Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.09.2003, Az.: 14 V 103/03

Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes ; Beendigung der Kraftfahrzeugsteuerpflicht im Fall der Insolvenz

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
09.09.2003
Aktenzeichen
14 V 103/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 26651
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2003:0909.14V103.03.0A

Fundstellen

  • ZVI 2003, 479-481 (Volltext mit red. LS)
  • ZVI (Beilage) 2004, 28 (amtl. Leitsatz)

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens trennt die Insolvenzmasse, d.h. das gesamte der Zwangsvollstreckung unterliegende Vermögen des Schuldners von dem der Vollstreckung nicht unterworfenem Vermögen. Neben dem im Eröffnungszeitpunkt vorhandenen wird auch das während des Verfahrens erworbene Schuldnervermögen erfasst.

  2. 2.

    Die Masse wird dem Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Schuldners entzogen und dem Insolvenzverwalter unterstellt.

  3. 3.

    Im Falle der Insolvenz endet die Kfz-Steuerpflicht für den bisherigen Halter mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Steuerschuldner wird ab diesem Zeitpunkt der Verwalter.

Tatbestand

1

I.

Streitig ist im Hauptsacheverfahren die Kraftfahrzeugsteuerforderung für ein Fahrzeug, das eigenmächtig nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner zugelassen wurde.

2

Über das Vermögen des Herrn A., im folgenden Insolvenzschuldner genannt, wurde am 14. Oktober 2000 das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 3. April 2001 meldete der Insolvenzschuldner bei der Zulassungsstelle ein Fahrzeug an. Der Pkw erhielt das amtliche Kennzeichen X-AA 33 und wurde auf den Namen des Insolvenzschuldners zugelassen. Am 14. August 2002 meldete der Insolvenzschuldner das Fahrzeug wieder ab. Der Kläger hatte in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter hiervon keine Kenntnis. Das Finanzamt setzte zunächst die Kraftfahrzeugsteuer für das Fahrzeug mit dem Kennzeichen X-AA 33 mit Bescheid vom 12. April 2001 gegen den Insolvenzschuldner fest. Auf Grund der Abmeldung erfolgte mit Bescheid vom 22. August 2002 eine geänderte Festsetzung. Auch dieser Bescheid erging an den Insolvenzschuldner. Am 9. September 2002 hob das Finanzamt die Festsetzung der Kraftfahrzeugsteuer gegenüber dem Insolvenzschuldner auf. Gleichzeitig wurde dem Kläger in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter ein Bescheid über Kraftfahrzeugsteuer für den Zeitraum 3. April 2001 bis 13. August 2002 bekannt gegeben. Dieser Bescheid erging für das vom Schuldner angemeldete Fahrzeug mit dem Kennzeichen X-AA 33; die darin festgesetzte Steuer betrug 622 Euro. Das Einspruchsverfahren verlief erfolglos. Ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung war unter dem Datum 8. Oktober 2002 abgelehnt worden.

3

Mit der Klage im Hauptsacheverfahren, die unter dem Aktenzeichen 14 K anhängig ist, begehrt der Kläger die Aufhebung des Kraftfahrzeugsteuerbescheides vom 9. September 2002. Er begründet dies damit, dass die Kraftfahrzeugsteuer, die durch die eigenmächtige und ohne Kenntnis des Klägers vorgenommene An- und Abmeldung des Fahrzeugs entstanden sei, keine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 InsO bilde. Solche sonstigen Masseverbindlichkeiten könnten nur u.a. durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden. Beides sei vorliegend nicht der Fall. Anhaltspunkte für ein Herrühren der Steuerforderung aus einem gegenseitigen Vertrag oder einer ungerechtfertigten Bereicherung der Masse lägen ebenfalls nicht vor. Das Fahrzeug habe demnach zum insolvenzfreien Vermögen des Schuldners gehört. Dagegen spreche auch nicht die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zur Beurteilung von Kraftfahrzeugsteuern als Massekosten. Diese Rechtsprechung stünde im Zusammenhang mit Kraftfahrzeugsteuerbeträgen, die schon vor Insolvenzeröffnung begründet gewesen seien. Hinzu käme, dass die Finanzverwaltung durch ihre fehlerhafte Sachbehandlung, nämlich der Zustellung der Steuerbescheide an den Schuldner selbst, die Ursache für die nunmehr geltend gemachte Steuerlast gesetzt habe. Der Verwalter wäre nämlich sofort nach Kenntnis von der Anmeldung des Fahrzeugs im Wege der ordnungsgemäßen Zustellung des Kraftfahrzeugsteuerbescheids an ihn eingeschritten und hätte das Fahrzeug entweder abgemeldet oder aber freigegeben.

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Der Antragsteller beantragt,

die Vollziehung des Kraftfahrzeugsteuerbescheids vom 9. September 2002 zur Kraftfahrzeugsteuer Nr.: 11 X-AA 33 auszusetzen, ohne dieses von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen, bzw. soweit ein Vollzug des Bescheides erfolgt ist, die Aufhebung der Vollziehung anzuordnen

und

soweit Aussetzung der Vollziehung gewährt wird, die Verwirkung von Säumniszuschlägen bis zum Ergehen der gerichtlichen Entscheidung über den Aussetzungsantrag aufzuheben.

5

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

6

Der Antrag sei unzulässig, da er nicht nach Ergehen der Einspruchsentscheidung zuvor noch einmal bei dem Finanzamt eingereicht und beschieden worden sei. Daher seien die Zugangsvoraussetzungen des§ 69 Abs. 4 Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht erfüllt. Im Hauptsacheverfahren führt das Finanzamt an, dass, wenn ein Fahrzeug nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner zugelassen werde, es Sache des Insolvenzverwalters sei - eventuell durch Anordnung von Sicherungsmaßnahmen - für die Gläubiger nachteilige Rechtshandlungen des Schuldners aufzuklären oder zu verhindern. Dies sei nicht Sache des Finanzamtes oder der Zulassungsbehörde. Die Kraftfahrzeugsteuerfestsetzung sei ein Massen- und kein Individualverfahren. Eine Kontrolle der Anmeldung sei systematisch nicht möglich. Ferner stelle der BFH allein darauf ab, dass die Kraftfahrzeugsteuerforderung durch einen an einen Verwalter gerichteten Steuerbescheid geltend gemacht werde und dieser Bescheid zum Ausdruck bringe, dass er auf Masseansprüche gerichtet sei.

7

Laut einer Mitteilung des beklagten Finanzamtes vom 17. März 2003 ist ein Eigenheimzulage-Guthaben des Insolvenzschuldners umgebucht worden auf die streitige Kraftfahrzeugsteuer sowie auf Säumniszuschläge zu dieser Kraftfahrzeugsteuer.

Gründe

8

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

9

1.

Gemäß § 69 Abs. 4 FGO ist der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung an das Gericht zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt hat. Der Antragsgegner hat am 8. Oktober 2002 die Aussetzung der Vollziehung abgelehnt. Die herrschende Meinung, die auch der Senat vertritt, hält es nicht für erforderlich, dass innerhalb jedes Verfahrensabschnitts erneut ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt wird (vgl. BFH-Beschluss vom 25. Oktober 1994 VII B 155/94, BStBl II 1995, 131; BFH-Beschluss vom 21. September 1983 II S 5/83 BStBl II 1984, 210; a.A. Koch in: Gräber, Kommentar zur FGO, 5. Auflage, § 69, Rz. 72).

10

2.

Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Abs. 3 S.1 zweiter Halbsatz FGO erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durchüberwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung anordnen, § 69 Abs. 3 S. 3 FGO.

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a)

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Bescheides bestehen, wenn und soweit bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund der präsenten Beweismittel, des unstreitigen Sachverhalts und der gerichtsbekannten Tatsachen erkennbar wird, dass aus gewichtigen Gründen Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen oder Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen besteht und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Bescheid als rechtswidrig erweisen könnte (s. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 25. Juli 1994 I B 241/93, BFH/NV 1995, 334).

12

b)

Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens trennt die Insolvenzmasse, d.h. das gesamte der Zwangsvollstreckung unterliegende Vermögen des Schuldners von dessen der Vollstreckung nicht unterworfenem Vermögen. Erfasst wird außer dem im Eröffnungszeitpunkt vorhandenen auch das während des Verfahrens erworbene Schuldnervermögen (§§ 35, 36 InsO). Diese Insolvenzmasse unterfällt mit der Verfahrenseröffnung dem Beschlagsrecht zugunsten der Insolvenzgläubiger, d.h. der Gläubiger mit Forderungen, die bis zum Eröffnungszeitpunkt begründet worden sind. Die Masse wird dem Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Schuldners entzogen und dem Insolvenzverwalter unterstellt. Zum Schutz der Masse vor Einmischungen des Schuldners bestimmt § 81 InsO, dass Verfügungen des Schuldners über einen Gegenstand der Insolvenzmasse nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens unwirksam sind. Demgegenüber verbleibt das vollstreckungsfreie Vermögen in der Verwaltungs- und Verfügungszuständigkeit des Schuldners und haftet allein und ohne Vollstreckungszugriff für Schulden, die der Schuldner nach Eröffnung begründet. Gemäß § 53 InsO sind aus der Insolvenzmasse die Kosten des Insolvenzverfahrens und die sonstigen Masseverbindlichkeiten vorweg zu berichtigen. Gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind u.a. Masseverbindlichkeiten Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Masseverbindlichkeiten sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nach Insolvenzeröffnung begründet werden durch Rechtsgeschäfte oder Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters, die er im Rahmen seiner Amtstätigkeit vornimmt. Die Regelungen über die Masseverbindlichkeiten sind abschließend. Auch sonstige Rechtsverletzungen des Insolvenzverwalters, die im Zusammenhang mit der ihm obliegenden Verwaltung der Masse begangen werden, können zu Masseverbindlichkeiten führen. Soweit es für die Ansprüche auf das Vorliegen subjektiver Voraussetzungen ankommt, ist auf die Kenntnis oder das Kennensmüssen des Insolvenzverwalters abzustellen (MünchKommInsO-Hefermehl § 55 InsO Rd.Nr. 35).

13

Der Kraftfahrzeugsteuer unterliegt gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 Kraftfahrzeugsteuergesetz (KraftStG) das Halten von inländischen Fahrzeugen zum Verkehr auf öffentlichen Straßen. Halter eines Fahrzeugs ist derjenige, der es für eigene Rechnung in Gebrauch hat und die für einen solchen Gebrauch erforderliche Verfügungsmacht besitzt und derjenige, der bei zulassungspflichtigen Fahrzeugen die Zulassung innehat (BFH-Urteil vom 13. Januar 1987 VII R 147, 148, 150/84, BStBl II 1987, 272). Auf welcher Rechtsgrundlage diese Verfügungsmacht über das Fahrzeug beruht, ist für die Besteuerung unerheblich. Halter kann auch jemand sein, der nur die wirtschaftliche Verfügungsmacht hat, nicht aber Eigentümer des Fahrzeugs ist. Im Falle der Insolvenz endet die Kraftfahrzeugsteuerpflicht für den bisherigen Halter mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Der Verwalter wird ab diesem Zeitpunkt zum Steuerschuldner. Voraussetzung ist jedoch, dass der Schuldner im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung Halter eines Fahrzeugs war. Die Kraftfahrzeugsteuerbeträge, die dann nach Eröffnung entstanden sind, sind grundsätzlich Masseverbindlichkeiten.

14

c)

Wegen erheblicher Unklarheiten im Hinblick auf die Umstände der Fahrzeugnutzung durch den Schuldner war eine Aufhebung der Vollziehung geboten. Zum einen ist nicht sicher, ob der streitige Pkw überhaupt zur Insolvenzmasse gehört hat, d.h. ob er zum nach Eröffnung hinzuerworbenen Schuldnervermögen gehörte. Der Antragsgegner hat nicht vorgetragen und es ist auch nicht durch präsente Beweismittel ersichtlich, dass der Schuldner Eigentümer des Pkw war. Es ist schon unklar, welcher Art das Nutzungsverhältnis war, das der Insolvenzschuldner im Hinblick auf den zugelassenen Pkw inne hatte. Selbst wenn Verfügungen des Schuldners in diesem Zusammenhang unwirksam gemäß § 81 InsO gewesen sein sollten, dürfte allerdings die Kraftfahrzeugsteuer durch den tatsächlichen Vorgang des Haltens entstanden sein. Die Steuer beruht möglicherweise jedoch allein auf Handlungen des Schuldners nach Insolvenzeröffnung. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter eine Pflichtverletzung im Hinblick auf die Fahrzeugnutzung begangen hat bzw. dass er den Vorgang hätte kennen müssen, sind nicht gegeben und wurden von dem Antragsgegner auch nicht vorgetragen. Die nicht weiter konkretisierte Behauptung des Antragsgegners, dass es Sache des Verwalters sei, nachteilige Rechtshandlungen des Schuldners aufzuklären oder zu verhindern, reicht hierfür nicht aus. Es steht daher nicht zweifelsfrei fest, dass die streitige Kraftfahrzeugsteuerschuld überhaupt eine Masseverbindlichkeit ist, die durch eine zurechenbare Handlung des Klägers begründet wurde. Es könnte sich auch um eine Verbindlichkeit handeln, die allein durch Handlungen des Schuldners entstanden ist, für die das vollstreckungsfreie Vermögen des Schuldners haftet. Eine solche Kraftfahrzeugsteuer wäre, da keine Masseverbindlichkeit, gegen den Schuldner festzusetzen.

15

Da der Antragsgegner bereits gegen die streitige Kraftfahrzeugsteuer mit einer Eigenheimzulageforderung des Schuldners aufgerechnet hatte, war die Aufhebung der Vollziehung anzuordnen.

16

3.

Der Senat hat die Aufhebung der Vollziehung wegen des relativ geringen Betrages und im Hinblick auf das Insolvenzverfahren nicht von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht (§ 69 Abs. 2 Sätze 3 und 6 i.V.m. Abs. 3 Satz 3 FGO).

17

4.

Die Aufhebung der Vollziehung wird mit der Maßgabe angeordnet, dass in der Vergangenheit entstandene Säumniszuschläge entfallen (s. BFH-Urteil vom 30. März 1993 VII R 37/92, BFH/NV 1994, 4, m.w.N.). Es bestanden nämlich von Anfang an Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Festsetzung und die Aussetzung der Vollziehung war auch innerhalb der Einspruchsfrist beantragt worden.

18

5.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.