das den An- und Verkauf sowie die Vermittlung von Immobilien zum Gegenstand hatte. Im Jahr 19.. errichtete sie in...ein Fertighaus. Für Materialeinfuhrgeschäfte des mit der Durchführung des Bauvorhabens beauftragten Bauunternehmens entrichtete sie gegenüber dem Hauptzollamt (HZA) Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von ... DM, die sie im Rahmen der Umsatzsteuererklärung 19.. als Vorsteuer abzog. Durch Mitteilung vom 8. September 1997 stimmte der Beklagte (das Finanzamt - FA -) dieser Umsatzsteuererklärung zu.

3

Im Anschluss an eine Außenprüfung stellte sich der Prüfer auf den Standpunkt, dass die Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) i.V.m. Abschnitt 199 Abs. 4 der Umsatzsteuerrichtlinien (UStR) nicht erfüllt seien, weil im Zeitpunkt der Materialeinfuhr nicht die Klägerin, sondern das Bauunternehmen die Verfügungsmacht über das Baumaterial innegehabt habe.

4

Unter dem 12. Juli 2001 erteilte das FA einen dieser Prüfungsfeststellung entsprechenden Umsatzsteuerbescheid für 1996. Zugleich setzte es Nachzahlungszinsen in Höhe von 6.162,00 DM zur Umsatzsteuer fest.

5

Mit Schreiben vom 19. Juli 2001, das am selben Tag bei dem FA einging, stellte der damalige steuerliche Berater der Klägerin einen Erlassantrag, mit dem er den Erlass der auf die Versagung des Vorsteuerabzugs entfallenden Umsatzsteuer sowie der darauf entfallenden Zinsen begehrte. Zur Begründung machte er geltend, dass die Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer gegenüber der Klägerin zu Unrecht erfolgt sei. Nicht sie, sondern das Bauunternehmen sei Steuerschuldnerin gewesen. Zugleich beantragte er die Aussetzung der Vollziehung. Einen als Einspruch bezeichneten Rechtsbehelf gegen den Umsatzsteuerbescheid vom 12. Juli 2001 legte die Klägerin nicht ein.

6

Durch Bescheid vom 30. August 2001 lehnte das FA den Erlassantrag ab. Es stellte sich auf den Standpunkt, dass die Nichtabziehbarkeit möglicherweise zu Unrecht gezahlter Einfuhrumsatzsteuer eine Folge der gesetzlichen Regelung des Vorsteuerabzugs sei. Daraus resultierende Härten seien daher vom Gesetzgeber in Kauf genommen worden und könnten nicht durch Billigkeitsmaßnahmen korrigiert werden.

7

Mit einem am 1. Oktober 2001 bei dem FA eingegangenen Schreiben machten die jetzigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin geltend, dass das Schreiben vom 19. Juli 2001 richtigerweise als Einspruch gegen den Umsatzsteuerbescheid zu werten gewesen sei. Nur vor diesem Hintergrund sei der damit verbundene Antrag auf Aussetzung der Vollziehung verständlich.

8

Hilfsweise legten sie Einspruch gegen die Ablehnung des Erlassantrages ein. Zur Begründung machten sie unter Hinweis auf die BFH-Urteile vom 22. Februar 2001 V R 5/99 (BFH/NV 2001, 997), 8. März 2001 V R 61/97 (BFH/NV 2001, 98) und vom 22. März 2001 V R 11/98 (BFH/NV 2001, 1088) geltend, dass ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen geboten sei, weil nach dem System des Umsatzsteuerrechts eine endgültige Belastung des Unternehmens mit der im Rahmen seines Unternehmens gezahlten Umsatzsteuer vermieden werden solle.

9

Durch Einspruchsbescheid vom 8. Februar 2002 wies das FA den Einspruch aus den Gründen des Ablehnungsbescheids als unbegründet zurück.

10

Zuvor hatte das HZA einen Antrag der Klägerin auf Erstattung, Erlass bzw. Aufhebung der gezahlten Einfuhrumsatzsteuer abgelehnt. Hiergegen hat die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage erhoben, die bei dem Finanzgericht Hamburg anhängig ist.

11

Mit der am 11. März 2002 erhobenen Klage gegen die Ablehnung ihres Erlassantrages wiederholt die Klägerin ihr Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren.

12

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Beklagten unter Aufhebung seines ablehnenden Bescheids vom 30. August 2001 und des dazu ergangenen Einspruchsbescheids vom 8. Februar 2002 zu verpflichten, Umsatzsteuer 1996 in Höhe von ...EUR und Zinsen zur Umsatzsteuer in Höhe von ... EUR zu erlassen.

13

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

14

Er hält an der seinem ablehnenden Bescheid und seiner Einspruchsentscheidung zugrunde liegenden Auffassung fest und führt zur Begründung aus: Nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG könne ein Unternehmer die entrichtete Einfuhrumsatzsteuer nur für Gegenstände abziehen, die er für sein Unternehmen in das Inland eingeführt habe. Dies sei der Fall, wenn der Unternehmer im Zeitpunkt der Einfuhr die Verfügungsmacht über den Gegenstand besitze. Nicht entscheidend sei hingegen, wer Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer gewesen sei oder diese entrichtet habe. Hiernach komme ein Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs.1 Nr. 2 UStG durch die Klägerin nicht in Betracht. Da Gegenstand der von dem Bauunternehmen erbrachten Leistung eine Werklieferung - nämlich die Herstellung eines Fertighauses - gewesen sei, lägen auch die Voraussetzungen des § 41 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) für einen Vorsteuerabzug durch die Klägerin nicht vor.

Gründe

15

Die Klage ist nicht begründet. Das FA hat den Erlassantrag der Klägerin zu Recht abgelehnt.

16

Nach § 227 der Abgabenordnung (AO) können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Einziehung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis kann aus persönlichen oder sachlichen Gründen unbillig sein. Unbilligkeit aus sachlichen Gründen - wie die Klägerin sie im Streitfall allein geltend macht - liegt vor, wenn die Besteuerung - unabhängig von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen - im Einzelfall mit Sinn und Zweck des Gesetzes nicht vereinbar ist. Das ist der Fall, soweit nach dem erklärten oder mutmaßlichen - objektivierten - Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass dieser die Frage - wenn er sie geregelt hätte - im Sinn der beantragten Billigkeitsentscheidung beantwortet hätte. Umstände, die dem Besteuerungszweck entsprechen oder die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eines Tatbestandes bewusst in Kauf genommen hat, stehen jedoch dem Erlass entgegen (ständige Rechtsprechung des BFH; vgl. z.B. Urteile vom 15. Oktober 1998 IV R 69/97, BFHE 187, 198; vom 9. September 1993 V R 45/91, BStBl. II 1994, 131; vom 24. September 1987 V R 76/78, BStBl II 1988, 561 m.w.N.).

17

Nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG kann der Unternehmer die entrichtete Einfuhrumsatzsteuer für Gegenstände, die für sein Unternehmen eingeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Eine Einfuhr "für sein Unternehmen" ist gegeben, wenn der Unternehmer den eingeführten Gegenstand seinem im Inland belegenen Unternehmensbereich zuordnet, um ihn zur Ausführung von Umsätzen einzusetzen. Nach der Rechtsprechung des BFH sind diese Voraussetzungen erfüllt, wenn der Unternehmer im Zeitpunkt der Einfuhr die Verfügungsmacht über den eingeführten Gegenstand besitzt. Nicht entscheidend ist, wer Schuldner der entrichteten Einfuhrumsatzsteuer war, wer diese entrichtet hat und wer den für den vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer eingeführten Gegenstand tatsächlich über die Grenze gebracht hat (BFH, Urteile vom 24. April 1980 V R 52/73, BStBl. II 1980, 615; vom 12. September 1991 V R 118/87, BStBl. II 1991, 937; vom 16. März 1993 V R 65/89; ebenso Abschnitt 199 Abs. 4 der Umsatzsteuerrichtlinien).

18

Während das Tatbestandsmerkmal "für sein Unternehmen" in § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG nur der Abgrenzung dient, ob der Leistungsempfänger die bezogene Leistung im Rahmen seiner unternehmerischen Tätigkeit einsetzt, ist es in § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG auch für die Bestimmung des Unternehmers maßgebend, dem die Abzugsberechtigung zusteht (Wagner in Sölch/ Ringleb, Umsatzsteuergesetz, § 15 Rdnr. 386). Die sich daraus ergebenden sachlichen Unterschiede für die Vorsteuerabzugsberechtigung sind vom Gesetzgeber gewollt. Sie tragen den sachlichen Unterschieden Rechnungen, die zwischen den Fällen des § 15 Abs. Nr.1 und Nr. 2 UStG bestehen. Während der Bezug des Gegenstandes im ersten Fall stets auf einem Liefervorgang, also einem abgeleiteten Erwerb beruht, kann die Einfuhr eines Gegenstandes sowohl im Rahmen eines Liefervorgangs als auch außerhalb eines solchen erfolgen. Nur die Anknüpfung an die Verfügungsmacht über den Gegenstand im Zeitpunkt der Einfuhr bietet damit eine durchgängig tragfähige Grundlage für die Bestimmung des zum Abzug der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer berechtigten Unternehmers (BFH-Urteil in BStBl. II 1980, 615).

19

Die möglicherweise unbefriedigenden Ergebnisse, die sich aus daraus in Fällen ergeben können, in denen der inländische Abnehmer - ohne im Zeitpunkt der Einfuhr bereits die Verfügungsmachtüber den Gegenstand zu besitzen - die Einfuhrumsatzsteuer entrichtet oder durch einen Beauftragten entrichten lässt, sind dem Gesetzgeber durchaus bewusst gewesen. Aus diesem Grund hat er den Verordnungsgeber in § 15 Abs. 5 Nr. 2 Buchst. b UStG ermächtigt, nähere Bestimmungen darüber zu treffen, unter welchen Voraussetzungen der Vorsteuerabzug in solchen Fällen von einem anderen als dem Unternehmer in Anspruch genommen werden kann, für dessen Unternehmen der Gegenstand eingeführt worden ist.

20

Für den hier vorliegenden Fall einer Werklieferung (§ 3 Abs. 4 UStG) sehen die auf der Grundlage des§ 15 Abs. 5 Nr. 2 Buchst. b getroffenen Regelungen der§§ 41, 41 a und 42 UStDV jedoch keinen solchenÜbergang der Vorsteuerabzugsberechtigung vor. Insbesondere sind die Voraussetzungen des § 41 UStDV nicht erfüllt, weil sich diese Vorschrift nur auf den bei der Werklieferung gerade nicht vorliegenden Fall bezieht, dass der eingeführte Gegenstand dem inländischen Abnehmer unverändert geliefert wird. Die sich aus dieser Beschränkung möglicherweise ergebenden Härten sind von dem Verordnungsgeber offenbar bewusst in Kauf genommen worden und können deshalb nicht im Wege einer Billigkeitsmaßnahme korrigiert werden. Dies gilt um so mehr, als außerhalb des Anwendungsbereichs der genannten Verordnungsregelungen die Abzugsberechtigung des Unternehmers bestehen bleibt, für dessen Unternehmen der Gegenstand eingeführt worden ist, und die auf den eingeführten Gegenstand entfallende Einfuhrumsatzsteuer nur einmal als Vorsteuer abgezogen werden kann.

21

Soweit die Klägerin im Verwaltungsverfahren geltend gemacht hat, dass sie die Einfuhrumsatzsteuer zu Unrecht entrichtet habe, weil sie gar nicht Steuerschuldnerin gewesen sei, handelt es sich um einen Einwand,über den nicht in dem hier anhängigen Verfahren, sondern im Rahmen des bei dem Finanzgericht Hamburg anhängigen Klageverfahrens wegen Ablehnung des Antrages auf Erstattung von Einfuhrabgaben zu entscheiden ist.

22

Ebenso wenig hat der Senat in dem hier anhängigen Verfahren die Frage zu beurteilen, ob das Schreiben der damaligen steuerlichen Berater der Klägerin vom 19. Juli 2001 möglicherweise zugleich als Einspruch gegen den Umsatzsteuerbescheid vom 12. Juli 2001 zu werten ist.

23

Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abzuweisen. Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 FGO.